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BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
Babys mit hohem Risiko für atopische Dermatitis
Viel hilft nicht immer viel – Neurodermitisprävention mit Cremes erfordert Augenmass
Babys mit hohem Neurodermitisrisiko häufig einzucremen, um die Hautbarriere zu stärken, ist eher kontraproduktiv. Der atopischen Dermatitis kann damit nicht vorgebeugt werden. Eher steigt dadurch das Risiko für Hautinfektionen.
«Schmieren und Salben hilft allenthalben» – dieser alte Spruch aus der Dermatologie gilt generell gerade für Patienten mit atopischer Dermatitis (AD). Die blanden Externa stärken bekanntlich die Hautbarriere. Doch zur Vorbeugung einer Neurodermitis bei Babys aus Atopikerfamilien taugt häufiges Eincremen mit Emollienzien offenbar nicht. Selbstverständlich sollte bei Babys eine gute Hautpflege erfolgen – nur übertreiben sollte man es eben nicht.
Hautbarriere mit Emollienzien stärken
Natürlich wollen frischgebackene Eltern ihre Kinder vor Krankheiten schützen. Das gilt besonders für Familien, in denen bereits mehrere Mitglieder unter einer allergischen Erkrankung wie Asthma, Heuschnupfen oder sogar Neurodermitis leiden. Um nun die Neugeborenen vor einer AD zu bewahren, wird hier Hautpflege grossgeschrieben. Schliesslich haben alle AD-Patienten gelernt, dass die Emollienzien die Haut gut durchfeuchten, somit die Hautbarriere stärken und helfen, Exazerbationen der Hautentzündung zu vermeiden oder zumindest zu mildern. Das ist nicht nur für die Kinder selbst wichtig, denn auch die ganze Familie leidet. Wenn ein Kleinkind wegen Juckreiz nicht schläft und weint, kommt auch der Rest der Familie um die Nachtruhe – das kann à la longue zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen. Und das ist keine seltene Situation: 1 von 5 Neugeborenen bildet über kurz oder lang ein Ekzem aus.
Extracreme für 700 Kinder mit AD-Risiko
Aber ob häufiges Eincremen tatsächlich auch vor der Entwicklung einer AD (und deren Folgen) schützt, wollten britische Dermatologen wissen. Dazu untersuchte die Studiengruppe um Dr. Joanne Chalmers vom Centre of Evidence Based Dermatology der Universität von Nottingham (Grossbritannien) in einer Parallelgruppenstudie 1394 Kinder, für die ein grosses AD-Risiko bestand, weil bei mindestens einem Verwandten ersten Grades eine Neurodermitis, Heuschnupfen oder Asthma diagnostiziert worden war. Die Kinder wurden in zwei Gruppen eingeteilt:
▲ In der Emollienziengruppe waren 693 Babys, die zusätzlich zur Standardhautpflege täglich mit einem Feuchtigkeitspräparat (Diprobase-Creme oder Doublebase-Gel) eingecremt wurden.
▲ Die Kontrollgruppe umfasste 701 Säuglinge, die lediglich die Standardpflege erhielten.
Primärer Studienendpunkt war der Nachweis einer atopischen Dermatitis im Alter von zwei Jahren.
Kaum weniger Ekzeme in der Cremegruppe …
Da die Eltern in der Regel ein grosses Interesse an der Prävention einer AD hatten, war die Adhärenz über die Studienlaufzeit von zwei Jahren gut: Unter den Teilnehmern, für die komplette Fragebögen vorlagen, waren nach drei Monaten 88 Prozent dabeigeblieben, nach sechs Monaten 82 Prozent, und nach einem Jahr cremten immerhin noch 74 Prozent der Eltern ihre Kinder regelmässig ein. Waren die Kinder zwei Jahre alt, wurde ausgewertet: In der Emollienziengruppe hatten 139 von den in der Studie verbliebenen 598 Kindern (23 Prozent) ein Ekzem entwickelt, in der Kontrollgruppe waren es 150 von 612 Kindern (25 Prozent) – ein Unterschied von nur 1,2 Prozentpunkten. Das adjustierte relative Risiko wurde mit 0,95 (95%-Konfidenzintervall [KI] von 0,78–1,16) zugunsten der Emollienziengruppe berechnet, was keinen signifikanten Unterschied darstellt (p = 0,61).
… aber mehr Hautinfektionen
Im Alter von einem Jahr wurden die Kinder im Hinblick auf ihre Hautgesundheit untersucht. Besonders wurde dabei auf Hautinfektionen wie Impetigo geachtet. Ergebnis: Die mittlere Zahl von Infektionen pro Kind betrug in der Gruppe mit der Extraportion Hautcreme 0,23, in der Kontrollgruppe aber nur 0,15. Das entspricht einer adjustierten Inzidenzrate von 1,55 zuungunsten der Emollienziengruppe (95%-KI: 1,15–2,09).
Pilotstudien liessen anderes Ergebnis erwarten
Dieses Ergebnis war für die britischen Dermatologen
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BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
überraschend, hatten doch vorausgegangene kleinere Pilotstudien das Gegenteil erwarten lassen. Die Autoren schliessen aus ihren Ergebnissen, dass eine zusätzliche tägliche Anwendung von Emollienzien im ersten Lebensjahr Kindern mit AD-Risiko kaum nutzt. Vielmehr scheint das vermehrte Eincremen das Risiko für Hautinfektionen zu erhöhen.
Deshalb empfehlen die Wissenschaftler, es beim Eincremen der Säuglinge nicht zu übertreiben. s
Angelika Ramm-Fischer
Referenz: Halmers JR et al: Daily emollient during infancy for prevention of eczema: the BEEP randomised controlled trial. Lancet 2020; 395(10228): 962–972.
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