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Immuntherapie von Malignomen
Schleimhautpemphigoid als Nebenwirkung von Checkpoint-Inhibitoren
Immer häufiger werden Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) bei Krebserkrankungen eingesetzt – mit Erfolg. Doch was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Zu den bekannten könnte sich jetzt eine (noch) seltene dazugesellen: das Schleimhautpemphigoid. Und die schmerzhaften und vernarbenden Läsionen – vor allem an der Mundschleimhaut – machen den Patienten das Leben schwer.
Die Einführung von Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) in der Krebstherapie war revolutionär für die Behandlung von Krebserkrankungen. ICI haben die Überlebensrate von Krebspatienten erheblich verbessert und sind zu einer Erstlinientherapie für verschiedene Tumorarten geworden. Das Wirkprinzip der ICI besteht darin, den Tumor für die T-Zellen zu demaskieren und sie so in die Lage zu
Fakten zum Schleimhautpemphigoid
s Das Schleimhautpemphigoid (SHP) ist eine blasenbildende Autoimmundermatose, die prinzipiell an allen Schleimhäuten mit geschichtetem Plattenepithel auftreten kann. Betroffen sind vor allem die Mundschleimhaut sowie die Konjunktiven. Die Haut ist nur bei 20 bis 30 Prozent mitbetroffen.
s Mit ca. 1 bis 2 Neuerkrankungen auf 1 Millionen Einwohner pro Jahr ist das SHP eine seltene Erkrankung. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
s SHP wird durch Autoantikörper gegen Bestandteile der epithelialen Basalmembran ausgelöst. Ursächlich sind Antikörper, die sich gegen BP180, Laminin 332, BP230 und Kollagen VII richten.
s Klinisch zeigen sich meistens Enantheme mit fragilen Blasen (manchmal verschieblich = Nikolsky-Phänomen), die erodieren, ulzerieren und dann narbig abheilen. Abhängig vom Schweregrad und der Lokalisation kann es zu erheblichen Komplikationen kommen, wie Erblindung (okuläre Beteiligung) oder Zahnverlust.
s Ausser der klinischen Untersuchung umfasst die Diagnostik auch Serologie, Histologie und Immunfluoreszenz-Untersuchungen, wobei die Proben aus unauffälliger Schleimhaut entnommen werden sollten. Histopathologisch zeigt sich eine Abhebung der gesamten Epidermis. Die Dermis wird von eosinophilen Granulozyten, Lymphozyten und Plasmazellen infiltriert. Im späteren Verlauf kann die Aktivierung von Fibroblasten zur narbigen Schrumpfung der betroffenen Areale führen. Immunhistologisch finden sich Ablagerungen von IgG, IgA und Komplement in der Basalmembran.
s Die Therapie zielt im Prinzip auf eine Immunsuppression ab und hängt von den betroffenen Lokalisationen ab (1). In der Akutphase werden bei Läsionen Im Mund topisch und systemisch Kortikosteroide eingesetzt, gegebenenfalls kombiniert mit z. B. Dapson, Azathioprin, Mycophenolatmofetil oder Mycophenolat-Natrium. Diese Medikamente sollen einen Kortison-sparenden Effekt ausüben und entsprechende Nebenwirkungen verringern. In sehr schweren Fällen kann auch der Anti-CD20-Antikörper Rituximab zum Einsatz kommen.
Referenz: 1. Schmidt E et al.: European Guidelines (S3) on diagnosis and management of mucous membrane
pemphigoid, initiated by the European Academy of Dermatology and Venereology - Part II.J Eur Acad Dermatol Venereol. 2021;35(10):1926-1948.
versetzen, die Tumorzellen erkennen und bekämpfen zu können. Dabei blockieren die ICI Protein-Strukturen (Checkpoints = Kontrollpunkte des Immunsystems), die für die Regulierung des Immunsystems zuständig sind, vor allem für die Unterscheidung «fremd» (zu bekämpfen) und «eigen» (zu tolerieren). Mit dem ICI-Einsatz kann es allerdings zur Störung dieser Toleranz kommen: Diese Autoimmunreaktion kann praktisch jedes Organ betreffen, am häufigsten jedoch die Haut, den Magen-Darm-Trakt (Kolitis), die endokrinen Organe und die Lunge (Pneumonitis). Dass auch eine Autoimmunreaktion der Schleimhäute durch ICI bewirkt werden kann, berichtete Dr. Carole Zahn vom Inselspital Bern auf der Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) in Lausanne in ihrer Fallvorstellung: Eine 68-jährige Patientin mit metastasiertem Endometriumkarzinom klagte über schmerzhafte Ulzerationen im Mund und Schluckbeschwerden. Sie wurde seit zwei Jahren wegen Lebermetastasen mit dem PD-1(Programmed Cell Death Receptor1)-Blocker Pembrolizumab behandelt. Klinisch fanden sich gingival einige fibrinbelegte Läsionen und eine hämorrhagische Blase, die sich nach einer Behandlung mit zahnärztlichen Instrumenten gebildet hatte und als Nikolsky-Phänomen eingestuft wurde. Vor allem Letzteres machte die Verdachtsdiagnose Schleimhautpemphigoid (SHP, Mucous Membrane Pemphigoid = MMP) wahrscheinlich. Histologisch zeigten sich eine subepitheliale Spaltbildung sowie ein dichtes Entzündungsinfiltrat mit vielen Eosinophilen. Die ImmunserologieBefunde mit leicht erhöhten Werten für zirkulierende Antikörper gegen die Basalmembrankomponenten BP180 und BP230 sowie die direkte Immunfloreszenz mit IgG-Ablagerung an der Basalmembran bestätigten die Verdachtsdiagnose mittelschweres SHP. Therapeutisch erhielt die Patientin Doxycyclin und topische Kortikosteroide. Da die PembrolizumabTherapie abgesetzt werden konnte, weil die Patientin sich in kompletter Remission befand, war die Entzün-
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dung im Mund auch rückläufig, so dass keine weitere Therapie gegen das SHP erforderlich war. Dieser Umstand verstärkte die Annahme, dass es sich bei dem SHP um einen Nebeneffekt der Immuntherapie handelte. Zwar ist die Datenlage zu bullösem Pemphigoid als Nebenwirkung der ICI noch recht überschaubar, doch gibt es einige Fallberichte, die bullöse Pemphigoid-Eruptionen (BP) mit PD-1/PD-L1-Inhibitoren bei Krebspatienten in Verbindung bringen. Eine Auswertung dieser Fälle ergab, dass BP-Eruptionen mit einer Verzögerung von durchschnittlich 14 Wochen nach Behandlungsbeginn auftreten (1). Immerhin ist in 10 bis 30 Prozent dieser Fälle von BP die Mundschleimhaut betroffen. Bei Patienten mit Blasenbildung (nicht nur auf der Schleimhaut) und einer ICI-Therapie in der Anamnese (kann viele Monate zurückliegen!) sollte daher an ein SHP gedacht werden, so Zahn. Nicht zuletzt,
um durch eine frühzeitige Therapie Schmerzen und
schwere Auswirkungen wie Vernarbungen zu vermei-
den. Da bei zwei Dritteln der SHP-Patienten die Kon-
junktiven betroffen sind, kann hier die Vernarbung bis
zur Erblindung führen.
Um einem SHP-Verdacht auf den Grund zu gehen,
empfiehlt Zahn unbedingt eine Immunfluores-
zenz-Untersuchung aus unverändertem Gewebe.
Notwendig sei ausserdem die enge Zusammenarbeit
von Zahnärzten, Onkologen, Augenärzten und HNO-
Ärzten – und nicht zuletzt Dermatologen.
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie, 8. September 2023 in Lausanne.
Referenz: 1. Geisler AN et al.: Immune checkpoint inhibitor-related dermatologic adverse
events. J Am Acad Dermatol. 2020;83(5):1255-1268.
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