Transkript
KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
EADV 2021
Entwicklung therapeutischer Antikörper boomt
Innovative Biologika bei atopischer Dermatitis
Grosse Fortschritte bei der Erforschung der komplexen Pathogenese der atopischen Dermatitis haben das Spektrum Erfolg versprechender Therapieansätze stark erweitert. Aktuell befinden sich mehr als 70 Medikamente in der Entwicklung, darunter viele therapeutische Antikörper. Über einige innovative Biologika zur Behandlung der atopischen Dermatitis sprach Prof. Thomas Bieber aus Bonn (D) am virtuellen EADV-Kongress 2021.
Biologika ermöglichen gezielte therapeutische Beeinflussungen einzelner pathophysiologisch gestörter Immunmechanismen. In Anlehnung an den «atopischen Marsch» sprach der Referent von einem «immunologischen Marsch» bei der Immunpathogenese der atopischen Dermatitis (1). Auf die asymptomatische präklinische Phase 0 folgt in der Phase 1 die Aktivierung des angeborenen Immunsystems der Haut. Die zentrale Immunantwort des adaptiven Immunsystems in Phase 2 ist die TH2-Immunreaktion, die begleitet wird von IgE-Sensibilisierungen auf Umweltallergene. Zu den Ausweitungen der adaptiven Immunantwort in Phase 2 gehören TH1-, TH17- und TH22-Immunreaktionen. In Phase III können sich Komorbiditäten entwickeln, seien es atopische (Nahrungsmittelallergie, Asthma und Rhinitis) oder nicht atopische (neuropsychiatrische und kardiovaskuläre Komorbiditäten).
Biologika erweitern die Therapiemöglichkeiten
Dupilumab wurde in der Schweiz im Jahr 2019 als erstes Biologikum zur Behandlung der mittelschweren bis schweren atopischen Dermatitis zugelassen. Dupilumab blockiert an den Rezeptoren die Signalwege
von IL-4 und IL-13, die als TH2-Zytokine im Zentrum der Pathogenese der atopischen Dermatitis stehen. Erfahrungen im therapeutischen Alltag zeigen, dass 25 bis 30 Prozent der Patienten gut auf das Biologikum ansprechen, ohne dass sie eine zusätzliche topische Therapie mit Kortikosteroiden (TCS) oder Calcineurininhibitoren (TCI) benötigen. 10 bis 15 Prozent sprächen gar nicht an, so der Referent. Bei 55 bis 75 Prozent erreiche die Therapie ein partielles Ansprechen, wobei meistens zusätzlich eine topische Therapie erforderlich sei (TCS oder TCI einmal täglich oder jeden zweiten Tag oder zweimal pro Woche). IL-13 hat sich bei der atopischen Dermatitis als wichtigste treibende Kraft der Signalübermittlung herausgestellt. In der Haut überexprimiertes IL-13 bewirkt Hautbarrieredefekte, erhöht die Anfälligkeit der Haut für Infektionen (Staphylococcus aureus), löst Entzündung, Juckreiz und Hautverdickung aus. Der monoklonale Antikörper Tralokinumab bindet an IL-13 und blockiert die biologischen Effekte dieses Zytokins selektiv. In der EU wurde Tralokinumab im Juni 2021 aufgrund der positiven Ergebnisse zweier 52-wöchigen Monotherapiestudien (ECZTRA 1 und 2) sowie
JAK-Hemmer wirkt schnell und lange
Bei der Komplexität der Pathophysiologie erscheint es sinnvoll, nicht nur einzelne Zytokine, sondern gesamte Signalwege zu blockieren. Die Blockade gleich mehrerer inflammatorischer Signalwege ist mit den Inhibitoren der Januskinase (JAK) möglich, erläuterte Prof. Thomas Bieber aus Bonn (D) auf einem Satellitensymposium beim EADV-Kongress. Nach Erfolgen in der Rheumatologie ist der JAK-Hemmer Baricitinib (Olumiant®) auch für die AD-Therapie zugelassen. Ein Vorteil dieses Therapieprinzips ist der rasche Wirkungseintritt: Bereits innerhalb von 48 Stunden nach der ersten Einnahme ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen Verum und Plazebo (1).
Dass darüber hinaus die Effektivität auch lange erhalten bleibt, hat die Extensionsstudie BREEZE-AD3 gezeigt (2). Wie Audrey Nosbaum aus Pierre-Bénite (F) berichtete, wurden darin die Responder und partiellen Responder der Zulassungsstudien BREEZE-AD1 und BREEZE-AD2 über 52 Wochen mit Baricitinib weiter behandelt, was einer Gesamt-Therapiedauer von 68 Wochen bei Studienauswertung entsprach. Der Anteil der Patienten, die im vIGA-AD einen
Score von 0 oder 1 erreichten, lag in der 4-mg-Gruppe bei 45,7 Prozent nach 16 Wochen und bei 47,1 Prozent nach 68 Wochen (ITT-Population, LOCF). In der 2-mg-Gruppe lag dieser Anteil bei 46,3 Prozent nach 16 und bei 59,3 Prozent nach 68 Wochen (ITT-Population, LOCF). Auch für den Juckreiz konnte die Langzeiteffektivität in dieser Studie belegt werden.
Adela Žatecky
Quelle: Satellitensymposium «Bridging clinical trial data to life – 1 Year Of Olumiant (Baricitinib) Experience in Atopic Dermatitis Clinical Practice» (Veranstalter: Eli Lilly) beim EADV-Jahreskongress am 29. September 2021, online.
Referenzen: 1. Buhl T et al.: Itch and Sleep Improvements with Baricitinib in Patients with Atopic Dermatitis: A
Post Hoc Analysis of 3 Phase 3 Studies. Dermatol Ther (Heidelb). 2021;11(3):971-982. 2. Silverberg JI et al.: Long-term Efficacy of Baricitinib in Adults With Moderate to Severe Atopic
Dermatitis Who Were Treatment Responders or Partial Responders JAMA Dermatol. 2021;157(6):691-699.
12 SZD 1/2022
KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
EADV 2021
einer 32-wöchigen Kombinationstherapiestudie (ECZTRA 3 mit Tralokinumab plus TCS) zugelassen. Vielversprechend seien auch die Therapieresultate, die mit der IL-13-Blockade durch den monoklonalen Antikörper Lebrikizumab erzielt würden, so der Referent. Die bisher vorliegenden Resultate seien vergleichbar mit dem, was mit Dupilumab in klinischen Studien und im Alltagsgebrauch erreichbar sei. Lebrikizumab blockiert nicht die Bindung des Zytokins an den Rezeptor, sondern verhindert die Heterodimerisierung von Rezeptor-Interleukin-Komplexen. Noch ist unklar, ob sich Tralokinumab und Lebrikizumab auch zur effektiven Behandlung von Patienten eignen, die auf Dupilumab nicht oder nur partiell angesprochen haben (1). Der IL-31-Rezeptor-Blocker Nemolizumab ist gut wirksam gegen den Juckreiz, aber gegen die Hautentzündung nur von beschränktem Nutzen. Sehr überzeugend seien die Therapieerfolge von Nemolizumab bei Prurigo nodularis, berichtete Bieber. Auch die angeborene Immunantwort (Phase 1 des «immunologischen Marsches» bei atopischer Dermatitis) kann mit Biologika beeinflusst werden. Von
Keratinozyten ausgeschüttete Alarmine (TSLP = thy-
mic stromal lymphopoietin, IL-33, IL-25) regen in die-
ser Phase ILC-2-Zellen (angeborene Lymphoidzellen
des Typs 2) zur Freisetzung von IL-13 an. In Entwick-
lung stehen z. B. der Anti-TSLP-Antikörper Tezepelu-
mab und Anti-IL-33-Antikörper wie Etokimab und
Astegolimab. Die Antigenpräsentation von dendriti-
schen Zellen an TH2-Zellen leitet die Phase 2 des
«immunologischen Marsches» ein (adaptive Immun-
antwort). Antikörper gegen OX40 (kostimulatorisches
Molekül, das auf T-Zellen bei der Aktivierung expri-
miert wird) oder gegen den auf dendritischen Zellen
exprimierten Liganden OX40L erzielten in ersten Stu-
dien vielversprechende Resultate.
s
Alfred Lienhard
Quelle: Vortrag PLB-01 «Atopic dermatitis and biologics after 5 years: where are we?» beim 30. Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) am 1. Oktober 2021.
Referenz: 1. Bieber T: Atopic dermatitis: an expanding therapeutic pipeline for a complex
disease. Nat Rev Drug Discov. 2021 (Online ahead of print).