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Sensitive Skin Syndrome
Tipps zur Basispflege bei empfindlicher Haut
Das Sensitive Skin Syndrome («empfindliche Haut», kurz: SSS) ist ein häufiges Beschwerdebild, das jedoch in der dermatologischen Sprechstunde erfahrungsgemäss oft unterschätzt wird. Wichtige Interventionen sind die Vermeidung von TriggerFaktoren und eine konsequente Basispflege. Die Datenlage dazu konnte inzwischen deutlich ausgebaut werden.
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Umfrageergebnisse ergaben, dass bis zu 60 Prozent der Männer und bis zu 70 Prozent der Frauen mit Symptomen des Sensitive Skin Syndrome konfrontiert sind (1, 2). Dieser hohe Prozentsatz entspricht bislang nicht der Wahrnehmung in der klinischen Praxis. Da die Betroffenen jedoch unter erheblichen Einschränkungen ihrer Lebensqualität leiden, ist eine steigende Tendenz feststellbar. Eine Herausforderung in der klinischen Praxis besteht hier insbesondere darin, das SSS ggf. isoliert von anderen Hauterkrankungen zu betrachten, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen, wie z. B . Rosazea, atopische Dermatitis oder Psoriasis. Weiterhin sollte eine adäquate Patientenberatung und damit einhergehende Patientencompliance gewährleistet sein, um eine nachhaltige Linderung der Beschwerden für den Patienten zu erreichen.
Übersteigerte Reaktionen auf externe Reize
Menschen mit empfindlicher Haut reagieren sehr anfällig auf externe Reize. An der Pathophysiologie des SSS sind die Hautbarriere und das kutane Nervensystem beteiligt. Eine übersteigerte Reaktion auf Hitze, Kälte, Wind, UV-Strahlung oder reizende Externa (wie Seifen/Reinigungsmittel, Kosmetika, Duftstoffe) kann zu unangenehmen Spannungsgefühlen, Reizungen (etwa Stechen, Brennen, Schmerzen, Juckreiz und Kribbeln), Trockenheit und Rauheit auf der Haut führen. Lebensstil-Faktoren wie psychische Belastungen und Stress, ungünstige Ernährung oder hormonelle Veränderungen können ebenfalls zum dysfunktionalen Zustand der Hautbarriere beitragen. «Empfindliche Haut» und das SSS sind keine eigenständigen Krankheitsbilder, sondern waren lange Zeit eher eine unspezifische Beschreibung mit unklarer Definition. Die IFSI (Special Interest Group on Sensitive Skin des International Forum for the Study of Itch) hat diese im Jahr 2014 konkretisiert und mit dem Sensitive-Scale-10(SS-10)-Index ein diagnostisches Hilfsmittel entworfen (3).
Gemäss dieser Definition ist empfindliche Haut gekennzeichnet durch das Vorhandensein unangenehmer Empfindungen (u. a. Brennen, Stechen, Kribbeln, Juckreiz, Schmerzen) als Reaktion auf Stimuli, die normalerweise solche Empfindungen nicht auslösen sollten. Die Haut kann unauffällig erscheinen oder
«Besonders wichtig ist eine
medizinische Basispflege mit feuchtigkeitsspendenden,
»stärkenden und beruhigenden Wirkstoffen.
gerötet sein. Wichtig ist, dass die Beschwerden keiner anderen Hauterkrankung zugeordnet werden können (3). Der «Sensitive-Scale-10» fragt zehn Symptome ab wie Juckreiz, Brennen, Rötung/Flush und deren Ausprägungen (0–10) in den letzten 3 Tagen (vgl. Abbildung 1). Die Sensitivitätsskala definiert keinen klaren Cut-off-Wert. In der Literatur haben sich Werte um 30 bis 35 Punkte bewährt, die Menschen mit SSS gut erfassen, die eine Beratung zu ganzheitlichen Pflegekonzepten benötigen (3).
Die 5 Anzeichen empfindlicher Haut (4)
1. Eine gestörte bzw. geschwächte Hautbarriere geht mit einem erhöhten Wasserverlust einher und begünstigt die Penetration von Irritanzien und Allergenen.
2. Trockene Haut, infolge des erhöhten transepidermalen Wasserverlustes (TEWL).
3. Eine verdickte Epidermis (Stratum corneum) führt zur Rauigkeit der Haut.
4. Durch die neurosensorische Hyperaktivität der C-Fasern des kutanen Nervensystems nehmen Betroffene Irritationen verstärkt wahr.
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Patchtests, können in bestimmten Fällen durchgeführt werden, um allergische Reaktionen oder Hautirritationen auszuschliessen oder zu bestätigen. Die Behandlung des Sensitive Skin Syndrome erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der auf die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten abgestimmt ist. Zu den möglichen Interventionen zählt, Stimuli bzw. Trigger zu meiden bzw. einen bewussteren Umgang zu erlernen. Wenn Externa und Kosmetika als Auslöser/Trigger des SSS vermutet werden, sollten diese zunächst abgesetzt/pausiert werden. Hierzu zählen Seifen (SLS), (abrasive) Peelings, alkoholische Lösungen, Parfüm- und Farbstoffe sowie ätherische Öle und reizende Substanzen, wie z. B. Benzoylperoxid (BPO) und Vitamin-A-Säure-Derivate. Als geeignete Alternativen bei empfindlicher Haut haben sich seifenfreie Reinigungsmittel, feuchtigkeitsspendende Wirkstoffe (z. B. Glycerin, Ceramide, NMF, Urea) und hautberuhigende Substanzen (z. B. Niacinamid, Panthenol, Süssholzwurzelextrakt, Allantoin) und ein konsequenter UV-Schutz (mind. LSF 30) etabliert. Lockere Kleidung aus Naturmaterialien (Baumwolle, Leinen, Seide) trägt ebenfalls zum besseren Hautgefühl bei.
Abbildung 1: Übersetzte Version der Sensitivitätsskala (mod. nach [3])
5. Ein Spannungsgefühl und Reizungen auf der Haut entstehen durch kombinierte pathologische Effekte wie TEWL, verdickte Epidermis und nervale Hyperreaktivität.
Behandlungsempfehlungen
Die Diagnose basiert hauptsächlich auf der klinischen Anamnese und dem Ausschluss anderer dermatologischer Erkrankungen. Eine ausführliche Patientengeschichte sollte erfasst werden und auch zusätzliche diagnostische Tests, wie Hauttests oder
Verträgliche Basispflege essenziell
Neben diesen grundsätzlichen Empfehlungen ist besonders auf eine konsequente medizinische Basispflege mit feuchtigkeitsspendenden, stärkenden und hautberuhigenden Wirkstoffen zu achten. Folgende Wirkstoffe tragen nach bisheriger Datenlage zur Verbesserung der Beschwerden bei empfindlicher Haut bei: s Glycerin: Reduktion des TEWL, Regeneration der
Barriere, Erhöhung des Feuchtigkeitsgehalts in der oberen Hornschicht. s Niacinamid (Vitamin B3): Reduktion des TEWL, Regeneration der Hautbarriere, Stimulation der Bildung von Kollagen, Ceramiden und freien Fett-
18
20 18,0
15
10 -81,9%
5 3,3
0 Tag 0
Tag 28
Reinigungslotion (n = 39)
40 38,3
35
30
25
20 -63,0%
15 14,0
10
5
0 Tag 0
Tag 14
Feuchtigkeitscreme (n = 32)
Abbildung 2 (links) mod. nach (6) und Abbildung 3 (rechts) mod. nach (7): Veränderung im SS-10-Index nach 28-tägiger Anwendung von Reinigungslotion (n = 39) und 14-tägiger Anwendung von Feuchtigkeitscreme (n = 32)
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säuren, antientzündlich, antioxidativ. s Panthenol (Provitamin B5): Reduktion des TEWL,
Regeneration der Hautbarriere, Verbesserung der Wundheilung, antientzündlich. Formulierungen, die eine Kombination dieser drei Inhaltsstoffe enthalten, können die Barrierefunktion der Haut und die Hydratation klinischen Untersuchungen zufolge besonders effektiv stärken (5).
Evidenzbasierte Pflege führt zu wirksamer Symptomlinderung
Die Effekte des Glycerin-Niacinamid-PanthenolKomplexes wurden z. B. auf molekularer Ebene in vitro untersucht. Hier konnte gezeigt werden, dass relevante Mediatoren von Hauttrockenheit (wie Aquaporin-3 [AQP-3]), Juckreiz (wie TRPV3) und andere Entzündungsmarker wie IL13RA2, CCL27, Psoriasin, PGE-2, FLG und CDSN effektiv reduziert wurden (5). Weiterführende Studien bei Patienten mit empfindlicher Haut zeigen, dass die fünf belastenden Anzeichen sensitiver Haut signifikant reduziert werden können. Beispielsweise führte die Anwendung einer Reinigungslotion (n = 39) oder einer Feuchtigkeitscreme (n = 32) mit dem Glycerin-Niacinamid-Panthenol-Komplex zu signifikanter Reduktion der Trockenheit und Rauheit im Vergleich zu Baseline (p < 0,05, vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3) (6, 7).
Diese positiven Entwicklungen für die Reinigungslotion und Feuchtigkeitscreme bildeten sich entsprechend auch in der Sensitive Scale-10 ab. Alle dort erfassten Parameter verbesserten sich nach 28 Tagen täglicher Anwendung statistisch signifikant [6]. s
Korrespondenzadresse: Dr. med. Nora Hauptmann Fachärztin für Dermatologie Dermatologie Alstertal 22391 Hamburg
Erstmals erschienen in Dermaforum 2023;7/8:4. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags und der Autorin.
Referenzen: 1. Farage MA: The Prevalence of Sensitive Skin. Front Med (Lausanne). 2019;6:98. 2. Misery L et al.: Sensitive skin in Europe. J Eur Acad Dermatol Venereol.
2009;23(4):376-381. 3. Misery L et al.: A new ten-item questionnaire for assessing sensitive skin: the Sensi-
tive Scale-10. Acta Derm Venereol. 2014;94(6):635-639. 4. Giovanni P et al.: 31st EADV Congress 2022; Poster P0759. 5. Nussbaum D et al.: An in vitro evaluation of a niacinamide-panthenol-glycerin com-
plex on skin barrier function, hydration, and neuroinflammation.J Am Acad Dermatol. 2022;87(3), AB16, Abstract #34945. 6. Vaudour C et al.: Poster presented at the 31st EADV Congress 2022; P0433. 7. Galderma, Data on File.
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