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Differenzialdiagnose der Psoriasis pustulosa
Viel mehr als nur eine eitrige Form der Schuppenflechte
Bisher wurde die Psoriasis pustulosa (PP) in Lehrbüchern uneinheitlich klassifiziert. Mittlerweile hat sich ein Experten-Konsens zu den 3 Hauptformen der PP herauskristallisiert: die palmoplantare Pustulose (PPP), die generalisierte pustulöse Psoriasis (GPP) und die Acrodermatitis continua suppurativa Hallopeau (ACH). Wie diese Krankheitsgruppen definiert werden, wie häufig sie sind und welche Trigger- und Risikofaktoren zum Tragen kommen, erläuterte Prof. Alexander Navarini aus Basel auf dem Swiss Derma Day.
Foto: AZA Foto: Dermatol. Klinik Unispital Basel
Alexander Navarini
Generell wird unter dem Begriff pustulöse Psoriasis (PP) eine Gruppe von entzündlichen Hauterkrankungen verstanden, deren Hauptvertreter die palmoplantare Pustulose (PPP), die generalisierte pustulöse Psoriasis (GPP) und die Acrodermatitis continua of Hallopeau (ACH) sind. Ihnen gemeinsam ist die Infiltration von neutrophilen Granulozyten in die Epidermis, so dass klinisch sichtbare sterile Pusteln entstehen. Aufgrund der klinischen Koinzidenz wird PP derzeit mit Psoriasis vulgaris (PV) gruppiert. PP und PV sind jedoch phänotypisch und genetisch (soweit heute bekannt ist) sehr verschieden – und die jeweiligen Patientengruppen sprechen auf die üblichen Therapieoptionen auch sehr unterschiedlich an.
Europäische Diagnosekriterien erarbeitet
Wie Navarini auf dem Swiss Derma Day beklagte, sind im Gegensatz zur PV die Phänotypen von PP nicht gut definiert; deshalb finden sich in jedem Lehrbuch andere Diagnosekriterien. Das erschwert die klinische Forschung, unter anderem, weil bisher die Patientengruppen in den Studien zu heterogen waren. Dem soll mit dem European Rare and Severe Psoriasis Expert Network (ERASPEN) Abhilfe geschaffen werden. ERASPEN hat 2017 Diagnosekriterien definiert, um grosse Gruppen von PP-Patienten zu phänotypisieren, die Genetik und Pathophysiologie zu analysieren und prospektive klinische Studien vorzubereiten. Navarini stellte in seinem Vortrag die verschiedene Psoriasis pustulosa-Formen gemäss den ERASPEN-Kriterien vor.
Palmoplantare Pustulose (PPP) – Pusteln an Hand- und Fussflächen
Die palmoplantare Pustulose (PPP) ist gekennzeichnet durch primäre, persistierende (mehr als 3 Monate anhaltend), sterile, makroskopisch sichtbare Pusteln an Handflächen und/oder Fusssohlen (Abbildung 1). Die PPP kann mit oder ohne die klassische Psoriasis vulgaris auftreten.
Abbildung 1: Palmoplantare Pustulose (PPP)
Die PPP verläuft in der Regel chronisch, ist oft bilateral und symmetrisch. Prädilektionsstellen sind der Thenar- und Hypothenar-Bereich, die zentralen Handflächen und die Fusssohlen, wobei hier die gewichtsbelasteten Areale eher ausgespart sind. Überwiegend entstehen die Pusteln auf der Leistenhaut, können aber auch auf die normale Felderhaut übergreifen. Das lässt sich gut an den Übergängen von Leisten- zur Felderhaut z. B. an den Fusskanten ablesen (Wallace-Linie). Anfangs entstehen kleine Erytheme mit winziger weisser Pustel im Zentrum,
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Abbildung 2: Konfluierende Eiterseen bei PPP
beitsleben aus. Auch die sozialen Kontakte werden eingeschränkt. Denn wer will sich schon seine eitrigen und schmerzenden Hände schütteln lasen? Auf den sozialen Rückzug folgen oft Depressionen oder Angststörungen. 13 Prozent klagen zudem über Gelenkschmerzen, 15 Prozent haben zugleich einen Plaque-Psoriasis. Und von diesen Patienten leidet wiederum jeder 4. an einer Psoriasis-Arthritis. Als Triggerfaktor für die Pusteln gilt vor allem das Rauchen (mehr als jeder zweite PPP-Patient ist Raucher). Auch Stress ist ein starker Risikofaktor. Dazu kommen Infektionen und Arzneimittel, die die Entwicklung oder die Exazerbation fördern. Bei den Arzneimitteln sind Lithium und der paradoxe Effekt auf Biologika – vor allem auf TNF-alpha-Blocker – als Trigger für die PPP bekannt. Auch einige Differenzialdiagnosen sind zu beachten. Allen voran die Palmoplantare Psoriasis ohne Pusteln, die Mykosen und auch das dyshidrosiforme Ekzem an Händen bzw. Füssen, bei dem ebenfalls Bläschen entstehen, die nach einer Superinfektion auch eitrig werden können. Des Weiteren nannte Navarini auch noch Skabies, Herpes simplex und die Epidermolysis bullosa.
Abbildung 3: Generalisierte pustulöse Psoriasis (GPP)
diese können nach und nach zu grösseren Eiterseen konfluieren (Abbildung 2). Die Pusteln werden im Verlauf gelb, verschwinden dann zunehmend und hinterlassen braune Flecken. Bei schwerer Ausprägung entstehen auch hellrote glänzende Areale, Krusten oder Hyperkeratosen. Die Ein-Jahres-Prävalenz beträgt in Europa und den USA etwa 1: 10 000, in den asiatischen Ländern ist die PPP mit etwa 1:1000 deutlich häufiger. Dreiviertel der Patienten sind Frauen, 60 Prozent haben die Pusteln sowohl an den Handflächen als auch an den Fusssohlen. Die Erkrankung greift bei ca. 10 Prozent auf die Nagelplatte über, was dann der Acrodermatis continua suppurativa Hallopeau entspricht. Bei etwa 40 Prozent der Patienten verläuft die PPP in Schüben, 60 Prozent haben jedoch dauerhaft Symptome. Fast die Hälfte der Patienten geben bei der Erstuntersuchung Schmerzen an, wobei bei etwa 20 Prozent die Beschwerden so stark sind, dass es zu Funktionseinschränkungen kommt. Das wirkt sich für die Betroffenen nicht nur fatal in Bezug auf das Ar-
Generalisierte pustulöse Psoriasis (GPP) – Eiterbläschen am Rumpf
Die zweite wichtige PP-Form ist die generalisierte pustulöse Psoriasis (GPP). Sie ist definiert als primäre, sterile, makroskopisch sichtbare Pusteln auf nicht-akraler Haut (Abbildung 3). Die Prävalenz beläuft sich in Europa auf 0,6 bis 1,7 pro 1 Million Einwohner. Auch hier sind mehr als die Hälfte der Patienten weiblich. Die GPP beginnt früh – bei 30 Prozent bereits im ersten Lebensjahr. Die GPP kann mit oder ohne systemische Entzündung bestehen; sie kann sowohl bei Psoriatikern als auch bei Patienten ohne Schuppenflechte auftreten. Erstaunlicherweise fänden sich Patienten, die trotz dieser Pustulose keine weiteren Entzündungsparameter aufweisen, so Navarini.
GPP: potenziell tödlich
Beim Verlauf wird eine schubförmige Variante – definiert mit mehr als einer Episode – und eine chronische Form (Exanthem besteht mehr als 3 Monate) unterschieden. Die Schübe können abrupt auftreten und bleiben zwischen 10 Tagen und 4 Wochen bestehen. Auch Fieber, Krankheitsgefühl, Schmerzen sowie ein erhöhter CRP-Wert kommen vor. Sehr selten kann es zu Organbeteiligungen von Leber, Nieren, Lunge und am Herzkreislaufsystem kommen, die in Einzelfällen auch zum Tode führen können. Die nicht-follikulären Pusteln auf erythematöser Haut sind überwiegend am Rumpf (91%), an den Extremi-
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täten (83%) und den Bewegungsbereichen (z. B. an den Leisten) lokalisiert. Das Erscheinungsbild der GPP kann sehr unterschiedlich sein: Es reicht von kleinen erythematösen Bereichen mit wenigen, kleinen Eiterbläschen, die auch ringförmig gruppiert stehen können, bis zu riesigen, aus konfluierenden Pusteln entstehenden Bullae mit schweren, ins Bläuliche changierenden Erythemen. Platzen diese Blasen, kann dies zu grossen Wundflächen führen. Daneben sind auch Krusten an den geplatzten Eiterseen auszumachen. Als wichtigster Triggerfaktor für die GPP gilt die genetische Disposition: Anders als bei der PPP haben bis zu 50 Prozent der Patienten eine Mutation des Interleukin (IL)-36 Rezeptors. Als weitere Risikofaktoren für eine GPP werden Stress, über den 65 Prozent der Patienten klagen, Infektionen (bei 53%), Drogen (28%) und Schwangerschaft (weniger als 10%) ausgemacht. Wichtig sei es, die GPP von der häufigeren akuten generalisierten exanthematischen Pustulose (AGEP) zu unterscheiden. Die AGEP ist ein schweres, potenziell lebensbedrohliches Krankheitsbild, das meist eine schwere Arzneimittel-Unverträglichkeit als Ursache hat. Als Differenzialdiagnosen kommen auch alle weiteren bullösen Erkrankungen wie Impetigo bullosa, disseminierte Follikulitis oder Erythema multiforme infrage. Stehen kleine Eiterbläschen am Rand von PsoriasisPlaques, liegt in der Regel keine GPP, sondern eine Psoriasis cum pustulatione vor.
Hilfe durch IL36RN-Antagonisten?
Da der Interleukin-36-Signalweg offenbar an der Pathogenese der GPP beteiligt ist – IL36RN-Mutationen lassen sich etwa bei der Hälfte der Patienten nachweisen – wurde untersucht, ob nicht mit einem entsprechenden Biologikum das Entzündungsgeschehen vermindert werden kann. Spesolimab ist ein solcher anti-IL36-RN-Antikörper. Dank der ESPRAKriterien konnte eine Patientengruppe mit generalisierter pustulöser Psoriasis für eine plazebokontrollierte Phase-II-Studie zusammengestellt werden (1). Die 54 GPP-Patienten erhielten in einer 2:1-Randomisierung eine intravenöse Einzeldosis von 900 mg Spesolimab oder Plazebo. Der primäre Endpunkt war ein Rückgang im Pustulations-Subscore des Generalized Pustulasis Physician Global Assessment (GPPGA), wobei zu Studienbeginn der GPPGA-Score zwischen 3 und 4 lag. Am Ende von Woche 1 hatten insgesamt 19 von 35 Patienten (54%) in der Spesolimab-Gruppe einen Pustulations-Subscore von 0, d.h. erschei-
nungsfreie Haut, verglichen mit 1 von 18 Patienten (6%) in der Plazebogruppe (p < 0,001). Allerdings hat diese Therapie noch schwere Nebenwirkungen verursacht, wie Infektionen und Medikamenten-induzierte Hepatitis. Es muss also noch weiter an Biologika, besonders an Antikörpern gegen IL36-RN, geforscht werden, bis sich eine Therapieform für die GPP ergibt. Acrodermatitis continua suppurativa Hallopeau – eitrige Fingerspitzen Die Acrodermatitis continua suppurativa Hallopeau (ACH) ist gekennzeichnet durch primäre, persistie- rende (mehr als drei Monate bestehende), sterile, makroskopisch sichtbare Pusteln, die den Nagelap- parat betreffen. Die ACH entsteht überwiegend an den distalen Phalangen, juckt und ist sehr schmerz- haft. Durch die Entzündung verlieren die meisten Patien- ten ihre Nägel, 38 Prozent sogar dauerhaft. Und auch die Papillen der Fingerkuppen verschwinden - also keine Fingerabdrücke! In schweren Fällen kann es sogar zum Verlust der knöchernen Fingerendglieder kommen. Die Prävalenz ist nicht bekannt und liegt vermutlich zwischen derjenigen der PPP und der GPP, so Nava- rini. Von allen pustulösen Formen der Psoriasis setzt die ACH am spätesten ein, der Erkrankungsgipfel wird mit dem 58. Lebensjahr angegeben. Bei 38-45 Prozent der Betroffenen ist eine Plaque-Psoriasis be- kannt; und auch eine Gelenkbeteiligung findet sich bei 27 Prozent der Patienten. Laut Navarini sind Frauen nicht häufiger von der ACH betroffen als Männer, und das Rauchen ist offenbar als Triggerfak- tor hier nicht von Bedeutung. Andere Risikofaktoren für die Entwicklung einer ACH lassen sich nicht aus- machen. Navarini hofft, dass die ERASPEN-Kriterien helfen, die verschiedenen Formen der pustulösen Psoriasis zu unterscheiden. Dennoch werden weitere Daten benötigt, um auch seltene Formen der PP zu diffe- renzieren. Die neuen Erkenntnisse zur Pathogenese haben bereits jetzt die Entwicklung neuer Therapien wie den IL36-Antagonisten ermöglicht. s Angelika Ramm-Fischer Quelle: Swiss Derma Day and STI reviews and updates 2024; am 11. Januar 2024 in Luzern. Referenz: 1. Bachelez H, Choon SE et al.: Trial of Spesolimab for Generalized Pustular Psoriasis. N Engl J Med. 2021;385(26):2431-2440. doi: 10.1056/NEJMoa2111563 SZD 2/2024 21