Transkript
KONGRESSBERICHT
Mpox-Virusinfektionen
Wir sollten weiter wachsam bleiben
Das Jahr 2022 war in der Medizin geprägt von dem in vielen Ländern der Welt beobachteten Ausbruch von Infektionen mit dem Mpox-Virus. Auch wenn der Ausbruch derzeit unter Kontrolle zu sein scheint, sollten wir weiter wachsam bleiben.
SZD 3/2023
Mpox steht als Abkürzung für «monkeypox» – allerdings ist Name irreführend. Denn die Affen, die von dem zu den echten Pockenviren gehörenden Orthopoxvirus simiae befallen werden, sind ebenso wie Menschen Fehlwirte dieser Zoonose. Das Erregerreservoir der Mpox-Viren sind nach heutigem Wissen Nagetiere – und hier wohl vor allem in den afrikanischen Endemiegebieten verbreitete Arten (siehe Kasten). Die Infektionskrankheit ist bereits seit den 1970erJahren bekannt. Sie trat in erster Linie in West- und Zentralafrika auf. Gelegentlich kam es auch zu kleinen Ausbrüchen in anderen Regionen, die selbstlimitierend waren und von denen meist nur wenige Personen betroffen waren. Eine umfangreichere Infektionsserie trat einmal in den USA auf; diese wurde ursprünglich über aus Gambia importierte, mit Mpox-Viren infizierte Nagetiere ausgelöst (1). Die Übertragung auf den Menschen erfolgte immer wieder über den direkten Kontakt mit infizierten Tieren. Transmissionen von Mensch zu Mensch kommen nur bei einem engen Körperkontakt vor. Dies sei zum ersten Mal bei dem Ausbruch im Jahr 2022 in grösserem Ausmass der Fall gewesen, berichtete PD Dr. Severin Läuchli aus Zürich beim diesjährigen STI-Tag am Vortag des Swiss Derma Day 2023.
Unterschiede zu früheren Mpox-Ausbrüchen
In der Anfangsphase waren in Afrika oft Kinder und HIV-Positive von kleinen Epidemien betroffen; die Letalität war nach den Worten von Läuchli «beträchtlich», mit 6 Prozent bei einem Ausbruch in Nigeria und 10 bis 15 Prozent im Kongo. Die Epidemie von 2022 verlief anders: Ein erster Fall wurde in Grossbritannien diagnostiziert. Der betroffene Patient war zuvor in Nigeria und wurde als der Indexfall bezeichnet. Erst in der Folgezeit wurde registriert, dass etwa zeitgleich auch einzelne Erkrankungsfälle in Portugal und den USA aufgetreten waren, die keine sichere Verbindung untereinander hatten. Die Krankheit verbreitete sich in der Folge relativ schnell in Netzwerken von Männern, die Sex
mit Männern haben (MSM). Im Juli 2022 wurde der Ausbruch durch die WHO zu einem Gesundheitsproblem globalen Ausmasses («Public Health Emergency of International Concern») erklärt. Ab Ende Oktober kam die Ausbreitung wieder zu einem Stillstand, und in der Folge wurden nur noch einzelne lokale Ausbrüche verzeichnet. Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Ausbrüchen ist bei diesem grossen Ausbruch die betroffene Bevölkerungsgruppe: Nach einer Auswertung von 528 registrierten Mpox-Fällen von April bis Juni 2022 handelte es sich bei 98 Prozent der Betroffenen um MSM; 41 Prozent hatten eine HIV-Infektion, und 57 Prozent nahmen eine PrEP (Präexpositionsprophylaxe gegen die HIV-Infektion) ein (2). Die Beobachtung, dass überwiegend sexuell sehr aktive Personen betroffen sind, wirft die Frage auf, ob es sich bei der Mpox-Infektion um eine Geschlechtskrankheit handelt. «Das kommt auf die Definition an, was eine Geschlechtskrankheit ist», betonte Läuchli. Eine Krankheit, die nur durch sexuelle Kontakte übertragen werde, sei es nicht. Dennoch spielen Sexualkontakte beim aktuellen Ausbruch eine zentrale Rolle. Das Virus wurde übrigens in der Samenflüssigkeit nachgewiesen; allerdings ist die Bedeutung dieses Befundes für die Übertragbarkeit, die in erster Linie über Hautkontakte mit Infizierten stattfindet, unklar. Die Läsionen sind sehr häufig in genitalen, analen und perianalen Körperarealen zu finden. Bei einem grossen Teil der Betroffenen finden sich andere Geschlechtskrankheiten sowie Kontakte mit vielen Sexualpartnern in der Anamnese. Nachdem ursprünglich die Bezeichnung «Affenpocken» verwendet worden war, fand im November 2022 eine Umbenennung statt: So soll heute, wie die WHO fordert, offiziell von «Mpox» gesprochen werden. Dies sei sinnvoll, weil es schwierig sei, diese sexuell übertragene Krankheit in industrialisierten Teilen der Welt, wie Europa und Amerika, mit Affen in Verbindung zu bringen, betonte Läuchli: «Der Begriff Mpox macht wahrscheinlich schlussendlich Sinn.»
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KONGRESSBERICHT
Kasten:
Mpox-Virus: Affen und Menschen sind nur Fehlwirte
Das Mpox-Virus (Orthopoxvirus simiae) gehört zu den echten Pockenviren. Es ist somit ein grosses DNS-Virus, das mit dem Erreger der Menschenpocken (Orthopoxvirus variola) sowie mit dem der Kuhpocken (Orthopoxvirus bovis) verwandt ist. Wie auch beim Kuhpocken-Virus, bei dem das Reservoir bei den Nagetieren zu suchen ist, ist auch beim «Affenpocken-Virus» der Name im Grunde irreführend. Denn die Affen sind ebenso wie der Mensch Fehlwirte. Da das Mpox-Virus erstmals 1958 bei Laboraffen nachgewiesen und beschrieben wurde, hatte sich der Name «Affenpocken-Virus» festgesetzt. in den afrikanischen Endemiegebieten bilden allerdings verschiedene Nagetiere, wie Hörnchen, Ratten, Bilche und Spitzmäuse, das eigentliche Reservoir. «Das Problem ist, dass man nicht weiss, welche Tiere es genau sind», berichtete der Veterinärmediziner Prof. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald, in einem Podcast. Als «Topkandidaten» gelten die Rotschenkelhörnchen. Es könnte allerdings auch sein, dass es mehrere Tierreservoirs gibt. Bei Einschleppungen in andere Länder spielten häufig die Übertragungen von afrikanischen Nagetieren auf andere Nagetierpopulationen eine entscheidende Rolle. Das war auch bei den Ausbrüchen bei Präriehunden, die in der Folge auch über zoonotische Übertragungen zu humanen Ausbrüchen führten, im Jahr 2003 in den USA der Fall. Damals wurden knapp 800 Gambia-Riesenhamsterratten zusammen mit Präriehunden, die in den USA als Haustiere beliebt sind, gehalten. Die ebenfalls zu den Nagetieren zählenden Präriehunde hatten sich als hochgradig empfänglich für diese Infektion erwiesen. Etwa 40 Menschen hatten sich wiederum bei den teilweise schwer und letal erkrankten Präriehunden angesteckt. Durch drastische Massnahmen, u. a. auch das Verbot eines Handels mit Präriehunden, konnte dieser Ausbruch relativ schnell eingedämmt werden. Während bei den Reservoir-Tieren aufgrund des häufigen Lungenbefalls auch Tröpfcheninfektionen eine wichtige Rolle spielen, ist es bei den Fehlwirten – so auch beim Menschen – in erster Linie der direkte Haut- oder Schleimhautkontakt. An der Haut kann das Virus durch kleinste Verletzungen eindringen. «Was jetzt zu verhindern ist, ist der direkte Übertrag auf Tiere», betonte Beer. Besondere Priorität haben hier grundsätzlich Nagetiere. Dagegen ist bei Haustieren wie Hund und Katze ebenso wie bei Nutztieren wie Rind und Schwein von einer geringeren Empfänglichkeit auszugehen. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte jemand, der mit dem Mpox-Virus infiziert ist, den Kontakt zu Tieren generell meiden, empfahl Beer. Besonders gefährlich sei es bei Personen, die Kontakt zu mehreren Tieren haben, wie bei Züchtern oder kommerziellen Händlern. Da die abfallenden Krusten viele Viren enthalten, sind auch Hygienemassnahmen zur Vermeidung des Kontakts mit diesen Krusten wichtig. Den Eintrag der Affenpocken-Viren in ein heimisches Tierreservoir hält Beer für eher unwahrscheinlich – auch deshalb, weil potenzielle Nagetier-Reservoire (z. B. Wühlmäuse) bereits von Kuhpocken-Viren besetzt sind und aufgrund einer Kreuzneutralisation nicht von Mpox-Viren infiziert werden können.
Quelle: Podcast Affenpocken der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf
Die Gambia-Riesenhamsterratte (Cricetomys gambianus) gilt als mögliches Tierreservoir der Mpox-Viren
Variables klinisches Bild
Das klinische Bild ist sehr variabel. Beim Menschen beginnt die Krankheit mit einer Prodromalphase, in der die Patienten vor allem über Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Lymphadenopathie klagen. Danach folgt die eruptive Phase, in der sich die Hautläsionen entwickeln, die Phasen Makula, Papula, Vesicula, Pustula durchlaufen und schliesslich verschorfen. Das Auftreten ist nicht zeitgleich, sondern zeitlich versetzt und zentrifugal. Diese Phase dauert 14 bis 28 Tage. Die Lokalisation der Effloreszenzen hängt mit der Inokulationsstelle zusammen. Deshalb weist ein sehr grosser Teil der Betroffenen genitale Läsionen auf – nach einer prospektiven Beobachtungsstudie von 181 Patienten war diese Lokalisation bei 55 Prozent der Patienten von Pockenbläschen befallen (3). Mit 36 Prozent war auch der Perianalbereich häufig betroffen. Orale Läsionen traten bei 28 Prozent und periorale Läsionen bei 28 Prozent auf. 60 Prozent hatten Läsionen an Händen und Füssen, 57 Prozent am Stamm und an den Extremitäten (3). In dieser Arbeit wurden zudem weitere Risikofaktoren untersucht – hier fiel der mit 40 Prozent hohe Anteil an HIV-positiven Patienten auf, 17 Prozent wiesen gleichzeitig andere Geschlechtskrankheiten, wie Gonorrhoe und Chlamydien-Infektionen, auf (3). Bei 55 Prozent wurde in den letzten 12 Monaten eine andere Geschlechtskrankheit diagnostiziert, 59 Prozent nutzten Dating-Apps für neue Sexualkontakte. Im Durchschnitt gaben die Patienten 6,5 verschiedene Sexualpartner in den letzten 3 Monaten vor der Diagnose an (3). Diese Beobachtungen waren auch in anderen Studien sehr ähnlich – so beispielsweise in einer Fallserie aus London (4). Darin fiel besonders auf, dass von den insgesamt 197 Patienten 22 Betroffene nur eine einzelne Läsion hatten. Auf der anderen Seite wiesen 8 Patienten über 100 Läsionen auf. Die Mehrheit (n = 102) hatte 2 bis 10 Läsionen. Im Vergleich zu früheren Erfahrungen, wie sie in den afrikanischen Publikationen berichtet wurden, erweisen sich die Verläufe des aktuellen Ausbruchs als deutlich limitierter. Ein weiterer interessanter Befund dieser Serie waren die häufig berichteten starken Schmerzen, die vor allem bei rektalem Befall angegeben wurden (4). Bei 86 Prozent der Patienten traten auch systemische Krankheitszeichen, vor allem Fieber, Lymphadenopathie und Myalgie, auf. Bei 62 Prozent wurden die systemischen Symptome bereits vor den Hautsymptomen registriert (4). Wenige Patienten (4 %) entwickelten zudem ein generalisiertes Exanthem (3).
Symptomatische Therapie reicht meistens aus
In der Regel genügt eine symptomatische Therapie. Die Lokaltherapie kann austrocknend und desinfizierend erfolgen, um Superinfektionen zu vermeiden. Auch eine begleitende Schmerztherapie kann indi-
Foto: Victuallers/wikimedia commons
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Foto: Andrea Männel, Andrea Schnartendorff/RKI
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ziert sein. Wenn auch vereinzelt antivirale Medikamente eingesetzt wurden, so existieren keine belastbaren Daten bezüglich deren Wirksamkeit. Die Zeit bis zur Austrocknung der Läsionen beträgt etwa 10 Tage.
Erfolgreiche Prävention mit Aufklärung und Impfung
Die Ausbreitung von Mpox konnte auch mithilfe der Aufklärung in der betroffenen Community gebremst werden. «Grindr», die am weitesten verbreitete Dating-App für MSM, hat schnell reagiert: Beim Öffnen der App wurden Warnbildschirme eingeblendet, die auf die neue Infektionsgefahr aufmerksam gemacht haben. Dies zeigte offenbar Wirkung, so die Einschätzung von Läuchli. Schon bald konnte auch eine Impfung angeboten werden, die zumindest in der Europäischen Union schnell erhältlich war. Die älteren Jahrgänge, die noch eine Pockenimpfung erhalten hatten, wiesen bereits einen partiellen Schutz auf. Die ungeschützten jüngeren Personen aus den Risikogruppen konnten in der Schweiz erst ab November 2022 die Impfung mit Jynneos® erhalten, wobei die Impfung ausserhalb der Zulassung und nur in bestimmten Zentren angeboten wird. Zu den Kontraindikationen der Impfung zählen vor allem kardiale Risikofaktoren; eine Verschlimmerung einer atopischen Dermatitis wurde ebenfalls berichtet. Während Ungeimpfte für einen ausreichenden Impfschutz 2 Dosen dieser Vakzine im Abstand von 4 bis 6 Wochen erhalten sollen, wird bei denjenigen, die bereits vor vielen Jahren eine Pockenimpfung erhalten hatten, nur noch eine Auffrischimpfung empfohlen. Generell sollen nur die Personen aus den Risikogruppen, Kontaktpersonen von Erkrankten sowie beruflich exponiertes Personal geimpft werden. Für alle weiteren Bevölkerungsgruppen ist derzeit keine Impfempfehlung vorgesehen.
Alles vorbei? Mpox sollten nicht in Vergessenheit geraten
Bereits im Herbst 2022 hatten die Neuinfektionen deutlich abgenommen. Neue Fälle treten nur noch
Elektronenmikroskopisches Bild von Mpox-Viren, koloriert
sporadisch auf – im Jahr 2023 wurden bis Ende Mai
vom BAG gerade einmal 3 Fälle erfasst. «Trotzdem,
denke ich, ist es sehr wichtig, dass wir alle diese
Krankheit kennen. Denn wir wissen nicht, ob das
letzte Wort hier schon gesprochen ist», betonte
Läuchli Anfang des Jahres am STI-Tag in Luzern.
Derzeit läuft die nächste Pride-Saison, und es bleibt
abzuwarten, ob die MSM-Community von weiteren
Ausbrüchen verschont bleiben wird. Daher erscheint
es durchaus sinnvoll, auch weiterhin Personen aus
den Risikogruppen zu motivieren, sich impfen zu las-
sen.
s
Adela Žatecky
Referenzen: 1. CDC: Update: Multistate Outbreak of Monkeypox – Illinois, Indiana, Kansas, Mis-
souri, Ohio, and Wisconsin, 2003. Online unter https://www.cdc.gov/mmwr/preview/mmwrhtml/mm5227a5.htm 2. Thornhill JP et al.: Monkeypox Virus Infection in Humans across 16 Countries - AprilJune 2022. N Engl J Med. 2022;387(8):679-691. 3. Tarín-Vicente EJ et al.: Clinical presentation and virological assessment of confirmed human monkeypox virus cases in Spain: a prospective observational cohort study. Lancet. 2022;400(10353):661-669. 4. Patel A et al.: Clinical features and novel presentations of human monkeypox in a central London centre during the 2022 outbreak: descriptive case series. BMJ. 2022;378:e072410.
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