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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Foto: KD
Allergologie in Zeiten des Klimawandels
Globale Erwärmung steigert die Pollenbelastung
Manche Baumarten, wie die Hasel oder die Erle, geben ihre Pollen heute deutlich früher und stärker ab als noch vor 50 Jahren. Dagegen sind Kräuterpollen, vor allem in den Städten, eher auf dem Rückzug. Dr. Regula Gehrig vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz berichtete am Burghalde-Symposium in Lenzburg vom Wandel des Pollenflugs in den vergangenen Jahrzehnten.
Regula Gehrig
Ein Vergleich des historischen Pollenkalenders (1969– 1990) mit dem Pollenflug der vergangenen 20 Jahre (2001–2022) offenbart bemerkenswerte Veränderungen. So begann die Haselpollensaison in den 70erund 80er-Jahren (Anfang Februar) nicht nur deutlich später als heute (Anfang bis Mitte Januar), sondern es war auch die Pollenflugsaison bei dieser Art insgesamt viel schwächer ausgeprägt. Zudem würde der Vergleich mit den historischen Daten zeigen, dass auch bei der Erle, Esche und Birke die Hauptflugzeiten heute um zwei bis drei Wochen gegenüber dem Vergleichszeitraum vorgezogen sind, was auf die erhöhten Temperaturen zurückzuführen sei, berichtete Gehrig.
Temperaturanstieg in Basel von rund 3 °C
Normalerweise bestimmen Wetter, Klima und Böden, wo die heimischen allergenen Pflanzen wachsen. Beispiel Birke: Diese lichtbedürftige Baumart kommt vom Flachland bis etwa 1800 m in den Alpen vor. Dabei ist vor allem das Wetter des Vorjahrs dafür verantwortlich, wie viele Birkenkätzchen angelegt werden, während das Wetter des folgenden Winters und des Frühjahrs bestimmt, wann die Pollen reifen und abgegeben werden. Die längste Pollenmessreihe für Basel beginnt im Jahr 1969. Für die weiteren Messstationen des Pollenmessnetzes reichen die Datenreihen mindestens 30 Jahre zurück. In den ver-
kurz & bündig
s Die Pollensaison beginnt heutzutage früher.
s Es werden deutlich mehr Baumpollen gemessen.
s Je nach Pollenart und Messstation kann es zu einer Verlängerung der Pollensaison kommen.
s Einflussfaktoren sind das Klima (Wärme) und der Mensch. Dabei werden vor allem die Gräser von der landwirtschaftlichen Nutzung, der Düngung und der Überbauung beeinflusst.
s Neue klimaresistente Arten in den Städten und in der Forstwirtschaft beeinflussen zusätzlich die Pollenbelastung.
gangenen rund 60 Jahren kam es zu einer erheblichen Zunahme der Mitteltemperaturen: im Frühling +2,79 °C, im Sommer +3,35 °C, im Herbst +1,67 °C und im Winter +2,11 °C. Für den Pollenflug sind vor allem die Temperaturen im Frühjahr und Sommer entscheidend und in diesen Jahreszeiten kam es in den vergangenen 60 Jahren zu einem Temperaturanstieg von rund 3 °C. Alleine in den vergangenen 30 Jahren wurde, über alle Messstationen in der Schweiz hinweg, im Sommer ein Temperaturanstieg von rund 1,5 °C gemessen. Beim Niederschlag sind hingegen keine so eindeutigen Trends zu erkennen, erklärte Gehrig. Einige Stationen zeigen jedoch eher trockene Sommer- und Herbstmonate. Der Mensch ist heute massgeblich dafür verantwortlich, welche Pflanzen – und damit welche Allergenquellen – in den Städten, auf den Feldern und in den Wäldern wachsen. Sein Einfluss macht sich vor allem auf den Grünflächen (z. B. Parks) und bei den Strassenbäumen in den Städten, bei der Einführung neuer Arten in der Forstwirtschaft, bei der Nutzung und Düngung auf landwirtschaftlichen Flächen und bei der Flächenversiegelung bemerkbar.
Pollen früher unterwegs
Über die ganze Schweiz betrachtet, ist in den vergangenen 30 Jahren (1990 bis 2019) eine Verschiebung des Pollenflugs nach vorn (also Richtung Jahresanfang) zu beobachten, vor allem für Hasel und Eiche, aber auch Buche, Gräser, Wegerich und Brennnessel (siehe Abbildungen 1 und 2). Allerdings bleibt die Länge der Blühphase bei den meisten Baumarten unverändert; für Esche und Birke zeigt sich sogar eine Verkürzung der Gesamtpollensaison. Eine Ausnahme ist jedoch die Hasel, deren Blütezeit sich heute über einen deutlich längeren Zeitraum von 3 Monaten hinziehen kann. So beginnt die Haselsaison in Basel 25 Tage früher, endet aber nur 6 Tage früher. Die Birke beginnt am Rheinknie 10 Tage früher zu blühen und endet 9 Tage früher. Gerade der Beginn des Pollenflugs ist stark mit den Temperaturen korreliert. Bei der Birke gilt: Je wärmer die Februar- und Märztem-
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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Pollenkalender Basel früher und heute 1969-1990 und 2001-2022
1969-1990 2001-2022
1969-1990 2001-2022
1969-1990 2001-2022
1969-1990 2001-2022
Abbildung 1: Pollenflugkalender der Bäume (Quelle: MeteoSchweiz).
Pollenkalender Basel früher und heute 1969-1990 und 2001-2022
1969-1990 2001-2022
1969-1990 2001-2022
1969-1990 2001-2022
zentration in der Luft, hat vor allem bei den Bäumen in den vergangenen 30 Jahren einen Anstieg erfahren, also bei Hasel, Birke, Hainbuche, Eiche und Buche, aber auch bei der Brennnessel. Dies habe möglicherweise mit dem erhöhten CO2-Eintrag in der Luft zu tun, sagte die Expertin. Die Stärke des Pollenflugs bei Gräsern und Ambrosia blieb hingegen unverändert. Gerade bei den Gräsern kann es allerdings, von Messstation zu Messstation, zu erheblichen lokalen Unterschieden kommen.
Gesamtpollensaison verlängert
Durch den frühen Beginn der Haselblüte bis zum Ende der Kräuterblüte hat sich die gesamte Pollensaison ausgedehnt. Für Menschen mit Pollenallergien bedeutet dies eine verlängerte Belastungszeit im Jahr. Bestimmte Pflanzenarten zeichnen sich zudem durch spezielle Eigenheiten aus. So besitzen Buchen ausgeprägte Mastjahre, in denen ein deutlich stärkerer Pollenflug vorherrscht. Der Esche macht hingegen seit einigen Jahren das Eschentriebsterben zu schaffen. Die sehr starken Blühjahre dieser Baumart in den vergangenen Jahren könnten möglicherweise auf «Notblüten» zurückzuführen sein. Bei solchen Ereignissen versuchen kranke Bäume noch einmal die ganze Kraft auf die Samenproduktion und damit auf ihre Ausbreitung zu legen, bevor sie schliesslich absterben.
Abbildung 2: Pollenflugkalender der Gräser und Kräuter (Quelle: MeteoSchweiz).
peraturen sind, desto eher beginnt diese Baumart zu blühen. Schliesslich beginnen auch die Gräser 10 Tage früher ihre Pollen auszustossen, allerdings endet diese Phase in Basel im Vergleich zu den 80ern im Durchschnitt 39 Tage früher. Der sehr starke Gräserpollenflug in Basel reicht heute bis etwa Mitte Juli, während dies früher bis Ende Juli der Fall war. «Früher wurde pro Jahr zweimal Heu gemacht, heute wird fünf, sechsmal gemäht – und das hat einen grossen Einfluss auf den Gräserpollenflug», so Gehrig. Durch die Überbauung existierten heute in den Städten weniger Grünflächen, wodurch – Beispiel Basel – auch weniger Kräuterpollen unterwegs sind. «Während in der Vergangenheit die Kräuterpollenkonzentrationen von Wegerich und Beifuss hohe Werte erreichen konnten, haben wir das in Basel und an anderen Messstationen heute nicht mehr», erklärte die Spezialistin. Bei ländlicheren Messstationen, wie beispielsweise in Buchs (SG), findet das Ende der Gräserpollensaison immer noch etwa zur gleichen Zeit statt wie vor 30 Jahren.
Höhere Pollenkonzentrationen
Die Stärke des Pollenflugs, das heisst die Pollenkon-
Neue Pflanzenarten
Derzeit werden verstärkt klima- respektive hitzeresis-
tente Baumarten gepflanzt. Dazu gehören die zu den
Birkengewächsen zählende Hopfenbuche und die
Manna-Esche. Beide Formen kommen natürlicher-
weise im Tessin und weiter südlich vor. Da die heimi-
sche Birke und die verwandte Hopfenbuche etwa zur
gleichen Zeit blühen, verstärkt dies über Kreuzreak-
tionen die Pollenbelastung für Allergiker. Die Man-
na-Esche blüht etwas zeitversetzt zur verwandten
heimischen Esche, was die Pollensaison für betrof-
fene Allergiker verlängern kann. Ähnliches gilt für die
Purpurerle, die bereits um Weihnachten blüht. Zu-
dem könnten verschiedene mediterrane Arten wie
Olivenbaum, Zypresse, Platane oder bestimmte Ei-
chenarten einen Einfluss auf die zukünftige Pollen-
belastung nehmen.
Recht gut kontrolliert in der Schweiz ist die stark all-
ergen wirkende Ambrosia, bei der es derzeit nicht zu
Veränderungen hinsichtlich der Pollenbelastung
kommt. Im Tessin ist sogar ein Rückgang der Ambro-
siabestände zu verzeichnen. Dies wird nicht zuletzt
auf die Einführung des aus Nordamerika stammen-
den Ambrosiablattkäfers zurückgeführt. Die Art er-
nährt sich von Ambrosia und vermag die weitere Aus-
breitung in Schach zu halten.
s
Klaus Duffner
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