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KONGRESSBERICHT
Psoriasis vulgaris
Strategien zur Verhinderung einer Gelenkbeteiligung
Die Identifikation von Psoriasis-Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer Psoriasis-Arthritis (PsA) hat ein enormes Potenzial, den Langzeitverlauf der Erkrankung zu verbessern. Biologika spielen in den Präventionsstrategien eine wichtige Rolle.
Bei den meisten Psoriasis-Patienten, bei etwa 80 Prozent, geht die Psoriasis vulgaris einer PsoriasisArthritis voraus. Damit besteht die Möglichkeit, die Patienten mit einem Risiko für die Entwicklung dieser Gelenkerkrankung im Vorfeld zu identifizieren, betonte Prof. Laura Coates aus Oxford (UK) auf der Word Psoriasis and Psoriatic Arthritis Conference 2024 in Stockholm (Schweden). Das Zeitintervall zwischen der klinischen Präsentation beider PsoriasisEntitäten kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Das Problem ist, dass die Entwicklung von der Psoriasis zur Psoriasis-Arthritis zeitlich betrachtet nicht linear verläuft. «Man geht nicht plötzlich über Nacht von Psoriasis zur Psoriasis-Arthritis über. Es ist ein Prozess mit verschiedenen Stufen der Krankheitsprogression», betonte Coates. Daher stellt sich die Frage, ob und wie man die Vorstadien der PsA beziehungsweise die Risikogruppen identifizieren kann. Insbesondere die Identifikationen derjenigen Patienten, die ein erhöhtes Risiko für die PsA-Entwicklung haben, wäre wichtig. Hierzu wurden bereits eine Reihe von Risikofaktoren erkannt.
PsA-Entwicklung in Abhängigkeit vom Schweregrad der Schuppenflechte
So beeinflusst offenbar der Schweregrad der Psoriasis das Risiko für die Entwicklung einer PsA, und Patienten mit einer schweren Psoriasis haben ein deutlich erhöhtes PsA-Risiko. Allerdings entspräche das nicht grundsätzlich der Erfahrung der Rheumatologen, die von vielen PsA-Patienten mit leichter bis mittelgradiger Psoriasis berichteten, so Coates weiter. Dies sei allerdings darauf zurückzuführen, dass die meisten Psoriasis-Patienten eher leichtere Formen der Erkrankung hätten, sodass auch bei einem geringeren Risiko die Anzahl der leichteren Psoriatiker bei den Rheumatologen erklärbar wäre. Um hier mehr Klarheit zu bekommen, wurden in einer retrospektiven US-Studie die Daten von 114 868 Patienten mit neu diagnostizierter Psoriasis ausgewertet (1). Als Surrogatmarker für den Schweregrad wurde hier die Therapie der Patienten verwendet. 89,3 Prozent wurden rein topisch behandelt (definiert als leichte Psoriasis), 5,5 Prozent erhielten konventio-
nelle systemische Therapien (mittelgradige Psoriasis) und 5,2 Prozent erhielten Biologika (schwere Psoriasis). Bei allen Patienten wurde die Inzidenzrate der PsA pro 100 Patientenjahre bestimmt; dieser Wert lag bei 2,1 unter topischer Therapie, bei 9,9 unter konventionellen systemischen Therapien und bei 17,6 unter Biologika.
Männliches Geschlecht als Risikofaktor
Eine weitere Studie zum PsA-Risiko stammt von einer kanadischen Arbeitsgruppe, in der 635 PsoriasisPatienten ohne PsA prospektiv von 2006 bis 2020 beobachtet wurden; dabei wurde jährlich der PsAStatus erhoben (2). Das durchschnittliche Follow-up betrug 7,7 Jahre. Es wurden demografische Daten, Psoriasis-Charakteristika, Komorbiditäten, Therapien und muskuloskelettale Symptome erhoben, um Vorhersage-Modelle für das PsA-Risiko zu entwickeln. Es konnte ein Risikomodell erstellt werden, welches das Risiko für PsA-Symptome im nächsten Jahr oder in den nächsten 5 Jahren vorhersagt. Das Risiko für die Entwicklung einer PsA innerhalb eines Jahres war assoziiert mit jüngerem Alter, männlichem Geschlecht, Psoriasis in der Familiengeschichte, Rückensteifigkeit, Tüpfelnägeln, Gelenksteifigkeit, Biologika-Therapie, dem allgemeinen Gesundheitszustand der Patienten und der Schmerzintensität. Das Risiko, innerhalb von 5 Jahren eine PsA zu entwickeln, war mit Morgensteifigkeit, psoriatischen Nagelläsionen, dem Schweregrad der Psoriasis, Müdigkeit, Schmerzen und der Verwendung von systemischen, nicht biologischen Medikamenten oder Fototherapie verbunden (2). Auf dem EULAR-Kongress 2024 wurden ebenfalls aktuelle Daten zum PsA-Risiko vorgestellt – hier wertete eine britische Arbeitsgruppe die Daten aus der Primärversorgung von 122 330 Psoriasis-Patienten aus (3). In einer Beobachtungszeit von 5,7 Jahren im Median entwickelten 2460 Patienten eine PsA. Als demografische Variablen, die mit einem hohen PsA-Risiko verbunden waren, wurden in dieser Untersuchung ein Alter zwischen 30 und 50 Jahren, männliches Geschlecht sowie ein hoher BMI (> 24) identifiziert. Auch Patienten, die sich bereits mit Arthralgien oder Ge-
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lenkschwellungen vorstellten, hatten ein erhöhtes Risiko für die konsekutive PsA-Diagnose. Weiterhin erwiesen sich auch Entzündungsmarker wie ein erhöhtes CRP als prädiktiv für eine PsA (3).
Lifestyle-Interventionen zur Risikoreduktion
Prinzipiell sind 2 Möglichkeiten denkbar, um das PsARisiko zu reduzieren: einerseits durch medikamentöse Therapien, andererseits durch Lifestyle-Interventionen, wie mehr Bewegung, Rauchstopp, Ernährungsumstellung und Gewichtsabnahme. Weitere offene Fragen betreffen die Zeitdauer, wie lange eine Intervention durchgeführt werden sollte, um einen Effekt zu zeigen, und wie lange nach dem Ende der Intervention der Effekt anhält. Coates berichtete über eine britische Datenbank-Analyse zum Einfluss der Bewegung auf das PsA-Risiko. Ausgewertet wurden darin die Daten von 2604 Patienten mit Schuppenflechte und deren mittels Schrittzähler oder Smartwatch erfasste tägliche Schrittzahlen. Das Ergebnis: Eine Steigerung um 1000 Schritte täglich war mit einer Reduktion des PsA-Risikos um 10 Prozent assoziiert. Moderate physische Aktivität, wie schnelles Laufen, Joggen oder Radfahren, war bei regelmäßiger Ausübung ebenfalls mit einer Reduktion des PsA-Risikos verbunden.
Wann ist eine medikamentöse Intervention sinnvoll?
Derzeit wird die PsA erst im Vollbild behandelt. Es bleibt die Frage, ob sich der Verlauf abmildern liesse, wenn die Behandlung bereits in der subklinischen Entwicklungsphase beziehungsweise im Prodromalstadium einsetzen würde, so Coates: «Können wir, wenn wir frühzeitig eingreifen, den Verlauf grundsätzlich verändern und die Krankheit unter Kontrolle halten?» Um diese Frage zu klären, braucht man entsprechende Studien – und Psoriasis-Patienten, die trotz fehlender PsA-Diagnose bereit sind, an einer solchen Studie teilzunehmen und sich der entsprechenden Therapie zu unterziehen. Diese Bereitschaft hängt von vielen Faktoren ab, vor allem vom individuellen PsA-Risiko sowie auf der anderen Seite von den Nebenwirkungsrisiken der Therapie. Eine grosse Chance böten Medikamente, die bereits zur Therapie der dermalen Psoriasis eingesetzt würden, wie Coates hervorhob: «Wenn Sie ein Medikament erhalten, das die Schuppenflechte behandelt und gleichzeitig verhindern kann, dass Sie an PsA erkranken, ist das eine Art Win-win-Situation.» Zur Effektivität einer medikamentösen Prophylaxe wurde bereits im Jahr 2019 die IVEPSA-Studie publiziert (4). Darin wurden Patienten mit einer sehr frühen Psoriasis, aber einem ausgeprägten Schweregrad (PASI>6) oder einer Beteiligung der Nägel und/oder des behaarten Kopfes sowie mit entzündlichen oder erosiven Veränderungen in bildgebenden Verfahren
(MRT oder HR-CT) für 24 Wochen mit Secukinumab behandelt. Bei Studieneinschluss berichteten 85 Prozent über Arthralgien, 83 Prozent wiesen mindestens eine entzündliche Läsion im MRT auf. Bei Studienende hatten sich sowohl die Hauterscheinungen als auch die Arthralgien signifikant gebessert. In den bildgebenden Verfahren war keine Progression von Erosionen und Enthesiophyten feststellbar. Damit lieferte diese Studie nach Einschätzung ihrer Autoren eine Rationale für frühzeitige therapeutische Interventionen, um die Entwicklung einer PsA in Hochrisiko-Patienten zu bremsen. Derzeit wird die Möglichkeit zur PsA-Prävention durch den frühzeitigen Einsatz von Biologika intensiv erforscht. Als Beispiel nannte Coates unter anderem die webbasierte, prospektive Beobachtungsstudie HIPPOCRATES, welche die Daten von etwa 25 000 Psoriasis-Patienten in Europa einschliesslich der Schweiz erfassen soll. Unter den vielen Fragen, die diese Studie beantworten helfen, ist auch die folgende: Können wir die Risikopatienten identifizieren und dadurch möglicherweise die PsA verhindern? Die Rekrutierung zu dieser Studie läuft bereits. Nach derzeitigem Stand des Wissens erscheine es wahrscheinlich, dass Biologika das PsA-Risiko reduzieren, aber es bleiben noch Fragen offen – unter anderem, ob es sich bei den beobachteten Effekten tatsächlich um eine Krankheitsmodifikation oder um eine Symptomlinderung handelt. Auch die Frage nach der optimalen Therapie ist noch ungeklärt. Es könne auch sein, dass die beste symptomlindernde Therapie nicht dieselbe ist wie die beste präventive Therapie, gab Coates zu bedenken: «Möglicherweise müssen wir hier unterschiedliche Targets anvisieren.»
Ausblick
Kann man also durch eine therapeutische Interven-
tion die Entwicklung einer PsA verhindern? «Irgend-
wann in der Zukunft werden wir jemanden finden, der
diese Frage beantwortet, aber leider bin das nicht
ich, und es ist auch nicht heute», so das vorsichtige
Fazit von Coates.
s
Adela Žatecky
Quelle: Vortrag «Can we prevent psoriatic arthritis?»; virtuelles Programm der Word Psoriasis and Psoriatic Arthritis Conference, am 28. Juni 2024 in Stockholm.
Referenzen: 1. Merola FJ et al.: Incidence and prevalence of psoriatic arthritis in patients with pso-
riasis stratified by psoriasis disease severity: Retrospective analysis of an electronic health records database in the United States.JAmAcad Dermatol.2022;86(4):748757. doi: 10.1016/j.jaad.2021.09.019 2. Eder L et al.: Derivation of a Multivariable Psoriatic Arthritis Risk Estimation Tool (PRESTO): A StepTowards Prevention. Arthritis Rheumatol.Published online August 9, 2023. doi: 10.1002/art.42661 3. Rudge A et al.: Dynamic prediction of psoriatic arthritis in a cohort of psoriasis patients using UK primary care electronic health records. EULAR 2024; Abstract POS0964. doi: 10.1136/annrheumdis-2024-eular.1808 4. Kampylafka E et al.: Disease interception with interleukin-17 inhibition in high-risk psoriasis patients with subclinical joint inflammation-data from the prospective IVEPSA study. Arthritis Res Ther. 2019;21(1):178. doi: 10.1186/s13075-019-1957-0
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