Transkript
INTERVIEW ZUM SCHWERPUNKT
Mückenexperte im Interview
«Die Mücken finden sofort die Schwachstellen»
In den vergangenen 10 Jahren hat sich die Tigermücke entlang der grossen Verkehrsachsen von Süden kommend über die Schweiz nach Norden ausgebreitet. Durch ihre Fähigkeit, verschiedene potenziell gefährliche Viruserkrankungen zu übertragen, lenkt sie derzeit besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wir sprachen mit Dr. Tobias Suter vom Schweizerischen Tropenund Public Health-Institut (Swiss TPH) in Allschwil über wirksame Bekämpfungsmassnahmen und Repellentien, die ersten Virusübertragungen in den Nachbarländern und warum es trotzdem keine gute Idee wäre, alle Mückenarten auszurotten.
Herr Dr. Suter, was macht die Tigermücke besonders? Suter: Einer der Hauptunterschiede zu den meisten anderen Steckmücken in der Schweiz ist, dass die Tigermücke tagaktiv und sehr anthropophil ist, das heisst, sie mag Menschenblut besonders. Ausserdem sind Tigermücken sogenannte «Containerbrüter», das heisst, sie legen ihre Eier gerne in kleine, mit Wasser gefüllte Gefässe wie Pflanzenuntersätze, Regentonnen, etc. Solche sind in urbanen Siedlungsräumen häufig anzutreffen. Deshalb kommt es zu mehr Interaktionen zwischen Mensch und Mücke. Ausserdem kann sie Krankheiten weitergeben. Aus Laborversuchen weiss man, dass sie über 20 verschiedene Viren übertragen kann, unter anderem auch das Dengue-Fieber. In ungefähr 1 bis 5 Prozent der Fälle nimmt diese Krankheit einen schweren Verlauf, mit inneren Blutungen und Schock. In Nachbarländern wie Frankreich oder Italien gab es bereits aktive Übertragungen. Weiterhin überträgt die Tigermücke auch das Chikungunya-Fieber und das Zika-Virus. Letzteres ist uns von den Olympischen Spielen in Brasilien noch präsent, als viele Fälle von Fehlbildungen bei Babys auftraten.
Und in der Schweiz? Suter: Bislang gibt es noch keine Nachweise einer lokalen Übertragung. Allerdings kommt es bei Reisenden, die die Infektion aus dem Ausland mitbringen, auch in der Schweiz immer wieder zu Erkrankungen.
Zur Person
Tobias Suter
Dr. Tobias Suter ist medizinischer Entomologe am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Allschwil. Dort testet er unter anderem die Effektivität verschiedener Bekämpfungsmassnahmen sowie die Wirksamkeit neuer Anti-Mückenprodukte. Zudem ist er in regionale und nationale Monitoringprogramme zu invasiven Stechmücken eingebunden.
und nach 7 bis 12 Tagen gelangt es in die Speicheldrüsen der Mücke. Durch neuerliche Stiche derselben Mücke auf gesunde Menschen könnten die Viren dann weitergegeben werden.
Werden zurückkehrende Touristen mit Dengue-Infektionen nicht sofort ins Spital eingeliefert? Suter: Die meisten Dengue-Infektionen sind asymptomatisch. Nur eine von 4 infizierten Personen zeigt überhaupt Symptome. Diese können relativ breit gefächert sein, also Fieber, Muskelschmerzen oder Hautausschläge. Deshalb ist eine Diagnose schwierig. Bestätigte Dengue-Fälle sind in der Schweiz meldepflichtig. Dann werden entsprechende Massnahmen getroffen, damit es nicht zu weiteren Ansteckungen kommt.
Diese Erkrankungen ebnen dann den Weg für aktive lokale Übertragungen? Suter: Ja, theoretisch ist das möglich. Eine infizierte Person kommt beispielsweise am Flughafen Zürich an. Sie wird, vor allem im Sommer, wenn die Mückenpopulationen gross genug sind, daheim von einer Tigermücke gestochen. Diese nimmt das Virus auf,
Mittlerweile ist die Tigermücke in vielen Gegenden der Schweiz nachgewiesen … Suter: Die Überwachung in den Kantonen und schweizweit zeigen eine klare Tendenz: Die Tigermücke breitet sich aus. Wir finden sie in Gebieten, in denen sie zuvor noch nicht war. Sie fühlt sich wohl bei uns und wir werden sie wohl auch nicht wieder los.
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Wir müssen die Situation so gut wie möglich managen, indem wir die Populationen überwachen und mit geeigneten Massnahmen möglichst gering halten, und damit das Risiko für Krankheitsübertragungen reduzieren. Allerdings gehe ich persönlich davon aus, dass es auch in der Schweiz über kurz oder lang vereinzelt zu Übertragungen kommen könnte.
Müssen wir uns Sorgen machen? Suter: Ich glaube nicht, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt grosse Sorgen machen müssen. Aber wir haben einen Punkt erreicht, an dem es sich lohnt, Menschen in den entsprechenden Gebieten für das Thema zu sensibilisieren. Sie müssen wissen, dass die Mücke zum Problem werden kann. Wenn alle im Garten und auf dem Balkon darauf achten, die Brutmöglichkeiten möglichst zu eliminieren, können wir sehr gute Erfolge erzielen. Wichtig sind eine gute Überwachung und eine gezielte Bekämpfung in den Hotspots. Dann werden wir die Mücken im Griff behalten.
Tigermücken-Fakten
Die auffällig schwarz-weiss geringelte Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) stammt ursprünglich aus den subtropischen und tropischen Wäldern Südostasiens, wo sie in wassergefüllten Baumhöhlen oder Astlöchern ihre Eier ablegt. Wie bei anderen Stechmücken benötigen ausschliesslich die Weibchen für die Bildung der Eier eine Blutmahlzeit. Ansonsten ernähren sich sowohl die Weibchen als auch die Männchen von Nektar und süssen Pflanzensäften. Drei bis fünf Tage nach der Blutaufnahme legen die Tigermückenweibchen Gelege von 40 bis 90 Eiern ab. In städtischer Umgebung werden gerne verstopfte Regenrinnen, Gullys oder mit Wasser gefüllte Behälter wie Regentonnen, Blumenvasen, Pflanzenuntersetzer, Eimer, Dosen oder Gläser dafür genutzt. Die Eier sind monatelang trockenheitsresistent, weswegen sie in austrocknenden Behältern auch nicht geschädigt werden.
Wie sehen solche Massnahmen aus? Suter: Als Beispiel: im Kanton Basel-Stadt unterhalten wir ein Netzwerk von Fallen. Sie werden alle zwei Wochen kontrolliert. Anhand dieser Fallen wissen wir, wo die Mücken in welchen Dichten vorkommen. Zusätzlich bekommen wir viele Tigermücken-Meldungen von der Bevölkerung über die Webseite des Mückennetzwerks Schweiz (www.muecken-schweiz.ch). Diese Informationen werden regelmässig an den Kanton kommuniziert, der dann für die weiteren Massnahmen zuständig ist. Die Behörden verteilen auch Flyer mit der Bitte, typische Brutgefässe wie Untersetzer, Giesskannen, Vasen, Becher oder Wassertonnen möglichst trocken zu legen. Wenn das nicht möglich ist, sollte das Wasser wöchentlich gewechselt und Netze oder dichte Deckel verwendet werden. Zudem werden die Gullys mit einem biologischen Insektizid behandelt. Das alles sind sehr wichtige Massnahmen, die enorm effektiv sein können. Auch der Einsatz von Fischen in Wassertonnen ist eine wirkungsvolle Massnahme. Übrigens stellen natürlich gehaltene Tümpel und Biotope kein Problem dar, da Fressfeinde wie Molche oder Fische die Mückenlarven vertilgen.
Was wäre eigentlich, wenn wir alle Mücken ausrotten? Suter: Mücken und deren Larven sind eine essenzielle Nahrungsgrundlage für viele Tiere, sowohl im Wasser als auch auf dem Land und in der Luft. Zudem sind sie wichtig für die Bestäubung bestimmter Pflanzen. Auch die Fähigkeit, Krankheiten zu übertragen, hat aus Sicht der Evolution wohl eine Funktion. Über diese Zusammenhänge wissen wir bislang nur sehr wenig. Wir würden sie erst wirklich verstehen, wenn keine Mücken mehr da wären. Ich bin davon über-
Abbildung: Lebenszyklus der Tigermücke (Aedes albopictus) Quelle: Biogents AG/wikimedia commons
zeugt, dass Stechmücken eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen. Allerdings gibt es weltweit ca. 3500 Mückenarten; ungefähr 35 davon können in der Schweiz angetroffen werden. Die asiatische Tigermücke ist eine invasive Art in der Schweiz und sie zu bekämpfen stellt keine Gefahr für unser Ökosystem dar.
Welche Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung, um sich vor den Stichen zu schützen? Suter: Wer in einem Mückengebiet lebt und nicht täglich Mückenschutz auftragen möchte, sollte nach einer nachhaltigeren Lösung suchen, also herauszufinden, woher die Mücken kommen, die Quelle wenn möglich beseitigen oder die Larven bekämpfen. Weitere Schutzmassenahmen sind Mückengitter, ein Windgebläse und eben Repellentien, die sowohl auf
Link zum Mückenetzwerk Schweiz rosenfluh.ch/qr/mueckennetzwerk
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die Kleider als auch direkt auf die Haut aufgetragen werden können.
Welche Repellentien bieten sich an? Suter: Wir haben hier am Swiss TPH schon viele Produkte getestet. Es gibt eine grosse Bandbreite, die von natürlichen biologischen bis zu chemischen Produkten reicht. Der effektivste Wirkstoff ist sicherlich DEET, mit dem man 6 bis 8 Stunden seine Ruhe hat. Auch Icaridin ist sehr wirksam, zwar nicht ganz so lang anhaltend wie DEET, dafür hat es zusätzlich eine abschreckende Wirkung gegen Zecken. Deshalb wird Icaridin bei Aufenthalten in Zeckengebieten empfohlen. DEET und Icaridin sind die beiden wichtigsten Produkte gegen Stechmücken.
Acht Stunden Mückenschutz? Suter: Unter Laborbedingungen hält ein 15- bis 20-prozentiges DEET-Produkt bis zu 8 Stunden. In der Praxis kann das abweichen: Durch Schwitzen oder bei starker mechanischer Abreibung durch die Kleidung hält der Schutz natürlich nicht so lange. In einem Gebiet mit sehr vielen Mücken reicht es schon, die Stelle unter der Armbanduhr nicht richtig einzusprühen. Wenn sich dann die Uhr verschiebt, finden die Mücken diese Schwachstelle sofort und stechen genau dorthin.
Welche Nebenwirkungen können bei solchen chemischen Produkten auftreten? Suter: Sowohl bei chemischen als auch natürlichen Produkten sind in Einzelfällen Hautreizungen möglich. Zudem können Kunststoffe angegriffen werden. Es ist also möglich, dass sich zum Beispiel ein Plastikarmband verfärbt oder brüchig wird.
Welche pflanzlichen Wirkstoffe werden eingesetzt? Suter: Die meisten Hersteller von chemischen Repellentien bieten auch natürliche Produkte an. Dort werden zum Beispiel Zitroneneukalyptusöl oder Zitronenöl verwendet; bisweilen werden auch verschiedene andere natürliche Wirkstoffe kombiniert. Diese Produkte wirken mit maximal 4 Stunden allerdings weniger lang als die chemischen Produkte.
Wenn ich mich ein, zwei Stunden zum Kaffeetrinken auf die Terrasse setze, reicht dann so ein Eukalyptus- oder Zitronenöl als Repellent? Suter: Ja, für kürzere Aufenthalte auf der heimischen Terrasse oder im Schrebergarten funktioniert das. Wer jedoch nach Costa Rica in den tropischen Regenwald reist, benötigt ein stärkeres Repellent.
Sie erwähnten Ihre Tests am Swiss TPH. Wie kann man sich das vorstellen? Suter: Wir arbeiten mit Studentinnen und Studenten, die sich freiwillig zur Verfügung stellen. Für die Tests befinden sich jeweils 100 hungrige Mückenweibchen
in Käfigen. Die Probanden halten dann jede Stunde ihren mit dem Repellent eingesprühten Arm für 10 Minuten in den Käfig. Bekommt jemand in einem solchen 10-minütigen Testintervall drei Stiche, ist der Test beendet. Der längste Test dauert acht Stunden. In diesem Bereich sind eigentlich nur noch DEET-Produkte dabei. Seit einiger Zeit können wir die Produkte auch konkret an Tigermücken testen.
Es werden auch Räucherprodukte oder Mückenstecker angeboten. Suter: Wenn sich jemand direkt im Rauch aufhält, bietet das sicher einen Schutz. Ich würde die Effektivität solcher Produkte aber eher zurückhaltend bewerten. Diese Mückenstecker in der Steckdose sind schon eher wirksam gegen Stechmücken. Allerdings sind da Insektizide, sprich Pyrethroide drin, die in der Luft verteilt und eingeatmet werden. Diese sind für Menschen mässig giftig und sollten deshalb nicht über längere Zeit in geschlossenen Räumen eingesetzt werden.
Wie könnte die Mückenbekämpfung der Zukunft aussehen? Suter: Im Tessin läuft erstmals eine Studie mit freigelassenen sterilen männlichen Tigermücken. Nachdem diese Mücken zuvor bestrahlt und unfruchtbar gemacht wurden, lässt man sie in grossen Mengen frei. Wenn sich die Weibchen mit diesen Männchen paaren, entstehen unfruchtbare Eier, sodass die Population abnimmt. Das ist sehr aufwendig und teuer, aber vielleicht könnte eine solche Massnahme in Zukunft für die Bekämpfung der Tigermücke eine Rolle spielen. Auch genetische Veränderungen in den Mücken sind eine Möglichkeit. Dabei werden nur wenige Mücken genetisch modifiziert und freigelassen. Eine solche Modifikation könnte beispielsweise zu unfruchtbaren Weibchen führen oder das Immunsystem von einer Mückenspezies so verändern, dass die Übertragung von einem bestimmten Krankheitserreger verhindert wird. Über einen «Gene-Drive» sollen dann diese Gene bei der Paarung immer weitergegeben werden, sodass die Modifikation durch eine Mückenpopulation komplett hindurchrauscht. Bei uns ist das noch Zukunftsmusik, aber in gewissen afrikanischen Ländern, wo der Leidensdruck extrem hoch ist und viele Menschen an von Mücken übertragenen Infektionskrankheiten sterben, werden dazu erste Studien mit Malariamücken durchgeführt. Das wäre das Traumszenario: Die Mücke lebt, aber sie kann die Krankheit nicht mehr weitergeben. s
Das Interview führte Klaus Duffner.
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