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KONGRESSBERICHT
DERM Alpin 2021
Vorsicht mit der Pille!
Haut und Haar bei pubertierenden Mädchen
Eine Hyperandrogenämie kann u. a. zu Akne, Hirsutismus und Haarausfall führen. Die Verordnung eines Ovulationshemmers hilft in der Regel. Doch Vorsicht bei Mädchen in der Pubertät: Die Ovarien könnten hierbei auf Dauer lahmgelegt werden.
Doris Maria Gruber
Die Pubertät ist eine Zeit der Veränderung, bei der die Androgene eine wichtige Rolle spielen, erklärte Univ.-Prof. Dr. Doris Gruber, Gynäkologin aus Wien, auf der Tagung DERM Alpin im Oktober 2021. Ihre Auswirkungen beschäftigen auch Dermatologen. Die Androgene können auf der einen Seite Hirsutismus, Akne und Haarausfall induzieren und sind zudem massgeblich an der gesunden Entwicklung der späteren Fertilität junger Frauen beteiligt. Eine Hyperandrogenämie kann alle Altersgruppen betreffen, der Leidensdruck ist unterschiedlich gross. Die meisten betroffenen Frauen können sich jedoch mit den dermatologischen Folgen von Akne und/oder übermässiger Körperbehaarung nur schlecht anfreunden und wünschen sich – möglichst auf Dauer – einen pickelfreien und haarlosen Körper.
Ursachen und Symptome
Die Ursachen der Hyperandrogenämie sind vielfältig. Zu nennen sind Erkrankungen der Ovarien (polycystisches Ovar-Syndrom = PCO-S). Fehlfunktionen der Nebennierenrinde (Enzymdefekte, AGS, Tumor) oder ein medikamentös bedingter Hyperkortisolismus. Eine Hyperandrogenämie macht sich häufig in der Pubertät bemerkbar, kann aber auch in der Perimenopause oder Menopause auftreten. Selten kann einer Hyperandrogenämie auch ein Defekt der 3-beta- Hydroxysteroid-Dehydrogenase zugrunde liegen. Dieses Enzym ist für die Verstoffwechselung von Pregnenolon, 17-OH-Pregnenolon und DHEA zuständig, weswegen diese Hormone vermehrt anfallen, wenn das Enzym verlangsamt arbeitet. Noch weniger oft kommt ein Defekt der 11-beta-Hydroxylase vor. Hierbei staut sich vor allem die Kortisolachse zurück – 11- Desoxycorticosteron und 11-Desoxycortisol fallen vermehrt an –, zeitgleich erhöhen sich aber auch die Androgene.
Klinische Symptome der Hyperandrogenämie sind ▲ Akne (50 % bei Hyperandrogenämie) ▲ Hirsutismus (vgl. Abbildung 1) ▲ Androgenetische Alopezie ▲ Fette Haut (Seborrhoe) ▲ Beeinträchtigtes Wachstum der Mammae ▲ Virilisierung ▲ Metabolisches Syndrom ▲ Adipositas/Übergewicht ▲ Insulinresistenz ▲ Hyperinsulinämie ▲ Morphologisch poly-/multicystische Ovarien
Differenzialdiagnostisch sind Hypertrichose, Diabetes mellitus, Galaktorrhoe und Akromegalie zu bedenken. Unbehandelt kann aus einer lange bestehenden Hyperandrogenämie ein echtes internistisch zu behandelndes metabolisches Problem entstehen.
Polycystisches Ovar (PCO)
Ein PCO-Syndrom geht in der Regel mit einer Hyperandrogenämie und charakteristischen morphologischen Veränderungen einher. Daher soll dieses Krankheitsbild genau diagnostiziert und auch ebenso differenziert behandelt werden. Mit der Diagnose «PCO-S» sollte man bei pubertierenden Mädchen vorsichtig sein. Polycystische Ovarien sind in diesem Alter physiologisch. Wenn man einen Teenager von 14 bis 16 Jahren mit dem Begriff polycystisches Ovar-Syndrom konfrontiert, kann dies für Verunsicherung sorgen. Diese Diagnose beinhaltet das Wort «Cyste», was sich für die Patientinnen oft dramatisch anhört, die Vorsilbe «poly» (viel) sorgt auch nicht gerade für Entspannung und schon gar nicht der Begriff «Syndrom». Daher sollte man besser von einem «multifollikulären Ovar» der Pubertät sprechen, sofern man bei der gynäkologischen Untersuchung einen vaginalen Ultraschall macht und
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Abbildung 1: Androgenetische Prädilektionstellen von Hirsutismus
auch das Progesteron. Es handelt sich also um eine stufenweise Aktivierung der Steroidhormone. Versucht man, die Hyperandrogenämie wegen der unangenehmen Hautsymptome zu «therapieren», könnte das langfristig negative Auswirkungen auf die natürliche Entwicklung der Ovarien haben. Eine ähnliche Symptomkonstellation wie in der Pubertät (Hautsymptome, Virilisierung) zeigt sich manchmal auch in den Wechseljahren. Auch in dieser Lebensphase können vermehrt Cysten an den Ovarien vorkommen. Ebenso häufig sind auch die dermatologischen Symptome von Akne und Hirsutismus zu beklagen. Was die klinische Manifestation der Hyperandrogenämie anbelangt, gibt es mildere oder stärker ausgeprägte Phänotypen, die von externen Faktoren wie Lebensstil, Körpergewicht, Diät und körperlicher Bewegung entscheidend mit beeinflusst werden. Die Androgen Excess & PCOS Society hat versucht, in die Nomenklatur eine «Ordnung» hineinzubringen, und gemäss diesem Expertengremium gibt es vier verschiedene endokrinologische Phänotypen des PCO-S: ▲ Typ I: Hyperandrogenämie (klinisch und laborche-
misch) plus Anovulation ▲ Typ II: Hyperandrogenämie plus PCO im Ultra-
schall plus Ovulation ▲ Typ III: Anovulation ohne Hyperandrogenämie
plus PCO im Ultraschall ▲ Typ IV: Hyperandrogenämie plus Anovulation plus
PCO im Ultraschall.
Abbildung 2: Relative antiandrogene Wirksamkeit von Gestagenen.
die Eierstöcke dementsprechend imponieren. Denn zur Diagnose «PCO-S» gehört mehr als nur die Veränderungen an den Ovarien. Der pubertierende Eierstock ist per se polycystisch/ multifollikulär, weil bei Beginn der Pubertät der Hypothalamus GnRH ausschüttet, was die Hypophyse zur Sekretion von LH/FSH stimuliert. Diese beiden Impulse induzieren in den Ovarien die Androgenproduktion. Deshalb entwickelt sich bei den jungen Mädchen ja auch so häufig Akne oder Seborrhoe. Die vorübergehende Hyperandrogenämie ist aber notwendig, damit der Eierstock sich gesund weiterentwickeln kann. Nur dann ist er in der Lage, in der Folge auch Östrogene zu bilden und Jahre später
Für alle PCO-S-Typen gilt, dass sich die Morphologie von der Pubertät bis zur Menopause verändern kann. Manche «Störungen» wachsen sich sogar aus. Dennoch sollte man aber auf jeden Fall beim Vorliegen einer Hyperandrogenämie an mögliche metabolische Spätfolgen denken, die sich langsam manifestieren können.
Ursachen des PCO-S
Wie entsteht überhaupt ein PCO-S? Über die Ursachen ist sich die Wissenschaft nicht einig, und es gibt noch viel Ungeklärtes. Es mehren sich die Hinweise, dass es ein sogenanntes «Fetal Life Programming» gibt, d. h. ein Programm, das schon im Fetus angelegt wird und dann in der Pubertät abgespielt – reaktiviert – wird. Auslöser könnten z. B. Stresssituationen der Mutter in der Schwangerschaft sein, die sich dann endokrin – über die Kortisolachse – auf den weiblichen Feten auswirken können. Zum anderen kann es auch erst in der Präpubertät zu Fehlregulierungen in der Nebennierenrinde mit einer Hypersekretion der Androgene kommen. Auch die Steroidsynthese in den Ovarien kann fehlgeleitet sein. In diesem Zeitabschnitt haben sowohl Über- als auch Untergewichtigkeit ganz grossen Einfluss auf
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die Entwicklung des PCO-S. Weitere «Störfaktoren» können Ernährung, unzureichende körperliche Bewegung, Alkohol/Nikotin-Abusus und hormonelle Irritationen (Einnahme von Ovulationshemmern) sein. Oft wird versucht, mithilfe von Ovulationshemmern («Pille & Co») die hyperandrogenämischen Erscheinungen der Haut in den Griff zu bekommen. Dies gelingt auch sehr gut, aber möglicherweise unterbindet man damit auch die physiologische Entwicklung der hormonellen Schaltkreise, die sich gerade in der Pubertät ausbilden. Diese Unterbindung kann unmittelbar negative Auswirkungen auf die ovarielle Steroidsynthese haben, aber auch metabolische Auswirkungen, etwa auf den Insulinstoffwechsel und das Fettgewebe. Beides zusammen kann später Auswirkungen auf eine regelmässige Ovulation haben.
Mögliche Therapien
Als erste Massnahme würden wir bei symptomatischer Hyperandrogenämie eine Lebensstiländerung (Diät plus körperliche Aktivität) empfehlen. Die Therapie sollte aber alters- und gewichtsadäquat sein. Sehr oft lässt sich mit Metformin etwas erreichen bei pathologischem oralen Glukosetoleranztest. Es verbessert die Insulinsensitivität der Leber und der peripheren Organe sowie die ovarielle Steroidgenese und wirkt antiatherogen. Eine Behandlung mit Ovulationshemmern (z. B. auf Ethinylestradiolbasis oder in Form von Antiandrogenen wie CPA, Chlormadinonacetat oder Dienogest) wirkt gut, was Haut und Haare anbelangt, zudem wird die Menstruation regelmässig. Was die Antiandrogene betrifft: Es gibt unterschiedliche Antiandrogene, die z. T. zu 100 Prozent den Androgenrezeptor blockieren (CPA) oder nur partiell (Chlormadinonacetat, Dienogest, vgl. Abbildung 2). Aber – und das ist die Problematik – die Pille wirkt nicht nur antiandrogen, sondern sie blockiert auch die hormonellen Feedbackschleifen zum Hypothalamus und hemmt «alles», was ja primär erwünscht ist, denn sie wirkt – wie der Name es verspricht – ovulationshemmend. Gleichzeitig wird jedoch das pubertäre polycystische/multifollikuläre Ovar ruhiggestellt und arbeitet nicht mehr. Die mögliche Folge: Wenn die Pille über zehn Jahre oder länger eingenommen und dann wegen Kinderwunsches abgesetzt wird, kann es passieren, dass die Regel ganz ausbleibt. Man nennt dieses Phänomen Post-Pillen-Amenorrhoe. Im Ultraschall sieht man dann polycystische Ovarien, die aus der Pubertät quasi konserviert wurden, und eine zarte atrophe (d. h. über Jahre ruhiggestellte) amenorrhoische Gebärmutter. Fällt der Ovulationshemmer weg, versuchen die Eierstöcke wieder Hormone – vorzugsweise Androgene – zu produzieren und das PCO-S ist perfekt. Die Ovarien setzten dort ihre «Arbeit» fort, wo sie
einst unterbrochen/stillgelegt wurden – im hyperandrogenämischen und multifollikulären Stadium. Deshalb ist es sehr wichtig, auf das Zusammenspiel der Hormone in der Pubertät Rücksicht zu nehmen. Die hypothalamo-hypophysäre-ovarielle Achse muss in der Pubertät innerhalb von 4 bis 6 Jahren auf Schiene gebracht werden, damit die oben geschilderten Probleme nicht entstehen können, warnte Gruber. Die metabolischen Folgen der Hyperandrogenämie treten oft erst dann zutage, wenn die Pille abgesetzt wird, weil dann das Ovar überschiessend reagiert.
Was ist zu tun?
Eine Hyperandrogenämie ist also insbesondere in der Pubertät mit Augenmass zu behandeln. Alle dermatologischen Möglichkeiten für Haut und Haare sollten ausgeschöpft werden. Bei Leidensdruck und nachgewiesener Hyperandrogenämie – und unter Bedachtnahme des oben beschriebenen Mechanismus – kann, zeitlich begrenzt, eine kombinierte Pille eingesetzt werden: ▲ Ethinylöstradiol (20 bis 35 µg) plus CPA (2 mg)
oder Chlormadinonacetat (2 mg) oder ▲ Dienogest (2 mg)
Alternativ kommt eine CPA-Monotherapie mit 5 bis
10 mg (10 Tage/Monat) oder Finasterid (5 mg/Tag –
off label für die Frau) infrage. Diese beiden Substan-
zen können auch topisch verabreicht werden. Bei
Kinderwunsch sollte mit Metformin/CC/Antiöstro-
gen/Aromatasehemmer/FSH s. c. behandelt werden.
Additiv ist die Supplementierung von Spurenele-
menten zu überlegen.
Bei manchen Frauen ist auch, wenn die Morphologie
der Ovarien eindeutig ist, ein operatives Vorgehen
notwendig (Ovarian drilling).
s
Dr. Vera Seifert
Erstmals erschienen in: DERMAforum, 2022;26(3):13. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags und der Autorin.
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