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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
FOBI 2024
Frontal fibrosierende Alopezie
Der etwas andere Haarverlust im Stirnbereich
Haarausfall an der Stirn – nicht immer ist dies die klassische androgenetische Alopezie. Es kann sich auch um eine frontal fibrosierende Alopezie (FFA) handeln. Dieser bandförmige Verlust der Haare an der Stirn trifft vor allem Frauen – und er lässt sich nur schwer aufhalten. Was derzeit über die Ursachen bekannt ist und wie sich das weitere Zurückweichen des Haaransatzes dennoch aufhalten lässt, erläuterte Dr. Ruben R. Ferrer aus München (D) auf der diesjährigen Fortbildungswoche für Dermatologie (FOBI) in München.
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Zwar lägen keine genauen epidemiologischen Daten vor, doch würden in den Industriestaaten immer häufiger Fälle von frontal fibrosierender Alopezie (FFA) diagnostiziert, wie Ferrer berichtete. Betroffen von der immunologischen Entzündung sind überwiegend Frauen jenseits der Menopause. Allerdings ist es aufgrund der Lokalisation möglich, dass bei Männern die FFA als klassische androgenetische Alopezie verkannt wird. Die FFA, die als Sonderform des Lichen planopilaris gilt, ist gekennzeichnet durch eine bandförmige Atrophie des Haaransatzes an der Stirn, die sich bis hinter die Ohren ziehen kann. In aktiven Stadien finden sich auch Erytheme oder perifollikuläre Papeln an den Rändern der alopezischen Zone. Deutlich wird die FFA, wenn sich der Kontrast zwischen gebräunter Gesichts- und blasser, atrophischer Haut zeigt. Bei den meisten Betroffenen fallen auch die Augenbrauen aus (1). Das Fortschreiten der FFA wird mit dem Abstand von Glabella zum Haarrand gemessen.
Klinische Diagnose, Histologie nur selten erforderlich
Die Diagnose wird hauptsächlich klinisch gestellt. In der Dermatoskopie fällt auf, dass die follikulären Öffnungen fehlen. Zudem findet sich perifollikulär eine ausgeprägte Hyperkeratose mit diskreter Abschuppung. Das perifollikuläre Erythem ist bei berührungsloser Dermatoskopie besser zu sehen. In komplexen Fällen ist eine histologische Untersuchung sinnvoll. Die Untersuchung zeigt ein perifollikuläres lymphozytäres Infiltrat, apoptotische Zellen in der äusseren Epithelscheide und eine perifollikuläre Fibrose, gefolgt von der Zerstörung des Follikels, der durch ein unspezifisches vertikales Faserband ersetzt wird. Im Vergleich zum Lichen planopilaris zeigen sich bei FFA histologisch vermehrt Apoptose und weniger entzündliche Infiltrate. Die entzündlichen Infiltrate betreffen gleichzeitig das Terminal-, Zwischenund Vellushaar, unabhängig von der Phase des Haarzyklus. In den fortgeschrittenen Stadien der Er-
krankung wird der Befund zunehmend unspezifisch. Es findet sich in allen betroffenen Bereichen eine narbige Alopezie (1). Auf Untersuchungen mit direkter kutaner Immunfluoreszenz könne bei FFA verzichtet werden, da sich damit meist keine weiteren Erkenntnisse gewinnen liessen, so Ferrer.
Ursache: Genetische Disposition plus Trigger?
Die Ursache für die FFA ist unbekannt. Vermutlich wird bei genetischer Disposition die Erkrankung durch exogene Triggerfaktoren angestossen. Wie Ferrer berichtete, galt vor einigen Jahren als einer dieser Trigger der übermässige Gebrauch von Lichtschutzmitteln. Mittlerweile herrscht jedoch die Meinung vor, dass eher eine erhöhte Lichtempfindlichkeit mit der FFA vergesellschaftet ist und daher von den Betroffenen mehr Sonnenschutz aufgetragen wurde.
Immunantwort auf unbekanntes Agens
Auch die Pathophysiologie ist bis jetzt nicht abschliessend erforscht. Klar ist, dass es sich bei der FFA um eine fehlgesteuerte zelluläre Immunantwort auf ein unbekanntes Antigen in der Basalmembranzone handelt: CD8-positive T-Lymphozyten greifen follikuläre Stammzellen in der Wulstregion des Haarfollikels an und zerstören diese irreversibel. Überdies sind proinflammatorische Zytokine am irreversiblen Haarverlust beteiligt. So ist beispielsweise auch der JAK-Signalweg überaktiviert, was via Interferon zur Apoptose der Keratinozyten führt.
Therapieziel: Prozess stoppen
Weil die Zielstrukturen (z. B. Rezeptoren, Zytokine), die bei der Pathophysiologie ausschlaggebend sind, bisher nicht eingegrenzt werden können, gibt es derzeit auch keine eindeutige Therapieempfehlung. Da der Untergang der Haarwurzel irreversibel ist, kann die Behandlung nur darauf abzielen, das Zurückweichen des Haaransatzes zu stoppen. Anders als bei anderen chronisch entzündlichen Hauterkrankungen seien hier selbst hochpotente topische Kortikostero-
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ide in den meisten Fällen nicht hilfreich, so Ferrer. Intraläsionale Injektionen mit Triamcinolon bremsen zwar das Fortschreiten, führen aber ihrerseits zur Atrophie. Auch Versuche mit Hormonersatztherapie blieben wirkungslos, obwohl die Erstmanifestation bei Frauen jenseits der Wechseljahre auf eine hormonelle Beteiligung bei der Entstehung hinweist (1).
In der Pipeline: JAK-Inhibitoren
Aufgrund der Beteiligung der entsprechenden proinflammatorischen Signalwege könnten JAK-Inhibitoren wie Tofacitinib und Baricitinib eine aussichtsreiche Therapieoption darstellen. Wie Ferrer berichtete, laufen derzeit bereits Phase-II-Studien, sowohl zur topischen als auch zur systemischen Anwendung.
Therapieoption: systemische Retinoide und Finasterid
Derzeit am aussichtsreichsten seien laut Ferrer Behandlungen mit systemischen Retinoiden. Er zitierte eine Studie, in der nach 12 Monaten Behandlung die FFA bei 76 Prozent der mit Isotretinoin und bei 73 Prozent der mit Acitretin behandelten Patienten stoppte (2). Auch nach Absetzen der Therapie zeigte sich bei 72 Prozent der Isotretinoin-Gruppe und bei 73 Prozent der mit Acitretin Behandelten kein weiteres Fortschreiten der FFA. In dieser Studie wurde bei einem Teil der Patienten auch der 5-a-Reduktase-Hemmer Finasterid getestet. Diese Medikation zeigte ebenfalls – wenn auch etwas geringer – einen Effekt: Immerhin bei 43 Prozent der Finasterid-Behandelten sistierte die FFA. Auch nach Absetzen blieb diese Wirkung erhalten. In weiteren Studien wurde die Wirkung von Finasterid bestätigt – so konnte in einer Studie mit 355 Patienten mit Finasterid bei 53 Prozent eine Stabilisierung und bei 47 Prozent eine Verbesserung erzielt werden (3).
Hauttransplantation erst, wenn FFA ausgebrannt ist
Aufgrund der kosmetischen und damit auch häufig
der psychosozialen Beeinträchtigung fragen Patien-
ten häufig nach der Möglichkeit der Hauttransplanta-
tion. Hier sagt Ferrer, dass dies nur aussichtsreich sei,
wenn die FFA ausgebrannt sei, bzw. sich über min-
destens sechs Monate kein weiteres Fortschreiten
nachweisen liesse. Bei weiterhin aktiver FAA würden
die Transplantate auch wieder angegriffen und die
Haare wieder ausfallen.
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: «Update: Trichologie» bei der 29.Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI), am 10. Juli 2024 in München.
Referenzen: 1. Litaiem N et al.: Frontal Fibrosing Alopecia. [Updated 2024 Jun 7]. StatPearls Pub-
lishing; 2024. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK519001/ 2. Rakowska A et al.: Efficacy of Isotretinoin and Acitretin in Treatment of Frontal Fibro-
sing Alopecia: Retrospective Analysis of 54 Cases. J Drugs Dermatol. 2017;16(10):988-992. 3. Krzesłowska WJ et al.: The Frontal Fibrosing Alopecia Treatment Dilemma. J Clin Med. 2024M;13:2137. doi: 10.3390/jcm13072137
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