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Fusion von Zoo und Zirkus
Die Vision eines Schweizer Tierlehrers
Nr. 6/2008
Raubtiere befinden sich seit Jahrhunderten in menschlicher Obhut. Doch die Beziehung zu ihnen änderte sich im Wandel der Zeit grundlegend. Der Schweizer Tierlehrer René Strickler ist Pionier der jüngsten Entwicklung – und dies mit grossem Achtungserfolg.
Von Heini Hofmann*
Während Raubtiere in den Arenen der Antike und den Hatztheatern des Mittelalters zu Bestien degradiert und legionenweise verheizt wurden, fanden sie in der modernen Wildtierhaltung zum Status eines respektierten Partners und zugleich Botschafters für die frei lebenden Artgenossen.
Zoo versus Zirkus
Doch ein Streitpunkt ist geblieben: die ungleiche Beurteilung der Wildtierhaltung im Zoo und im Zirkus – zu Ungunsten des Letzteren. Zwar haben beide Institutionen den gleichen Ursprung, nämlich die alte Menagerie der Fürstenhöfe, die sich in eine stehende und eine fahrende weiterentwickelte, woraus später Zoo und Zirkus entstanden, das heisst statische und dynamische Tierpräsentation. Heute werden beide Institutionen gegeneinander ausgespielt, egal ob gut geführt oder nicht. (Wir sprechen hier ohnehin nur von gut geführten auf beiden Seiten; dass schwarze Schafe in der Wildtierhaltung verschwinden sollen, dagegen hat wohl niemand etwas einzuwenden.) Doch in einer sich von der Natur entfremdenden und dadurch ein verborgenes Schuldgefühl in sich tragenden Gesellschaft hat sich eine Zwittereinstellung zur Wildtierhaltung im Allgemeinen und zur Raubtierhege im Speziellen entwickelt, die vom extremen, selbst ernannten Tierschutzaktivismus (dessen Repräsentanten oft überhaupt keinen praktischen Bezug zu Tieren haben) geschürt wird. Da sich die Argumente der Tierschutzaktivisten nur auf den einzig messbaren (wenn auch längst nicht allein ausschlaggebenden!) Parameter, nämlich die Gehegegrösse, kaprizieren, kam der Zirkus zuerst unter Beschuss. Dies hat international dazu geführt, dass Wildtiere und damit auch Raubtiere zunehmend aus dem Zirkus verschwanden, was in verschiedenen Ländern bereits durch legiferierte Verbote besiegelt ist. Der ebenso wichtige wenn nicht sogar viel entscheidendere Aspekt der Bewegungsanimation (Leben ist Bewegung!) bleibt wohlweislich unterschlagen und kommt auch in der oft unsachlichen medialen Diskussion nicht zum Tragen, ob-
Solch intensive Freundschaft mit Raubtieren ist nur bei absolutem gegenseitigem Vertrauen und mit dem nötigen Respekt möglich.
schon es Fakt ist, dass durch Training animierte Wildtiere im Zirkus länger leben und fit bleiben.
Echter Tierfreund
Tiere in freier Wildbahn sind im täglichen Überlebenskampf nonstop gefordert, durch Futtersuche, Sozialkontakte und Flucht vor Feinden. Dieser Dauerstress
erhält sie gesund und robust. Im Zoo stehen ihnen wohl die grösseren Gehege als im Zirkus zur Verfügung, aber die Bewegungsanimation hier ist kleiner. Für René Strickler, der im Zirkus gross geworden ist, war es daher immer oberstes Gebot, die ihm anvertrauten Tiere «geistig und körperlich nicht verkommen zu lassen», sich
mit ihnen zu beschäftigen, sie zu fordern, so wie es die Natur auch tut. Heute wird viel über Wildtierhaltung palavert, vielfach von selbst ernannten Schreibtischexperten ohne jegliche praktische Erfahrung. Anders verhält es sich bei René Strickler: Seit rund vier Jahrzehnten engagiert er sich für Raubtiere, aber nicht bloss mit Worten, sondern auch mit Taten. Sein Engagement ist bemerkenswert. Freizeit kennt er nicht; er lebt für seine Tiere, die ihm anvertraut sind. Dabei handelt es sich um zoogeborene Raubkatzen und Bären, die – da in den zoologischen Gärten weltweit Überproduktion besteht – als überzählig eingeschläfert worden wären. Er ist somit ein echter Tierschützer; sein Lebenswerk nennt sich denn auch «Freundschaft mit Raubtieren». Doch wie kam es dazu? Es begann – vielleicht nicht von ungefähr – mit dem Zirkus. Bereits sein Grossvater, der be-
kannte Kinopionier Wilhelm Leuzinger, reiste um die vorletzte Jahrhundertwende mit Wagentross und Kinozelt durch die Schweiz. Hier begegnete klein René denn auch dem ersten Löwen – dem brüllenden Signet im Vorspann der Filme von Metro-Goldwyn-Mayer. Vor dem Insbettgehen durfte er jeweilen im Vorführraum durchs Guckloch kiebitzen – und schlief dann, sobald der Löwe gebrüllt hatte, selig ein. Noch höher schlug das Herz des kleinen Buben, als ihn sein Schulweg in Rapperswil an den Stallungen des Zirkus Knie vorbeiführte und wenn er später bei den Proben zuschauen durfte. Hier fielen die Würfel.
Lob von Fachseite
Bald zeigte sich: Die Liebe zu den Raubtieren war keine Eintagsfliege. Also kam es, wie es kommen musste. 1973 stand René Strickler im Circus Nock erstmals in der Manege und – nach verschiedenen
Engagements im In- und Ausland – 1978 dann auch im Circus Knie. Es folgten zwei Jahre beim Circus Krone und anschliessend ein ganzes Jahrzehnt (!) beim Circus Roncalli, lediglich unterbrochen von einer Australientournee mit «Best artists of the world». Roncalli-Direktor Bernhard Paul lobte denn auch den Schweizer Tierlehrer, den er gerne als Doktor Doolittle bezeichnete, über alle Massen: «Keine Sensationslust, sondern Sensibilität; keine Härte, sondern Harmonie. So einen wie den Strickler finden wir nicht wieder!» Ob aller Zuneigung zu seinen Raubtieren betont René Strickler stets, dass auch gezähmte grosse «Samtpfoten» trotzdem Wildtiere bleiben. Das musste er, trotz aller Vorsicht, am eigenen Leib erfahren, als ihn während eines Roncalli-Gastspiels in Bremen im Spielkäfig eine (durch frühere schlechte Erfahrungen) verhaltensgestörte Tigerin – der er kurz
Im Raubtierpark Subingen hat René Strickler die Vorteile von Zoo und Zirkus kombiniert; das Publikum weiss es zu schätzen, die Fachwelt lobt.
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Tägliche intensive Beschäftigung durch Spiel, Training und Vorführung vermindert das Hauptproblem gehegter Wildtiere, die Langeweile.
35 Millionen Franken budgetierten Projekt sind ferner eine Panorama-Lodge, ein Gastrobetrieb sowie eine Eventhalle für Vorstellungen und zoopädagogische Sonderschauen angegliedert. Die verbleibende grosse Knacknuss ist, wie immer bei solchen Unterfangen, die Restfinanzierung. Doch so konsequent und unbeirrt René Strickler sich bisher für seine Sache, die für ihn eine Berufung ist, eingesetzt hat,
Da wir helle Farbe mit sanft und Schwarz mit gefährlich verbinden, halten wir fälschlicherweise die dunkle Form des Leoparden, den Schwarzpanther, für wilder.
zuvor das Leben gerettet hatte – anfiel und schwer verletzte. Doch selbst dies blieb ohne Einfluss auf sein Engagement. Um für das Schicksal seiner Raubtiere vollumfänglich selbst verantwortlich zu sein, gründete René Strickler – nach zwei weiteren Tourneen beim Circus Knie – 1995 sein eigenes Unternehmen «Freundschaft mit Raubtieren» und ging damit in der Schweiz und in Deutschland auf Tournee.
Ideale Kombination
Allmählich fanden seine Arbeit und sein Können allgemeine Anerkennung, und 1999 zeichnete ihn die Jury am Festival du Cirque in Monte Carlo mit dem «Ehrenpreis für vorbildliche Tierhaltung und freundschaftlichen Umgang mit Raubtieren» aus. In ihm selber wuchs jedoch das Bedürfnis, seinen Schützlingen die Vorteile von Zoo (grosses Gehege) und Zirkus (mehr Bewegungsanimation) kombiniert anbieten zu können. Daher suchte er eine feste Bleibe und fand sie in Subingen/SO. Hier im Raubtierpark haben die 35 Grosskatzen und Bären neben den Tierwagen, die ihnen als vertraute Schlafstätte dienen und wo sie zur Fütterung in schützende Abteile getrennt werden, grosszügig bemessene und reich strukturierte Aussengehege. Zudem behielt der erfahrene Tierlehrer zur Bereicherung des Tagesablaufs der ihm anvertrauten Geschöpfe die circensische Dressurarbeit bei, wenn auch ohne Showmusik und Glitterkostüm. Er verlangt jedoch von den Tieren nichts, was nicht ihrem
darf man wohl davon ausgehen und
möchte es ihm gönnen, dass ihm auch
dieser grosse Wurf gelingt – zum Wohl
seiner Schützlinge und späterer Genera-
tionen solch «überflüssig gewordener»
Raubtiere, die in seiner Obhut nicht
bloss ein lebenswertes Leben fristen kön-
nen, sondern zu Botschaftern für ihre
frei lebenden Artgenossen werden. Denn
dies ist die wichtigste Message, die René
Strickler mit seiner «Freundschaft mit
Raubtieren» vermitteln möchte: dass wir
Menschen uns mehr um die Erhaltung
der Lebensräume frei lebender Wildtiere
Neben den verschiedenen Grosskatzen leben bei René Strickler auch ein rotbrauner Zimtbär, ein weisser Polarbär und ein schwarzer Kragenbär.
kümmern.
N
Heini Hofmann
normalen Verhaltensrepertoire ent- siert werden soll und wofür nun die Bau-
Zootierarzt und
spricht oder sich aus ihren spielerischen bewilligung vorliegt.
freier Wissenschaftspublizist
Fähigkeiten ableiten lässt. Er fusionierte Dieser Raubtier-Themenpark, der auf
Hohlweg 11, 8645 Jona
somit auf geschickte Weise die Vorteile 42 000 m2 die Grosskatzen und Bären
von Zoo und Zirkus.
Amerikas, Afrikas und Asiens in Land-
(alle Bilder: René Stricklers Raubtierpark)
«Meine Erfahrung hat gezeigt», ist René schaften zeigen soll, die der Natur nach-
Strickler überzeugt, «dass das Stellen von angemessenen Anforderungen und das Unterstützen angeborener Fähigkeiten,
empfunden sind, ist von den Besuchern auf spektakuläre Weise teils ober- und teils unterirdisch begehbar. Dem mit
* Der Autor war früher Tierarzt im Basler Zoo und im Circus Knie und Leiter des Rapperswiler Kinderzoos.
was letzlich die tiergerechte Arbeit eines
einfühlsamen Tierlehrers ausmacht, die
physische und psychische Konstitution Dankbar für Unterstützung
der Tiere positiv beeinflusst.» Seine legendäre Schwarzpantherin Lara bestätigte dies, indem sie bis zu ihrem Tod im hohen Alter von 28 Jahren bei bester körperlicher Verfassung blieb.
Vision Jungleworld
Doch noch hat der rastlose Freund der Raubtiere nicht all seine Visionen realisiert. Und obschon er nach wie vor mit dem Weiterausbau des Raubtierparks in Subingen (mit jährlich steigenden Eintrittszahlen) beschäftigt ist, plant er bereits ein noch ambitionierteres Projekt Jungleworld, das in Dompierre/FR reali-
Wer René Strickler und seinen Schützlingen helfen möchte, kann dies auf vielfältige Weise tun. Entweder für den aktuellen Raubtierpark in Subingen mit einem Besuch des Parks und der Vorführung (einzeln oder als Gruppe), durch Vereinsmitgliedschaft, Tierpatenschaft (diese sind fast ausgebucht), Tierfutterkarte (pro Tag verzehren die 35 Raubtiere rund eine Kuh) oder Geldspende. Oder aber fürs Zukunftsprojekt Jungleworld in Dompierre durch ein Sponsoring oder einen symbolischen Quadratmeterkauf. Details über www.raubtierpark.ch oder Tel. 079-421 13 81.
Zum grossen Zukunftsprojekt Jungleworld in Dompierre liegen Pläne, Modell und Baubewilligung bereits vor. Noch ein Problem ist die Restfinanzierung.