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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
ESMO 2020
Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren
Checkpoint-Inhibitoren lassen oft die Haut «erblühen»
Checkpoint-Inhibitoren lösen zahlreiche Immunreaktionen aus, die sich nicht nur gegen den Tumor (erwünscht), sondern auch gegen viele Organsysteme (unerwünscht) richten. Mit am häufigsten ist die Haut betroffen. Etwa jeder Dritte mit Checkpoint-Inhibitoren behandelte Patient entwickelt kutane Nebenwirkungen, die vom Arzneimittelexanthem oder von der Vitiligo bis zur Dermolyse reichen können.
Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) demaskieren Tumorzellen, indem sie inhibitorische Interaktionen zwischen Antigen-präsentierenden Zellen und T-Lymphozyten an den Checkpoints (Anti-PD-1/PD-L1, Anti-CTLA-4, Anti-TIM-3, Anti-LAG-3) unterbrechen oder aktivierende Checkpoints (CD27, CD40, GITR, CD137) stimulieren. Sie werden bei verschiedenen Tumorentitäten wie Melanom, Lungen-, Nierenzell-, Merkelzellkarzinom oder Hodgkin-Lymphom eingesetzt. Dermatologen am geläufigsten sind ICI, die beim metastasierenden Melanom eingesetzt werden: s der Anti-CTLA-4-Antikörper (CTLA-4: cytotoxic
T-lymphocyte antigen 4) Ipilimumab s die Anti-PD-1-Antikörper (PD-1: programmed
death 1) Nivolumab und Pembrolizumab. Beide Prinzipien können auch in Kombination eingesetzt werden. Ebenfalls ein Anti-PD-1-Antikörper ist Cemiplimab – eine Therapieoption beim kutanen Plattenepithelkarzinom. Bei anderen Entitäten vielfach eingesetzt werden Avelumab, Atezolizumab und Durvalumab aus der Gruppe der Anti-PD-L1Checkpoint-Inhibitoren (Anti-PD-Ligand 1). Bedingt durch T-Zell-Aktivierung und Immunstimulation kann es unter ICI bei 86 bis 96 Prozent der Patienten zu unerwünschten, immunvermittelten Nebenwirkungen (irAE = immune related adverse effect) an allen Organsystemen kommen. Als Reaktionsweg wird die generelle Stimulierung des Immunsystems mit Demaskierung von Antigenen oder therapieinduzierten Neo-Antigenen vermutet. Ebenso führt die Aktivierung von T-Lymphozyten (CD8 und CD4) zu einer verstärkten Immunantwort mit erhöhter Produktion von zytotoxischen Molekülen (z. B. Perforin/ Granzym B, Annexin), die wiederum eine Massenapoptose der Keratinozyten bedingen und so z. B. zum Stevens-Johnson-Syndrom führen können. Hautreaktionen treten bei 20 bis 40 Prozent der Patienten unter Monotherapie und bei 40 bis 60 Prozent unter der Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab auf, wie PD Dr. Elisabeth Livingstone aus Essen (D) berichtete. Zu den meist gering ausgeprägten
Hautreaktionen kommt es in der Regel bereits wenige Wochen nach Behandlungsbeginn, doch können die Effloreszenzen auch noch Monate nach Absetzen der Checkpoint-Inhibitoren auftreten. In der Regel können die ICI weitergeführt werden. Steroide sind Mittel der Wahl bei den meisten irAE. Schwere irAE an der Haut (SCARS: severe cutaneous adverse reactions) sind selten; weniger als 3 Prozent der ICI-Behandelten entwickeln «drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms» (DRESS), ein Stevens-Johnson-Syndrom oder eine toxisch epidermale Nekrolyse (TEN). Die häufigste irAE ist das makulopapulöse Exanthem bei bis zu 25 Prozent der Patienten. Es tritt in der Regel als erste Nebenwirkung auf, danach folgen oft weitere irAE wie Hepatitis. Meist ist die Ausprägung aber gering, sodass die Checkpoint-Inhibitor-Therapie fortgesetzt werden kann.
Juckreiz auch ohne Hauterscheinungen möglich
Juckreiz entsteht bei jedem Fünften unter PD-1Hemmung und bei jedem Dritten unter PD-L1-Inhibition. Bei jedem dritten von Juckreiz Geplagten sind keine weiteren Hautsymptome festzustellen, allerdings klagt fast jeder Zweite mit einem makulopapulösen Exanthem über Pruritus. Therapeutisch kommen topische Steroide infrage (besonders bei epidermaler Beteiligung), sonst systemische Steroide. Gegebenenfalls können auch Pregabalin/Gabapentin oder Naloxon/Naltrexon eingesetzt werden. Antihistaminika seien weniger hilfreich, so Livingstone.
Lichenoide Spätreaktionen bei jedem Fünften
Etwa jeder Fünfte ICI-Behandelte entwickelt ein lichenoides Arzneimittelexanthem, meist mit dem typischen Bild des Lichen ruber. Es tritt oft erst nach Monaten und meist nur kutan auf. Allerdings ist eine mukosale Beteiligung möglich. Therapieoptionen sind hier Steroide oder die Lichttherapie. Bei jedem vierten mit ICI behandelten Melanompatienten (bei anderen Tumorentitäten so gut wie nie) kommt es zu einer Vitiligo, gelegentlich mit Poliose,
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dem teilweise Entfärben der Haare. Die weissen Flecken entstehen meist erst Monate nach Therapiebeginn. In Studien sei diese irAE ein Indiz für ein gutes Ansprechen der ICI-Therapie auf den Tumor und für eine bessere Überlebensrate gewesen, berichtete Livingstone.
Psoriasis: Schübe unter Checkpoint-Blockade
Auch Schuppenflechte kann unter Checkpoint-Inhibition auftreten – selten de novo, meist als Schub einer bereits bekannten Psoriasis. Die Inzidenz ist unklar. Vermutlich sind die Herunterregulation der TH1und TH-17-Signalwege und die Überexpression von proinflammatorischen Zytokinen durch die PD-1-Blockade für das Aufflammen der Psoriasis ursächlich. Therapeutisch sollten zunächst topische Steroide und UV-B eingesetzt werden. Wie Livingstone weiter berichtete, werde derzeit auch der Einsatz von Biologicals diskutiert. Mit weniger als 2 Prozent ist eine Sarkoidose als irAE in den Studien eher selten. Laut Livingstone müsse
hier allerdings mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Die Effloreszenzen treten vor allem an den Streckseiten der Knie auf. Die Essener Dermatologin wies darauf hin, dass sich auch häufig vergrösserte mediastinale Lymphknoten fänden, die jedoch nicht als Tumorprogress interpretiert werden sollten. Ein bullöses Pemphigoid (BP) komme gelegentlich bei einer Behandlung mit PD-1- und PD-L1-Antikörpern vor, unter Ipilimumab allerdings sehr selten, so Livingstone. Die Histologie entspreche den typischen Befunden des BP. Das BP kann auch noch nach Absetzen der ICI-Therapie bestehen bleiben. s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Session «Immundermatologie» bei der virtuellen Jahrestagung der Rheinisch-Westfälischen Dermatologischen Gesellschaft (DWFA 2020) am 27. November 2020.
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