Transkript
BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
Tätowierungen bei Psoriasispatienten
Gefühlte und objektive Wahrheiten zum Köbner-Phänomen
BETTINA RÜMMELEIN
Einleitung
Tätowierungen sind mit einer Prävalenz von 10 bis 30 Prozent in der westlichen Bevölkerung ein sehr häufiges Phänomen. Auch die Psoriasis ist eine sehr häufige Hauterkrankung mit einer Prävalenz von 2 Prozent in der mitteleuropäischen Bevölkerung. Das Köbner-Phänomen (isomorpher Reizeffekt) beschreibt das Neuauftreten von zu einer Krankheit gehörenden Läsionen in einer zuvor mechanisch, thermisch oder chemisch irritierten Haut (1). Eine Tätowierung ist ein mechanischer Reiz. Ist ein KöbnerPhänomen folglich ein übliches Risiko einer Tätowierungssitzung bei einem Patienten mit Psoriasis?
Hintergrund
Das Köbner-Phänomen wurde erstmals 1872 von H. Köbner beschrieben (2), es tritt bei einer Reihe von Hautkrankheiten auf (Tabelle). Für die Psoriasis wird das Köbner-Phänomen geradezu als klassisch beschrieben. So ist die Psoriasis als eine akut oder chronisch verlaufende, polygenetische Hauterkrankung definiert, die zirka 2 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung betrifft. Sie tritt in allen Lebensabschnitten auf und äussert sich in den charakteristischen, streckseitig betonten, lokalisierten oder generalisierten, scharf begrenzten Plaques. Eine zusätzliche Beteiligung der Gelenke ist mit 30 Prozent häufig. Man unterscheidet diverse Typen von Psoriasis, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Die genetische Disposition spielt eine grosse Rolle. Es konnten diverse Psoriasis-assoziierte Gene auf verschiedenen Chromosomen nachgewiesen werden. Des Weiteren ist bekannt, dass eine Reihe von Medikamenten eine Psoriasis vulgaris auslösen oder unterhalten können. Der bekannteste Vertreter ist hier die Gruppe der Betablocker, aber auch auf Kalzium-Kanal-Blocker, Lithium, NSAR und andere Medikamente konnte eine Verschlechterung oder Provokation der Psoriasis zurückgeführt werden.
Als weiterer wichtiger Provokationsfaktor werden in den Lehrbüchern mechanische Traumata genannt. Die kürzlich erschienene Publikation von Grodner et al. (3) beschäftigte sich mit der Fragestellung, ob auch Tätowierungen, die ein erhebliches mechanisches Trauma darstellen, ein relevanter Provokationsfaktor für Psoriasis sind.
Ergebnisse
Die in Frankreich, Finnland und Italien durchgeführte Studie evaluierte zunächst die Erfahrung und die Meinung von Dermatologen bezüglich Tätowierungen bei Psoriasispatienten. Insgesamt ergab sich eine sehr negative Einstellung der Dermatologen zu diesem Thema. Insbesondere neigten ältere Dermatologen in der Privatpraxis eher zu kritischen Beurteilungen. Im zweiten Teil der Studie wurden die objektiven Daten erhoben: Nur bei 6,6 Prozent der Psoriasispatienten waren lokale Komplikationen nach einer Tätowierung aufgetreten. Schwere Symptome gab es keine. Die Autoren bemängeln die nicht objektive Meinung und Beratung der Dematologen aus Furcht vor einem Köbner-Phänomen, ohne dass es hierfür entsprechende Daten gebe. Wir haben daraufhin unsere eigene Patientenkartei durchgesehen und ebenfalls festgestellt, dass wir in einem Klientel von zirka 18 000 Patienten keinen Psoriasispatienten mit einem Köbner-Phänomen nach Tätowierung kennen. Des Weiteren haben wir Nebenwirkungen nach Tätowierungsentfernungen kontrolliert. In unserer auf Laserbehandlungen spezialisierten Praxis werden seit zirka 10 Jahren Laserbehandlungen zur Tattooentfernung durchgeführt. Verwendet werden hierfür Q-Switch-Nanosekundenlaser und Picosekundenlaser. Bei der Entfernung kommt es zu Hitzeentwicklung, einem weiteren Provokationsfaktor für ein Köbner-Phänomen.
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Foto: Bryan Brook
BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
Diskussion
Tattoofarbe verhält sich bemerkenswert nicht reaktiv, wie auch in histologischen Untersuchungen nachgewiesen wurde. Das verwundert umso mehr, weil wir wissen, dass sehr unterschiedliche Pigmente mit sehr unterschiedlichem Reinheitsgrad und unterschiedlicher hygienischer Situation mit verschiedenen Techniken in die Haut eingebracht werden. Selten wurden bis jetzt Reaktionen insbesondere auf rote Tattoofarbe in Form von lokalisierten allergischen Dermatitiden beschrieben. Diese Fälle haben vermutlich die meisten dermatologischen Kollegen von uns schon gesehen. Interessanterweise werden die Farbpartikel in Tätowierungen von Makrophagen «eingefangen» und «aufbewahrt». Auch diese Makrophagen unterliegen wie andere Zellen einem kontinuierlichen Lebenszyklus, wodurch die Pigmente wiederholt freigesetzt und wieder eingefangen werden (4). Trotzdem bleibt ein Tattoo ortstreu, was als ein bis jetzt nicht vollständig verstandenes Phänomen gilt. Weshalb das Einbringen von Farbpigmenten in die Haut mithilfe von Nadelstichen bei Psoriasispatienten nur selten ein Köbner-Phänomen auslöst, obwohl die Farbe ins obere bis mittlere Corium eingebracht wird und sich Tätowierungsprozeduren über Stunden hinziehen, ist unklar. Abgesehen von den üblichen Folgen einer lokalen Nadelstichverletzung wie Blutung, Wundinfektionen und Schwellungen und den oben beschriebenen all-
Tabelle:
Hautkrankheiten mit Köbner-Phänomen
s Psoriasis vulgaris s Lichen planus s Lichen nitidus s Eruptive Xanthome s Fotoaggravierte Erkrankungen (Fotoallergie) s Erythema exsudativum multiforme s Virusexanthem s Reaktive perforierende Kollagenose s Purpura Schönlein-Henoch s Arzneimittelexanthem s Zytostatika-induzierte Exantheme (z. B. durch Bleomycin
induziert: Melanodermia factitia) s Vitiligo
Quelle: Altmeyers Enzyklopädie
Abbildung: Tattoo bei einem Psoriasispatienten: Auch hier ist kein Köbner-Phänomen erkennbar.
ergischen Reaktionen ist bis anhin nur ein Fall einer
akuten Sarkoidose im Zusammenhang mit einer Tä-
towierung bei einem Patienten unter einer kombi-
nierten Anti-CTLA-4 Therapie beschrieben (5).
Es bleibt somit festzustellen, dass es derzeit keine Ra-
tionale gibt, Psoriasispatienten von Tätowierungen
und von deren Entfernung durch moderne Tattooent-
fernungslaser abzuraten, und das entgegen unserer
intuitiven Meinung als Dermatologen.
s
Korrespondenzadresse:
Dr. C. Bettina Rümmelein Dr. Rümmelein AG – House of Skin & Laser Medicine Grütstrasse 55, 8802 Kilchberg ZH Bürglistrasse 11, 8002 Zürich Enge E-Mail: b.ruemmelein@dr-ruemmelein.ch
Referenzen: 1. Altmeyers Enzyklopädie. 2. Köbner H.: Zur Aetiologie der Psoriasis. Zschr Dermatologie 1872; 8: 559–561 3. Grodner C et al.: Reluctance determinants of dermatologists about tattooing in pa-
tients with psoriasis. An international study. Ann Dermatol Vener 2020; S01519638(20)30306-9. 4. Baranska A et al.: Unveiling skin macrophage dynamics explains both tattoo persistence and strenuous removal. J Exp Med 2018; 215(4): 1115–1133. 5. Kim C et al.: Systemic sarcoidosis first manifesting in a tattoo in setting of immune checkpoint inhibition. BMJ Case Rep 2016; bcr2016216217.
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