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KONGRESSBERICHT
SGDV 2022
Fortschritte bei der Behandlung des malignen Melanoms
Frühe Immuntherapie zeigt überraschende Vorteile
Die Anwendung von neoadjuvanten Immuntherapien bei fortgeschrittenen Melanomen zeigt in verschiedenen Studien einen klaren Vorteil im Gesamtüberleben der Patienten – eine Erkenntnis, die die Melanombehandlung verändern wird. «Es geht darum, die Behandlungen zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen», sagte Prof. Reinhard Dummer vom Universitätsspital Zürich bei seinem Vortrag am Jahrestreffen der Schweizer Dermatologen (SGDV) in Bern.
Dank der Immuntherapien ist es seit einigen Jahren möglich, sogar Patienten mit fortgeschrittenen Melanomen zu heilen. Dabei scheint der richtige Zeitpunkt der Behandlungen eine überraschend wichtige Rolle zu spielen. Tatsächlich sind solche Medikamente in immer früheren Krankheitsstadien im Einsatz. Mittlerweile werden auch Patienten ohne Metastasen, aber mit Hochrisiko-Primärtumoren behandelt. «Wir sehen, dass die Immunbehandlungen auch in dieser Situation einen sehr soliden Vorteil bringen», berichtete Dummer am SGDV.
Melanom: adjuvant vs. neoadjuvant
Bei Immuntherapien wird das Immunsystem aktiviert, um die Tumorzellen zu bekämpfen. Wird der Tumor chirurgisch entfernt, verändert sich auch das Verhält-
«Wir sehen allein durch die Verschiebung »des Operationszeitpunkts
einen dramatischen Effekt.
nis zwischen Tumorzellen und Immunzellen. Es kommt zu einer geringeren Aktivierung von T-Zellen durch das Immunsystem. Daher stellt sich die Frage, ob die Verabreichung der Immuntherapie vor der Operation einen Vorteil bringen könnte. Bei einer solchen neoadjuvanten Therapie werden vor der Operation bestimmte immunstimulierende Substanzen in den Tumor injiziert (1). Dieses Verfahren wurde in einer internationalen Phase-II-Studie unter der Leitung von Dummer durchgeführt. Dabei wollte man den Behandlungseffekt von immunstimulierendem Herpes-simplex-Virus (T-VEC) auf das rezidivfreie Überleben (RFS) von Patienten mit fortgeschrittenem, resektablem Melanom abschätzen (2). Die Pa-
tienten mit fortgeschrittenem Melanom erhielten neoadjuvant entweder sechs Injektionen T-VEC in Hautmetastasen und nachfolgend eine Operation (n = 75) oder – im konventionellen Arm – nur eine Operation ohne Immuntherapie (n = 75). Dabei zeigten die mit der Immunstimulation vorbehandelten Patienten nach zwei Jahren eine Reduktion des Krankheitsrückfalls um rund 25 Prozent (RFS 29,5% vs. 16,5%, HR = 0,75). Zudem war unter dem Einfluss der neoadjuvanten Immuntherapie gegenüber dem Vergleichsarm die relative Sterblichkeit nach zwei Jahren um 51 Prozent geringer (OS 88,9% vs. 77,4%, HR = 0,49) (2). Eine direkte Gegenüberstellung von neoadjuvanter und adjuvanter Immuntherapie wurde erstmalig am ESMO-Kongress 2022 in Paris vorgestellt (3). Für die Studie wurden 313 Melanompatienten (Stadium IIIB-IV) randomisiert in 2 Studienarme eingeteilt. Im Kontrollarm wurden sie zuerst operiert und anschliessend mit 18 Zyklen des Immun-Checkpoint-Inhibitors Pembrolizumab (200 mg i.v.) behandelt. Im neoadjuvanten Arm wurden drei Zyklen des Antikörpers verabreicht, gefolgt von der Operation und anschliessend Gabe der weiteren 15 Zyklen Pembrolizumab. Dieses einfache Studiendesign erbrachte frappierende Ergebnisse, so Dummer: «Wir sehen allein durch die Verschiebung des Operationszeitpunkts einen dramatischen Effekt.» Tatsächlich zeigten nach 2 Jahren im neoadjuvanten Studienarm 72 Prozent ein ereignisfreies Überleben, während dies in der adjuvanten Gruppe nur bei 49 Prozent der Fall war (HR: 0,58; p = 0,004). Ähnliche, allerdings noch nicht signifikante Ergebnisse (p = 0,091) offenbarten sich beim Gesamtüberleben: Unter neoadjuvanter Behandlung waren 14 Personen verstorben, unter adjuvanter hingegen 22 (HR: 0,63). Mit anderen Worten: Die Verabreichung eines Teils der Immuntherapie vor der Operation hat die Überlebenschancen beinahe verdoppelt (3). «Das wird
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unser Vorgehen in der Behandlung von MelanomPatienten stark verändern. Hier müssen wir neu überlegen, wann und wie wir unsere Patienten operieren», erklärte der Zürcher Dermato-Onkologe.
Epitheliale Tumoren: Ansprechen bei 63 Prozent der Patienten
Einen sehr ähnlichen Ansatz verfolgte eine – allerdings nicht randomisierte – Phase-II-Studie unter Einschluss von 79 Patienten mit fortgeschrittenen (Stadium II-IV) kutanen spinozellulären Karzinomen, die nicht selten an Augen oder Ohren erscheinen (4). Die Teilnehmer wurden vor der Operation mit bis zu 4 immuntherapeutischen Infusionen des Antikörpers Cemiplimab behandelt und anschliessend kurativ operiert. Die Kombination aus neoadjuvanter Therapie und Operation zeigte bei 63,3 Prozent der Teilnehmer eine pathologische und bei 68,4 Prozent eine objektive Response. Das bedeutet, dass eine neoadjuvante Therapie mit Cemiplimab bei einem hohen Prozentsatz der Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Haut mit einem vollständigen Ansprechen verbunden war. «Das ist schon ein gewaltiger Effekt», sagte Dummer. «Hier ist eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Systemtherapie und Chirurgie gefordert.»
Verbesserte Immunantwort durch «Baukastenprinzip»
Interessant ist auch der neue Checkpoint-Inhibitor Relatlimab, welcher bei fortgeschrittenen Melanomen (in Kombination mit Nivolumab) eingesetzt wird. Er weise eine ähnliche Wirksamkeit wie das bislang verwendete Ipilimumab auf, sei jedoch wesentlich besser verträglich, berichtete der Experte (5). Wie kann die Immunantwort verbessert werden? Dafür gibt es Tricks, die jetzt in einer Art Baukastensystem zur Verfügung stehen, um unterschiedliche Probleme zu lösen. Beispiel: T-Zellen erkennen die Tumorzellen nicht. «Also müssen wir den T-Zellen die Augen öffnen, indem wir T-Zellrezeptoren für bestimmte Tumor-Antigene schärfen und sie anschliessend mit einem Anker auf den T-Zellen verknüpfen», erklärte Dummer. Wird den Patienten dann dieses kombinierte Protein gegeben, erkennen die Lymphozyten das Antigen auf der Melanomzelle. Dies führt dazu, dass die Krebszelle bekämpft wird. Seit wenigen Jahren existiert das Molekül Tebentafusp, dass auf melanozytäre Differenzierungsantigene abzielt und den Melanom-Patienten im ersten Behandlungsjahr zu 73 Prozent ein Überleben sichert, gegenüber 59 Prozent in der Kontrollgruppe (p < 0,001). (6). Das Molekül selbst besteht aus drei Bestandteilen: einem Antikörper für die melanozytären Antigene, einem aus einer Pflanze isolierten Makrolid, das ein überaktiviertes Tumormolekül
Prof. Reinhard Dummer
(GNAQ/11) blockiert, und einem Linker, der diese beiden Molekülkomponenten verbindet. Dieser selektive Ansatz kann im Prinzip auch auf andere medizinische Probleme angewendet werden. Die am SGDV vorgestellten neuen Studienresultate lassen für die Zukunft deutliche Änderungen in der täglichen dermato-onkologischen Praxis erwarten. s
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Versluis JM et al.: Learning from clinical trials of neoadjuvant checkpoint blockade.
Nat Med. 2020;26(4):475-484. 2. Dummer R et al.: Neoadjuvant talimogene laherparepvec plus surgery versus sur-
gery alone for resectable stage IIIB-IVM1a melanoma: a randomized, open-label, phase 2 trial. Nat Med. 2021;27(10):1789-1796. 3. Patel S et al.: Neoadjvuant versus adjuvant pembrolizumab for resected stage III-IV melanoma (SWOG S1801). Annals of Oncology. 2022; 33 (suppl_7): S808-S869. Abstract LBA6. 4. Gross ND et al.: Neoadjuvant Cemiplimab for Stage II to IV Cutaneous Squamous-Cell Carcinoma. N Engl J Med. 2022;387:1557-1568. 5. Tawbi HA et al.: Relatlimab and Nivolumab versus Nivolumab in Untreated Advanced Melanoma. N Engl J Med. 2022; 386:24-34. 6. Nathan P et al.: Overall Survival Benefit with Tebentafusp in Metastatic Uveal Melanoma. N Engl J Med. 2021;385:1196-1206.
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