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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
UEGW 2022
Mikrobiom und Immunfunktion
Darmflora beeinflusst Ansprechen auf die Immuntherapie bei Melanompatienten
Mehr als 10 800 Teilnehmer aus 115 Ländern besuchten den gastroenterologischen Kongress «United European Gastroenterology Week (UEGW)», der erstmalig als Hybridkongress virtuell und in Wien stattfand. Die Vorträge waren auch für andere Fachdisziplinen relevant, z. B. die nachfolgenden Erkenntnisse, wie das Mikrobiom im Darm das Ansprechen auf die Immuntherapie beeinflusst, das bei Patienten mit malignem Melanom untersucht wurde.
Die Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) stellen einen Meilenstein in der Onkologie dar, sie haben das metastasierte Melanom zu einer behandelbaren Erkrankung gemacht. Sie verstärken die durch T-Zellen vermittelten Immunreaktionen gegen Tumoren, was bei Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien zu einem verbesserten Gesamtüberleben führt. Leider zeigt nur ein Teil der Patienten ein dauerhaftes Ansprechen. Jüngste Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass das Darmmikrobiom die Reaktionen auf ICI beeinflussen könnte. Beispielsweise ist bekannt, dass die Einnahme von Antibiotika zu einer geringeren Wirksamkeit von ICI führen kann (1). Zudem zeigten Patienten, die nicht mehr auf ICI ansprachen, nach einer fäkalen Stuhltransplantation ein erneutes Ansprechen (1). Bis anhin fehlen allerdings Daten darüber, wie sich das Mikrobiom im Verlauf einer ICI-Therapie verändert. Dieser Frage ging Dr. Johannes Björk aus Groningen (NL) im Rahmen der Beobachtungsstudie «Predicting response to immunotherapy for melanoma with gut microbiome and metabolomics (PRIMM)» auf den Grund, indem er longitudinale Veränderungen des Darmmikrobioms als Reaktion auf die Behandlung mit ICI analysierte (2). Zu diesem Zweck wurde das Darmmikrobiom von 175 Patienten mit fortgeschrittenem Melanom, die sich in Krebszentren in Grossbritannien und den Niederlanden einer ICI-Behandlung unterzogen, untersucht. Untersuchungsmethode war die sogenannte Schrotschuss-Sequenzierung (Shotgun-Metagenom-Sequenzierung), mit der Tausende von Organismen parallel analysiert werden können. Damit wurden die Stuhlproben aller Studienteilnehmer vor und während der Behandlung an bis zu 4 Zeitpunkten untersucht und miteinander verglichen. Zudem analysierte man eine mögliche Korrelation zum Behandlungserfolg, beurteilt anhand des 12-monatigen progressionsfreien Überlebens. Die Forscher verwendeten ein
Regressionsmodell mit Interaktionen höherer Ordnung, um abzuschätzen, wie sich die Häufigkeit von Bakterienarten und Stoffwechselwegen in den verschiedenen Proben je nach Therapieansprechen vom Ausgangswert bis nach der letzten Behandlungsinjektion veränderte. Sie entschlüsselten auch den longitudinalen möglichen Einfluss der folgenden Behandlungsmerkmale: die Verwendung einer Monotherapie (mit einem PD-1-Inhibitor) oder einer Kombinations-ICI-Behandlung (mit einem PD-1- und einem CTLA-4-Inhibitor), die vorherige Exposition gegenüber Antibiotika oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI) oder die Auswirkung von immunbedingten unerwünschten Ereignissen (irAE) wie einer Kolitis. Die Ergebnisse bestätigten, dass einige der Mikrobiota, die in früheren Untersuchungen mit gutem Ansprechen assoziiert waren (z. B. Faecalibacterium prausnitzii und Bifidobacterium longum), in der vorliegenden Studie bei Therapierespondern häufig waren und zudem während der Behandlung weiter zunahmen. Diese positive Korrelation wurde allerdings oft zusätzlich durch begleitende Faktoren beeinflusst.
Wichtiger Einfluss: Begleitmedikation ...
So zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Mikrobiota bei Patienten, die keine PPI und keine Antibiotika einnahmen, sowie zwischen einer ICI-Monotherapie und einer Kombinationsbehandlung: Im Vergleich zu Nonrespondern wurden bei Respondern, die nur einen ICI einnahmen, über den gesamten Behandlungszeitraum höhere und zunehmende Häufigkeiten von Butyratproduzenten aus der Familie der Lachnospiraceae-Arten festgestellt. «Das ist natürlich eine Information, die wir aufgrund früherer Vorhersagen nicht feststellen konnten», betonte Björk angesichts der Tatsache, dass diese Studie erstmalig longitudinal den Zusammenhang zwischen Mikrobiota und ICI erhob. Im Gegensatz dazu wurde ein
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Nichtansprechen mit höheren und zunehmenden Häufigkeiten mehrerer Bacteroides-Arten in Verbindung gebracht. Einige von ihnen, z. B. Bacteriodetes thetaiotaomicron, wurden bereits in früheren punktuellen Untersuchungen mit einem Nichtansprechen assoziiert. Björk betonte die Störfaktoren PPI-Einnahme oder Antibiotika. Die Einnahme von PPI wurde mit einem Anstieg von Klebsiella pneumoniae bei Nonrespondern in Verbindung gebracht. Das war bei Nonrespondern, die keine PPI einnahmen, nicht der Fall.
... sowie immunbedingte Nebenwirkungen
Schliesslich verglichen die Forscher die Veränderungen der Mikrobiota bei Respondern, die eine Kolitis entwickelten, mit denen, die keine entwickelten. Im Allgemeinen ähnelt die durch die Immuntherapie ausgelöste Kolitis dem Darmmikrobiom bei entzündlichen Darmerkrankungen. Bacteriodes caccae war bei Respondern, die eine Kolitis entwickelten, im Ver-
gleich zu denen, die keine entwickelten, erhöht. Bei Therapierespondern, die keine Kolitis entwickelten, fanden sich häufige und stabile Populationen von Faecalibacterium prausnitzii, ebenfalls ein Butyratproduzent; dies war bei Studienteilnehmern, die eine Kolitis entwickelten, nicht der Fall. «Ich hoffe, dass ich Sie davon überzeugen konnte, dass mikrobiombasierte Interventionen nicht nur auf einer einmaligen Bestimmung zu Studienbeginn basieren sollten. Das ist der Schlüssel zur Steigerung der Wirksamkeit von ICI. Wir müssen die Dynamik des Systems, das wir modulieren wollen, verstehen», schloss Björk. Mögliche klinische Implikationen der (komplexen) Mikrobiomforschung bestehen darin, Spezies, die kontinuierlich mit einem Ansprechen assoziiert sind, per Stuhltransplantation auf Nonresponder zu übertragen sowie Spezies, bei denen ein signifikanter Unterschied zwischen Respondern und Nonrespondern besteht, für diagnostische Zwecke heranzuziehen.
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Wahrscheinlichkeit für eine Toxizität
Verarbeitetes Fleisch (g/Tag)
Abbildung: Nicht nur hinsichtlich des CO2-Imprints von Nachteil: Ein hoher Konsum von verarbeiteten Fleischprodukten und rotem Fleisch erhöht auch das Risiko für eine ICI-Toxizität (3).
Mediterrane Kost verbessert progressionsfreies Überleben und reduziert ICI-Toxizität
Auch eine Ernährung gemäss den Prinzipien der sogenannten mediterranen Ernährung scheint mit einer verbesserten Ansprechrate auf die Immuntherapie und einem besseren progressionsfreien Überleben bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom verbunden zu sein. So die Ergebnisse einer multizentrischen Studie aus Grossbritannien und den Niederlanden (3). Ausschlag für diese Untersuchung gaben frühere Beobachtungen, gemäss denen Mikrobiota, die eine Rolle beim Abbau von Ballaststoffen spielen, mit einem positiven Ansprechen auf ICI assoziiert sind. Die mediterrane Kostform mit einer Betonung auf dem Verzehr von Gemüse, Hülsenfrüchten, Olivenöl, Nüssen und Fisch ist ballaststoffreich. Diese Untersuchung wurde ebenfalls an Patienten der PRIMM-Studie durchgeführt. In dieser Auswertung wurde die Nahrungsaufnahme von 91 Patienten mit fortgeschrittenem Melanom, die mit ICI behandelt wurden, vor Therapiebeginn anhand von Fragebögen erfasst. Patienten, die sich mit mediterraner Kost ernährten, wiesen insgesamt ein hohes Ansprechen auf die ICI-Therapie auf. Das wurde sowohl in der britischen als auch in der niederländischen Kohorte beobachtet. Es fand sich ein linearer Zusammenhang zwischen der Höhe der Aufnahme von Nahrungsmitteln, die den Grundsätzen einer medi-
terranen Kost entsprechen, und dem Ansprechen.
Die mediterrane Kost stand nicht nur in signifikantem
Zusammenhang mit der Gesamtansprechrate, son-
dern auch mit dem progressionsfreien Überleben
nach 12 Monaten – das galt ebenso für spezifische
Nahrungsbestandteile: So korrelierte die Aufnahme
von nicht gesättigten Fettsäuren, z. B. aus Oliven,
Avocado und fettreichem Fisch, positiv mit dem pro-
gressionsfreien Überleben nach 1 Jahr. Derselbe Zu-
sammenhang zeigte sich für den Verzehr von Hülsen-
früchten und Kartoffeln.
Interessanterweise waren Hülsenfrüchte und Voll-
kornprodukte nicht nur mit einem besseren progres-
sionsfreien Überleben nach 12 Monaten assoziiert,
sondern auch mit einer geringeren Toxizität: Patien-
ten, die sich so ernährten, entwickelten seltener me-
dikamentenbedingte immunologische Nebenwir-
kungen, wie z. B. eine Kolitis. Gegenteilig verhielt es
sich mit dem Verzehr von rotem und verarbeitetem
Fleisch: Je häufiger sie auf dem Speiseplan standen,
umso höher war das Risiko für eine ICI-bedingte To-
xizität (Abbildung).
«ICI haben dazu beigetragen, die Behandlung ver-
schiedener fortgeschrittener Krebserkrankungen zu
revolutionieren. Unsere Studie unterstreicht die Be-
deutung der Ernährungsweise von Krebspatienten,
die mit einer ICI-Behandlung beginnen, und unter-
mauert die Bedeutung von Ernährungsstrategien für
die Verbesserung der Behandlungsergebnisse und
des Überlebens der Patienten», so das Fazit von
Laura Bolte, Diätassistentin und Medizinstudentin
am University Medical Center Groningen (Nieder-
lande). Die Autoren planen jetzt, ihre Studien auszu-
weiten, um die Ergebnisse für diverse andere onko-
logische Erkrankungen zu untersuchen.
«Der Zusammenhang zwischen dem Ansprechen auf
ICI und der Ernährung sowie dem Darmmikrobiom
eröffnet eine vielversprechende und spannende Zu-
kunft zur Verbesserung des Behandlungserfolgs», so
Bolte weiter: «Klinische Studien, die die Wirkung ei-
ner ballaststoffreichen Ernährung, einer ketogenen
Diät und einer Supplementierung mit Omega-3-Fett-
säuren untersuchen, sind im Gange.»
s
Susanne Kammerer
Referenzen: 1. Hayase E, Jenq RR: Role of the intestinal microbiome and microbial-derived meta-
bolites in immune checkpoint blockade immunotherapy of cancer. Genome Med. 2021;13(1):107. 2. Björk J et al.: Longitudinal changes in the gut microbiome in response to immune checkpoint blockade.OP042,UEG Week 2022 vom 8.bis 11.Oktober 2022 in Wien (Österreich). 3. Bolte LA et al.: Dietary intake influences the response to cancer immunotherapy. OP021, UEG Week 2022 vom 8. bis 11. Oktober 2022 in Wien (Österreich).
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