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Impfungen beschäftigen uns alle in der täglichen Praxis zunehmend. Nicht nur sind die Richt- sowohl alltägliche wie auch seltenere – regelmässig in der eigenen Rubrik DoXVaccine zu orienlinien zur Impfpraxis ständigen Änderungen unterworfen, auch unsere Patienten wollen immer tieren. Es freut uns ausserordentlich, dass wir dafür einen kompetenten Partner gefunden haben, mehr und bessere Informationen. DoXMedical hat sich daher entschlossen, über Impfungen – nämlich die Division Vaccines & Diagnostics der Firma Novartis Pharma Schweiz AG.
Invasive Meningokokkenerkrankungen der Serogruppe C – höchster Stand in der Schweiz seit 2002
Übertragbare Infektionskrankheiten lassen sich in solche mit einer ho-
Abbildung 1: Derzeit 63 invasive Meningokokkenerkrankungen seit Jahresbeginn (Stand 23.10.2008)*
hen und solche mit einer relativ tie-
fen Inzidenz einteilen. Zur ersten
Gruppe gehört Influenza, zur ande-
ren gehören invasive Meningokok-
kenerkrankungen (IME). Doch aus
dem Blickwinkel der Verlaufspro-
gnose wendet sich hier das Blatt:
IME verzeichnen gegenüber Influen-
za eine viel höhere Case-Fatality-
Rate (CFR). Durchschnittlich rund
10 Prozent der IME Patienten ver-
sterben, so auch in der Schweiz.
Wichtig zu wissen: IME der Sero-
gruppe C können durch eine Imp-
fung effektiv verhindert werden.
Michael Endrich
Invasive Meningokokkenerkrankungen (IME) werden durch den Erreger Neisseria meningitidis verursacht. Besonders häufig betroffen sind Säuglinge, Kleinkinder und jugendliche Schulkinder, aber auch Erwachsene (inklusive Reisende!). Krankheitsverlauf und Prognose hängen von verschiedenen Pathogenitätsfaktoren des verursachenden Bakterienstamms und von der Immunitätslage des Patienten ab. Der klinische Verlauf reicht von der transienten Bakteriämie mit kurzer grippeartiger Symptomatik bis zum septischen Krankheitsbild mit hoher Letalität. Die Inzidenz von IME erhöht sich, wenn hoch virulente Meningokokken zirkulieren, weitere Faktoren die Transmission ermöglichen und der menschliche Wirt eine verringerte Resistenz aufweist.
Asymptomatische Durchseuchung
Der menschliche Nasen-Rachen-Raum ist das einzige natürliche Reservoir für den Erreger Neisseria meningitidis. Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt oder durch Sekret des NasenRachen-Raums (Tröpfcheninfektion). Ausserhalb des Körpers können die Erreger nicht überleben. Neben der Fähigkeit, IME auszulösen, ist bei den Meningokokken eine weitere Besonderheit vorhanden: Sie besiedeln die nasopharyngeale Schleimhaut gesunder Personen. Diese «stille» (weil asymptomatische) Durchseuchung wird in der Bevölkerung auf bis zu 30 Prozent geschätzt. Sie ist besonders bei Kleinkindern hoch, möglicherweise durch das Verschwinden ma-
* www.bag.admin.ch/k_m_meldesystem/00733/00804/index.html?lang=de
ternaler Antikörper sowie den noch andauernden Reifungsprozess des Immunsystems bedingt. Aber auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist aufgrund der häufigen und engen Kontakte zum Beispiel in Klassen, Internaten, Kasernen oder Studentenwohnheimen eine breite Trägerschaft zu finden. Warum einige durch die Meningokokken erkranken, andere wiederum nur Träger, aber damit zu einer signifikanten Gefahr für Kontaktpersonen werden, ist weitgehend ungeklärt. Zur IME kommt es durch Überwindung der menschlichen Abwehrmechanismen. Bei einer Schädigung der Mukosazellen, etwa nach Virusinfektionen, binden Membranproteine der Meningokokken an Rezeptoren der Epithelzellen im Nasen-Rachen-Raum. Es kommt zur Transzytose und in Folge
zum Übertritt der Bakterien in die Blutbahn (Bakteriämie). Zahlreiche Virulenzfaktoren erleichtern den Meningokokken das Überleben im Blut.
Unterschiede bei der Inzidenz
Ein wichtiger Pathogenitätsfaktor ist das Kapselpolysaccharid. Es definiert die immunologisch reaktive Serogruppe. Für den Menschen sind bis heute 5 (A, B, C, Y und W 135) der 13 bekannten Serogruppen klinisch relevant. Die Epidemiologie und Pathogenität dieser Serogruppen sind regional verschieden. Europa zeigt eine breite Streuung der Inzidenz von IME und eine grosse Variation in der Verteilung der Meningokokkenserogruppen (Abbildung 2). In der Schweiz lag die Inzidenz über die letzten vier Jahre praktisch stabil bei
Grossbritannien Schweiz
Schweden Spanien
Slowenien Slovak. Rep.
Portugal Polen
Norwegen Niederlande
Malta Litauen Lettland Italien Irland Island Ungarn Griechenland Deutschland Frankreich Finnland Estland Dänemark Tschech. Rep. Belgien Österreich
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Abbildung 2: Meningokokken-Serogruppen-Verteilung in Europa 2004 (EU-IBIS Network)
B C W Y A
EU-IBIS Network
rund 1 Erkrankung pro 100 000 Einwohner, was einer jährlichen Fallzahl von rund 70 Personen entspricht. Die am stärksten von IME betroffenen Altersklassen waren Kinder unter 5 Jahren (Inzidenz 2007: 3,1 bis 10,8/100 000) sowie Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 24 Jahren (Inzidenz 2007: 2,2 bis 2,6/100 000). In den Jahren 2004 bis 2007 betrug die Letalität von IME in der Schweiz 8 Prozent und lag mit 11,5 Prozent am höchsten in der Gruppe der über 24-Jährigen. 86 Prozent der am Nationalen Zentrum für Meningokokken in Genf analysierten Isolate der in der Schweiz aufgetretenen und gemeldeten IME-Fälle entfielen auf die Serogruppen B und C. Der Anteil der Serogruppe B sank 2007 von vormals 64 Prozent auf 48 Prozent (−25%, p = 0,4). Der Anteil der Serogruppe C erhöhte sich von 26 Prozent auf 38 Prozent (+46,2%, p = 0,4) und erreichte damit den höchsten Stand seit 2002. Obwohl die Gesamtinzidenz der IME der Gruppe C unverändert bei 0,3 pro 100 000 lag, zeigte sich ein ansteigender Trend in den Altersklassen der 1- bis 4- und der 10bis 19-Jährigen. Erhebungen im Jahr 2006 und 2007 zur Durchimpfung ergaben, dass die seit zwei Jahren empfohlene ergänzende Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C nur in relativ bescheidenem Ausmass umgesetzt wird und bis anhin keine Auswirkung des erreichten Durchimpfungsgrades auf die Epidemiologie zu erwarten ist.
Hohe Immunogenität in allen Altersgruppen
Alle drei auf dem Markt befindlichen Impfstoffe gegen Erkrankungen durch Meningokokken der Serogruppe C (Men-
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Invasive Meningokokkenerkrankungen der Serogruppe C – höchster Stand in der Schweiz seit 2002
jugate®, Neis-Vac-C® und Meningitec®) sind gut verträglich, hoch immunogen und in zahlreichen Impfschemata in der Praxis erprobt. Durch Konjugation, das heisst Kopplung des Polysaccharidantigens direkt oder über einen Verbinder (Linker) mit einem hoch immunogenen Trägerprotein – in der Regel die Diphtherie-CRM-197-Mutante (CRM 197 steht für cross reacting material 197) oder das Tetanustoxoid –, wird erreicht, was mit reinen Polysaccharidimpfstoffen nicht möglich ist: nämlich eine hohe Immunogenität in allen Altersgruppen; Boosterbarkeit, da Tund B-zellabhängige Immunantwort (keine Hyporesponsiveness) und Herdimmunität. Dies alles prädestiniert die Konjugatimpfstoffe für den Einsatz in Impfkampagnen.
Millionen Einwohner von 7,8 auf 3,6 (in nur einem Jahr!) verringerte, in der Zielgruppe der 2 Monate alten Kinder bis 20Jährigen innert einem Jahr gar von 21,5 pro Million auf 3,3 pro Million. Daraus errechnet sich eine Impfstoffeffektivität von 96,8 Prozent (95%-KI: 75,0–99,9; im Vergleich: In der Kampagne in Grossbritannien betrug diese 88–96%). Als Schlussfolgerung vermerkten die Autoren um Philippe de Wals, dass ein Konjugatimpfstoff wie Menjuga-
te® effektiv eine Meningokokken-C-Epi-
demie unter realen Bedingungen kon-
trollieren kann und einen effektiven
Schutz bietet.
N
Kontaktadresse: Dr. Michael Endrich Novartis Vaccines & Diagnostics Novartis Pharma Schweiz AG Monbijoustrasse 118 3007 Bern E-Mail: michael.endrich@novartis.com
Literatur: Bundesamt für Gesundheit: Invasive Meningokokkenerkrankungen 2007. BAG Bulletin Nr. 41 vom 6. Oktober 2008: 714–716. De Wals Ph. et al.: Effectiveness of a Mass Immunization Campaign Using Serogroup C Meningococcal Conjugate Vaccine. JAMA 2004; 292 (20): 2491–2494. Gniel D. und Schultze V.: Moderne KonjugatImpfstoffe und Meningokokken-C-Impfkampagnen. Impfdialog 1/2008: 13–22. Steul K., Schaaff F. und Knuf M.: Invasive Meningokokkenerkrankung – Klinik und Verlaufsformen. Impfdialog 1/2008: 5–12.
Impfstoffeffektivität von 96,8 Prozent
Neben einer im Jahr 1999 in Grossbritannien begonnenen Impfkampagne mit allen drei zur Verfügung stehenden Meningokokken-Typ-C-Konjugatimpfstoffen gab es eine zweite grosse Kampagne, die in Kanada im Jahr 2001 begonnen wurde. Bei diesem Impfprogramm in der Provinz Quebec kam ausschliesslich der Impfstoff Menjugate® (Novartis Vaccines) zur Kontrolle eines lokalen Meningokokken-C-Ausbruchs zum Einsatz (de Wals, 2004). 1 919 070 Personen (Einwohner der Provinz) im Alter von 2 Monaten bis 20 Jahren stellten die Bevölkerungsgruppe dar, die geimpft werden sollte: 1 606 635 wurden mit dem Impfstoff Menjugate® geimpft, 51 781 Personen mit dem Vergleichspolysaccharidimpfstoff. Die Durchimpfungsrate betrug erstaunliche 82,1 Prozent. Als Resultat zeigte sich, dass eine Verringerung der invasiven MeningokokkenC-Neuerkrankungen von 58 in 2001 auf 27 in 2002 erreicht werden konnte, wobei sich auch die generelle Inzidenz pro
Influenza – besondere Situation 2008/09
Der Impfstoff gegen die saisonale Influenza enthält Oberflächenantigene von drei unterschiedlichen Influenzavirenstämmen. Die Wahl der Stämme und dadurch die Zusammensetzung des aktuellen Impfstoffes wird jährlich durch die WHO bekannt gegeben. Heuer kommt der Schutzimpfung gegen Influenza eine besondere Bedeutung zu: In diesem Jahr hat die WHO erstmals seit über 20 Jahren eine Empfehlung zum Wechsel aller drei im Impfstoff enthaltenen Virusstämme ausgesprochen. Das heisst, die Experten gehen davon aus, dass in der kommenden Saison neue Virenstämme zirkulieren werden, die für das Immunsystem noch völlig unbekannt sind. Damit ist keine Teilimmunität aus vorangegangenen Impfungen vorhanden, wie das in anderen Jahren der Fall war, in denen nur ein oder zwei Virenstämme ausgetauscht wurden. Die Impfung verfolgt das Ziel, das Immunsystem auf die im Impfstoff enthaltenen (neuen) Viren vorzubereiten. Neben den herkömmlichen Grippeimpfstoffen steht in der Schweiz für die Saison 2008/09 erstmals eine neue Klasse von Influenzaimpfstoffen, jene der sogenannt adjuvierten, zur Verfügung. Einziger Vertreter dieser neuen Klasse, spezifisch für Personen ab 65 Jahren, ist der mit dem Adjuvans MF59 formulierte Impfstoff.
Quellen: BAG-Bulletin Nr. 42 vom 13. Oktober 2008, 735–37.