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KONGRESSBERICHT
SGDV 2022
COVID-Toes während der Pandemie
Das Rätsel der violetten Zehen
Während der SARS-CoV-2-Pandemie war vor allem bei jüngeren Menschen ein rätselhaftes Phänomen zu beobachten: Rot-violett verfärbte Zehen, so genannte Covid-Toes. Allerdings ist bis heute ungeklärt, ob diese Hautveränderungen überhaupt ursächlich mit SARS-CoV-2 in Zusammenhang stehen. Am SGDV in Bern gab PD Dr. med. Helmut Beltraminelli vom EOC in Bellinzona dazu einen Überblick.
SARS-CoV-2-Infektionen können eine ganze Reihe von Organ-Manifestationen nach sich ziehen, so auch auf der Haut. So sind bei Betroffenen Exantheme, Petechien, Livedo reticularis, Ekzeme, Urtikaria, Herpes zoster und andere, vor allem entzündliche Hautmanifestationen zu beobachten. Auch rot-violett verfärbte Zehen, sogenannte «COVID-Toes», stehen im Verdacht, mit COVID-19 in Verbindung zu stehen. Bislang konnte jedoch kein eindeutiger wissenschaftlicher Nachweis erbracht werden. Es wird deshalb diskutiert, ob es sich nur um eine Koinzidenz oder doch um einen ursächlichen Zusammenhang handelt.
150 Publikationen zu COVID-Toes
Fest steht, dass sich während der Pandemie ab 2020 vor allem in den Sommermonaten hauptsächlich jüngere Patienten mit bläulichen Zehen und manchmal mit verfärbten Fingern vorstellten. «So etwas sind wir eigentlich nicht aus dieser warmen Jahreszeit gewohnt; und auch in den kälteren Monaten sind solche Verfärbungen eher selten», berichtete am Jahrestreffen der Schweizer Dermatologen und Dermatologinnen (SGDV) PD Dr. med. Helmut Beltraminelli vom EOC in Bellinzona. Bis heute sind rund 150 Publikationen zu diesen Hauterscheinungen erschienen, mehr als 1000 Patienten sind in Studien dokumentiert. Erstaunlicherweise wurde nur in 15 Prozent dieser Fälle irgendein positiver SARS-CoV-2-Test dokumentiert (PCR und/oder Serologie). «Anders gesagt: Bei 85 Prozent der Betroffenen müsste man SARSCoV-2 ausschliessen». Tatsächlich sind in der wissenschaftlichen Literatur bis jetzt nur 282 bestätigte COVID-19-Fälle mit COVID-Toes dokumentiert. Kleines, aber feines Detail: Relativ häufig lebten Patienten mit COVID-Toes in einem Umfeld, in dem irgendjemand nachweislich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert oder an COVID-19 erkrankt war.
Verfärbungen erst nach 16 Tagen
COVID-Zehen gehören zu den am häufigsten gesehenen Hautmanifestationen (20–40%), die möglicherweise mit SARS-CoV-2 assoziiert sind. Gemäss der Studien waren in 89 Prozent der Fälle die Zehen, in 24 Prozent die Hände und in 10 Prozent beides involviert. Betroffen waren, bei einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis, vor allem jüngere, aber auch sehr junge Personen (mittleres Alter 21 Jahre). Falls eine SARS-CoV-2-Infektion bei ihnen nachgewiesen worden war, war diese in den meisten Fällen mit sehr milden (53%) oder gar keinen (47%) extrakutanen COVID-19-Beschwerden assoziiert. Mit anderen Worten: COVID-Zehen betreffen typischerweise junge und weniger schwer erkrankte Patienten. Zudem traten die Rotverfärbungen im Schnitt erst 16 Tage nach Beginn der extrakutanen COVID-19Symptomatik auf. In den wenigen durchgeführten histologischen Untersuchungen konnte in den Biopsien ein lupoides, dichtes, inflammatorisches Infiltrat beobachtet werden. In seltenen Fällen wurden eine lichenoide Dermatitis, ein papilläres Ödem, Mikrothrombi, Fibrin-Einlagerungen, endotheliale Schwellungen oder eine Extravasation von roten Blutkörperchen diagnostiziert. In Einzelfällen hat man mittels Immunhistochemie SARS-CoV-2 nachgewiesen.
Unterschiede zu Frostbeulen
Haben COVID-Toes etwas mit Perniones («Frostbeulen»), respektive Chilblains zu tun? Einigen wenigen phänotypischen Gemeinsamkeiten steht eine ganze Reihe von deutlichen Unterschieden entgegen (Tabelle). So sind COVID-Toes nicht auf junge Frauen beschränkt, sind nicht autoimmun-assoziiert, zeigen kaum Manifestationen an Ohren und im Gesicht und treten nicht nur bei kaltem, sondern auch bei sehr warmem Wetter, wie im Hitzesommer 2020, auf. In mehreren gut untersuchten Fällen von COVID-Toes konnte man zudem Koagulationsstörungen, Medika-
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mente/Drogen sowie entzündliche Viruserkrankungen (EBV, CMV, Coxackie, Parovirus B19, HSV, Rubella, HIV, HBV und HCV) als Ursache ausschliessen.
Korrelation beweist nicht immer die Ursache
«Allerdings beweist eine eindeutige Korrelation noch keine ursächliche Situation», so Beltraminelli. Welche Gründe könnten also hinter den COVID-Zehen stecken? In der Literatur werden einige sonstige Erklärungen diskutiert, wie zum Beispiel immunvermittelte Dysregulationen mit einer überschiessenden Immunresponse vom Typ 1. Es werden aber auch so unterschiedliche Faktoren wie Koagulationsprobleme, Vasospasmen und ein Zusammenhang mit COVID-19Impfungen diskutiert. Auch Umweltfaktoren, die speziell während der Pandemie auftraten (vermehrtes Barfusslaufen in der Wohnung, fehlende Sonnenexposition und Vitamin-D-Mangel, weniger körperliche Bewegung), werden angeführt. Eine Assoziation mit Umweltfaktoren wird durch die interessante Beobachtung gestützt, dass 90 Prozent der COVID-Toes aus Westeuropa gemeldet wurden. Die wichtigste Hypothese sei jedoch eine bei SARS-CoV-2-Infizierten auftretende erhöhte Interferonproduktion, die eine Antikörper-Response verhindere, so Beltraminelli. Dadurch werde die Ursache eliminiert, bevor sie überhaupt nachweisbar sei. Die starke Interferonproduktion könnte zudem zu thrombotischen Mikroangiopathien führen. Schliesslich ist auch eine Kreuzreaktion der T-Zellen zwischen anderen Viruserkrankungen und den SARS-CoV-2-Proteinen denkbar. Die schon vorhandenen Antikörper hätten dabei zu einer so schnellen Immunantwort geführt, dies bevor die SARS-CoV-2-Antikörper über-
Tabelle:
Perniones («Frostbeulen»)/ Chilblains
Covid-Toes
junge Frauen
beide Geschlechter, auch Kinder
zumeist idiopatisch
möglicherweise autoimmun-assoziiert,
keine eindeutige Assoziation
hämatologisch-assoziiert
typisch an Zehen, Fingern, Ohren und im Gesicht vor allem Zehen und Finger
juckend, schmerzhaft, geschwollen
schmerzhaft, juckend, geschwollen
über 24 Stunden persistierend
über 24 Stunden persistierend
mit kaltem Wetter assoziiert
auch bei warmem und heissem Wetter
haupt nachzuweisen waren. Da bei nur wenigen
Betroffenen eine SARS-CoV-2-Detektion überhaupt
möglich war, wäre auch schlicht ein Nachweisprob-
lem denkbar, erklärte Beltraminelli. Tatsächlich wurde
in manchen Fällen serologisch nur auf IgG-Antikör-
per geprüft und nicht auf IgA-Antikörper, so dass
eine IgA-Posititivät gar nicht festgestellt werden
konnte.
Eine weitere Erklärung für einen fehlenden SARS-
CoV-2-Nachweis: Das Virus ist in der Regel nach 11
Tagen gar nicht mehr nachweisbar, die Rotverfärbun-
gen traten jedoch im Durchschnitt erst nach 16 Tagen
auf. In der Regel verschwanden die Symptome nach
2 bis 4 Wochen ohne besondere Behandlung wieder.
Welche Ursachen letztlich für das gehäufte Auftreten
von COVID-Zehen während der Pandemie verant-
wortlich waren, bleibt weiteren Forschungen vorbe-
halten.
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Klaus Duffner
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