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Immer häufiger?
Histaminintoleranz – zwischen Mythen und Fakten
Die Histaminintoleranz (HIT) (1) ist in den letzten Jahren vonseiten der Betroffenen immer mehr als Ursache von allen möglichen Beschwerden in den Vordergrund gerückt – so oft, dass viele Behandelnde sie fast schon genervt ins Reich der «Pseudoerkrankungen» einordnen oder diese Diagnose unkritisch bei diversen Beschwerden stellen. In diesem Artikel möchten wir basierend auf der Basis aktueller Leitlinien (2) und Übersichtsarbeiten (3, 4) sowie aufgrund eigener Erfahrung aus Klinik und Studien einen durchaus kritischen Überblick über den möglichen Nutzen der veröffentlichten diagnostischen und therapeutischen Ansätze bei HIT geben. Wir hoffen, eine Hilfeleistung zu bieten, um HIT-Betroffenen gerecht zu werden und unnötige oder schwierig verwertbare Diagnosemassnahmen und Behandlungen zu vermeiden.
PETER SCHMID-GRENDELMEIER1, DANIEL GIANELLI2, JEAN-PIERRE GUTZWILER3, MATTHIAS MÖHRENSCHLAGER2 DANIEL POHL4
Foto: zVg
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Peter SchmidGrendelmeier Daniel Gianelli
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Hintergrund
HIT ist die Bezeichnung für jene Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit, die eine Reihe von unerwünschten Reaktionen als Folge von akkumuliertem oder aufgenommenem Histamin umfasst. In älteren Publikationen wird diese Art der Unverträglichkeit mit den Begriffen Pseudoallergie, enterale Histaminose oder Histaminempfindlichkeit umschrieben. HIT ist definiert als ein Zustand, der durch ein Ungleichgewicht zwischen dem aus der Nahrung freigesetzten Histamin und der Fähigkeit des Organismus, diese Menge abzubauen, verursacht wird. Die wissenschaftlichen Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen aufgenommenem Histamin und reproduzierbaren Symptomen sind jedoch begrenzt und zudem widersprüchlich. Allein der Verdacht auf eine HIT führt bei den Betroffenen oft zu weitreichenden Diätbeschränkungen, die nicht nur die Vielfalt der Ernährung, sondern auch das soziale Leben beeinträchtigen. Aus Angst vor stark belastenden Reaktionen und aus Ungewissheit über das Vorhandensein von Histamin schränken sich die Betroffenen oft massiv ein. Zudem kursieren nicht zuletzt im Internet extensive Listen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die als histaminreich oder histaminliberierend eingestuft werden, sodass dann oft breiteste Vermeidungsdiäten praktiziert werden. Der Leidensdruck der Betroffenen ist oft enorm. Falls
1 Allergiestation der Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich 2 Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang, Davos 3 Praxis für Magen-Darm-Krankheiten, Thalwil 4 Klinik für Gastroenterologie, Universitätsspital Zürich
man schon einmal seekrank war – ein Beschwerdebild, das dem der HIT manchmal ähnlich ist (5) –, kann man abschätzen, wie gross der Leidensdruck bei HIT-Betroffenen sein kann.
Die Symptome der HIT
Histaminrezeptoren befinden sich in vielen Organen des Körpers, was zu einer komplexen Symptomatik führt, wenn Histamin als Auslöser angenommen wird (Abbildung 1). Die mit der Aufnahme von Histamin verbundenen unerwünschten Wirkungen sind in der Regel komplex und können verschiedene Organsysteme betreffen (Tabelle). So können gastrointestinale Symptome wie Übelkeit und/oder Erbrechen oder Durchfall und Bauchschmerzen durch Histamin ausgelöst werden. Auch anschwellende Nasenschleimhaut, laufende Nase, Niesen, Hustenreiz oder Atembeschwerden werden berichtet. Oft werden Kopfschmerzen, migräneartige Bilder oder Schwindel, Herzrasen und Tachykardie angegeben. Hauterscheinungen, wie z. B . Rötungen im Gesichtsbereich (Flush), Juckreiz oder ein durch Quaddeln gekennzeichneter urtikarieller Ausschlag – eine typische histaminvermittelte Erkrankung – sind möglich, aber keineswegs zwingend. Eigentliche schwere, akut lebensbedrohliche Reaktionen mit akutem Kreislaufversagen oder Asthmaattacke werden hingegen nur äusserst selten beobachtet und sollten unbedingt den Verdacht auf eine Anaphylaxie etwa im Rahmen einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie oder auf eine Mastozytose lenken. Das Krankheitsbild des Mastzellaktivierungssyndroms (MCAS) (6) wiederum ist gekennzeichnet
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Tabelle:
Mögliche Symptome und Differenzialdiagnosen der HIT
Flush
Neuroendokrine Tumoren, Mastozytose
Juckreiz
Urtikaria, Pruritus sine materiae, Prurigo
Übelkeit/Erbrechen
Gastroduodenale Ulzera, Refluxbeschwerden, Durchfall und
Bauchschmerzen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen,
Kohlenhydratverwertungsstörungen (Laktoseintoleranz,
Fruktosemalabsorption), Zöliakie, Mastozytose
Rhinitis
Allergische und nicht allergische Rhinitis
Dyspnoe, Stimmstörung Allergisches und nicht allergisches Asthma, Blutdruckabfall,
Schwindel, Tachykardie Anaphylaxie, Mastozytose,
Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)
Kopfschmerzen, «Brainfog» Migräne, Cluster-Headache Spannungskopfschmerzen,
Trigeminusneuralgie, sekundäre Kopfschmerzen, andere
neurologische Erkrankungen, Intoxikationen
durch Beschwerden der Histaminliberation durch exogene Faktoren (z. B. Nahrungsmittel, Belastungssituationen), die Symptome können aber auch spontan auftreten mit oft nachweisbarem Anstieg der Serumtryptase während der Attacke, aber ohne nachweisbar vermehrte Mastzellen. Das Bild des MCAS ist ähnlich wie bei HIT nicht einfach zu definieren, stellt aber bei den Beschwerden eine Art Übergang zwischen HIT und Mastozytose dar.
Differenzialdiagnose der HIT
Da alle beschriebenen Symptome auch durch endogen freigesetztes Histamin ausgelöst werden können, liegt eine breite Differenzialdiagnose vor, um andere zugrunde liegende Pathomechanismen zu identifizieren. Dazu gehören Hauterkrankungen wie die chronische Urtikaria, gastrointestinale Erkrankungen wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Kohlenhydratstoffwechselstörungen (z. B. Laktoseintoleranz, Fruktosemalabsorption), Zöliakie sowie Mastozytose und allergische Erkrankungen (Tabelle). Die Beschwerden treten in unterschiedlichem Zeitabstand zur Nahrungsaufnahme auf. Typischerweise sind bei Verwertungsstörungen des Histamins im Darm im Sinne einer HIT eher akute Beschwerden innert weniger Stunden nach Genuss zu erwarten. Beschwerden, die über mehrere Tage andauern, lenken den Verdacht eher auf andere Ursachen, wobei hier der Histaminstoffwechsel ursächlich mitbeteiligt sein kann. Die HIT ist abzugrenzen von der Histaminintoxikation, die als Scrombroid-Syndrom bezeichnet wird (7). Der Begriff leitet sich vom Namen der Makrelenfamilie (Scombridae wie Thunfisch, Makrele oder Hering) ab, nach deren Verzehr die Intoxikation am häufigsten beobachtet wurde. Durch bakterielle Verunreinigung wird im Fischfleisch vorhandenes Histidin zu Histamin umgewandelt, insbesondere wenn Fisch nach dem Fang nicht rasch gekühlt wird. Im
Gegensatz zur HIT sind hier aber oft alle Personen, die den entsprechenden Fisch genossen haben, betroffen, da unnatürlich grosser Histaminmengen bei allen Beschwerden auslösen können.
Wovon hängt der Histamingehalt im Körper ab?
Histamin, das endogen gebildet und vorwiegend in Mastzellen und Basophilen gespeichert wird, ist eine potente Substanz für IgE-, aber auch Nicht-IgE-vermittelte klinische Reaktionen. Der Histamingehalt im Körper hängt von der Zufuhr in Speisen ab – aber keineswegs ausschliesslich. Wesentliche Faktoren sind (8) ▲ Zufuhr von Histamin ▲ Abbau von Histamin ▲ intestinale Flora ▲ Immunmodulation ▲ Anzahl histaminbildender Zellen (Mastzellen, Ba-
sophile).
Die Summe und das Zusammenspiel dieser Faktoren bestimmen letztlich den Histamingehalt im Darm sowie systemisch. Die Zufuhr kann über das Meiden histaminreicher Speisen bis zu einem gewissen Grad verringert werden. Zu beachten ist, dass neben histaminhaltigen Lebensmitteln ebenso biogene Amine (Kadaverin, Tryptamin, Tyramin, Serotonin usw.) und/oder Polyamine (Putrescin, Spermin, Spermidin und andere) unerwünschte Reaktionen hervorrufen bzw. den Histaminstoffwechsel beeinflussen können. Verschiedene Lebensmittel wie Käse oder Wein enthalten Histamin, während andere wie Erdbeeren, Tomaten und Alkohol histaminfreisetzende Funktionen haben. Der Abbau von Histamin erfolgt über 2 Pfade ▲ oxidativer Abbau durch Diaminoxidase (DAO) so-
wie ▲ Methylierung durch Histamin-N-Methyltransfe-
rase (HNMT) HNMT ist intrazellulär in den meisten Körpergeweben zu finden, während DAO im Darm, in den Nieren und in der Plazenta produziert wird und extrazellulär wirkt. Die Wirkung von DAO wird von zahlreichen Medikamenten beeinflusst – überwiegend in hemmender Richtung. Der Histaminabbau kann durch die gleichzeitige Einnahme von Alkohol behindert werden, da die gleichen Enzyme am Abbau von Histamin wie Alkohol beteiligt sind (Abbildung 1). Es liegen deutlich mehr Untersuchungen zur Bedeutung von DAO vor; für viele Beschwerden dürfte aber die Rolle der HNMT mindestens so wichtig sein. Es besteht also noch grosser Nachholbedarf an entsprechenden Studien. Die Tatsache, dass 4 verschiedene Histaminrezeptoren existieren, beeinflusst die Auswirkungen von Histamin im Körper ebenfalls nachhaltig (9). Am besten erforscht sind die H1-Rezeptoren (H1R). Diese werden in vielen Zellen, einschliesslich
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Mastzellen, exprimiert, sind an Überempfindlichkeitsreaktionen vom Typ 1 beteiligt und können mit den klassischen Antihistaminika blockiert werden.
Intestinale Flora, Mikrobiom und HIT
Die intestinale Flora beeinflusst den Histamingehalt wesentlich. Einige Bakterienstämme verfügen über Enzyme, die im menschlichen Körper für eine körpereigene Histaminsynthese sorgen. Deshalb ist es denkbar, dass eine grössere Anzahl solcher histaminogener Bakterien die Anhäufung hoher Histaminmengen im Darm, die anschliessende Absorption im Plasma und das Auftreten unerwünschter Wirkungen begünstigt, selbst bei Personen ohne DAO-Mangel (10). Jedoch finden sich auch Bakterienstämme, die am Abbau von Histamin wesentlich beteiligt sind. Durch die Erfassung der Gesamtheit der Bakterien (Mikrobiom) und allenfalls der Pilze (Mykobiom) im Magen-Darm-Trakt können unterschiedliche Zusammensetzungen der Darmflora im Sinne einer Dysbiose und ein möglicher Zusammenhang mit einer HIT in Zukunft wohl wesentlich besser festgestellt werden. Die von Betroffenen gelegentlich aufgebrachte Vermutung, dass die HIT-Beschwerden im Anschluss an eine antibiotische Therapie auftreten würden, kann vor diesem Hintergrund zumindest nicht völlig negiert werden, da die Zusammensetzung der Darmflora zumindest vorübergehend verändert wird und damit eine Beeinflussung einer allfälligen HIT möglich ist (11). Hingegen könnten geeignete Stämme genutzt werden, um die biogenen Amine bereits in bestimmten Lebensmitteln (z. B. Käse, Wein) zu reduzieren oder dann im Darm die Darmflora positiv zu beeinflussen. Die Histaminausschüttung von Bakterien im Darm kann immunologische Folgen an entfernten Schleimhautstellen haben, wie z. B. in der Lunge. Diese Auswirkungen werden durch die Expression von Histaminrezeptoren im Wirt und die Expression von histaminabbauenden Enzymen beeinflusst (12), sodass systemische Effekte durchaus möglich sind.
Sinnvolle Schritte zur Diagnose einer HIT
Aufgrund der vielfältigen Symptomatik mit grosser differenzialdiagnostischer Breite und weil ein einfach zu messender Biomarker fehlt, stellt die Abklärung der HIT immer wieder eine Herausforderung dar. Der oft grosse Leidensdruck der Betroffenen verschärft diese Situation zusätzlich, sodass oft fragwürdige oder wenig nützliche Labortests angeordnet werden. Abbildung 2 zeigt die sinnvollsten Massnahmen. Hierzu gehören bei Beschwerden aufgrund eines bestimmten Nahrungsmittels der Ausschluss einer eigentlichen IgE-vermittelten Allergie – also z. B . bei Juckreiz und Urtikaria nach Tomaten die Messung von spezifischem IgE gegen Tomate oder bei klinischer Erfahrung ein Prick-Test mit dem entsprechen-
Vitamin C / B6 Kupfer AOC1-Gen Plazenta
DAO
Imidazol 4-Azetaldehyd
ALD
Medikamente
Alkohol
Imidazol 4-Azetosäure
Mikrobiom Histidin HDC Histamin
H1-R H2-R H3-R H4-R
(ubiquitär)
(ubiquitär, dominant im MD-Trakt)
(ZNS) (Haut, Tonsillen)
Vitamin C Vitamin B6 Kupfer
HNMT
N-Methyl-Histamin
HDC DAO HNMT MAO
Histidin-Decarboxylase Di-Amino-Oxygenase Histamin-N-Methyl-Transferase Mono-Amino-Oxygenase
Grün fördernd Rot hemmend
MAO DAO ALD
1-Methyl-Imidazol 4-Azetosäure
MAO-Hemmer Medikamente Alkohol
Abbildung 1: Histaminstoffwechsel und Rezeptoren (modifiziert nach [3])
den Lebensmittel. Allerdings ist das nicht zuletzt aus Kostengründen manchmal kaum umfassend möglich, da einzelne Betroffene eine Vielzahl von Speisen oder gar «alles Essen» angeben. Nur in den seltensten Fällen liegen aber solche breiten «Unverträglichkeiten», eigentliche IgE-vermittelte Ursachen, zugrunde. Unter Zuhilfenahme von Hauttests, molekularer Allergiediagnose und allenfalls oraler Provokationstestungen auf die von Patienten oft vermuteten Nahrungsmittelzusatzstoffe kann eine fundierte allergologische Abklärung stattfinden. Wichtig ist bei HIT, an eine zugrunde liegende Mastozytose zu denken. Die Bestimmung der Serumtryptase kann bei Erhöhung Hinweise auf diese Erkrankung geben. Im Zweifelsfall können die Bestimmung der c-Kit-Mutation im peripheren Blut oder eine Knochenmarksuntersuchung weiterhelfen. Die Diagnose eines MCAS wiederum beruht auf dem Ansprechen auf H1R-Blocker und einem signifikanten Anstieg der Serumtryptase in der Attacke. Im Rahmen des von Kofler beschriebenen Histamin50-Prick-Tests wird die Quaddel der Positivkontrolle (Histaminquaddel) nach 50 Minuten erneut abgelesen (13). Bleibt die Quaddelgrösse bis zu diesem Zeitpunkt unverändert, wird von einem gestörten Abbau ausgegangen. Die Methode lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob auch eingenommenes Histamin langsamer abgebaut wird. Im eigenen Patientengut findet sich jedoch immerhin bei mindestens 50 Prozent der Patienten mit HIT-Beschwerden deutlich häufiger als bei gesunden Vergleichspersonen ein verlängerter Abbau des Histamins mit positivem Prick-50-Test. Dieser einfache und kostengünstige Test kann somit eine HIT weder ausschliessen noch beweisen, aber die Diagnose in Richtung HIT doch unterstützen. Falls diese Abklärungen keine Rückschlüsse erlauben, ist es sinnvoll, die Patienten einer allergologisch geschulten Ernährungsberatung zu überweisen, die eine histaminreduzierte Diät erläutert (2). Führt diese
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Falls Sicherung der Diagnose erwünscht/ notwendig
Ausschluss/Suche nach Mastozytose/MCAS KEINE Bestimmung von – DAO/Histamin im Serum – N-Methyl-Histamin im Urin Fakultativ bei spez. Anamnese Hauttests/orale Provokationen mit Additiva Prick 50
Anamnese, spez. IgE gegen besonders suspekte Nahrungsmittel
Schritt 1
Vorgehen bei Verdacht auf HIT
Ausschluss Ig-E-vermittelte Nahrungsmittelallergie
Anamnese, spez. IgE gegen besonders suspekte Nahrungsmittel
Besserung Titrierte orale Provokation mit Histamin bis zu 1 mg/kg KG (plazebokontrolliert)
Vorgehen bei Verdacht auf HIT
Serumtryptase
Schritt 2
Allergologische Spezialabklärungen
Ausschluss/Suche nach Mastozytose/MCAS KEINE Bestimmung von – DAO/Histamin im Serum – N-Methyl-Histamin im Urin
Fakultativ bei spez. Anamnese Hauttests/orale Provokationen mit Additiva Prick 50
Ernährungsberatung: 4- bis 6-wöchige Probe-Eliminiationsdiät Beschwerdetagebuch
Schritt 3 Keine Besserung Andere Ursachen suchen - Gastroenterologie - Endokrin - Neurologisch - Psychosomatisch
Ernährungsberatung: 4- bis 6-wöchige Probe-Eliminiationsdiät Beschwerdetagebuch
Allergologische Spezialabklärungen
Ausschluss Ig-E-vermittelte Nahrungsmittelallergie
Schritt 3
Keine Besserung
Andere Ursachen suchen - Gastroenterologie - Endokrin - Neurologisch - Psychosomatisch
Schritt 1
Serumtryptase
Schritt 2
Besserung
Titrierte orale Provokation mit Histamin bis zu 1 mg/kg KG (plazebokontrolliert)
Ernährungstherapie: dreistufige individuelle symptomorientierte Ernährungstherapie
Falls Sicherung der Diagnose erwünscht/ notwendig
Abbildung 2: Vorgehen bei Verdacht auf Histamintoleranz (modifiziert nach [2] und [4])
Histaminreduktion zu einer Besserung, spricht das zumindest für eine HIT als Kofaktor der Beschwerden, und entsprechende Therapieansätze (siehe unten) sind gerechtfertigt. Tritt jedoch keine oder eine kaum merkbare Verbesserung ein, sind weiterführende Abklärungen sinnvoll. Bei den häufig geäusserten Magen-Darm-Beschwerden ist in vielen Fällen eine eingehende gastroenterolgische Abklärung indiziert, wenn diese nicht schon vorher erfolgt ist. Aber auch an hormonelle oder neurologische Erkrankungen ist je nach Symptomatik zu denken. Last but not least sind psychosomatische Beschwerden oft mitbeteiligt – ob als primäre Ursache oder als Folge der stetigen Verunsicherung durch Beschwerden beim Essen. Die geeignete Methode zur eindeutigen Diagnose oder zum Ausschluss einer unerwünschten Reaktion auf Histamin ist eine titrierte orale Histaminprovokation, die idealerweise doppelblind und plazebokontrolliert mit klinisch definierten Parametern als Endpunkt durchgeführt wird (14). Falls nach einer Histamineliminationsdiät die Beschwerden also nur teilweise bessern oder weiterhin Unklarheiten bestehen, kann eine orale Histaminprovokation zielführend sein. Hierbei wird in steigenden Titrationsstufen Histamin in Mengen bis zu 75 mg zugeführt – unter Einschluss von Plazebodosen. Dabei ist zu bedenken, dass die individuelle Empfindlichkeit sehr unterschiedlich sein kann und dass zahlreiche Begleitfaktoren mitwirken können (3). Aus all diesen Gründen sollte eine Histaminprovokation nur an Orten mit ausreichender Erfahrung stattfinden, da sie a) aufwendig ist und b) Kenntnisse in der korrekten Durchführung und Interpretation bedingt. Gut etabliert ist dieses Verfahren in der Schweiz an der Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang, wo es im Rahmen eines mehrtägigen stationären Aufenthalts in Kombination mit entsprechender Diät, Ernährungsberatung und bei Bedarf weiteren Spezialisten aus Allergologie, Dermatologie und Psychosomatik
angeboten wird. Ausdrücklich nicht empfohlen werden in der Leitlinie diverse Laborverfahren – eine Meinung, die wir voll und ganz teilen. Diese nicht empfohlenen Verfahren zur Diagnose einer HIT werden kurz besprochen.
DAO-Messung im Serum Die DAO-Messung im Serum ist wohl die am meisten erwähnte Laboruntersuchung bei HIT, ihre Bedeutung wird aber ausgesprochen kontrovers beurteilt. Die DAO-Aktivität ist, wie in Abbildung 1 ersichtlich, direkt/indirekt abhängig von zahlreichen internen und externen Faktoren, was natürlich die Aussagekraft einer einzelnen Messung stark relativiert. Die Ergebnisse mehrerer Studien deuten darauf hin, dass die DAO-Werte von betroffenen und gesunden Personen vergleichbar sind (15, 16). Auch die Tatsache, dass mit DAO-spezifischen monoklonalen Antikörpern es nicht möglich war, relevante Mengen an DAO im Serum nachzuweisen, wohl aber in Geweben wie der Niere, dem Darm und der Plazenta sowie im Samenplasma, stellt die Relevanz einer Messung von DAO im Serum sehr infrage. Die Bedeutung der DAO-Messung im Serum zur Identifizierung von Betroffenen mit HIT wird deshalb oft sehr überschätzt, was zu einer Fehldiagnose führen kann. In den aktuellen Leitlinien wird deshalb die DAO-Bestimmung im Serum bei HIT als nicht zielführend gewertet; auch wir führen diesen Test nicht durch.
N-Methylhistamin im Urin Die Bestimmung des N-Methylhistamin-Gehalts im Urin ist heikel, da der Methylhistamingehalt nicht nur vom Histamingehalt, sondern vom gesamten Proteingehalt der Nahrung abhängt. Bei eiweissreicher, aber histaminarmer Ernährung steigen deshalb die Methylhistaminwerte an.
Histamin im Serum Die Bedeutung der Bestimmung des Plasmahistaminspiegels ist wissenschaftlich umstritten. Giera und Mitarbeiter führten bei Patienten mit vermuteter HIT und bei Kontrollen Histamin-Challenges mit 75 mg Histamin und Plazebo durch (17). Der Anstieg des Plasmahistamins nach Verumverabreichung war bei den Patienten mit vermuteter HIT minimal und unterschied sich nicht von demjenigen nach Plazebo; er trat auch nicht bei Patienten auf, die als Reaktion auf die Provokation Symptome zeigten. Im Gegensatz dazu kam es in der Kontrollgruppe nach Verumgabe zu einem deutlichen Anstieg des Plasmahistamins, allerdings ohne begleitende Symptome, sodass dessen klinische Relevanz fraglich ist.
Histamin in Stuhlproben Histamin wird im Darm nicht nur durch DAO, sondern möglicherweise auch durch HNMT abgebaut. Zu-
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dem ist wie erwähnt bekannt, dass einige Bakterien der Darmmikrobiota grosse Mengen an Histamin absondern können. Das lässt Zweifel an der Aussagekraft hoher Histaminwerte in Stuhlproben aufkommen. Potenzielle diagnostische Bedeutung kommt allenfalls der Messung der Enzymaktivität(en) (DAO und HNMT) in der Darmschleimhaut zu. Kuefner et al. fanden eine verminderten DAO-Aktivität und eine stark verminderte HNMT-Aktivität in der Dickdarmschleimhaut von Patienten mit Nahrungsmittelallergien oder Kolonadenomen (18). Die Messungen von DAO und HNMT im Darmepithel ist zurzeit noch wenig untersucht, ist aber möglicherweise aussagekräftiger als die vorher genannten Verfahren.
Behandlung der HIT
Der Goldstandard unter den therapeutischen Ansätzen ist sicher eine histaminarme Diät. Ein gutes Ansprechen auf eine solche Diät gilt als Bestätigung für eine HIT. Neben den diätetischen Massnahmen kann eine orale DAO-Supplementierung sowie der Einsatz von H1-R-gerichteten Antihistaminika nützlich sein.
Histaminarme Diät Die Einhaltung einer histaminarmen Diät führt eindeutig zu einer Verbesserung der gastrointestinalen, kutanen und neurologischen Symptome. Das Prinzip der histaminarmen Diät besteht in einer Auswahl von Lebensmitteln, bei denen eine übermässige Menge an Histamin bzw. biogenen Aminen nicht zu erwarten ist. Lebensmittel, die unter normalen Umständen keine hohen Mengen an biogenen Aminen enthalten, sollten so frisch wie möglich verzehrt werden. Die histaminarme Diät sollte vorübergehend sein und den Patienten nicht belasten. Der Patient sollte sich darüber im Klaren sein, dass nach einer gewissen Zeit meist einige eliminierte Lebensmittel wieder auf den Speiseplan gesetzt werden können. Die Einhaltung einer histaminarmen Diät sollte aber bei einer HIT eindeutig zu einer Verbesserung der gastrointestinalen, kutanen und neurologischen Symptome führen und hat deshalb sowohl diagnostischen als auch therapeutischen Wert.
Link zum CAS-Studiengang «Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen» www.rosenfluh.ch/qr/bfh-cas-nm-allergie-intoleranz
Link zur Liste spezialisierter Ernährungsberater www.rosenfluh.ch/qr/aha-svde-liste-ernberatung-spez
Die Ernährungstherapie lässt sich gemäss Leitlinie nach Reese (2) in 3 Phasen unterteilen 1. Karenzphase ( = histaminarme Eliminationsdiät) 2. Testphase 3. Dauerernährung. In der Karenzphase wird vor allem auf eine Gemüsemischkost ausgewichen, und zwar unter starker Einschränkung der biogenen Amine und insbesondere von Histamin. Dabei geht es um die möglichst rasche Besserung der Beschwerden sowie um die Optimierung der Nährstoffversorgung und die Grundsätze einer angepassten ausgewogenen Ernährung. Diese Phase dauert meist 10 Tage bis 3 Wochen. In der anschliessenden Testphase von zirka 6 Wochen werden die gezielte Wiedereinführung verdächtiger Nahrungsmittel und die zunehmende Aufweichung von diätetischen Einschränkungen probiert. In der Phase der Dauerernährung soll mittels individueller Eliminationen eine bedarfsdeckende Ernährung bei hoher Lebensqualität angestrebt werden. Oft profitieren die Betroffenen schon durch eine Änderung der Kombination der Hauptnahrungsmittelgruppen Eiweiss, Fett, Kohlenhydrate oder/und durch eine Änderung der Mahlzeitenstruktur. Diese Schritte können im Einzelfall sehr anspruchsvoll sein und erfordern eine geschulte Ernährungsberatung. Viele Zentren für Allergologie oder Gastroenterologie verfügen über ausgebildetes Personal oder arbeiten eng mit kompetenten Fachkräften aus der Ernährungsberatung zusammen, welche einen entsprechenden CAS-Studiengang in Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen für Fachpersonal an der Berner Fachhochschule absolviert haben. Auf der Website des Allergiezentrum Schweiz kann eine Liste von spezialisierten Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater abgerufen werden.
Exogene Zufuhr von DAO
Seit 2013 wird ein Schweinenierenextrakt, der 0,3 mg DAO-Enzym enthält, als Nahrungszusatzstoff für besondere medizinische Zwecke auf dem Markt vertrieben (Daosin®). In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine exogene DAO-Supplementierung bei einem Teil der Patienten zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome und/oder der Toleranz gegenüber histaminreichen Speisen führen kann. Allerdings gibt es nur wenige Studien, die diese DAO-Supplementierung untersuchen; zudem wurden die Studien nur mit relativ kleinen Patientengruppen durchgeführt. Immerhin: Ein Versuch mit einer DAO-Substitution etwa 15 Minuten vor einem auswärtigen Essen ist bei HIT auf jeden Fall gerechtfertigt.
Antihistaminika
Antihistaminika können zur Behandlung von Patienten mit HIT diagnostisch, aber auch therapeutisch eingesetzt werden. Es gibt zwar keine randomisier-
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ten, klinischen Studien, die die Wirksamkeit von Antihistaminika bei HIT belegen, empirisch verspürt jedoch ein relevanter Anteil der Betroffenen eine Besserung mit Antihistaminika. Dabei sollten bevorzugt H1R-Antihistaminika der 2. oder 3. Generation den Vorrang haben, die deutlich weniger sedierend wirken. Bei einem Teil der Patienten reicht dabei 1 Tablette zirka 30 bis 60 Minuten vor einer möglicherweise histaminreichen Mahlzeit, andere profitieren mehr von einer Dauertherapie mit einem bis mehreren Antihistaminika pro Tag. Die längerfristige Gabe von Antihistaminika sollte alle 3 bis 6 Monate evaluiert werden, da teilweise eine Reduktion oder auch ein Absetzen möglich ist.
Ergänzende Strategien bei der Behandlung von HIT Einige Autoren betrachten die Supplementierung von Kofaktoren des DAO-Enzyms als optionale Zusatztherapie. So kann eine Ergänzung mit Vitamin C (100–1000 mg/Tag), Vitamin B6 oder Kupfer in Erwägung gezogen werden, Substanzen, die den Abbau von Histamin via DAO oder HNMT begünstigen (1, 3).
Zusammenfassung
Die HIT ist vor allem vonseiten der Betroffenen eine
häufig vermutete Ursache von diversen Beschwerden
insbesondere im Magen-Darm-Bereich. Andere Er-
krankungen wie eigentliche Nahrungsmittelallergien
oder mastozytäre Erkrankungen sollten aber vorher
ausgeschlossen werden, zumal eigentliche Biomar-
ker im Labor nicht vorhanden sind. Die Bedeutung
einer kompetenten Ernährungsberatung und einer
stufenweise adaptierten, histaminreduzierten Kost
sowohl diagnostisch als auch therapeutisch ist zent-
ral. Neben den diätetischen Massnahmen können
eine orale DAO-Supplementierung sowie der Einsatz
von H1-R-gerichteten Antihistaminika nützlich sein.
Die Breite der möglichen HIT-Symptome erfordert
oft verschiedene spezialärztliche Untersuchungen,
und ein interdisziplinäres Vorgehen ist deshalb sehr
wesentlich.
s
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier Allergiestation der Dermatologischen Klinik, Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: peter.schmid@usz.ch
Interessenkonflikte: Keine
Nachdruck aus der Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 02/2022.
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