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KONGRESSBERICHT EAACI
Allergenspezifische Immuntherapie
Tauglich bei atopischer Dermatitis?
Die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) ist bei Erkrankungen, die durch Allergene provoziert werden und eine Verschiebung zum TH2-Pol aufweisen, gut wirksam, beispielsweise bei allergischer Rhinokonjunktivitis. Auch in der Haut von Patienten mit atopischem Ekzem ist eine TH2-Polarisierung nachweisbar. Die AIT bilde also theoretisch eine attraktive Behandlungsoption bei atopischer Dermatitis, sagte Prof. Thomas Werfel aus Hannover (D) am hybriden EAACI-Kongress 2023.
In der aktuellen europäischen Leitlinie (EuroGuiDerm) zum atopischen Ekzem sucht man die AIT im Behandlungs-Stufenplan vergeblich. Von 13 Experten sprachen sich 8 gegen die Aufnahme der AIT als Routineoption im Behandlungsplan aus. Einig waren sich die Experten aber darüber, dass die AIT bei ausgewählten Patienten in Betracht kommt, wenn relevante Sensibilisierungen gegen Aeroallergene vorhanden sind und die Allergenexposition klinische Exazerbationen ausgelöst hat. Und was ist mit der grossen Gruppe von Patienten mit atopischer Dermatitis, bei denen wegen zusätzlicher Rhinokonjunktivitis eine Indikation zur AIT besteht? Diese Patienten sollten nach Ansicht des Referenten eine AIT erhalten.
Viele Studien sprechen für die AIT
Bei der Pathogenese der atopischen Dermatitis spielen Hautbarrieredefekte, Störungen der Immunregulation und Triggerfaktoren wie Staphylococcus aureus, Irritanzien, psychogener Stress sowie Nahrungsmittel- und Aeroallergene eine Rolle. Ob inhalative Allergene wie Hausstaubmilben oder Graspollen als Triggerfaktoren für die atopische Dermatitis wirklich wichtig sind, wird immer noch kontrovers diskutiert. Wegen des Barrieredefekts und der Entzündung können Aeroallergene leichter durch die Haut penetrieren und bei sensibilisierten Patienten mit atopischem Ekzem die Hautveränderungen verschlimmern. Es sei anzunehmen, dass die in der Haut feststellbare Polarisierung zu TH2-Zellen mit ihren Zytokinen (z. B. IL-13, IL-4, IL-5, IL-31) beim atopischen Ekzem eine wichtige Rolle spiele, so der Referent. Sehr häufig sind bei Patienten mit atopischem Ekzem Sensibilisierungen gegen Hausstaubmilben und hohe Titer von spezifischem IgE zu finden. Entsprechend haben Studien zur AIT bei atopischer Dermatitis am häufigsten Hausstaubmilbenallergene verwendet. Die meisten Studien hätten positive Effekte der AIT gezeigt, so der Referent. Eine aktuelle Metaanalyse umfasste 23 bis Dezember 2021 erschienene, randomisierte, kontrollierte Studien aus 13 Ländern (1). An den Studien hatten sich 1957 Erwachsene und Kinder beteiligt, die meistens gegen Hausstaubmilben sensibilisiert waren. Die Metaanalyse bestätigte, dass sich eine AIT positiv auf die Hauterscheinungen und auf die Lebensqualität auswirkt. Die subkutane AIT (SCIT) und die sublinguale AIT (SLIT) mit Aeroallerge-
nen (vor allem Hausstaubmilbenextrakten) verringer-
ten die Ausprägung des atopischen Ekzems wesent-
lich und besserten die Lebensqualität erheblich. Für
SLIT-Studien ergab sich in der Metaanalyse ein positi-
ver Effekt auf die Schwere des atopischen Ekzems von
1,45 (Relatives Risiko), für SCIT-Studien von 1,74 (RR).
Die Berechnung des positiven Effekts auf die Lebens-
qualität ergab für SCIT (1 Studie) und SLIT (7 Studien)
zusammen 1,44 (RR). Im Vergleich zu Plazebo erhöhte
die SCIT die Nebenwirkungsrate stärker als die SLIT.
Eine neue, in der Metaanalyse berücksichtigte, ran-
domisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte SLIT-
Studie wurde in Brasilien mit Hausstaubmilbenextrakt
durchgeführt (2). In der Studie wurden 91 Erwachsene
und Kinder ab 3 Jahren mit atopischer Dermatitis
(SCORAD, Scoring Atopic Dermatitis Score ≥ 15) und
Sensibilisierung gegen Dermatophagoides pteronys-
sinus während 18 Monaten entweder mit SLIT in Trop-
fenform oder mit Plazebo behandelt. Von den 91 Pa-
tienten beendeten 66 die Studie planmässig (in der
aktiven Gruppe 14 Kinder unter 12 Jahren sowie 21
Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren, in der Pla-
zebogruppe 11 Kinder und 20 Jugendliche und Er-
wachsene). Zu Beginn betrug der durchschnittliche
SCORAD-Wert aller Patienten 46,9 (Streuung der Ein-
zelwerte zwischen 17 und 87). Nach 18 Monaten hat-
ten in der SLIT-Gruppe 74 Prozent und in der Plaze-
bogruppe 58 Prozent das primäre Studienziel erreicht
(Abnahme des SCORAD-Score um ≥ 15 Punkte). Al-
lerdings war dieses Resultat wegen des sehr grossen
Plazeboeffekts nicht signifikant. Das atopische Ekzem
war aber bei signifikant mehr Patienten der SLIT-
Gruppe nach 18 Monaten fast oder vollständig ab-
geheilt (IGA 0/1 bei 40% mit SLIT und bei 16% mit
Plazebo). Die SLIT war gut verträglich. Es kam zu kei-
nerlei schweren systemischen Reaktionen (2).
s
Alfred Lienhard
Quelle: Pro & Con Session 2 «Is specific immunotherapy useful in atopic dermatitis?» beim EAACI Hybrid Congress 2023 am 9. Juni 2023 in Hamburg und online.
Referenzen: 1. Yepes-Nuñez J et al.: Allergen immunotherapy for atopic dermatitis: Systematic re-
view and meta-analysis of benefits and harms. J Allergy Clin Immunol. 2023;151:147-158. 2. Langer S et al.: Efficacy of house dust mite sublingual immunotherapy in patients with atopic dermatitis: A randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Allergy Clin Immunol Pract. 2022;10:539-549.
SZD 5/2023
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