Transkript
KONGRESSBERICHT
Systemischer Lupus erythematodes
Auf der Suche nach gezielter Immuntherapie bei SLE
In den letzten Jahren hat sich das Verständnis für die Pathogenese des systemischen Lupus erythematodes deutlich erweitert – vor allem hat sich das Know-how um die Entzündungsprozesse bei dieser Autoimmunerkrankung vergrössert. Das hat wiederum Fortschritte bei der Therapie angestossen: Heute lassen sich gezielt einzelne Schritte in der Entzündungskaskade hemmen.
Dermatologen haben hauptsächlich mit den kutanen Erscheinungsformen des Lupus erythematodes – beispielsweise mit dem Schmetterlingserythem – zu tun. Seltener, aber wesentlich schwerwiegender ist die systemische Form mit ihren vielfältigen Organbeteiligungen. In der Schweiz werde die Zahl der SLE-Erkrankten auf etwa 4000 Patienten geschätzt, wobei überwiegend Frauen im gebärfähigen Alter betroffen seien, wie Dr. Denis Comte von der Universität Lausanne auf dem 22. Allergie- und Immunologie-Update (AIU) berichtete. Bekanntlich greift beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) das fehlregulierte Immunsystem körpereigene Zellkernbestandteile an. Durch vermehrte Apoptose und verringerte Clearance von Bestandteilen apoptotischer Zellen fallen bei SLE-Patienten
Tabelle:
Häufige Symptome und Organbeteiligungen beim SLE
Symptome beim SLE
Häufigkeit in Prozent
Gelenkschmerzen 85
Allgemeinbeschwerden (z. B. Müdigkeit, Leistungsschwäche) 84
Hautveränderungen 81
Nierenbefunde 77
Gelenkentzündung 63
Raynaud-Syndrom
58
(Kalt- und Weisswerden von Fingern und Zehen)
Beschwerden des zentralen Nervensystems
54
Schleimhautveränderungen 54
Magen-Darm-Beschwerden 47
Rippenfellentzündung 37
Lymphknotenerkrankung 32
Herzbeutelentzündung 29
Lungenbeteiligung 17
Muskelentzündung 5
Herzmuskelentzündung 4
Bauchspeicheldrüsenentzündung 4
(nach: Hettenkofer, Hans-Jürgen [Hg.]: Rheumatologie. Stuttgart: Thieme Verlag, 1998, S. 91)
vermehrt Kernproteine an, die zur Autoantikörperbildung (antinukleäre Antikörper = ANA) führen. Immunkomplexe, die aus DNA und Autoantikörpern bestehen, binden an Toll-like-Rezeptoren auf dendritischen Zellen sowie Monozyten und induzieren die Bildung von Interferon-α, dem treibenden Zytokin des SLE. Die Entzündungen spielen sich hauptsächlich an den Bindegeweben der Organe ab, sodass der SLE als Kollagenose klassifiziert wird. Unter anderem entstehen bei diesem immunologischen Prozess Immunkomplexe aus DNA und Autoantikörpern. Diese Immunkomplexe binden an bindegewebige Strukturen der Organe und aktivieren dort das Komplementsystem, was zu entsprechenden Organschäden führt. Besonders häufig betroffen ist die Niere – 60 bis 70 Prozent der SLE-Patienten entwickeln eine Glomerulonephritis, die deshalb auch als prognosebestimmender Faktor gilt. Aber auch an vielen anderen Strukturen können sich diese Prozesse abspielen, sodass sich der SLE durch ein sehr unterschiedliches Symptombild auszeichnet, was wiederum die Diagnose erschwert. Beim SLE kommt es auch zu einer B-Zell-Hyperaktivität, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Autoantikörpern generiert – nicht nur gegen nukleäre Antigene. Diese Autoantikörper sind der Initiator für viele Organbeteiligungen, die sich durch Mitwirkung von Effektor-T-Zellen, weiteren Entzündungszellen und Zytokinen verstärken. Diese Entzündungsprozesse wurden bisher mit einer generellen immunsuppressiven Therapie eingedämmt – quasi «mit der Giesskanne». Die Standardtherapie umfasse Glukokortikoide, Antimalariamittel wie Chloroquin, Azathioprin, Methotrexat sowie NSAR bei Muskel- und Gelenkbeteiligung, wie Comte berichtete. Die erweiterten Kenntnisse der Pathogenese ermöglichen es heute, gezielt an Schlüsselpositionen in der Entzündungskaskade einzugreifen. Comte stellte einige dieser neuen Therapieansätze vor:
SZD 4/2020
9
KONGRESSBERICHT
10
Belimumab (Benlysta®)
Das Zytokin B-Lymphozyten-Stimulator (BLyS, Synonym: BAFF = B cell activating factor of the TNF family) ist ein B-Lymphozyten-Wachstums-, Überlebens- und Differenzierungsfaktor. Produziert wird BLyS hauptsächlich von Monozyten und Neutrophilen. Der monoklonale IgG1-λ-Antikörper Belimumab bindet an den löslichen B-Zell-aktivierenden BLyS und inhibiert dessen biologische Aktivität. Durch die Hemmung von BLyS wird die Lebensdauer von B-Lymphozyten verringert und damit die Menge der Immunglobuline sowie des Komplements reduziert. Klinisch bedeutet das einen reduzierten Bedarf an Glukokortikoiden. Nach Aussage von Comte nützt das seit 2011 zugelassene Belimumab besonders Patienten mit mukokutanem oder muskuloskeletalem SLE.
Rituximab (MabThera®)
Auch der monoklonale Antikörper Rituximab richtet sich gegen die B-Zellen, genauer gesagt gegen das hauptsächlich von B-Lymphozyten exprimierte Oberflächenantigen CD20. Rituximab induziert durch Apoptose oder Lyse eine selektive Depletion CD20-positiver B-Zell-Subpopulationen und sorgt so für eine Normalisierung von Entzündungsmediatoren. Der klinische Nutzen sei allerdings umstritten. In einigen Studien habe kein Benefit im Vergleich zur Standardbehandlung bei extrarenalen SLE-Manifestationen oder bei der Lupus-Nephritis nachgewiesen werden können, so Comte. Rituximab wird als Offlabel-Therapie bei SLE angewendet.
Ustekinumab (Stelara®)
Bei Patienten mit SLE finden sich erhöhte Spiegel von Interleukin 17. IL-17 und das TH17-induzierende IL-23 spielen eine wichtige Rolle bei vielen autoimmunvermittelten Entzündungsprozessen. Mit dem aus der Psoriasisbehandlung bekannten, aber noch nicht für SLE zugelassenen Ustekinumab lassen sich diese Prozesse zurückdrängen. Der monoklonale Antikörper neutralisiert gleichermassen die Zytokine IL-12 und IL-23, was auch zur Differenzierung von IL-17-produzierenden TH17-Zellen beiträgt und zu einem signifikanten Rückgang der Krankheitsaktivität führt. In einer Phase-II-Studie zeigte sich für Ustekinumab eine statistisch signifikante Verbesserung im SRI-4-Ansprechen (SLEDAI-2K responder index 4, SLEDAI-2K = systemic lupus erythematosus disease activity index 2000) in Woche 24 im Vergleich zu Plazebo (60% vs. 31%, p = 0,0046) (1).
Anifrolumab
Die meisten SLE-Patienten weisen eine hohe Expression von Typ-1-induzierenden Genen auf. Frühere Studien hatten darauf hingewiesen, dass eine Hemmung des Typ-1-Interferon-Signalwegs ein effektives
Quelle: MDancerH based on a work by Mikael Häggström - Eigenes WerkFile: Symptoms of SLE.svg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=84589452
Therapieprinzip sein könnte. Der humane Antikörper
Anifrolumab blockiert eine für alle Typ-1-Interferone
spezifische Rezeptoruntereinheit und verhindert da-
mit die Aktivierung dieser Gene. Comte berichtete
über die aktuelle TULIP-2-Studie, bei der 362 vorbe-
handelte SLE-Patienten mit mittelschwerer bis
schwerer Krankheitsaktivität eingeschlossen wurden.
Verglichen wurde der Einfluss von Anifrolumab ver-
sus Plazebo auf den primären Endpunkt: die Verbes-
serung im BICLA-Score durch Reduktion der Entzün-
dungs- und Krankheitsaktivitätsparameter und keine
Verschlechterung von neun Organsystemen in Wo-
che 52. Ergebnis: In der Gruppe mit hoher Expression
von Genen des Interferonsignalwegs erreichten 48,0
Prozent unter Anifrolumab den primären Endpunkt,
im Vergleich zu 30,7 Prozent unter Plazebo (2). Die
Dosis an Glukokortikoiden liess sich in der Verum-
gruppe häufiger reduzieren als in der Plazebo-
gruppe, und die Ausprägung der Symptome an Haut
und Gelenken ging unter der Antikörpertherapie
deutlich stärker zurück.
s
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. Van Vollenhoven RF et al.: Efficacy and safety of ustekinumab, an IL-12 and IL-23
inhibitor, in patients with active systemic lupus erythematosus: results of a multicentre, double-blind, phase 2, randomised, controlled study, Lancet 2018; 392(10155): 1330–1339. 2. Morand EF et al.: Trial of anifrolumab in active systemic Lupus erythematosus. N Engl J Med 2020; 382: 211–221.
Quelle: Vortrag Dr.Denis Comte,«Systemic Lupus Erythematodes: desparate search for a therapy», beim 22. AIU am 31. Januar 2020 in Grindelwald.
SZD 4/2020