Transkript
KONGRESSBERICHT SGDV
Interview mit Prof. Wolf-Henning Boehncke (Genf)
SGDV auf dem Weg aus der Pandemie
Endlich wieder live auf einem Kongress sein und sich mit Kollegen austauschen! Die diesjährige Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) fand nach langer Pandemiepause als einer der ersten Kongresse wieder mit Präsenzmöglichkeit statt – und etwa jeder fünfte Teilnehmer hat die Gelegenheit genutzt, sich endlich wieder vor Ort mit Kollegen auszutauschen. Tagungspräsident Prof. Wolf-Henning Boehncke sprach mit der SZD über seine persönlichen Highlights und Eindrücke.
Foto: AZA
Wolf-Henning Boehncke
Das Jahresthema des SGDV-Kongresses war «Haut und Nerven» – was hat Sie zu diesem Schwerpunkt bewogen? Prof. Wolf-Henning Boehncke: Wir wissen, dass der Juckreiz ein ganz wichtiges Symptom in der Dermatologie ist. Und der ist neurogen. Das war der Ausgangspunkt für die Überlegung: Um viele unterschiedliche Krankheiten besser in den Griff zu bekommen und damit vielen Patienten besser helfen zu können, müssen wir erst einmal den Juckreiz und die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten besser verstehen. Darüber hinaus wird immer klarer, wie Juckreiz überhaupt entsteht, und mit immer weiter gehenden Einsichten entstehen weitere therapeutische Lösungen. Deshalb haben wir mehrere Keynote-Lectures zu diesem Thema. Und nicht zuletzt ist Juckreiz manchmal auch ein guter Hinweis, um die richtige Diagnose zu stellen und dann die zugrunde liegende Krankheit behandeln zu können.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es auf diesem Gebiet? Boehncke: Es gibt indirekte Erkenntnisse durch die rasante Entwicklung im Bereich der atopischen Dermatitis, wo der Juckreiz aus Patientensicht die Le-
«Wir wissen, dass der Juckreiz ein ganz wichtiges Symptom in der Dermatologie ist.»
bensqualität besonders beeinträchtigt. Man kann nicht schlafen, man ist abgelenkt, man kann einfach nichts mehr konzentriert erledigen. Lange Zeit ging es nicht richtig voran, und jetzt hat man festgestellt, dass es eine Reihe von Medikamenten gibt, die bei der atopischen Dermatitis, die so arg juckt, nicht nur die Entzündung positiv beeinflussen, sondern auch diesen Juckreiz. Jetzt geht es darum, zu klären: Was ist es, was das «Symptom» Juckreiz beeinflusst? Und: Kann man das dann nicht auch bei anderen juckenden Pathologien oder bei Juckreiz ohne jegliche Hautveränderung verwenden? Das ist jetzt neu: die
Beeinflussung der Pathomechanismen, die sich als Therapiestrategie bei einer juckenden Hautkrankheit, nämlich der Neurodermitis, bewährt, auch bei anderen Krankheiten und Ursachen von Juckreiz zu versuchen.
Sie haben die atopische Dermatitis angesprochen. Auf diesem Gebiet haben sich die therapeutischen Möglichkeiten in den letzten Jahren weiterentwickelt. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Neuerungen? Boehncke: Es gibt bei den Systemtherapien im Wesentlichen 2 Innovationen, eher für die schwerer erkrankten Patienten mit einem grossflächigen Befall. Zum Teil wiederholt sich die Erfolgsgeschichte, die wir bereits bei der Psoriasis erlebt haben, mit hochspezifischen Molekülen, die einfach nur ein Schlüsselmolekül, ein Zytokin ausschalten. Das sind die Biologika, da haben wir derzeit die ersten beiden für die atopische Dermatitis zugelassen. Was allerdings fehlt, ist dieser total atemberaubende Durchbruch, was die Effektivität betrifft, wie wir es bei der Psoriasis erlebt haben. Und deshalb ist die zweite Entwicklungsschiene so spannend: die «small smart molecules». Das sind orale Wirkstoffe, die nicht ein Zytokin ausschalten, sondern in den Signalübertragungsmechanismus dieser Botenstoffe auf der Ebene von Enzymen eingreifen, die die Information dieser entzündungsvermittelnden Zytokine übertragen und für die biologische Wirkung zuständig sind. Solche Wirkstoffe sind in erster Linie die Januskinase-Inhibitoren. Es gibt eine breite Palette von neuen Medikamenten, die zum Teil schon zugelassen sind, die sich aber zum überwiegenden Teil im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Entwicklung befinden. Wir werden in sehr naher Zukunft eine dramatische Ausweitung der Therapieoptionen für unsere Patienten haben. Leider ist es im Moment noch nicht so, dass plötzlich ein ganz neues Level von Effektivität vorhanden ist. Aber was wir immer wieder sehen, ist, dass Patienten, die auf unsere bisherige Standardtherapie, zum Beispiel auf Ciclosporin, nicht angesprochen haben,
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sehr wohl auf diese neuen Wirkungsmechanismen ansprechen. Auch wenn wir die atopische Dermatitis nicht wegpusten können, sind wir jetzt in der Lage,
«Auch wenn wir die atopische Dermatitis nicht wegpusten können, sind wir jetzt in der Lage, Patienten
zu helfen, bei denen wir vorher achselzuckend davorstanden und nicht wirklich weiterwussten.»
Patienten zu helfen, bei denen wir vorher achselzuckend davorstanden und nicht wirklich weiterwussten.
Sehr viele Vorträge gab es auch zur Psoriasis. Was sind da aus Ihrer Sicht die wesentlichen neuen Erkenntnisse? Boehncke: Bei der Psoriasis ist es so, dass man eigentlich dachte, das Ende der Geschichte sei erreicht. Jetzt sei wirklich alles geschafft, weil man sozusagen die totale Effektivität erzielt habe. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal gesagt hatte, eine vollständige Erscheinungsfreiheit könne man bei der Psoriasis gar nicht erreichen. Und jetzt gibt es Medikamente, die das in 2 von 3 Fällen schaffen.
«Ich erinnere mich noch, dass ich einmal gesagt hatte, eine vollständige Erscheinungsfreiheit könne man
bei der Psoriasis gar nicht erreichen. Und jetzt gibt es Medikamente, die das in 2 von 3 Fällen schaffen.»
Trotzdem lohnt es sich, nochmal auf die Details der Pathogenese zurückzukommen, denn es gibt immer wieder kleine Details, die vernachlässigt wurden. Ein schönes Beispiel ist: Wir dachten immer, IL-17 sei der «Hauptschuldige», der den Schaden anrichtet. Jetzt haben wir gelernt: Es ist IL-17A – und damit 1 von 6 IL-17-Isoformen. Wahrscheinlich ist es besonders effektiv, nicht nur dieses IL-17A zu blockieren, sondern eine weitere Isoform: IL-17F. Es zeigt sich, dass man, obwohl es kaum noch möglich erscheint, in Bezug auf Wirksamkeit und Schnelligkeit des Wirkungseintritts doch noch einmal etwas herausholen kann. Die Psoriasis ist also noch lang nicht langweilig, und wir sind noch nicht am Ende der Erfolgsgeschichte.
«Ein letzter Punkt betrifft das, was wir hier gerade erleben: Das akademische Leben hat sich verändert.»
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf die Dermatologie? Boehncke: Sie hatte initial dramatische Auswirkungen vor allem in der ersten Welle, als in der Schweiz tatsächlich die Praxen zumachen mussten und die Dermatologen überhaupt keine Patienten mehr sehen durften. Zum Glück hat die Politik dazugelernt
und verstanden, dass auch in der Dermatologie viele Patienten regelmässig von Fachärzten behandelt werden müssen, sodass in der weiteren Entwicklung dieser Pandemie nicht mehr solche drakonischen Massnahmen ergriffen wurden. Inzwischen stellen wir fest, dass viele von uns sich sehr bemühen, teledermatologische und telemedizinische Applikationen in ihren Praxisalltag zu integrieren. Ich zum Beispiel am HUG benutze eine App, sie heisst HUG@Home: Ich kann damit den Patienten zu Hause «besuchen», er schaltet sein Smartphone mit der Kamera an. Man kann zwar nicht alles, aber man kann sehr viel aus der Distanz heraus und so aus der Not vielleicht auch eine Tugend machen. Das wird gerade von den jungen technikaffinen Patienten sehr geschätzt. Beispiel Aknepatient: Ihn muss ich ja vielleicht nicht jedes Mal persönlich in meiner Praxis sehen, und er findet das sogar cool, dass der grauhaarige «Prof» mit einer App eine Sprechstunde abhält. COVID-19 hat aber auch dazu geführt, dass wir neue Krankheiten sehen – zum Beispiel die ganzen Hautsymptome bei COVID-19. Das ist ein ganz neues Kapitel in der Dermatologie, das es vorher nicht gab. Es gibt den COVID-Zeh und den COVID-Arm – und diese Diagnosen sind zum Teil relevant, weil sie in gewisser Weise sogar eine Prognose ermöglichen. Manchmal können wir damit in der Notaufnahme bei der Triage helfen. Zumindest können wir sagen: Das wird einen schweren Verlauf nehmen, dieser Patient muss überwacht werden und sollte eventuell sogar frühzeitig auf die Intensivstation aufgenommen werden. Ein letzter Punkt betrifft das, was wir hier gerade erleben: Das akademische Leben hat sich verändert. Dieser Kongress wird mit einem enormen Aufwand wenigstens hybrid durchgeführt. Aber es ist trotz allem kein normaler Kongress. Es ist der einzige Hybridkongress – um uns herum gibt es nur Kongresse, die entweder komplett abgesagt oder auf virtuell umgestellt wurden. In einem enorm dynamischen Fach ist dieser Austausch wichtig. Prof. Daniel Hohl aus Lausanne, Präsident der SGDV, hat es etwa so gesagt: Die Dermatologie lebt in einem goldenen Zeitalter. Es gibt rasante
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Fortschritte, die wir kommunizieren und diskutieren müssen, denn es gibt immer offene Fragen. So bringen wir in dieser Zeit den Fortschritt zu unseren Patienten. Da hat COVID-19, unabhängig von direkten medizinischen Konsequenzen, auch einen Einfluss, weil es momentan schwierig bis unmöglich ist, Informationen so schnell zu kommunizieren, wie Innovationen stattfinden.
sondern sich danach beim Kaffee austauschen, die Firmenvertreter löchern und die anwesenden Top-Experten konkret befragen kann. Aber, und das ist noch
«Die Anwesenden hier haben so ein dickes Lächeln im Gesicht. Das ist nicht von der Maske verborgen und
macht einfach Freude, zu sehen.»
Für viele Ärzte war das der erste Livekongress seit langer Zeit. Mit welchem Gefühl gehen Sie aus dem Kongress raus? Boehncke: Ich bin ein bisschen enttäuscht, aber dennoch auch erleichtert, weil ich gedacht habe, dass uns die Kollegen die Bude einrennen, dass viel mehr die Möglichkeit ergreifen, hier einen Kongress zu besuchen, der, nachdem man den Checkpoint passiert hat, Normalität bietet: keine Maske, kein Social Distancing. Fakt ist, dass das Verhältnis zwischen Onlineund On-site-Teilnehmern 4:1 ist: Wir haben also viel mehr Teilnehmer, die den Kongress streamen. Das macht mich ein bisschen traurig, weil es trotz des technischen Aufwandes, den wir betrieben haben, nicht dasselbe ist. Weil man nicht nur im Hörsaal ist,
entscheidender: Die Anwesenden hier haben so ein
dickes Lächeln im Gesicht. Das ist nicht von der
Maske verborgen und macht einfach Freude, zu se-
hen. Und die Kollegen, die hier sind, sagen: Wir sind
euch so dankbar, dass ihr die Ärmel hochgekrempelt
habt und alles getan habt, dass es am Ende eben
doch ein echter physischer Kongress war. Wir haben
es gerade auf dem Gesellschaftsabend gemerkt. Es
tut einfach gut, und akademisches Leben beinhaltet
eben auch dieses Socializing. Dass das gelungen ist,
das macht unheimlich viel Freude.
s
Herr Prof. Boehncke, vielen Dank für das Interview.
(Das Interview führte Adela Žatecky.)