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KONGRESSBERICHT
Hidradenitis suppurativa
Weniger Schmerzen, Abszesse, Narben und fötider Geruch
Durch immunologische Forschung konnten die Entzündungstreiber der Hidradenitis suppurativa identifiziert werden. Mit den entsprechenden hemmenden Antikörpern kann nun den schmerzhaften, eitrigen und vernarbenden Entzündungen Einhalt geboten werden. Sowohl am Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) als auch am deutschen Wundkongress wurden die neusten Therapieoptionen vorgestellt.
Die Hidradenitis suppurativa (HS), auch Akne inversa genannt, war bisher ein Stiefkind der Dermatologie – vor allem, weil sich angesichts der fehlenden Therapiemöglichkeiten viele Ärzte den leidenden Patienten gegenüber oft hilflos fühlten. Die Angaben zur Prävalenz der Hidradenitis suppurativa schwanken von 0,03 Prozent bis 0,07 Prozent. Doch angesichts der hohen Dunkelziffer ist eher davon auszugehen, dass etwa 1 Prozent der Bevölkerung mit HS zu kämpfen hat. Und diese Krankheit hat es in sich: Die Patienten leiden schubförmig unter schmerzhaften, tiefsitzenden, entzündlichen Knoten und Abszessen in Hautarealen mit Schweissdrüsen wie Achselhöhle, Leistengegend und Anogenitalbereich. Brechen die Abszesse auf, entleert sich übelriechender Eiter und es kommt zudem zu Fistelgängen, die eine chirurgische Entfernung erfordern können. Ausgedehnte Narbenbildung und Fibrose können zu Kontrakturen und Mobilitätseinschränkungen führen. Das hat weitreichende Folgen für die Patienten: So führen beispielsweise die Schmerzen bei über 60 Prozent der Betroffenen zu Schlafstörungen, wie das ALL PROJECT unter anderem ergeben hat. Aufgrund der Schmerzen, der sensiblen Lokalisation und des übelriechenden Ausflusses leiden die Patienten erheblich. Dazu kommt noch, dass sich die meisten stigmatisiert fühlen (77%); sozialer Rückzug und Depressionen sind häufig die Folge (1). Ausser den zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtige die Erkrankung das Arbeitsleben, wenn die Patienten überhaupt einen Arbeitsplatz finden, betonte Dr. Amit Garg aus New York (USA). Die therapeutischen Möglichkeiten bei HS waren bisher sehr eingeschränkt – topische und systemische Antibiotika boten nur wenig Abhilfe, wie Prof. Dr. Falk G. Bechara aus Bochum (D) berichtete. Ultima Ratio war eine radikale chirurgische Entfernung der Schweissdrüsen in den Achselhöhlen.
Entzündungsmediatoren identifiziert
Dank der immunologischen Forschung gibt es nun einen Silberstreifen am Therapiehorizont: Durch die Identifizierung der bei HS wichtigsten proinflammatorischen Zytokine konnten die entsprechenden Hemmstoffe entwickelt bzw. bereits bekannte Biologika eingesetzt werden. Den Anfang der Biologika-Therapie bei HS machten die TNF-α-Blocker. So hat beispielsweise Adalimumab bereits seit 2019 die Indikationserweiterung für die Behandlung bei HS bekommen, wie PD Dr. Florian Anzengruber aus Chur am diesjährigen deutschen Wundkongress berichtet hat. Der Effekt lasse sich durch die Kombination mit chirurgischen Massnahmen noch erweitern, wie Anzengruber ergänzte. In einer niederländischen Studie führte die Kombination von Adalimumab plus chirurgischem Eingriff zu einer grösseren klinischen Wirksamkeit (gemessen am Rückgang im IHS4-Score) und einer verbesserten Lebensqualität nach 12 Monaten als die Adalimumab-Monotherapie (2).
Entzündungstreiber IL-17A und IL-17F
Bei der Suche nach den Entzündungstreibern der HS haben die Immunologen die Interleukine 17A und 17F identifiziert. Diese Zytokine, die auch an der Pathophysiologie der Psoriasis beteiligt sind, können mit dem monoklonalen Antikörper Secukinumab (Cosentyx®) erfolgreich gehemmt werden. Seit diesem Jahr ist Secukinumab auch für die Behandlung von HS zugelassen. Anzengruber zitierte Swiss Medical Approval vom August 2023: Danach beträgt die empfohlene Dosis 300 mg, verabreicht als subkutane Injektion, zunächst als Initialdosis in den Wochen 0, 1, 2, 3 und 4, gefolgt von monatlichen Erhaltungsdosen. Bei fehlendem klinischen Ansprechen (HiSCR50) nach 32 Wochen kann die Erhaltungsdosis auf 300 mg alle 2 Wochen erhöht werden. Sollte darunter innert 16 Wochen
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kein klinisches Ansprechen erreicht werden, ist die Behandlung zu beenden. Jede 300-mg-Dosis wird entweder in Form einer subkutanen Injektion zu 300 mg oder von zwei subkutanen Injektionen zu je 150 mg verabreicht. Wie Anzengruber weiter berichtete, beruht diese Zulassung auf den klinischen Phase-III-Zwillingsstudien SUNSHINE und SUNRISE mit mehr als 1000 Patienten, die entweder Plazebo oder Secukinumab 300 mg subkutan in den Wochen 0, 1, 2, 3 und 4 erhielten, gefolgt von 2- oder 4-wöchentlichen Erhaltungsdosen. In Woche 16 hatten über 40 Prozent in den Verumgruppen auf Secukinumab angesprochen (3). Diese Ansprechrate (HiSCR50 = Hidradenitis suppurativa clinical response, definiert als Rückgang der Zahl der Abszesse und Entzündungsherde um 50% oder mehr) stieg bis zum Studienende in Woche 52. In der SUNSHINE-Studie hatten nach einem Jahr 56,4 Prozent der Patienten auf Secukinumab 300 mg alle zwei Wochen und 56,3 Prozent unter Secukinumab 300 mg alle 4 Wochen angesprochen. Auch klinisch zeigten die Patienten eine deutliche Besserung: So erreichten über 70 Prozent der Patienten eine AN50 – das heisst, die Zahl der Abszesse und Knoten verminderte sich um 50 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert. Bei über 80 Prozent der Secukinumab-Behandelten bildeten sich auch keine neuen Fisteln und bis zu 79 Prozent der Verumpatieten erlitten unter der Behandlung keinen neuen Schub. Für die Patienten wohl am wichtigsten: Die Schmerzen gingen zurück. Über 50 Prozent der Teilnehmer in den Verumgruppen gaben eine Schmerzreduktion um 30 Prozent im Vergleich zum Studienbeginn an. Bechara, der ebenfalls über SUNRISE und SUNSHINE referierte, berichtete auch über die Auswirkungen auf die Lebensqualität unter Secukinumab. So gaben schon in Woche 4 über 40 Prozent der Verumpatienten eine Verbesserung um mindestens 5 Punkte im Lebensqualitätsindex (Daily Living Questionnaire Index) an. Dieser Prozentsatz stieg bis Studienende auf über 50 Prozent. Ebenso verbesserte sich der Index für die Arbeitsleistung und allgemeine Aktivität (Work productivity and Activity Impaiment WPAI). Die Ergebnisse zur Sicherheit entsprachen dem etablierten, günstigen Sicherheitsprofil von Secukinumab, das durch Erfahrungen aus 8 Jahren praktischer Anwendung gestützt wird.
Bimekizumab in den Startlöchern
Ein weiterer IL-17A/IL17F-Hemmer steht kurz vor der Zulassung: Das ebenfalls aus der Psoriasis-Therapie bekannte Bimekizumab (Bimzelx®) wurde in den Zwillingsstudien BE HEARD1 und BE HEARD2 mit insgesamt mehr als 1000 Patienten erprobt. In beiden Studien wurden 2 Dosierungsschemata von Bimekizumab
(320 mg alle 2 Wochen = Q2W bzw. alle 4 Wochen = Q4W) im Vergleich zu Plazebo über die 16-wöchige Anfangs- und 48-wöchige Erhaltungsbehandlung untersucht. Anzengruber berichtete von den auf dem EADV 2023 vorgestellten jüngsten Ergebnissen der noch nicht veröffentlichten Studie: In Woche 16 hatten fast 60 Prozent der Patienten in den Verumgruppen ein HiSCR50 gezeigt (Q2W 58,9%, Q4W 59,1%), in Woche 48 steigerte sich dies auf fast 80 Prozent (Q2W 80,6%, Q4W 79,5%). Bei etwa 30 Prozent der Patienten aus den Bimekizumab-Gruppen konnte sogar ein HiSCR100 – also völlige Erscheinungsfreiheit – erreicht werden (4).
Weitere Biologika in Sicht?
Für seinen Überblick über künftige Therapieoptionen beliess es Anzengruber nicht bei den IL-17-Hemmern und fahndete nach weiteren Therapiestudien mit Biologika bei HS.
Option Guselkumab?
Eine Option könnte der IL-23-Blocker Guselkumab (Tremfya®) – ebenfalls aus der Behandlung bei Schuppenflechte bekannt – sein. Anzengruber stellte hier eine offene, multizentrische Phase-IIa-Studie bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem HS vor, die allerdings nicht plazebokontrolliert war. Ergebnis nach 16 Wochen Behandlung: 65 Prozent der Patienten erreichten eine HiSCR50 mit einem statistisch signifikanten Rückgang des medianen IHS4-Scores (von 8,5 auf 5,0; P = 0,002) und der medianen Anzahl an entzündlichen Knoten (von 6,5 auf 4,0; P = 0,002). Die Autoren schränken diesen Erfolg jedoch ein, da andere Guselkumab-Studien ein geringeres Ansprechen ergeben hatten und Guselkumab offenbar nur bei einer Untergruppe von HS-Patienten von Nutzen zu sein scheint – was darauf hindeute, dass die IL23/17-Achse für die Pathophysiologie der HS nicht von zentraler Bedeutung ist (5). Auch bei der Substanzgruppe der «Small molecules» suchte Anzengruber nach künftigen Behandlungsoptionen. Zu Apremilast sind zwar einige kleinere Phase-IIb-Studien mit durchaus positiven Ergebnissen gemacht worden. Allerdings wird derzeit die Indikation HS für Apremilast offenbar nicht weiter erforscht.
Therapieoption JAK-Inhibitoren?
Vielversprechend scheint auch die Gruppe der JAKInhibitoren zu sein, da mit den Janus-Kinase-Hemmern gleich mehrere proinflammatorische Zytokine geblockt werden können. Doch auch hier ist die Studienlage eher dürftig – Anzengruber fand nur diverse Fall-Studien. Eine kleine Real-World-Studie mit dem JAK1-Inhibitor Upadacitinib lässt jedoch hoffen: Wie Anzengruber berichtete, bekamen alle 20 HS-Patienten 15 mg Upadacitinib täglich für 4 Wochen. Sprachen die Patienten darauf an, wurde bis Woche 24
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weiterbehandelt. Von diesen Respondern hatten in Woche 12 alle einen HiSCR50 erreicht, 30 Prozent sogar HiSCR90. Auch die Schmerzen und die Lebensqualität besserten sich signifikant (6). Für Upadacitinib scheint die Forschung in Sachen HS in Schwung zu kommen: Das Unternehmen AbbVie hat gerade eine Phase-III-Studie zu Upadacitinib bei HS gestartet. Auf die Ergebnisse muss allerdings noch gewartet werden (7).
Besser «Hit hard and early»
Derzeit stehen die medikamentösen Therapieoptio-
nen nur Patienten mit mittelschwerer oder schwerer
HS zur Verfügung bzw. werden bei diesen Patienten
getestet. Ähnlich wie bei der Psoriasis halten Anzen-
gruber und auch Professor Dr. Christos Zouboulis aus
Dessau (D) einen früheren Einsatz für sinnvoll nach
dem Motto «Hit hard and early». Denn wenn der Ent-
zündung frühzeitig Einhalt geboten wird, kommt es
nicht zu eitrigen Abszessen, Fistelgängen und Ver-
narbungen. Deutlich weniger Schmerzen wären die
Folge, und auch dem sozialen Rückzug würde so vor-
gebeugt werden. Der Vorteil einer frühen Kontrolle
der Krankheitsaktivität wird auch von der Studienlage
gestützt: Wie Zouboulis am EADV-Kongress erläu-
terte, bedeutet beispielsweise eine Zeitverzögerung
beim Therapiebeginn mit Adalimumab um mehr als
zehn Jahre, dass die Patienten 2-mal seltener auf den
TNF-alpha-Blocker ansprechen im Vergleich zu ei-
nem früheren Behandlungsbeginn (8). Ebenso würde
eine späte Therapie das Risiko für vermehrte Krank-
heitsschübe erhöhen (9).
s
Quellen: Vortrag PD Dr. Florian Anzengruber (Chur, Schweiz) «Akne inversa: Wie behandeln wir 2024?», Deutscher Wundkongress 2023, Nürnberg. Virtuelles Mittagssymposium «Reimagining Immunology: Discovering new horizons in hidradenitis suppurativa» (Veranstalter: Novartis) am Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) am 13. Oktober 2023.
Referenzen: 1. Halioua B et al.: Impact of feeling of stigmatization on the lives of adult patients
with hidroadenitis suppurativa: Data from the all skins-all colors-all dermatoses: The ALL PROJECT. Präsentation am EADV-Kongress 2023; 11. Oktober 2023 in Berlin (D). 2. Aarts P et al.: Adalimumab in conjunction with surgery compared with adalimumab monotherapy for hidradenitis suppurativa: A Randomized Controlled Trial in a real-world setting. J Am Acad Dermatol. 2023;89(4):677-684. doi: https://doi. org/10.1016/j.jaad.2023.04.034. 3. Kimball AB et al.: Secukinumab in moderate-to-severe hidradenitis suppurativa (SUNSHINE and SUNRISE): week 16 and week 52 results of two identical,multicentre, randomised, placebo-controlled, double-blind phase 3 trials. Lancet. 2023;401(10378):747-761. doi: 10.1016/S0140-6736(23)00022-3. 4. Zouboulis CC et al.: Bimekizumab Efficacy and Safety in Patients With Moderate To Severe Hidradenitis Suppurativa: Analysis of Pooled Data From BE HEARD I and II Phase 3, Randomised, Double-blind, Placebocontrolled, Multicentre Studies. Präsentation am UCB- Symposium beim EADV-Kongress 2023 in Berlin (D). 5. Dudink K et al.: Guselkumab for hidradenitis suppurativa: a phase II, open-label, mode-of-action study. Br J Dermatol. 2023;188(5):601-609. doi: 10.1093/bjd/ ljad010. 6. Kozera E et al.: Real-world safety and clinical response of Janus kinase inhibitor upadacitinib in the treatment of hidradenitis suppurativa: A retrospective cohort study. J Am Acad Dermatol. 2022;87(6):1440-1442. doi: 10.1016/j. jaad.2022.07.047. 7. Pressemitteilung von AbbVie: AbbVie advanced immunology pipeline with first patient dosed in global phase 3 trial of Upadacitinib (Rinvoq®) in hidradenitis suppurativa. News release. AbbVie. July 24, 2023. Accessed July 24, 2023. https:// news.abbvie.com/news/press-releases/abbvie-advances-immunology-pipeline-with-first-patient-dosed-in-global-phase-3-trial-upadacitinib-rinvoq-in-hidradenitis-suppurativa.htm?view_id=15808 8. Marzano AV et al.: Evidence for a ‹window of opportunity› in hidradenitis suppurativa treated with adalimumab: a retrospective, real-life multicentre cohort study. Br J Dermatol. 2021;184(1):133-140. doi: 10.1111/bjd.18983. 9. Caposiena Caro RD et al.: Factors related to the onset and recurrence of flares in hidradenitis suppurativa patients treated with adalimumab. Ital J Dermatol Venerol. 2022;157(2):137-141. doi: 10.23736/S2784-8671.21.06966-8.
Angelika Ramm-Fischer
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