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KONGRESSBERICHT
EAACI 2024
Chronisch induzierbare Urtikaria
Kälte-Urtikaria geht schon bei Zimmertemperatur los
Juckende Quaddeln an kalten Hautstellen? Es könnte eine Kälte-Urtikaria vorliegen. Das ist nicht nur lästig, sondern kann auch lebensbedrohlich werden. Wie die Kälte-Urtikaria sicher zu diagnostizieren ist und wie sich die Toleranzschwelle bestimmen lässt, erläuterte Prof. Marcus Maurer von der Charité Berlin (D) auf dem EAACI-Kongress. Zudem gab er Tipps, wie Betroffenen geholfen werden könne.
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Eine chronisch induzierbare Urtikaria ist keine Bagatelle: Ein kühler Toilettensitz kann einem Patienten mit Kälte-Urtikaria stundenlang juckende Quaddeln an den Kontaktflächen bescheren. Der Juckreiz kann sich auf den Schlaf, aber auch im Berufs- und Sozialleben negativ auswirken. Kurz: Die Lebensqualität bei chronisch induzierbarer Urtikaria (CindU) sei je nach Schweregrad bzw. Toleranzschwelle mehr oder weniger stark vermindert, berichtete Maurer. Dazu kommt noch, dass sich bei starker Ausprägung auch eine Anaphylaxie einstellen kann: Einer von drei Patienten mit Kälte-Urtikaria (ColdU) erleidet eine solche schwere systemische Reaktion (1). Patienten mit schwerer ColdU sind vor dieser Gefahr zu warnen – so sollten zum Beispiel Kinder nicht ins kalte Wasser rennen, sagte Maurer. Gegebenenfalls ist die Versorgung mit einem Notfall-Kit zu erwägen (1). Wie Maurer bei seinem Vortag auf dem Jahreskongress der European Academy of Allergology and Clinical Immunology (EAACI) in Valencia (E) berichtete, ist die chronisch induzierbare Urtikaria nicht selten: etwa 4 Millionen Menschen leiden an meist physikalisch ausgelöster Quaddelbildung und Juckreiz. Dabei ist die Kälte-Urtikaria (ColdU) mit 34 Prozent die zweithäufigste Manifestation nach dem symptomatischen Dermografismus (SD). Die Diagnostik besteht hauptsächlich in der Anamnese. Bei Verdacht auf Kälte-Urtikaria sollte dies dann mit einem Provokationstest bestätigt werden. Laut Maurer wird dies heutzutage nicht mehr mit einem Eiswürfel auf der Haut, einem kalten Armbad oder direkt einem Coolpack gemacht, sondern mit einem Eiswürfel in einen Plastikbeutel mit Wasser – was einer Temperatur von etwa 4 °C entspricht.
Toleranzschwelle finden
Doch es genügt nicht festzustellen, ob eine ColdU vorliegt, es gilt auch herauszufinden, ab welcher Temperatur mit dem Ausschlag zu rechnen ist. Dafür steht heutzutage der TempTest® zur Verfügung, mit dem sich über 12 Kältesonden in 2 °C-Intervallen bestimmen lässt, ab welcher Temperatur zwischen 4 °C und 27 °C Quaddeln entstehen. Die Toleranzschwelle
bei ColdU ist unterschiedlich: Bei manchen Patienten entwickeln sich Quaddeln, wenn sie mit kaltem Wasser Hände waschen, bei vielen allerdings schon im Zimmertemperaturbereich um 20 °C (2, 3).
Kälte lässt sich nicht völlig vermeiden
Die Therapie bei der induzierbaren Urtikaria scheint simpel: Kälte meiden. Doch so einfach ist dies nicht, besonders wenn die Toleranzschwelle niedrig bzw. die Auslöse-Temperatur nur knapp unter Zimmertemperatur liegt. Auf jeden Fall sollten die Patienten ausführlich mit Informationen versorgt werden, die ihnen helfen, relevante Trigger-Expositionen zu erkennen und zu minimieren – z. B. muss der Einfluss des Windchill-Effekts bei ColdU beachtet werden (4, 5).
Moderne Antihistaminika Mittel der Wahl – auch hochdosiert
Da die Histamin-Ausschüttung aus den Mastzellen letztendlich zu den Symptomen führt, sind Antihistaminika der 2. Generation nach wie vor Mittel der Wahl, um den ColdU-Patienten medikamentös zu helfen (2). Genügt die Standarddosierung nicht, wird laut Leitlinie eine Dosissteigerung bis zum Vierfachen empfohlen – und zwar noch bevor andere Behandlungen in Betracht gezogen werden (4, 5). Reicht auch dies nicht aus, ist oft der gegen IgE gerichtete Antikörper Omalizumab erfolgreich (6).
In der Pipeline: Mastzell-Killer
Weil die Mastzellen bei CindU pathophysiologisch im Zentrum stehen, liegt es nahe, ihre Zahl zu reduzieren, um so die Ausschüttung von Histamin und damit das Reaktionsausmass zu senken. Und das funktioniert mit Barzolvolimab, wie erste klinische Studien bei ColdU und SD gezeigt haben. Der humanisierte Antikörper hemmt die Aktivierung des KIT-Rezeptors durch den Stammzellfaktor (SCF), es entstehen weniger Mastzellen – somit sei Barzolvolimab quasi ein Mastzellkiller, wie Maurer es ausdrückte. Patienten mit Antihistaminika-refraktärem ColdU (n = 10) oder SD (n = 10) erhielten einmalig
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eine Dosis Barzolvolimab (3 mg/kg i. v.) und wurden
12 Wochen nachbeobachtet. Nahezu alle Patienten
sprachen auf die Medikation im Provokationstest an
und zeigten eine Verbesserung der Urtikaria-Kont-
rolle (UCT ≥ 12). Auch die Lebensqualität stieg signi-
fikant: 93 Prozent der Patienten gaben keine oder
fast keine Beeinträchtigung der Lebensqualität am
Ende der Studie an (7).
s
Angelika Ramm-Fischer
Windchill-Effekt
Der Windchill-Effekt beschreibt die gefühlte Kälte, die durch Wind verursacht wird. Er entsteht, wenn der Wind Wärme von der Haut abführt und so die empfundene Temperatur unter die gemessene Lufttemperatur senkt. Die Windchill-Temperatur (WCT) wird normalerweise in Einheiten der Temperatur angegeben; dabei wird von trockener Luft ausgegangen und die Luftfeuchtigkeit nicht berücksichtigt.
Quelle: Jahreskongress der European Academy of Allergology and Clinical Immunology(EAACI), Symposium 6 « Chronic Urticaria: challenges in childhood» am 31. Mai 2024 in Valencia (Spanien).
Referenzen: 1. Bizjak M et al.: Adrenaline autoinjector is underprescribed in typical cold urticaria
patients. Allergy. 2022;77(7):2224-2229. doi: 10.1111/all.15274. 2. Siebenhaar F et al.: High-dose desloratadine decreases wheal volume and impro-
ves cold provocation thresholds compared with standard- dose treatment in patients with acquired cold urticaria: a randomized, placebo-controlled, crossover study. J Allergy Clin Immunol. 2009; 123(3):672-679. doi: 10.1016/j. jaci.2008.12.008. 3. Bizjak M et al.: Risk factors for systemic reactions in typical cold urticaria: Results from the COLD-CE study. Allergy. 2022,77(7):2185-2199. 4. Zuberbier T et al.: S3-Leitlinie Urtikaria. Teil 1: Klassifikation und Diagnostik der Urtikaria – deutschsprachige Adaptation der internationalen S3-Leitlinie. JDDG. 2023;21(1):81-95. 5. Zuberbier T et al.: S3-Leitlinie Urtikaria S3-Leitlinie Urtikaria. Teil 2: Therapie der Urtikaria – deutschsprachige Adaption der internationalen S3-Leitlinie. JDDG. 2023;21(2):206-216. doi: 10.1111/ddg.14932_g. 6. Metz M et al.: Omalizumab is effective in cold urticaria-results of a randomized placebo-controlled trial. J Allergy Clin Immunol. 2017;140(3): 864-867. doi: 10.1016/j.jaci.2017.01.043. 7. Terhorst-Molawi D et al.: Anti-KIT antibody, barzolvolimab, reduces skin mast cells and disease activity in chronic inducible urticaria. Allergy. 2023;78(5):1269-1279. doi: 10.1111/all.15585.
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