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SWISS DERMA DAY
HPV-Infektionen
Prävalenz, Risiken und innovative Behandlungsansätze
Die Mehrheit der Geschlechtskrankheiten wird durch HPV-Infektionen verursacht. So treten bei rund 1 Prozent der HPVinfizierten Erwachsenen Kondylome auf, daneben sind Dysplasien und invasive Karzinome nach wie vor ein ernsthaftes Problem. PD Dr. med. Severin Läuchli vom Stadtspital Zürich berichtete beim vergangenen Swiss Derma Day in Luzern über den aktuellen Stand bei HPV-Therapie, -Diagnose und -Impfung.
Infektionen mit HPV verlaufen in der Regel unbemerkt, zumeist asymptomatisch und heilen grösstenteils von selbst wieder aus. Bei rund jedem 100. Infizierten entstehen jedoch sichtbare Kondylome. Schätzungen zufolge beträgt der Zeitraum zwischen HPV-Infektion und Ausbildung solcher Genitalwarzen meist 2 bis 3 Monate, sie können jedoch auch innerhalb von 2 Wochen bis 8 Monaten auftreten. Zudem ist das Virus ein nicht zu unterschätzendes Kanzerogen – und zwar bei Frauen und Männern. Tatsächlich treten Analkarzinome bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), noch häufiger auf als Zervixkarzinome bei Frauen, erklärte Läuchli. Zwischen einer persistierenden Infektion mit Hochrisiko-HPV-Typen und dem Auftreten hochgradiger zervikaler Dysplasien können 3 bis 6 Jahre vergehen, zwischen dem Erscheinen einer hochgradigen Dysplasie und einem invasiven Karzinom 10 bis über 30 Jahre. Weltweit sterben pro Jahr rund 340 000 Frauen an Cervixkarzinomen. In Europa sind Genitalwarzen mit rund 700 000 bis 800 000 Fällen/Jahr die mit Abstand häufigsten HPV-assoziierten Läsionen (1). Überdies stellen HPV-Infektionen durch die Disruption der Schleimhautbarriere einen unabhängigen Risikofaktor für HIV-Infektionen dar, erklärte der Dermatologe.
Jeder dritte Mann infiziert
Bislang sind über 200 unterschiedliche HP-Viren bekannt. Für über 90 Prozent der Genitalwarzen sind die Low-risk-Typen HPV 6 und 11 verantwortlich. Man schätzt, dass rund 1 Prozent der erwachsenen Population klinisch manifeste Genitalwarzen aufweisen und etwa 15 Prozent subklinische Warzen. Die Lebenszeitprävalenz für – die zumeist transienten – HPV-Infektionen wird auf rund 80 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung geschätzt. Gemäss einem neuen systematischen Review respektive einer Metaanalyse sind 31 Prozent der über 15-jährigen Männer mit HPV-Viren infiziert, wiederum 21 Prozent dieser Infizierten tragen einen High-risk-HPV-Typ in sich (2). Die Übertragung des Virus erfolgt in der Regel in jungen Jahren, und zwar über Schleimhaut- respektive Hautkontakte. Dabei werden über kleinere Ver-
letzungen basale Keratinozyten infiziert. Die Inkubationszeit beträgt 1 bis 3 Monate, wobei 90 Prozent der Infektionen nach 2 Jahren nicht mehr nachweisbar sind. Ein kleiner Teil dieser Infektionen verläuft jedoch latent, das heisst, eine Reaktivierung des Virus ist – bisweilen erst nach vielen Jahren – möglich. Damit ist die Frage nach der Quelle der oft lange zurückliegen Übertragung kaum mehr zu beantworten.
Raucher häufiger und schwerer betroffen
Das Ziel einer HPV-Behandlung ist die Entfernung der Warzen. Damit soll die Persistenz der Viren verhindert werden. Für eine obligate Behandlung auch der jeweiligen Partner liegen keine Evidenzen vor, trotzdem empfehle man die Untersuchung des Partners oder der Partnerin, so Läuchli. Falls sich auch dort Genitalwarzen oder Hautläsionen nachweisen lassen, sollten auch diese behandelt, respektive entfernt werden. Manche Patientengruppen sind stärker betroffen. So weisen Raucherinnen eine höhere Viruspersistenz auf als Nichtraucherinnen (3). Auch wurden bei Raucherinnen etwa 3-mal so häufig hochgradig zervikale intraepitheliale Neoplasien (CIN III) festgestellt als bei Nichtraucherinnen und auch das Therapieversagen ist bei Tabakkonsum 3-mal so häufig (4). Zudem treten bei rauchenden HIV-Patientinnen 5-mal so häufig Kondylome auf, die zudem deutlich schwieriger zu behandeln sind als bei Nichtraucherinnen. Werde dies den Betroffenen kommuniziert, mache das – im Gegensatz den meisten anderen Risiken des Rauchens – «bei einigen Patienten schon einen gewissen Eindruck», so Läuchli.
Proktoskopie bei perianalem Befall
Der früher häufig verwendete Essigsäuretest zum Nachweis subklinischer Feigwarzen und intraepithelialer Neoplasien im Bereich des Genitales kann zwar gelegentlich hilfreich sein, ist jedoch wenig spezifisch und deshalb heute kaum noch gebräuchlich. Bei perianalem Befall sollte unbedingt eine Proktoskopie durchgeführt werden, um einen möglichen endo-analen Befall nicht zu verpassen, riet Läuchli. Zwar
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wird eine routinemässige Biopsierung nicht empfohlen, bei Therapie-Nonrespondern, atypischen Läsionen (z.B. bei raschem Wachstum oder auffälliger Pigmentierung) oder bei aussergewöhnlich grossen Läsionen sollte jedoch stets biopsiert werden.
Selbstapplizierte Therapien
Die Erfolgsraten der HPV-Therapien schwanken zwischen 30 und 90 Prozent, ebenso wie die Rezidivraten zwischen 10 und 60 Prozent. Bei den selbstapplizierten Therapien werden für Podophyllotoxin Heilungsraten von 45 bis 77 Prozent angegeben, aber auch recht hohe Rezidivraten von 38 Prozent. Dabei sind starke Lokalreaktionen möglich. Eine der wichtigsten Substanzen ist immer noch Imiquimod. Es zeigt Heilungsraten von 40 bis 70 Prozent und relativ geringe Rezidivraten von 9 bis 19 Prozent. Allerdings kann es, nicht zuletzt wegen der heftigen Immunreaktion, zu starken lokalen Reaktionen kommen, gelegentlich sind auch systemische Nebenwirkungen möglich. Polyphenon ist eine antioxidativ und antiviral wirkende Creme mit Grünteeextrakten. Bei Heilungsraten von 54 bis 65 Prozent und Rezidivraten von 12 Prozent muss das nebenwirkungsarme Präparat 3-mal täglich appliziert werden. Nicht zugelassen für die Behandlung von HPV-bedingten Läsionen ist 5-Fluorouracil. Im Off-label-Gebrauch zeigt es jedoch ein ähnliches Heilungs- und Nebenwirkungsprofil wie Imiquimod. Schliesslich hat auch die als Magistralrezeptur hergestellte Cidofovir-Creme (3%) in speziellen Fällen als Second-line- oder Third-line-Therapie ihre Wirksamkeit gezeigt. Allerdings muss der Einsatz einer Cidofovir-Creme mit schweren Nebenwirkungen wie Nierentoxizität bezahlt werden, zudem ist die Substanz sehr teuer. Deshalb wird diese Therapie nicht als First-line-Therapie empfohlen. Eher als Exot angesehen wird Ingenolmebutat, das in Einzelfällen ebenfalls sehr gute Heilungsraten gezeigt hat. Da es bei der Behandlung von aktinischen Keratosen zu vermehrten Hautkrebsfällen (v.a. Plattenepithelkarzinome) gekommen war, wurde für diesen Wirkstoff jedoch die Zulassung zurückgezogen.
Fremdapplizierte Therapien
Unter den fremdapplizierten Therapien hat die Kryotherapie eine Reihe von Vorteilen. Die Methode ist schnell durchführbar, billig und weist Heilungsarten von bis zu 90 Prozent auf. Allerdings kann die Prozedur mit leichten Schmerzen verbunden sein und muss mehrmals wiederholt werden. Mit entsprechenden kryochirurgischen Aufsätzen können sogar endoanale Kondylome behandelt werden, berichtete Läuchli. Auch der CO2-Laser kommt sehr häufig zur Anwendung, beispielsweise bei grossflächigen perianalen
Kondylomen. In einer Schweizer retrospektiven Studie mit 64 Teilnehmern waren rund 2 Jahre nach einer einmaligen Lasertherapie die perianalen Kondylome bei 67 Prozent der Befragten vollständig abgeheilt (5). Weniger Verwendung findet Podophyllin, zumal es weniger wirksam ist als Podophyllotoxin. Weitere, jedoch kaum genutzte Alternativen sind die Injektion von purifizierten Antigenen, die Applikation von Kaliumhydroxid (5%) oder unterstützend systemisches Isotretinoin. Prinzipiell werden Kombinationstherapien aus einer fremdapplizierten (Kryo- oder CO2-Laser) mit einer selbstapplizierten Therapie (Penis: Podophyllotoxin, perianal: Imiquimod oder Sinecatechin) empfohlen. So zeigt beispielsweise die Kombination aus CO2-Laser plus Imiquimod nach 12 Wochen eine Erfolgsrate von 65 Prozent und nach 6 Monaten eine Rezidivrate von nur 7 Prozent (6). Die Kombination aus Kryotherapie plus Podophyllin plus Sinecatechin zeigte sogar eine Heilungsrate von 96 Prozent und eine Rezidivrate nach 6 Monaten von 7,4 Prozent, berichtete Läuchli (7). Bei der Behandlung von intraepithelialen Neoplasien wird entweder exzidiert oder mit CO2-Laser oder mit Kryotherapie behandelt, wobei nicht immer grossflächig geschnitten werden müsse, so der Spezialist. Da die Rezidivraten insgesamt relativ hoch sein können, lohnt es sich, die Patienten nachzukontrollieren. Die erste Kontrolle erfolgt in der Regel nach 4 bis 8 Wochen, die zweite nach 3 Monaten, bei intraepithelialen Neoplasien nach weiteren 12 Monaten und bei HIV-Patienten einmal pro Jahr.
HPV, HIV und anogentiale Karzinome
Unter einer antiretroviralen HIV-Therapie nehmen opportunistische Infektionen, oropharyngeale Pilzinfektionen, orale Haarleukoplakien und Tumoren ab. Allerdings gilt das nicht für HPV-induzierte Läsionen. Das sei bei HIV-Patienten immer noch ein Problem, sagte der Experte. Bei 54 Prozent der MSM-HIV-Patienten finden sich Kondylome, häufig mit atypischen Erscheinungen und Verteilungen (z. B. dysplastische Areale). Auch die Zahl unterschiedlicher HPV-Typen ist in dieser Patientengruppe höher. So wird das Analkarzinom in über 90 Prozent der Fälle durch HPV verursacht. Bei HIV-infizierten MSM liegt die Inzidenz des Analkarzinoms bei rund 46 pro 100 000 Männern. Während es bei HIV-positiven MSM bei 93 Prozent zu einem analen HPV-Nachweis kommt, ist dies bei HIV-positiven Heterosexuellen nur bei 46 Prozent der Fall. Anale intraepitheliale Neoplasien werden je nach Umfang der Epidermisbeteiligung und Zellveränderungen in drei Klassen unterteilt (AIN I bis III), wobei AIN III vor allem durch die HPV-Typen 16 und 18 ausgelöst wird. Bei klinisch verdächtigen Läsionen sollte stets eine Biopsie durchgeführt werden, empfohlen wird auch für HIV-positive MSM eine jährliche Anoskopie. Beim Nachweis einer analen intraepithelialen
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Neoplasie können, je nach Stadium, unterschiedliche Therapien eingesetzt werden. So wird AIN I mit Imiquimod, TCA oder 5-FU behandelt, AIN II oder III hingegen mit physikalischen Therapien, respektive bei kleineren Läsionen Exzisionen. Ein zirkumferentieller Befund sollte hingegen immer topisch und nicht durch eine Exzision behandelt werden.
HPV-Impfung
Die beiden HPV-Typen 16 und 18 sind bei Frauen für rund 70 Prozent aller Zervixkarzinome und HPV 6 und 11 für 85 Prozent aller Kondylome verantwortlich. Die Erfolge der ab 2006 eingeführten bi- und quadrivalenten Impfungen seien in Bezug auf das Zervixkarzinom «fulminant», so Läuchli. So liegt die Wirksamkeit einer quadrivalenten Impfung (Gardasil®: HPV 6, 11, 16, 18) hinsichtlich der Verhinderung des Zervixkarzinoms (CIN II/III) bei 98 Prozent, hinsichtlich der Verhinderung von Kondylomen sogar bei praktisch 100 Prozent. Die Voraussetzung für solche Erfolgsraten ist jedoch, dass die Impfung vor dem ersten Sexualkontakt stattfindet. Seit 2016 ist in der Schweiz ein nonavalenter HPVImpfstoff zugelassen, der weitere Virus-Typen abdeckt. Sie sind für 20 Prozent der Zervixkarzinome bei Frauen und 35 Prozent der hochgradigen Plattenepithelläsionen (HSIL: hochgradige squamöse intraepitheliale Läsion) bei Männern verantwortlich, weshalb es durchaus sinnvoll sein könne, sich zusätzlich mit diesem Impfstoff vakzinieren zu lassen, so Läuchli. Auch bei Männern respektive Knaben ist die Wirksamkeit der HPV-Impfung sehr gut, man geht von einer Verhinderung von über 90 Prozent der durch die häufigsten Virustypen bedingten Läsionen aus. In der Schweiz werden solche Impfungen bei Personen unter 26 Jahren von den Kassen übernommen, nicht
zuletzt, weil eine solche Vakzinierung und damit die
Verhinderung von HPV-assoziierten Erkrankungen
insgesamt kosteneffizient ist.
Ob bei Menschen, die bereits von HPV-Läsionen be-
troffen sind, eine Art therapeutische Impfung sinnvoll
ist, kann bislang nicht mit validen Daten belegt wer-
den. Allerdings gebe es zumindest Hinweise, dass
dies bis zu einem gewissen Grad nützlich sein könne,
sagte der Dermatologe. In einem Review von 63 Pu-
blikationen mit 4439 Patienten aus dem Jahr 2020
zeigte sich durch die therapeutische Impfung eine
Reduktion von Dornwarzen (Verrucae vulgares), Spi-
nozellulären und Basalzellkarzinomen (8). Allerdings
wird in den Leitlinien bislang nicht empfohlen, eine
therapeutische Vakzinierung durchzuführen.
s
Klaus Duffner
Referenzen 1. Hartwig S et al.: Estimation of the overall burden of cancers, precancerous lesions,
and genital warts attributable to 9-valent HPV vaccine types in women and men in Europe. Infect Agent Cancer. 2017;12:19. 2. Bruni L et al.: Global and regional estimates of genital human papillomavirus prevalence among men: a systematic review and meta-analysis. Lancet Glob Health. 2023;11(9):e1345-e1362. 3. Beachler DC et al.: Risk factors for acquisition and clearance of oral human papillomavirus infection among HIV-infected and HIV-uninfected adults. Am J Epidemiol. 2015;181(1):40-53. 4. Acladious NN et al.: Persistent human papillomavirus infection and smoking increase risk of failure of treatment of cervical intraepithelial neoplasia (CIN). Int J Cancer. 2002;98(3):435-9. 5. Carrozza PM et al.: CO2 Laser Surgery for Extensive, Cauliflower-Like Anogenital Condylomata acuminata: Retrospective Long-Term Study on 19 HIV-Positive and 45 HIV-Negative Men. Dermatology 2002;205: 3. 6. Hoyme UB et al.: Effect of adjuvant imiquimod 5% cream on sustained clearance of anogenital warts following laser treatment. Infect Dis Obstet Gynecol. 2002;10(2):79-88. 7. Juhl ME et al.: Combined treatment of anogenital HPV infection with cryodestruction, podophyllin 25% and post-ablation immunomodulation with sinecatechins 15% ointment - a retrospective analysis. Int J STD AIDS. 2016;27(12):1071-1078. 8. Pham CT et al.: The human papillomavirus vaccine as a treatment for human papillomavirus-related dysplastic and neoplastic conditions: A literature review. J Am Acad Dermatol. 2020;82(1):202-212.
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