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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
FOBI 2024
Bakterielle Infektionen
Erysipel oder nekrotisierende Fasziitis?
Schmerz und Rötung am Unterschenkel, eventuell Fieber – da liegt der Verdacht auf Erysipel nahe. Aber es kann auch schlimmer sein: Differenzialdiagnostisch muss eine nekrotisierende Fasziitis abgegrenzt und gegebenenfalls schnell eine chirurgische Intervention veranlasst werden. Was die beiden Krankheitsbilder klinisch voneinander unterscheidet, erläuterte Prof. Mario Fabri aus Köln (D) auf der diesjährigen FOBI.
Ein Erysipel gehört für die meisten Dermatologen zu den Routinefällen. Doch eine nekrotisierende Fasziitis sollte unbedingt davon abgegrenzt werden – bleibt diese nämlich unversorgt, droht im schlimmsten Fall eine Amputation, warnte Fabri.
Verursacher: Streptococcus pyogenes
Beiden Erkrankungsbildern gemeinsam ist, dass sie
durch β-hämolysierende Streptokokken verursacht
werden – Erreger von etwa einem Drittel aller schweren Weichteil-Infektionen (1) – häufig am Unterschenkel auftreten und oft Fieber besteht. Während beim Erysipel die Streptokokken überwiegend über eine eher oberflächliche Eintrittspforte wie eine Fussmykose in die Haut gelangen, besteht bei der Entwicklung der nekrotisierenden Fasziitis (NF) eine Verkettung unglücklicher Umstände, bei der die Keime aus der Tiefe kommen: Der NF geht meist ein stumpfes Trauma voraus, in der es zu Hämatomen in tiefen Gewebsschichten kommt. Besteht bei diesem Verletzten gleichzeitig eine – wenn auch nur geringgradige – Streptokokken-Bakteriämie, zum Beispiel weil der Rachenraum damit besiedelt ist, können sich diese Keime im Hämatom vermehren. Dabei bilden sie Toxine, die zur Nekrose des Gewebes (z.B. Muskeln) und zu arteriellen Gefässverschlüssen führen. Es entwickelt sich also eine ischämische Situation, die bekanntlich sehr schmerzhaft ist. Da dies recht schnell erfolgt, klagen die Patienten über starke Schmerzen, ohne dass sich an der Haut schon deutliche Symptome zeigen.
Schnell zum Chirurgen
Innerhalb von Stunden kann sich eine massive Gewebsnekrose mit an die Oberfläche aufsteigender Infektion bilden, die dann auch zum septischen Schock – möglicherweise mit tödlichem Ausgang – führen kann. Hier muss schnell chirurgisch interveniert werden. Für Dermatologen heisst dies, die Pa-
tienten schnellstens an die Chirurgen weiterzuleiten. Zur Behandlung bei der NF gehört auch die empirische Antibiotika-Therapie mit Penicillin (z. B. Piperacillin + Tazobactam). Es empfiehlt sich zusätzlich Clindamycin i.v. dazuzugeben – nicht wegen der weiteren antibiotischen Wirkung, sondern weil davon ausgegangen wird, dass dies die Toxin-Bildung reduziert. Klinisch besonders bei der NF sind die grossen Schmerzen ohne wesentlichen objektivierbaren Befund (pain out of proportion) und ein sehr hoher CRPWert; bei Muskelnekrosen kann auch der Wert der Kreatininkinase steigen. Daher lohnt es sich, in einer solchen Situation nach stumpfen Traumata zu fragen, wie sie beim Sport vorkommen (z. B. Blutgrätsche beim Fussball) vor allem, wenn die Patienten jünger sind. Aber auch ältere Patienten erleiden häufiger Prellungen, z. B. durch Anstossen an Möbel-Ecken, Rollator oder Stürze. Fieber ist bei NF eher (noch) nicht oder nur gering ausgeprägt.
Penicillin immer noch wirksam gegen Streptokokken
Beim Erysipel ist der Verlauf selten so fulminant wie bei der NF. Hier ist meist kein Trauma eruierbar. Die Patienten sind in der Regel älter, haben aber meist Fieber und fast immer Schüttelfrost, den Fabri als sehr starkes Indiz für ein Erysipel einschätzt. Typischerweise finden sich beim Erysipel hochrote, scharf abgrenzbare Erytheme mit flammenartigen Ausläufern, erinnerte Fabri. Mittel der Wahl ist Penicillin G (entweder 3 × 10 Mio. Einheiten oder 4 × 5 Mio. IU i.v.). Die gute Nachricht: Selbst nach 70 Jahren Penicillin-Einsatz haben sich bei Streptococcus pyogenes keine Resistenzen gezeigt.
Erysipel-Prophylaxe
Im Verlauf eines Erysipels werden die Lymphbahnen in Mitleidenschaft gezogen, die dazu beitragen, dass ein Erysipel häufig rezidiviert. Daher wird eine Sekun-
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därprophylaxe empfohlen – üblicherweise mit Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IU i.m. alle 2 bis 3 Wochen. Aber es geht auch oral, wie Fabri berichtete (2). In einer britischen Studie wurde die Rezidivhäufigkeit bei Patienten verglichen, die bereits ein Erysipel durchgemacht hatten. Die eine Gruppe erhielt eine Antibiotika-Prophylaxe mit Penicillin (2 × 250 mg täglich), die andere Plazebo. Ergebnis: Die mediane Zeit bis zu einem ersten Wiederauftreten eines Erysipels betrug 626 Tage in der Penicillin-Gruppe und 532 Tage in der Plazebogruppe. Zur Rezidivprophylaxe gehört auch die Kompressionstherapie. Nach der initialen Bettruhe und dem Abklingen von Schmerzen sollten die Beine gewickelt werden. Der Nutzen wurde auch wissenschaftlich belegt: 300 Tage nach Therapiebeginn hatten etwa 50 Prozent ohne Kompression ein Rezidiv, mit Kompression etwa 20 Prozent (3).
Wie Fabri zusammenfasste, basiert die Erysipel-Prophylaxe auf 3 Säulen: der Sanierung der Eintrittspforten (z. B. Mykosen), Kompressionstherapie und Antibiotika-Prophylaxe, wobei letztere von der Häufigkeit, der Schwere und den Komorbiditäten abhängt. s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Symposium «Infektionen der Haut erkennen und behandeln» bei der 29. Fortbildungswoche für Dermatologie und Venerologie (FOBI), am 10. Juli 2024 in München.
Referenzen: 1. Bruun T et al.: Risk Factors and Predictors of Mortality in Streptococcal Necrotizing
Soft-tissue Infections: A Multicenter Prospective Study. Clin Infect Dis. 2021;72(2):293-300. doi: 10.1093/cid/ciaa027 2. Thomas KS et al.: Penicillin to prevent recurrent leg cellulitis. N Engl J Med. 2013;368(18):1695-1703. doi: 10.1056/NEJMoa1206300 3. Webb E et al.: Compression Therapy to Prevent Recurrent Cellulitis of the Leg. Reply. N Engl J Med. 2020;383(19):1891-1892. doi: 10.1056/NEJMc2029458
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