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Atopische Dermatitis
Wenn schmieren und salben nicht mehr helfen
Viele Patienten mit leichter Neurodermitis kommen mit der Basistherapie gut zurecht. Andere bedürfen jahrelanger intensivierter topischer Therapien und sind dennoch nicht zufrieden. Ihre Krankheitslast kann zunehmend besser mit Biologika oder mit oral verabreichbaren JAK-Inhibitoren eindrücklich gesenkt werden.
Die Ätiologie der atopischen Dermatitis (AD) sei multifaktoriell und beruhe auf einem komplexen Wechselspiel zwischen Genetik, Immunprozessen und Umwelteinflüssen, erläuterte PD Dr. Florian Anzengruber, Leiter Dermatologie am Kantonsspital Graubünden und Oberarzt an der Dermatologischen Poliklinik des Universitätsspitals Zürich. In den letzten 30 Jahren wurde eine Zunahme der Inzidenz auf das 2- bis 3Fache beobachtet, was zumindest teilweise auf eine verbesserte Diagnostik zurückgeführt werden kann.
Therapiequalität beeinträchtigt Lebensqualität
Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer AD haben im Vergleich zu solchen mit leichter AD eine signifikant schlechtere Lebensqualität. Zudem erfahren viele eine nicht adäquate Behandlung, was die Lebensqualität weiter beeinträchtigt (1). Die negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität sind bei AD grösser als bei Psoriasis und nehmen mit dem Schwergrad dieser Erkrankungen jeweils zu (2). Die psychische Belastung durch die Hauterkrankung, gemessen mit Angst- und Depressionsscores, lässt sich durch eine gute therapeutische Kontrolle deutlich verringern (3, 4). Wichtig sei, die vielfältigen Faktoren im Auge zu behalten, welche die Lebensqualität von
kurz & bündig
s Viele Patienten mit atopischer Dermatitis (AD) erfahren eine nicht adäquate Behandlung, was die Lebensqualität weiter beeinträchtigt.
s Vor allem Behandlungsregimes mit intensivierter Applikation von topischen Therapeutika haben einen schädliche Einfluss auf die Lebensqualität.
s Die Januskinase (JAK)-Hemmer haben in den letzten Jahren interessante Angriffpunkte für eine orale Therapie der AD ergeben.
s Neu steht Upadacitinib, ein selektiver, reversibler JAK1-Hemmer, bei AD zur Verfügung. s Im Gegensatz zu Biologika tritt eine klinische Verbesserung unter Upadacitinib schon
sehr rasch ein.
Patienten mit AD beeinflussten, erinnerte Anzengruber. Dazu gehören die Symptome der Krankheit im engeren Sinne wie Juckreiz, Hautschmerz, Schlafstörungen und Hautverletzungen, daneben aber auch die negativen Auswirkungen auf soziale Interaktionen, sexuelle Beziehungen und Arbeitsproduktivität sowie die damit einhergehenden psychischen Beeinträchtigungen.
Stufentherapie gemäss Leitlinien
Die europäischen Richtlinien geben für die verschiedenen Schweregrade bei AD Empfehlungen für eine abgestufte Behandlung (5). Neben der Basistherapie mit Patientenschulung, Emollienzien, Badeölen und Allergenvermeidung wird für leichtere AD-Formen (SCORing Atopic Dermatitis [SCORAD] < 25 oder transientes Ekzem) eine reaktive topische Behandlung mit Glukokortikoiden der Klasse II oder mit topischen Calcineurininhibitoren empfohlen. Bei mittelschweren Formen (SCORAD 25–50 oder rezidivierendes Ekzem) soll hingegen eine proaktive Therapie mit topischem Tacrolimus oder topischen Glukokortikoiden der Klasse II oder III erfolgen, gegebenenfalls ergänzt mit feuchten Umschlägen, Phototherapie, psychosomatischer Beratung und Klimatherapie. Bei schwerer AD (SCORAD > 50 oder persistierendes Ekzem) sehen die 2018 publizierten Behandlungsrichtlinien eine Hospitalisation mit Einleitung einer systemischen immunsuppressiven Therapie mit Dupilumab oder anderen Wirkstoffen vor. Es gibt also eine gewisse Zahl an Behandlungsoptionen bei AD, dennoch ist nur eine Minderheit der Patienten mit der Therapie zufrieden. Insbesondere haben Behandlungsregimes mit intensivierter Applikation von topischen Therapeutika einen schädlichen Einfluss auf die Lebensqualität, der mit zunehmender Dauer und Häufigkeit der Anwendungen zunimmt (6). Die von den Richtlinien geforderte proaktive Therapie bei mittelschwerer und schwerer AD scheitert
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oft am Verhalten der Betroffenen, die eine Intensivierung der topischen Therapie, sei es aus Angst vor Kortikoidnebenwirkungen, sei es aus anderen Gründen, hinauszögern, weshalb eine langfristige Remission der Hautläsionen nicht zu erzielen ist. Gemäss retrospektiven Daten (7) und einer Querschnittsuntersuchung (8) erhalten nur sehr wenige Patienten mit mittelschwerer und schwerer AD überhaupt eine systemische Therapie (8% resp. 7%). Trotz des breiten Spektrums an topischen und systemischen Behandlungsmöglichkeiten bleibe ein nicht erfülltes Bedürfnis für zusätzliche effektive Therapien mit akzeptablem Sicherheitsprofil für die Langzeitbehandlung bei mittelschwerer und schwerer AD zur Kontrolle der Symptome und zur Reduktion der Krankheitslast, so das Fazit von Anzengruber.
Schwere Fälle: Mit Upadacitinib zum Erfolg
In den pathophysiologischen Modellen der AD spielten heute verschiedene Zytokine eine wichtige Rolle bei der Symptomentstehung, erklärte Prof. Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter Allergiestation, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich. Die Januskinase-(JAK-)Hemmer haben hier in den letzten Jahren interessante Angriffspunkte für die Therapie ergeben. So beeinflusst die Hemmung des JAK-1-Signalwegs wichtige Zytokine im komplexen Netzwerk der Entzündungswege. Im Gegensatz zu Biologika (wie z. B. Dupilumab), bei denen es sich um komplexe Eiweissmoleküle handelt, die nach Injektion individuelle Zytokine komplett zu blockieren vermögen, sind die JAK-Inhibitoren kleine Moleküle, die, oral verabreicht, intrazellulär wirken und gewisse Signalwege partiell und reversibel modulieren. Bisher war bei AD Baricitinib zugelassen, ein JAK1/ JAK2-Inhibitor. Neu steht jetzt Upadacitinib, ein selektiver, reversibler JAK1-Inhibitor zur Verfügung. Upadacitinib wurde in einem grossen Studienprogramm einerseits als Monotherapie im Vergleich zu Plazebo, andererseits in Kombination mit topischen Kortikosteroiden (TCS) bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer AD untersucht (9, 10). In diesen Phase-III-Studien ergaben sich über 16 Wochen hinsichtlich der Besserung des Hautbefunds (Eczema Area and Severity Index [EASI] und Validated Investigator Global Assessment for Atopic Dermatitis [vIGA-AD]) konsistente Ergebnisse. Im Gegensatz zu Biologika, bei denen der Therapieerfolg oft erst nach 4 Monaten abschätzbar sei, zeige sich unter Upadacitinib meist schon sehr rasch – innert Tagen bis einer Woche – eine klinische Besserung, betonte SchmidGrendelmeier. Bei der Besserung des Juckreizes ist in Vergleichsstudien immer ein Plazeboeffekt nachweisbar, allerdings übertrifft die Wirkung der JAK-Inhibitoren diesen bei Weitem. Auch bei der Beurteilung der Lebensqualität (Dermatology Life Quality Index [DLQI]) und der subjektiven Einschätzung der Patien-
ten hinsichtlich Juckreiz, Schlaf, Hautbluten, Schup-
pung (Patient-Oriented Eczema Measure [POEM])
wurden signifikante Verbesserungen unter Upadaciti-
nib gegenüber Plazebo dokumentiert. In der Studie
mit den Kombinationstherapien Upadacitinib/TCS
und Plazebo/TCS war die Zahl der kortikoidfreien
Tage unter Upadacitinib im Vergleich zu Plazebo
höher und die Zeit bis zum Absetzen von TCS für
Upadacitinib signifikant kürzer.
Noch seien die therapeutischen Erfahrungen mit
JAK-Inhibitoren begrenzt, wie Schmid-Grendelmeier
einräumte. Aus den vorliegenden Studien zur AD er-
geben sich jedoch keine ernsten Sicherheitssignale.
Häufige unerwünschte Wirkungen unter Upadaciti-
nib waren Akne, Nasopharyngitis und Infektionen der
oberen Atemwege. Unter den Laborbefunden wurde
häufiger eine Erhöhung der Kreatinphosphokinase
(CPK) beobachtet. Entsprechende Kontrollen sind
somit angezeigt. Für Dermatologen interessant ist
das häufigere Auftreten von oralem Herpes.
Bei Verlängerung der Beobachtungsdauer der bei-
den randomisierten Vergleichsstudien mit Plazebo
blieb die klinische Wirkung auch über 52 Wochen er-
halten, und es traten keine neuen Sicherheitssignale
auf (11). Upadacitinib hat kürzlich von Swissmedic mit
Limitatio die Zulassung bei AD erhalten. Upadaciti-
nib kann in Monotherapie oder als Kombinationsthe-
rapie mit TCS bei Patienten ab 18 Jahren mit schwe-
rer AD eingesetzt werden, sofern die Patienten auf
eine intensivierte Lokalbehandlung plus Fotothera-
pie und auf eine systemische Behandlung mit einem
konventionellen Immunsuppressivum (ausgenom-
men systemische Kortikoide) während mindestens
eines Monats unzureichend angesprochen haben
oder wenn diese Therapien wegen Kontraindikatio-
nen oder Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden
konnten (12).
s
Halid Bas
Quelle: Medien-Round-Table von AbbVie AG, «Atopische Dermatitis – die Zukunft beginnt jetzt», am 19. Oktober 2021 in Zürich.
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Referenzen: 1. Simpson EL et al.: Association of inadequately controlled disease and disease se-
verity with patient-reported disease burden in adults with atopic dermatitis. JAMA Dermatol. 2018;154(8):903-912. 2. Egeberg A et al.: Clinical characteristics, symptoms and burden of psoriasis and atopic dermatitis in adults. Br J Dermatol. 2020;183(1):128-138. 3. Eckert L et al.: Burden of illness in adults with atopic dermatitis: Analysis of National Health and Wellness Survey data from France, Germany, Italy, Spain, and the United Kingdom. J Am Acad Dermatol. 2019;81(1):187-195. 4. Silverberg JL et al.: Symptoms and diagnosis of anxiety and depression in atopic dermatitis in U.S. adults. Br J Dermatol. 2019;181(3):554-565. 5. A Wollenberg et al.: Consensus-based European guidelines for treatment of atopic eczema (atopic dermatitis) in adults and children: part II. J Acad Dermatol Venereol. 2018;32(6):850-878. 6. Retzler J et al.: Process utilities for topical treatment in atopic dermatitis. Qual Life Res. 2019;28(9):2373-2381. 7. Pascal C et al.: Therapeutic management of adults with atopic dermatitis: comparison with psoriasis and chronic urticaria. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2020;34(10):2339-2345. 8. Egeberg A et al.: Factors associated with patient-reported importance of skin clearance among adults with psoriasis and atopic dermatitis. J Acad Dermatol. 2019;81(4):943-949. 9. Guttman-Yassky et al.: Once-daily upadacitinib versus placebo in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis (Measure Up 1 and Measure Up 2): results from two replicate double-blind randomized controlled phase 3 trials. Lancet 2021;397(10290):2151–2168. 10. Reich K et al.: Safety and efficacy of upadacitinib in combination with topical corticosteroids in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis (AD Up): results from a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2021;397(10290):2169-2181. 11. Simpson EL et al.: Efficacy and safety of upadacitinib In patients with atopic dermatitis: results through week 52 from replicate, phase 3, randomized, double blind, placebo controlled studies: Measure Up 1 and Measure Up 2. Presented at the 2021 Dermatology Education Foundation (DEF) Essential Resources Meeting (DERM2021), August 5-8, 2021, Las Vegas NV, USA. 12. BAG-Bulletin 3 vom 17. Januar 2022, S. 28.
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