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Pädiatrische Dermatologie
Hautinfektionen bei Kindern
Infektionen bei Kindern, die sich im Bereich der Haut äussern, umfassen ein grosses Spektrum. Der folgende Beitrag beschränkt sich zum einen auf bakterielle und virale Infektionen und zum anderen auf eine Auswahl von Erkrankungen, die häufiger vorkommen und/oder erst relativ neu erforscht sind.
Hautinfektionen bei Kindern kommen häufig vor, wobei als Auslöser Viren, Bakterien oder Pilze in Betracht kommen. Meist handelt es sich um harmlose Infektionen, die entweder selbstlimitierend sind oder sich zumindest gut behandeln lassen. Selten sind die Infektionen schwerwiegend und erfordern eine zügige Diagnosestellung, damit auch eine adäquate Therapie frühzeitig eingeleitet werden kann. Aufgrund des umfangreichen Themas werden lediglich Mosaiksteine einer Auswahl bakterieller und viraler Hautinfektionen zusammengefasst dargestellt. Einige Fragen zur Anamnese und Klinik erleichtern die Einordnung der Hautveränderungen, die nicht nur virale und bakterielle, sondern auch mykotische Hautinfektionen, die hier nicht fokussiert werden, berücksichtigen sollte: 1. Sind weitere Familienmitglieder/Mitbewohner/
Mitbewohnerinnen, enge Kontaktpersonen auch betroffen? 2. Welche «Kinderkrankheiten» wurden bereits durchgemacht, gegen welche Infektionen wurde geimpft (Impfpass ansehen)? 3. Werden Tiere im Haus gehalten oder besteht ein enger Kontakt zu Tieren ausserhalb der Wohnung (z. B. Hunde, Katzen, Hühner)? 4. Wann haben die Hautveränderungen begonnen, gibt es Zusammenhänge zu Hobbys, Spaziergängen, Tätigkeiten wie Rasenmähen, Urlaub in den Tropen/Subtropen? 5. Grassieren in den Kitas/Schulen gerade «Kinderkrankheiten»/Infektionskrankheiten?
Hautinfektionen durch Bakterien (Auswahl)
Impetigo contagiosa … … ist eine häufige Infektionskrankheit, die v. a. bei Klein- und Schulkindern auftritt und extrem kontagiös ist (Abbildung 1). Staphylokokken, seltener Streptokokken, sind Auslöser und führen zu instabilen Blasen, die aufgrund der oberflächlichen Spalt-
bildung zügig in Erosionen, bedeckt von honiggelben Krusten, übergehen. Prädilektionsstellen sind Gesicht und Extremitäten. Ein bakterieller Abstrich sollte erfolgen. Bei lokalisiertem Befall ist eine Lokaltherapie, z. B. in Form fettfeuchter Umschläge mit antiseptischen Lösungen (z. B. Chlorhexidin 1%, Octenisept®), ausreichend. Bei grossflächigem Befall werden Antibiotika systemisch (oral) verabreicht, z. B. Cephalosporine der 1. Generation, die sowohl gegen Streptokokken als auch Staphylokokken gerichtet sind. Diagnostisch sollte ein Urinstatus zu Beginn und vier bis sechs Wochen nach der Infektion erfolgen. Eine häufige Differenzialdiagnose ist die Tinea corporis, selten entwickeln Kinder einen Pemphigus foliaceus, der morphologisch ähnlich aussehen kann.
Kutane Borrelieninfektionen Das erste Zeichen einer Borreliose, einer durch Borrelia burgdorferi (Spirochäten, gramnegative Bakterien) von Zecken (Ixodes ricinus) übertragenen Erkrankung, ist das Erythema (chronicum) migrans, das ein bis zwei Wochen nach dem Stich ein Erythem um die Einstichstelle mit zentrifugaler Ausbreitung («Wanderröte») zeigt. Zur Abgrenzung von Differenzialdiagnosen sind die rein dermale Reaktion ohne epidermale Beteiligung und in vielen Fällen grippeähnliche Symptome typisch. Wird dieses Frühstadium nicht behandelt, kommt es zur systemischen Ausbreitung der Borrelien, die v. a. das Nervensystem (u. a. Fazialislähmung), Gelenke (Lyme-Arthritis) und das Herz (Peri- und Myokarditis) betrifft. Besonders im Kindesalter führt die hämatogene Ausbreitung zu multiplen Hautläsionen («Erythemata migrantia»). Gegen Ende der Frühphase (Wochen bis Monate nach dem Stichereignis) reflektiert das Lymphozytom (Lymphadenosis benigna) eine pseudolymphomatöse Immunreaktion auf den Erreger. Klinisch zeigt sich ein rot-bräunlicher weicher Tumor mit den Prädilektionsstellen an Ohrläppchen
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(Abbildung 2A) und Genitale (v. a. Skrotum). Das Spätstadium einer Borreliose (mehr als 6 Monate nach dem Stich) an der Haut ist die «Acrodermatitis chronica atrophicans» (Abbildung 2B), die sich an den Extremitäten (v. a. untere Extremität) zunächst als Rötung und Ödem manifestiert, dem eine Atrophie mit deutlicher Gefässzeichnung und Pigmentverschiebungen folgen. Subjektive Symptome wie Schmerzen, Juckreiz und Parästhesien können dieses Stadium begleiten. Diagnostisch hat die Borrelienserologie keine Bedeutung. Das hat auch die klinische Praxis gezeigt; so entwickeln sich die borrelienspezifischen IgM-Antikörper erst spät, und nach erfolgreicher Therapie bleiben diese häufig positiv. Therapie der Wahl sind Antibiotika (bei Kindern > 8 Jahre in den Frühstadien Doxycyclin, bei jüngeren Kindern Cephalosporine oder Amoxicillin), die über drei Wochen verabreicht werden. Bei extrakutanem Befall in den späteren Stadien sind hochdosiertes Penicillin oder Ceftriaxon Therapeutika der Wahl. Das Tragen von langer Kleidung und festem Schuhwerk sowie das Absuchen nach Zecken im Anschluss an einen Aufenthalt in der Natur sind Präventionsmassnahmen.
Abbildung 1: Impetigo contagiosa nach Ferien im Zeltlager. Die Erosionen sind mit Krustenschorf bedeckt. © R. Fölster-Holst
Perianale Dermatitis Eine juckende und schmerzende, scharf begrenzte Rötung um den Anus charakterisiert die perianale streptogene Dermatitis, die v. a. bei Klein- und Vorschulkindern auftritt. Die Defäkation ist sehr schmerzhaft und kann mit rektalen Blutungen verbunden sein. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Psoriasis, die jedoch weitere Prädilektionsstellen aufweist. Diagnostisch hinweisend auf die perianale streptogene Dermatitis ist eine Tonsillitis des Patienten selbst oder anderer Familienmitglieder. Die auslösenden Bakterien werden oral-fäkal übertragen, was bei den therapeutischen Massnahmen beachtet werden sollte. Die Therapie besteht in der Kombination eines Antiseptikums (z. B. Chlorhexidin) mit einem systemischen Antibiotikum (Penicillin oder Cephalosporin).
Abbildung 2A: Borrelienlymphozytom bei einem Adoleszenten. © R. Fölster-Holst Abbildung 2B: Acrodermatitis chronica atrophicans. © R. Fölster-Holst
Mycoplasma-pneumoniae-Infektionen an Haut und Schleimhaut Haut- und Schleimhautveränderungen durch Mycoplasma pneumoniae wurden zunächst als «Mycoplasma pneumoniae Induced Rash and Mucositis» (MIRM) bezeichnet. Da dieses Krankheitsbild inzwischen mit diversen anderen Infektionserregern assoziiert beschrieben worden ist, hat man sich auf den Begriff «Reactive infectious-mucocutaneous eruptions» (RIME) verständigt, der postinfektiöse blasenbildende mukokutane Erkrankungen von Haut und Schleimhaut beinhaltet. RIME erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen, wobei besonders auch die Zusammenarbeit mit Augenärzten und Pulmologen
hervorzuheben ist. Neben dem Antibiotikum (Makrolide, bei Makrolidresistenz Tetracycline oder Fluorchinolone), das seine Indikation bei Pneumonie hat, sollte eine immunsuppressive Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden (Methylprednisolon) erfolgen. Auch erwiesen sich Immunglobuline in Kombination mit Kortikosteroiden sowie Ciclosporin und Infliximab als effektiv.
Virale Infektionen (Auswahl)
Infektionen mit Papillomaviren Humane Papillomviren (HPV) befallen Haut und Schleimhaut. Eine gewisse Genotyp-/Phänotyp-Zuordnung der inzwischen über 180 molekulargene-
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Abbildung 3: Condyloma acuminata mit Nachweis von HPV 2. © R. Fölster-Holst
Abbildung 4: Mollusca contagiosa. © R. Fölster-Holst
Abbildung 5: Gingivostomatitis herpetica, mit Krustenschorf belegte Erosionen an der Unterlippe. © R. FölsterHolst
tisch identifizierten Typen ist möglich. In vulgären und Plantarwarzen lassen sich HPV 1, 2, 27 und 57 nachweisen, während plane Warzen HPV 3 und 10 aufweisen und die Condylomata acuminata mit 6 und 11 assoziiert sind. Für Warzen im Kindesalter sind folgende Erkenntnisse wichtig: Gegen die onkogenen HPV-Typen 16 und 18 kann geimpft werden (bivalent oder quadrivalent, d. h. zusätzlich gegen HPV 6 und 11), was sowohl Mädchen als auch Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren empfohlen wird und sich bereits zur Prophylaxe des Zervixkarzinoms bzw. des Penis- und Analkarzinoms bewährt hat. Bei der Behandlung ist zu
bedenken, dass Verrucae selbstlimitierend sind und somit ein «wait and see» gerechtfertigt ist. Eine Intervention ist jedoch notwendig bei Progredienz, Schmerzen, kosmetischer Beeinträchtigung und maligner Transformation. In einer Untersuchung von Braun et al. an Kindern mit anogenitalen Warzen zeigte sich, dass 43,4 Prozent der molekulargenetisch untersuchten Hautbiopsien auf Infektionen mit kutanen HPV-Typen (HPV 2, HPV 27, HPV 57) zurückzuführen waren (Abbildung 3). Dabei liessen sich altersabhängige Unterschiede feststellen: Schleimhaut-HPV-Typen (v. a. HPV 6) waren bei Kindern unter 5 Jahren signifikant häufiger als bei älteren Kindern ab 5 Jahren, bei denen kutane Typen (v. a. HPV 2, HPV 27, HPV 57) vorherrschten. Die Autoren empfehlen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch neben einer umfassenden klinischen und psychosozialen Untersuchung auch die HPV-Diagnostik. In einer kürzlich veröffentlichten Kasuistik wird eine Patientin mit einer Tätowierung beschrieben, in der sich 20 Jahre nach der Tätowierung Verrucae vulgares entwickelt hatten. Die Autoren geben zu bedenken, dass dieses Risiko einer Infektion mit dem humanen Papillomavirus durch Tätowierungen bei der Entscheidung für eine Tätowierung berücksichtigt werden sollte.
Molluscum contagiosum Mollusca contagiosa (Dellwarzen) kommen weltweit häufig vor, besonders Kinder mit atopischem Ekzem sind betroffen. Breitbasig aufsitzende, rosa- oder hautfarbene, zentral gedellte Papeln sind typische klinische Manifestationen (Abbildung 4). Es ist durchaus berechtigt, zunächst ohne Intervention abzuwarten, da die Dermatose einen selbstlimitierenden Verlauf zeigt. Diverse Therapiemassnahmen werden in der Literatur empfohlen, die bei Progredienz und psychischer Belastung (z. B. Hänseln durch Mitschüler) eingesetzt werden können. Dazu zählen die Entfernung mittels Kürettage nach Lokalanästhesie mit Lidocain-Prilocain-Creme (2,5%, cave bei grossflächiger Anwendung Methämoglobinämie), Keratolytika und Ätzmittel. Austrocknende Massnahmen wie Gerbstoffe können den Verlauf verkürzen.
Herpes-simplex-Virus-Infektionen Die erste Auseinandersetzung mit Herpesviren verläuft im Kindesalter meist stumm. Bei wenigen Kindern manifestiert sich die Gingivostomatitis herpetica (Stomatitis aphthosa) (Abbildung 5), meist den Herpes-simplex-Virus Typ 1 betreffend. Fieber und schmerzhafte Vesikel und Erosionen perioral und oral charakterisieren die Klinik. Komplikationen beinhalten kutane bakterielle Superinfektionen sowie ZNSund Augenbeteiligung. Neben der virustatischen Therapie mit systemisch zu verabreichendem Aciclovir sollten die Kinder mit ausreichend Flüssigkeit ver-
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sorgt werden, ausserdem sind symptomatische Mundspülungen und Schmerzbehandlung erforderlich. Daumen-/Fingerlutschen bei florider oraler Infektion kann eine Herpesinfektion des Fingers zur Folge haben mit dem Auftreten eines «Herpetic Whitlow» einer dem Panaritium ähnlichen Hautveränderung, bei der die Herpes-typischen Bläschen zur Diagnose führen. Auch in diesem Fall ist die Aciclovir-Gabe obligat. Herpes-simplex-Virus(HSV)-Infektionen können neonatal oder kongenital auftreten, wobei es sich meist um eine HSV-Typ-2–Infektion handelt. Die neonatale Infektion betrifft Haut, Mundschleimhaut und Augen, seltener kommt es zu einem Befall des Zentralnervensystems oder zu einer disseminierten Ausbreitung. Klinisch sind herpetiform angeordnete Vesikel typisch, die sich zwischen dem 10. und 12. Lebenstag mit Betonung von Kopf und Brust zeigen. Zusätzlich bestehen Fieber und erhöhte Irritabilität der Haut, selten entwickeln die Neugeborenen eine Sepsis. Bei der kongenitalen Infektion sind zusätzlich Narben typisch, weiterhin zeigen ZNS und Augen Zeichen der Infektion. Die Therapie besteht in der intravenösen Applikation von Aciclovir, die bereits bei Verdacht eingeleitet werden sollte. Differenzialdiagnostisch ist an andere vesikulöse, pustulöse und vesikulopustulöse Erkrankungen zu denken.
Virale Exantheme Exanthemerkrankungen zählen zu den häufigsten Dermatosen. Meist bedürfen sie keiner spezifischen Therapie. In einigen Fällen ist Bettruhe notwendig, bei hohem Fieber auch entsprechende fiebersenkende Massnahmen. Beispiele von Virusinfektionen, die direkt die Keratinozyten befallen, sind Masern und Varizellen, während paravirale Exantheme als Ausdruck des Immunsystems auf den Erreger aufzufassen sind. Zu den Exanthemen, die erst innerhalb der letzten Jahre beschrieben worden sind, gehören die Gianotti-Crosti-like reaction und die Incontinentia pigmenti coxsackium. Die Gianotti-Crosti-like reaction ist eine Id-Reaktion, die gegen Mollusca-contagiosa-Viren gerichtet ist. Klinisch manifestiert sich die Hypersensitivitätsreaktion als Gianotti-Crosti-Syndrom (GCS), das sich jedoch wesentlich begrenzter – an den Extremitätenstreckseiten mit Betonung der Ellenbogen und Knie – zeigt und mit starkem Juckreiz verbunden ist. Bei der Incontinentia pigmenti coxsackium ist
Coxsackie-Virus A6 der Auslöser einer atypischen Hand-Fuss-Mund-Erkrankung.
Exantheme nach SARS-CoV-2-Infektion Das «Multisystemic inflammatory syndrome in children» (MIS-C; Synonym: PIMS = «pädiatrisches inflammatorisches multisystemisches Syndrom») ist ein Hyperinflammationssyndrom, das ca. 2 bis 6 Wochen nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion auftritt. Folgende Kriterien zeichnen das MIS-C aus: s schwere Erkrankung mit Indikation zur stationären
Aufnahme s Fieber > 38,0 °C s hohe Entzündungsparameter s Beteiligung von mindestens zwei Organsystemen
(v. a. Herz, Magen-Darm-Trakt) s nachgewiesene SARS-CoV-2-Infektion oder Kon-
takt mit COVID-19-Erkrankten innerhalb der letzten 4 Wochen s kein Hinweis auf eine andere Diagnose.
Leitlinien zur Behandlung des MIS-C existieren bis anhin noch nicht. Anhand von Expertenmeinungen und Kasuistiken wird die intravenöse Immunglobulingabe, ggf. in Kombination mit systemischen Kortikosteroiden, empfohlen. Bei fehlendem Ansprechen sind bei Fortsetzen der Kortikosteroidmedikation der IL(Interleukin)-1-Rezeptorantagonist Anakinra und der IL-6-Rezeptorantagonist Tocilizumab Therapieoptionen.
Wichtig für die Sprechstunde:
s Hautinfektionen bei Kindern sind meist harmlos.
s Zu bakteriellen Infektionen gehören u.a. die Impe-
tigo contagiosa, die Borreliose und die perianale
Dermatitis.
s Virale Infektionen der Haut werden u.a. verursacht
durch HPV, Molluscum contagiosum und Herpes-
viren.
s
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Regina Fölster-Holst Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Dermatologie, Venerologie und Allergologie 24105 Kiel
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert
Erstmals erschienen in doctors|today, 2022;2(11)46-49. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags und der Autorin.
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