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KONGRESSBERICHT
FOBI 2022
Fotodermatosen
Eine häufige Herausforderung in der Praxis
Fotodermatosen zählen in der dermatologischen Praxis zu den relevanten Erkrankungen. Sie können aber auch eine Herausforderung sein. Wann zum Beispiel ist bei unklaren Hauterkrankungen an eine Fotodermatose zu denken? Worauf kommt es bei der Diagnostik und bei der Differenzierung primär an? Und was ist bei lichtsensibilisierenden Medikamenten zu beachten? Mit diesen Fragen befasste sich Prof. Jörg C. Prinz aus München (D) bei seinem Plenarvortrag im Rahmen der 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI) in München.
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Fotodermatosen entstehen als pathologische Befunde aufgrund abnormer Reaktionen auf ultraviolettes und/oder sichtbares Sonnenlicht. Sie umfassen zahlreiche unterschiedliche Erkrankungen, dementsprechend können die Effekte sehr verschieden ausfallen. Zudem gebe es noch keine einheitliche Systematik und Nomenklatur für diese Gruppe, so Prinz. Er hält sich bei der Unterteilung an die Pathomechanismen der Fotosensitivität. So geht es bei Fotodermatosen mit bekanntem Fotosensibilisator um fotoallergische Dermatitiden und fototoxische Reaktionen. Die Ursache Letzterer ist entweder endogen (etwa bei den Porphyrien) oder exogen (wie bei Furocumarinen oder fotosensibilisierenden Medikamenten). Zu den idiopathischen Fotodermatosen mit unbekanntem Mechanismus gehören unter anderem die polymorphe Lichtdermatose, die chronisch aktinische Dermatitis, die Urtikaria solaris und die Hydroa vacciniforme. Pellagra (Niacinmangel) und Hartnup-Krankheit sind sekundäre Fotodermatosen, ebenso wie eine durch Retinoide erhöhte Fotosensitivität. Eher selten, aber klinisch relevant treten Fotodermatosen mit gestörter Reparatur der Erbsubstanz DNS auf, wie Xeroderma pigmentosum und das CockayneSyndrom. Andere Lichtdermatosen können durch UV-Bestrahlung fotoprovoziert oder fotoaggraviert werden. Bekannt sei das für den Formenkreis des Lupus erythematodes, berichtete Prinz. Hautkrankheiten wie Psoriasis, atopisches Ekzem und autoimmunbullöse Dermatosen können eine Indikation für eine UV-BBehandlung darstellen – sie können aber ebenfalls fotoaggraviert werden.
Lichtsensibilisierende Medikamente
Eine durch Medikamente induzierte Fotosensibilität, also eine fototoxische oder fotoallergische Reaktion durch Arzneimittel und nachfolgende Exposition gegenüber ultraviolettem oder sichtbarem Licht, ist eine unerwünschte Wirkung. Zu den in der Praxis öfter
verordneten lichtsensibilisierenden Medikamenten gehörten unter anderem Tetrazykline, BRAF-Hemmer und Retinoide, so der Dermatologe. «Retinoide verdünnen das Stratum corneum und damit die physikalische Barriere, die uns vor der UV-Einwirkung schützt», erklärte er: «Das führt zu einer verminderten UV-Toleranz mit einer verringerten Erythemschwelle.» Tetrazykline, die bei Akne, Rosazea und Borreliose eingesetzt werden, können fototoxisch wirken. Als Medikamentengruppe mit hoher Absorption, vor allem für UV-A-Licht, nannte er BRAF-Hemmer, die beim malignen Melanom eingesetzt werden. Der Arzt müsse seine Patienten darüber informieren, wenn er ihnen ein lichtsensibilisierendes Medikament verordne, betonte Prinz. Dazu gehört die Aufklärung, dass und wie sie ihr Verhalten der neuen Situation anpassen müssen – vom Meiden der Sonne über das Auftragen von Sonnenschutzmitteln bis zum Tragen UV-dichter Kleidung. Tatsächlich ist die Zahl der potenziell fotosensibilisierenden Arzneimittel hoch: Entsprechende Eigenschaften wurden bereits für 393 Medikamente/Wirkstoffe berichtet. Zu den wichtigsten zählen unter anderem einige Vertreter der Antibiotika, Antiarrhythmika, Fibrate, Diuretika, Neuroleptika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Unter den Phytopharmaka ist beispielsweise Johanniskraut dafür bekannt. Eine online verfügbare Auflistung der fotosensibilisierenden Mittel haben G. A. Hoffmann und B. Weber 2021 veröffentlicht (siehe Kasten und [1]). Diese nach den Worten von Prinz «sehr gute Zusammenstellung» erlaubt Ärzten ein schnelles Nachschauen, ob ein für die Behandlung eines Patienten erwogenes Präparat möglicherweise lichtsensibilisierend wirkt.
Cave bei Start einer Fototherapie
Die Einnahme fotosensibilisierender Medikamente ist etwa vor dem Beginn einer UV-B-Fototherapie auszuschliessen. Viele Patienten, zum Beispiel solche mit Psoriasis, nehmen Begleitmedikationen. Wie
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Kasten:
Liste mit den lichtsensibilisierenden Präparaten
Eine Liste mit rund 400 potenziell fotosensibilisierenden Präparaten/Wirkstoffen wurde im Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft veröffentlicht (1). Sie ist im Open Access einsehbar, also online frei zugänglich (doi: 10.1111/ddg.14314_g). Anhand der Liste lässt sich in der Praxis schnell überprüfen, ob ein ins Auge gefasstes Medikament als lichtsensibilisierend bekannt ist. Die Autoren G. A. Hoffmann und B. Weber von der Medizinischen Universität Wien, Österreich, gehen in ihrem Artikel darüber hinaus auf mögliche Mechanismen und klinische Folgen ein (1).
geht man da vor? «Wenn Sie die Möglichkeit haben, bestimmen Sie bei der Einnahme fotosensibilisierender Medikamente zunächst die minimale Erythemdosis», erläuterte der Experte. «Dann kann man 70 Prozent der minimalen Erythemdosis als Anfangsdosis wählen.» In der Praxis fehlt diese Option aber häufig. Für diesen Fall empfahl er, eine niedrige Startdosis zu wählen (z. B. 0,05 J/cm2) und anschliessend die Dosierung sehr vorsichtig und kontrolliert anzuheben. Die Patienten sollten über ihr Risiko aufgeklärt werden.
Unklare Dermatose: Eine Lichtdermatose?
Wenn ein Patient mit einer unklaren Dermatose den Hautarzt aufsucht: Was begründet einen Verdacht auf eine Fotodermatose? Hier konzentriere sich das ärztliche Interesse primär auf die Anamnese und das Verteilungsbild, so Prinz. Bei der Anamnese sucht man nach Verbindungen der Hautveränderungen mit möglichen Einwirkungen von innen oder aussen. Das umfasst unter anderem Sonnenlicht, fotosensibilisierende Duftstoffe und Arzneimittel. Verteilen sich die betroffenen Stellen auf Sonnenterrassen wie Gesicht, Nacken und/oder Handrücken, dann nährt das den Verdacht auf Lichtdermatose, denn in diesen Bereichen ist die Lichtexposition erhöht. Bei Sandalenträgern gehört auch der Fussrücken zu den gefährdeten Arealen, auf die ein kritischer Arztblick fallen sollte. Beachten sollte man dabei, dass es Fotodermatosen mit atypischem Verteilungsmuster gibt, wie die Phytofotodermatitis durch Feigensaft. Auf Medikamenten beruhen rund 7 Prozent der Lichtdermatosen.
Differenzierende Kriterien
Differenzialdiagnostische Hinweise liefert zum Beispiel die Kinetik. So treten die Beschwerden bei Patienten mit aktinischer Prurigo direkt nach der Sonnenexposition auf. Bei einer solaren Urtikaria dagegen ist das innerhalb von 5 bis 10 Minuten der Fall, während sich Juckreiz und Bläschen, etwa aufgrund einer polymorphen Lichtdermatose, bis zu 2 Tage nach der Exposition entwickeln können. Eine erythropoetische Protoporphyrie kann bei Kindern innerhalb
von Minuten nach der Sonnenexposition Schmerzen verursachen, eventuell kommen Erytheme dazu.
Symptome und bevorzugtes Alter
Bei Kindern können eine bullöse Frühlingsdermatose, eine aktinische Prurigo oder ein Xeroderma pigmentosum auffallen. Eine Phytofotodermatitis findet sich bei ihnen unter anderem nach Spielen im Gras. Bei Kleinkindern mit Lichtdermatose ist auf die Möglichkeit eines Lupus erythematodes neonatorum zu achten. Er wird durch Antikörper von der Mutter übertragen. Auch eine erythropoetische Protoporphyrie kommt in Betracht; sie ist schmerzhaft, tritt aber oft ohne Erythem in Erscheinung. Eine polymorphe Lichtdermatose entwickelt sich eher bei jungen Erwachsenen. Die Porphyria cutanea tarda zieht das mittlere Erwachsenenalter vor. Sie tritt unabhängig vom Geschlecht auf, während an einer chronisch aktinischen Dermatitis meist Männer erkranken, besonders solche im mittleren bis späteren Alter. Juckreiz ist unter anderem bei solarer Urtikaria, fotoallergischer Dermatitis, aktinischer Prurigo sowie polymorpher Lichtdermatose eines der Symptome.
Solare Urtikaria: Fotodermatose durch die Fensterscheibe
UV-Strahlung kann je nach Spektrum verschiedene Fotodermatosen auslösen. Ein deutliches Signal dafür liegt vor, wenn die Haut eines Betroffenen auch hinter Fensterglas entsprechend reagiert. Bei solchen Patienten kämen laut Prinz eigentlich nur 2 Lichtdermatosen in Betracht: eine Urticaria solaris (Lichturtikaria) und die persistierende Lichtreaktion. Bei Menschen mit Lichturtikaria reagiert die Haut akut auf Licht. Dabei spielten UV-B-Strahlen seltener eine Rolle; dagegen sei die Reaktion auf sichtbares Licht und auf UV-A-Strahlung urtikariell und sehr stark, beschrieb Prinz das Geschehen. Tatsächlich reagiert die Haut der davon Betroffenen auch, wenn sie in ihrer Wohnung hinter Fensterglas sitzen. Im Alltag kann das die Patienten in ihrer Lebensweise massiv einschränken und sie im äussersten Fall bis in den Selbstmord treiben. Bei Lichturtikaria sei es wichtig, zu testen, so Prinz. Denn wenn die Reaktionen nur durch sichtbares Licht und UV-A-Strahlen ausgelöst werden, kann eine vorsichtige Therapie mit UV-B-Bestrahlung die Hautveränderungen komplett zur Abheilung bringen (2). Danach, so der Dermatologe, sei die Lichturtikaria nicht mehr provozierbar.
Aktinische Prurigo mit Unterlippenbeteiligung
Eine Beteiligung der Unterlippe kommt vor allem bei aktinischer Prurigo vor, besonders bei den indigenen Völkern Mittel- und Südamerikas. In der europäischen Bevölkerung dagegen sei das nur vereinzelt anzutreffen, wie Prinz berichtete. Dass neben einem
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schmetterlingsartigen Erythem im Gesicht, das Nasenrücken und Wangen hervorhebt, auch die Unterlippe betroffen ist, fällt auf: «Es gibt nahezu keine Fotodermatose, die genau dieses Verteilungsmuster mit Beteiligung der Unterlippe hat», betonte Prinz. Vor allem UV-A-Licht und weniger das UV-B-Licht rufe diese Reaktionen hervor, erklärte er. Das lässt sich in der UV-Provokation nachweisen.
Pellagra: Daran denken!
Pellagra entsteht aufgrund eines Mangels an Niacin (Nicotinamid, B3) oder Tryptophan. In Lehrbüchern wird als Ursache in der Regel der Mangel/die einseitige Ernährung mit Mais und Sorghumhirse in Afrika und Asien beschrieben. Doch die Krankheit kommt auch in unseren Breiten immer wieder vor. Gefährdet sind unter anderem Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen, dauerhaftem Missbrauch von Alkohol und teilweise Patienten unter Einnahme von Immunsuppressiva (3).
Weiter ist beim Einsatz von Tuberkulostatika Auf-
merksamkeit geboten. Der Grund: «Wir müssen bei
Vorliegen einer latenten Tuberkulose oft eine 9-mo-
natige Tuberkuloseprophylaxe durchführen, und das
kann einen Niacinmangel erzeugen. Dann», berich-
tete Prinz, «sieht man als Folge der gesteigerten Fo-
tosensibilität das Casal-Halsband.»
s
Helga Brettschneider
Quelle: Plenarsitzung «Häufige Probleme in der Praxis» anlässlich der 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI) am 14. Juli 2022 in München (D).
Referenzen: 1. Hofmann GA, Weber B: Medikamenten-induzierte Photosensibilität: Auslösende
Medikamente, mögliche Mechanismen und klinische Folgen. J Dtsch Dermatol Ges. 2021;19(1):19-30. 2. Wolf R et al.: Solar urticarial: long term rush hardening by inhibition spectrum narrow band UVB 311 nm. Clin Exp Dermatol. 2013;38:446-447. 3. Thornton AM, Drummond CJ: An unexpected case of pellagra. Med J Aust. 2014;200(9):546-548.
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