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KONGRESSBERICHT
SWISS DERMA DAY
Prophylaxe des Plattenepithelkarzinoms
Aktinische Keratosen – wann und wie behandeln?
«Wehret den Anfängen!» – das gilt auch für das kutane Plattenepithelkarzinom (PEK). Zwar entsteht nicht aus jeder aktinischen Keratose (AK) ein PEK, doch sollte hier möglichst früh die Beseitigung dieser obligaten Präkanzerosen in Angriff genommen werden – nicht zuletzt, um den Patienten destruierende Läsionen im Gesicht zu ersparen. Hier steht mittlerweile ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten zur Verfügung – und es kommen noch neue hinzu.
Immer häufiger wird in Publikumsmedien vor hellem Hautkrebs gewarnt. Entsprechend suchen hier Patienten in den Hautarztpraxen Rat. Grund genug für Prof. Robert Hunger, Leiter des Hauttumorzentrums am Inselspital in Bern, auf dem diesjährigen Swiss Derma Day einen Überblick über Risiko und Prophylaxe von kutanen Plattenepithelkarzinomen (PEK) zu geben.
PEK-Prävalenz: 30 pro 100 000 Einwohner
Das PEK (Synonyme: Spinaliom, spinozelluläres Karzinom, cSCC = cutaneus squamose cell carcinoma) ist neben dem Basalzellkarzinom der häufigste nicht-melanozytäre Hautkrebs und kann, wenn auch selten, metastasieren. Die Inzidenz des PEK betrage der Schweiz etwa 30 Fälle pro 100 000 Einwohner, so Hunger. Die Lebenserwartung wird vom PEK allerdings nur gering eingeschränkt, was hauptsächlich daran liegt, dass sich diese Tumorentität erst im höheren Lebensalter manifestiert. Allerdings können Spinaliome die Lebensqualität deutlich einschränken, denn der Tumor wächst destruierend mit je nach Lokalisation funktionellen Einschränkungen (z. B. Beeinträchtigung des Lidschlusses) – und das hauptsächlich an den sonnenexponierten Hautarealen. Kurz gesagt: Mit einem sichtbaren Geschwür im Gesicht wird das Leben für die Betroffenen zur Qual.
Diagnostik mit Dermatoskopie
Bei der Diagnostik des PEK sind diese Prädilektionsstellen allerdings ein Vorteil: Selbst der Laie sieht, dass sich an den stark der Sonne ausgesetzten Arealen Veränderungen zeigen: z. B. bräunliche oder rötliche Flecken und/oder Schuppung. Der Hautarzt kann so meist schon prima vista – oder noch besser mit der Dermatoskopie – klinisch feststellen, ob es sich um harmlose Altersflecke, seborrhoische Warzen oder um AK handelt. Mittels der Dermatoskopie lassen sich die AK nach Schweregraden einordnen. So
ist z. B. bei Grad I das «Erdbeermuster» mit weissen Punkten auf unstrukturiertem, rotem Untergrund typisch.
PEK kann sich auch direkt aus AK I entwickeln
Diese Einteilung nach Olsen reicht von Grad I bis Grad III, wobei eine entzündete Grad-III-AK oft auch als Morbus Bowen bezeichnet werde, so Hunger. Die Klassifizierung hatte zum Ziel, darauf hinzuweisen, dass alle Formen der AK schon von Beginn an In-situ-Karzinome in unterschiedlichen Phasen der Progression sind, die dann in ein PEK münden können. Neue Studien belegen, dass sich ein invasives PEK auch schon direkt aus einer AK I entwickeln kann.
AK-Prävalenz steigt mit dem Alter
Zur Häufigkeit von AK gibt es aufgrund der Dunkelziffer nur wenig verlässliche Daten. Hunger zitierte eine Studie aus Österreich, die die generelle Prävalenz mit etwa 30 Prozent angibt. Die Häufigkeit steigt allerdings mit dem Alter exponentiell. So finden sich AK in der Altersgruppe der über 70-jährigen Männern bei mehr als 60 Prozent – Tendenz steigend. Ursache dafür ist unter anderem der demografische Wandel mit einer immer älter werdenden Bevölkerung. Denn längere Lebenszeit bedeutet auch längere kumulative Sonnenexposition – die ist wiederum der Hauptrisikofaktor der AK und somit auch des PEK. Das wird besonders deutlich durch die hohe Prävalenz von AK und PEK bei Outdoor-Arbeitern – wie Gärtnern, Landwirten oder Bergführern. Wie Hunger berichtete, fänden sich beispielsweise bei nahezu allen Bergführen über 60 Jahren AK.
Nur jeder 5. AK-Patient bekommt ein PEK
70 Prozent aller invasiven PEK entwickeln sich auf dem Boden einer AK. Doch auch wenn AK als Carcinoma in situ aufgefasst werden, wird nicht aus jeder AK ein PEK. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen
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entwickeln nur 6 bis 16 Prozent der AK-Patienten ein invasives PEK. Das kumulative Risiko für ein PEK beträgt 25 Jahre nach der Erstdiagnose des AK bei Männern 25 Prozent und bei Frauen 17 Prozent (1). Anders ausgedrückt: Das Risiko für ein invasives Karzinom beträgt 0,5 Prozent pro AK und Jahr. Das sei kein sehr grosses, aber dennoch ein existentes Risiko, betonte Hunger. Die Hauptursache für AK ist die UV-Strahlung, die eine Mutation des Tumorsuppressorgens p53 induziert. p53 spielt eine entscheidende Rolle in der Regulation des Zellzyklus und induziert die Apoptose mutierter Zellen. UV-B-Strahlung führt zu einer charakteristischen, «UV-typischen» Transition von Cytidin zu Thymidin im Tumorsuppressorgen p53, was zu einem Funktionsausfall des Genprodukts p53 führt. Als Folge kommt es zu einer unkontrollierten Proliferation entarteter Zellen mit nachfolgendem Auftreten von AK. UV-Strahlung führt vermutlich auch zu einer aktivierenden Mutation im Kodon 12 des Ras-Onkogens H-Ras und nimmt so Einfluss auf die Regulation der Zellproliferation. Diese Mutation führt zu einer permanenten Aktivierung des Signalwegs und somit zu einer gesteigerten Zellproliferation (2).
A und O der Prävention: Sonnenschutz!
Daher gilt es, die Menschen vor den Risikofaktor UVLicht zu schützen. Sonnenschutz ist sowohl chemisch mit Sonnencremes als auch physikalisch mit Bekleidung und Beschattungen am Arbeitsplatz möglich. Letztere schützt nicht nur vor UV-A und UV-B (dem risikoreichsten Spektralbereich des Sonnenlichts), sondern auch vor dem hochenergetischen Blaulicht (HEV). Laut Hunger werden etwa 50 Prozent der freien Radikale in der Haut durch sichtbares Licht erzeugt, durch HEV sind es etwa 25 Prozent.
Hier steht eine grosse Palette an Optionen zur Verfügung. Bei einzelnen Läsionen hat sich die Kryotherapie mit flüssigem Stickstoff bewährt – mit Abheilungsraten von 75 bis 98 Prozent und einer Rezidivquote von 1,2 bis 12 Prozent. Allerdings besteht hier das Risiko einer Vernarbung oder Hypopigmentation. Für einen Bereich mit vielen AK und weiteren Läsionen, wie sie sich beispielsweise bei Männern am unbehaarten Kopf finden, ist die Kryotherapie kaum praktikabel. Für diese Feldkanzerisierung steht eine Reihe von Flächen-Behandlungsoptionen zur Verfügung: s photodynamische Therapie (PDT) mit Aminolävu-
linsäure (Metvix®, Ameluz®, Alacare®-Pflaster) s Imiquimod (Aldara®, Zyclara®) s 5-Fluorouracil (Effidix®, Actikerall®) s Diclofenac (Solaraze®) s Tirbanibulin (Klisyri®). Des Weiteren kommen auch in Frage: s Laserablation, Dermabrasio, Kürettage s Peelings s Retinoide (topisch und systemisch) s Radiotherapie. Eine chirurgische Exzision ist meist nicht indiziert. Doch welches der topisch anwendbaren Produkte sollte wann angewendet werden? Keine der Methoden ist ideal, den sie erfordern von Seiten der Patienten oft eine hohe Therapieadhärenz oder sind schmerzhaft. Zudem ist auch die Effektivität sehr unterschiedlich. Des Weiteren ist auch die Nachhaltigkeit der Massnahmen bei der Therapiewahl von Bedeutung, die darüber entscheidet, wie oft die Prozedur wiederholt werden muss. Jede Behandlung kann nur bereits existente AK beseitigen. Durch die lebenslange Sonnenexposition entwickeln sich nach und nach immer wieder neue AK.
Hohes PEK-Risiko für Organtransplantierte
Besonders guten und konsequenten Lichtschutz müssen Pateinten nach einer Organtransplantation betreiben. Ihr Risiko für AK, Basaliome oder PEK steigt durch die lebenslang erforderliche Immunsuppression. Wie Hunger berichtet, beträgt das Risiko, einen nicht-melanozytären Hauttumor zu entwickeln, 5 Jahre nach der Transplantation in Europa 20 Prozent. Und das steigert sich: 20 Jahre nach dem Eingriff beläuft sich das Risiko für hellen Hautkrebs auf 40 bis 50 Prozent. Organtransplantierte sterben auch sehr häufig an ihren Hauttumoren – auf diese Ursache entfallen 5 bis 27 Prozent aller Todesfälle nach Organtransplantation.
Grosse Palette topischer Therapieoptionen
Leider lassen sich auch mit noch so gutem Sonnenschutz – und wer betreibt das schon wirklich konsequent – AK und Hautkrebs nicht gänzlich vermeiden. Was also tun, um die Präkanzerosen zu beseitigen?
AK-Topika im Vergleich
In einer Vergleichsstudie schnitt 5%ige 5-Flurorouracil-Creme (5-FU) in Sachen Effektivität am besten ab: nach 3 Monaten heilten darunter die meisten Läsionen ab, und auch nach 12 Monaten war die Anzahl der AK im behandelten Areal geringer als bei den Vergleichstherapien Imiquimod und PDT mit MethylAminolevulinsäure (MAL) (3). Nach 3 Monaten Behandlung waren 90 Prozent der AK verschwunden. Nach 12 Monaten waren immer noch über 80 Prozent der Läsionen weg. Im Vergleich dazu war die 5-prozentige Creme mit Imiquimod mit einer Clearance von 75 Prozent am zweiteffektivsten (nach einem Jahr 70%.) Auch die PDT mit Methyl-Aminolevulinsäure (MAL) war mit einer Clearancerate von 75 Prozent (50%) erfolgreich.
Vorteil für Tageslicht-PDT
Doch die Studien bilden bekanntlich nicht den Praxisalltag ab und die Clearanceraten sind nicht die
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einzigen Kriterien der Therapiewahl. Zwar wirken 5-FU und Imiquimod effektiv, verlangen aber von den Patienten einen hohen Grad an Compliance, da diese Externa in der Regel über 3 Monate konsequent auf die betroffenen Stellen aufgetragen werden müssen. Praktikabler ist da die PDT, die meist nur eine Sitzung pro Behandlungszyklus erfordert. Der Photosensiblisator MAL wird nach Kürettage auf das AK-Feld aufgetragen, nach 2 bis 3 Stunden wird der Bereich mit Rotlicht bestrahlt. Die einsetzende Entzündung beseitigt dann nach und nach die AK. Nachteil: Es erfordert in der Praxis einen hohen personellen Aufwand. Und es schmerzt sehr! Die Weiterentwicklung, die PDT mit Tageslicht (Daylight PDT = D-PDT), ist deutlich schmerzärmer: Die Patienten geben auf der visuellen Analog-Skala zum Schmerz, die von 0 bis 10 reicht, im Durchschnitt einen Wert von 0,8 bei D-PDT an und bei der herkömmlichen Vorgehensweise der PDT von 5,7. Daher hat sich die deutlich schmerzärmere Tageslicht-PDT in den letzten Jahren durchgesetzt. Auch hier wird ein Photosensibilisator, nämlich Aminolevulinsäure (ALA), aufgetragen; anschliessend werden die Patienten ins Freie geschickt. Problem in unseren Breiten: Im Winter oder bei sehr bewölktem Himmel reicht das Tageslicht nicht aus. Doch auch hier hilft moderne Technik: LED-Lampen mit mindestens 3500 Lux, die auch Hunger in seiner Klinik einsetzt, können das Tageslicht ersetzen.
Neuster Akzent auf der Therapie-Palette: Tirbanibulin
Mit Tirbanibulin steht seit Juni 2022 in der Schweiz eine weitere Therapieoption für die Behandlung von aktinischen Keratosen zur Verfügung. Die Substanz in einer Salbengrundlage wirkt antiproliferativ und hat im Vergleich zu den bereits etablierten Topika eine kurze Behandlungsdauer von nur 5 Tagen. Die Substanz verursacht kaum kosmetisch störende Nebenwirkungen, wie massive Rötung oder Verfärbungen.
Tirbanibulin ist der erste Wirkstoff einer neuen Substanzklasse: der Mikrotubuli-Inhibitoren. Es bindet selektiv α- und β-Tubulin und hemmt die Tubulin-Polymerisation, was den Zellzyklus unterbricht und zum Zelltod (Apoptose) führt. Zudem hemmt es den Src-Tyrosinkinase-Signalweg und wirkt antiproliferativ. In den Zulassungsstudien konnte 57 Tage nach der Tirbanibulin-Behandlung eine mittlere Reduktion der AK-Läsionen um 83 Prozent in der Verumgruppe festgestellt werden, in der Kontrollgruppe waren es nur 25 Prozent (4).
Behandlung bewahrt vor Operation
Was bringen die ganzen Massnahmen den Patien-
ten? Hierzu berichtete Hunger von einer US-Studie,
die untersuchte, inwieweit ältere Männer mit AK
(US-Veteranen) von der Chemoprävention mit Fluo-
rouracil (5%-ige Creme) profitierten. Das Ergebnis:
ein 2- bis 4-wöchiger Behandlungszyklus mit 5- pro-
zentiger 5-FU-Creme, die zweimal täglich im Gesicht
und an den Ohren aufgetragen wurde, verringerte
das Risiko, im nächsten Jahr an einem PEK operiert
werden zu müssen, um 75 Prozent. Erst nach vier Jah-
ren war das Risiko für diese Einmal-Behandelten das
gleiche wie für Nicht-Behandelte (5).
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Swiss Derma Day am 12. Januar 2023 in Luzern.
Referenzen: 1. Tokez S et al.: Incidence of Multiple vs First Cutaneous Squamous Cell Carcinoma on
a Nationwide Scale and Estimation of Future Incidences of Cutaneous Squamous Cell Carcinoma. JAMA Dermatol. 2020 ;156(12):1300-1306. doi: 10.1001/jamadermatol.2020.3677. 2. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut, Langversion 2.0, 2022, AWMF-Registernummer: 032/022OL https://www.leitlinienprogrammonkologie.de/leitlinien/aktinische-keratosen-und-plattenepithelkarzinom-der-haut/ 3. Jansen MHE et al., Randomized Trial of Four Treatment Approaches for Actinic Keratosis,N Engl J Med 2019; 380:935-946, DOI: 10.1056/NEJMoa1811850 4. Blauvelt A et al. Phase 3 Trials of Tirbanibulin Ointment for Actinic Keratosis, N Engl J Med 2021; 384:512-520, DOI: 10.1056/NEJMoa2024040 5. Weinstock MA et al. Chemoprevention of Basal and Squamous Cell Carcinoma With a Single Course of Fluorouracil, 5%, Cream: A Randomized Clinical Trial. JAMA Dermatol. 2018;154(2):167–174. doi:10.1001/jamadermatol.2017.3631
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