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KONGRESS-HANDOUT SGML
Aktueller Stand der Hämangiomtherapie
GERD KAUTZ UND INGRID KAUTZ
Gerd Kautz
Eine ausführliche Klassifikation der vaskulären Anomalien wurde von der International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA) 2014 erarbeitet und 2018 überarbeitet. Neben den üblicherweise bekannten Hämangiomen, Feuermalen und sonstigen Malformationen gibt es viele verschiedene Unterformen. Diese unterscheiden sich bei einem relativ ähnlichen klinischen Bild in ihrem Verlauf und ihrer Therapierbarkeit massiv. Im Folgenden wird nur auf die Hämangiome aus der Gruppe der vaskulären Tumoren eingegangen.
Hämangiome
Hämangiome sind gutartige Geschwülste der Blutgefässe. In etwa 80 Prozent der Fälle bilden sich die Blutschwämmchen ohne eine Therapie zurück. Hämangiome können schon bei Geburt vorhanden sein oder bilden sich in den ersten Lebensmonaten aus. Nach der Geburt wachsen Hämangiome jedoch häufig noch massiv. Es kann dann Jahre dauern, bis sie sich langsam zurückbilden. Bei zirka 20 Prozent der betroffenen Kinder ist eine zeitnahe Behandlung erforderlich. Das betrifft vor allem Hämangiome in folgenden Bereichen: Gesicht, genitoanal, Hände und Füsse sowie sehr gross wachsende Hämangiome unabhängig von der Lokalisation. Die Blutschwämme können einzeln oder zu mehreren gleichzeitig (Hämangiomatose – ab 5 Hämangiomen) vorkommen. Prinzipiell können sie überall dort entstehen, wo Blutgefässe bei der Organentwicklung und dem nachfolgenden Organwachstum angelegt werden. Die genaue Ursache für die Entstehung der Hämangiome ist jedoch wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt.
Klassifikation der Hämangiome
Eine Auseinandersetzung mit der Klassifikation auf der Internetseite der ISSVA lohnt sich: www.issva.org
Weitere Informationen und klinische Beispiele findet man auch auf der Internetseite: www.vasculaere-tumore.de
Die Hämangiome der Haut sind bei zirka 2 bis 3 Prozent aller Neugeborenen zu finden. Während sie bei zirka einem Drittel der betroffenen Kinder bereits bei Geburt bestehen, zeigen sich die Hämangiome in den restlichen Fällen meist in den ersten vier Lebenswochen. An der Haut fallen sie als rote oder bläulich rote, meist erhabene Verfärbung auf. Die sehr seltenen Hämangiome an den inneren Organen werden eher zufällig entdeckt, z. B. beim Bauchultraschall. An der Haut weisen die Hämangiome nicht selten auch tiefere, im Unterhautfettgewebe gelegene Anteile auf. Manchmal sind sie auch ganz in den Unterhautschichten lokalisiert. Die Ursachen für diese Erkrankungen sind noch unbekannt. Genetische Faktoren scheinen bei der Neigung zur Gefässwucherung eine Rolle zu spielen. Es ist aber keine «Erbkrankheit», und der Entstehung kann nicht vorgebeugt werden. Es liegen auch keine Fehler der Mutter während der Schwangerschaft als Ursache vor, auch wenn das oft von den Eltern vermutet wird. Hämangiome verursachen in der Regel keine Beschwerden, können aber doch bei Verletzung oder selten auch spontan ulzerieren und bluten. Falls eine solche Blutung eintritt, reicht ein Druckverband aus. Im Notfall kann hierbei auch ein Hemd oder ein Stück Stoff benutzt werden. Man muss jedoch Geduld haben, da diese Blutungen oft viel länger anhalten, als man das von anderen Wunden gewohnt ist. Sollte die Blutung nach zirka 20 Minuten nicht gestillt sein, ist es besser, einen Arzt aufzusuchen. Nach solchen Blutungen und bei Hämangiomen mit sehr trockener Haut ist auch eine Infektion des Blutschwamms möglich. Deshalb sollte ein Hämangiom regelmässig eingecremt werden. Hämangiome der Haut sind aufgrund des typischen Erscheinungsbildes zu diagnostizieren. In unserer Praxis wird routinemässig mit dem Ultraschall die Tiefe der Hämangiome gemessen, um evtl. tiefer in die Unterhaut reichende Blutschwammanteile zu erkennen (Beispiel siehe Abbildungen 1 und 2). Gleichzeitig können mittels Doppler-Technik die Durchblutungsstärke und die Gefässgrösse gemessen werden. In seltenen, ausgeprägten Fällen und bei unzureichender Beurteilbarkeit durch Ultraschall, z. B. im Übergangsbereich der Körperöffnungen (Augen, Mund, Nase), ist manchmal eine Untersuchung mittels Kernspintomografie (NMR) und Gefässdarstellung zur
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Erfassung der Hämangiomausdehnung notwendig (Beispiel siehe Abbildungen 3 und 4).
Therapeutisches Vorgehen
Bei vielen Hämangiomen ist keine Behandlung erforderlich, da die Blutschwämme nur langsam wachsen und sich ab dem 1. bis 2. Lebensjahr spontan zurückbilden, was unterschiedlich lange (3–10 Jahre) dauern kann. Diese Entwicklung zeigen zirka 70 bis 80 Prozent der Fälle, sodass man prinzipiell auch «abwarten» könnte. Von diesem Grundsatz sind allerdings Hämangiome in Problemlokalisationen wie Gesichts-, Genitalbereich und auch Finger und Zehen auszunehmen. Bei Tendenzen zu Wachstum sind diese Hämangiome als Notfall anzusehen und dringlich durch spezialisierte Ärzte zu behandeln. Hämangiome können auch nach initialer Rückbildung oder einer Phase des Wachstumsstillstandes plötzlich wieder spontan massiv wachsen und sollten dann sofort einem erfahrenen Arzt zur Ultraschalldiagnostik vorgestellt werden. Wenn sich die Hämangiome im 1. Lebensjahr nicht zurückbilden oder gar schnell und gross heranwachsen, dann sollten sie in jedem Fall behandelt werden. Das gilt insbesondere, wenn die Hämangiome in den zuvor genannten Problembereichen lokalisiert sind oder für das betroffene Kind eine psychische Belastung darstellen könnten. In diesen Fällen ist die Behandlung mittels Laser- oder Blitzlampen-(IPL-)Systemen die Methode der ersten Wahl (Beispiele siehe Abbildungen 5 bis 8 und 9 bis12). Als weitere Möglichkeit steht die Kältetherapie (Kryotherapie) zur Verfügung. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Kältetherapie recht schmerzhaft ist und deutlich stärker die Haut reizt als Laser- oder IPL-Behandlungen. Mit der Kryotherapie können dicke Hämangiome in der Tiefe nicht erreicht werden, zudem führt sie aufgrund ihrer nicht gefässspezifischen Wirkung häufiger zu bleibenden Narben als die Lasertherapie. Grossflächige Hämangiome sollten möglichst nicht mit Kryotherapie behandelt werden. Seit 2008 hat eine ganz neue Therapie die Hämangiombehandlung von Grund auf verändert und massgeblich geprägt. Es handelt sich dabei um den
Abbildungen 1 und 2: Hämangiom Augenoberlid uns Ultraschallbefund
Abbildungen 3 und 4: Hämangiom am Auge und Magnetresonanztomografie
Betablocker Propranolol, der sich besonders für den Einsatz bei sehr grossen und schnell wachsenden Hämangiomen eignet. Die erfolgreiche Behandlung mittels Propranolol entspringt dabei einer Zufallsentdeckung, die eine Arbeitsgruppe aus Bordeaux (Bordeaux Children’s Hospital) und aus Pessac (Haut-Lévêque Heart Hospital) machte (1): Bisher nutzte man die Wirkung von Propranolol nur in der Kardiologie als Beta-2-Blocker – die Anwendung bei Problemhämangiomen stellt daher eine enorme Weiterentwicklung in diesem Bereich dar. Die Gruppe entdeckte den positiven Effekt von Propranolol bei einem Kind mit ausgedehntem Hämangiom im Gesicht, das eine hypertrophe Kardiomyopathie entwickelte. Obwohl es zuvor mit Prednisolon behandelt worden war, stellten sich beim Einsatz von Propranolol als Nebenbefund das Verblassen und die Verkleinerung des Hämangioms ein. Im Anschluss
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Abbildungen 5 bis 8: Hämangiom Augenoberlid: Therapie mit IPL und anfänglich oralen Steroiden
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Abbildung 13: Massiv wachsendes Hämangiom
Abbildungen 9 und 10: Hämangiom Kopf vor der Nd:YAG-Therapie
Abbildung 14: Hämangiom nach Beendigung der Propranololtherapie
Abbildung 15: Hämangiom nach mehreren Farbstofflaserbehandlungen
Abbildungen 11 und 12: Gleiche Patientin einige Jahre später – vollständige Regression des Hämangioms nach Nd:YAG-Lasertherapie
behandelte die Arbeitsgruppe im Rahmen einer Monotherapie zehn weitere Kinder mit ausgedehnten Gefässtumoren – ebenfalls mit Propranolol und mit erneut überzeugendem Resultat. Auch wir betreuen selbst mittlerweile über 400 Kinder, die erfolgreich mit Propranolol behandelt wurden. Für die häufig bereits nach wenigen Tagen einsetzende Erweichung des Hämangioms wird eine Vasokonstriktion in den kapillaren Gefässen – bedingt durch den neu eingesetzten Wirkstoff – verantwortlich gemacht. Zudem werden die Hemmung der Genexpression bestimmter Wachstumsfaktoren (vascular endothelial growth factor, VEGF, und basic fibrolast growth factor, BFGF) sowie die Förderung der Apoptose in Endothelzellen diskutiert. Für die Behandlung von Hämangiomen mit Propranolol war das Medikament bisher nicht zugelassen. Daher handelte es sich in diesem Fall um eine Off-Label-Therapie. Eltern mussten aus diesem Grund vor der Anwendung von Propranolol, nachdem sie einem ausführlichen Beratungsgespräch unterzogen worden waren, eine schriftliche Zustimmung abgeben. Der Beta-2-Blocker Propranolol ist in der Kinderkardiologie seit vielen Jahren bekannt. Nach Aussage der Leiter von fünf führenden kinderkardiologischen Zentren in Deutschland gibt es bei Einhaltung der empfohlenen Dosierung (2 mg/kg KG/Tag à 3 Dosen) keine unerwünschten Nebenwirkungen. Trotz der Existenz anderer Betablocker mit unterschiedlichem Wirkungsspektrum raten Experten, sich bei der Anwendung zunächst streng auf Propranolol
Abbildung 16: Bis auf minimale Reströtungen und ein atrophisches Hautareal optimale Rückbildung des Hämangioms. Manche Hämangiome benötigen nach Abschluss der Propranololtherapie noch dringend eine Laserbehandlung, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
zu beschränken – hierfür existieren die mit Abstand meisten kinderkardiologischen Erfahrungen. 2015 wurde das Medikament Hemangiol® von der Firma Pierre Fabre als Lösung auf dem Markt zugelassen, was die Anwendung in der täglichen Arbeit deutlich erleichtert. Die Vorteile von Propranolol liegen vor allem bei der Behandlung von grossen und sehr schnell wachsenden Hämangiomen in den Problembereichen. Dort ist jetzt auch keine orale Kortisontherapie mehr erforderlich. Zudem kann durch die Propranololtherapie in den meisten Fällen auf eine sehr aufwendige Lasertherapie in Narkose verzichtet werden. Die Propranololtherapie hat die Indikation für eine nur in Narkose durchführbare aggressive Laserbehandlung (z. B. Nd:YAG) bei Problemhämangiomen dahingehend geändert, dass als Erstbehandlung jetzt Propranolol bei problematischen grossen Hämangiomen eingesetzt wird. Nach Ausreizung der Therapie mit Propranolol sollte, je nach Therapieergebnis, der verbleibende Restbefund des Hämangioms möglichst frühzeitig zusätzlich gelasert werden (Abbildungen 13–16). Die vollständige und frühzeitige
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Abbildung 17: Entsprechend der Dicke des Hämangioms muss unbedingt die Eindringtiefe der Laser- und IPL-Systeme in die Haut beachtet werden.
Entfernung von Hämangiomen sollte auch in Zukunft
das Ziel von Therapien in diesen Problembereichen
bleiben.
Die externe Therapie mit einer Propranololcreme
ist eine weitere Option bei der Behandlung von rein
oberflächigen Hämangiomen. Im Vergleich zu die-
ser Therapieoption sind die Lasertherapie oder die
IPL-Therapie jedoch deutlich überlegen. Das für den
jeweiligen Patienten optimale Gerät sollte anhand
der Dicke des Hämangioms und der daraus resultie-
renden gewünschten Eindringtiefe gewählt werden
(Abbildung 17). Bei diesen Systemen reichen oft sehr
wenige Behandlungen ohne jegliche Einschränkun-
gen aus. Die Creme muss jedoch über einen mehr-
wöchigen Zeitraum täglich okklusiv aufgetragen
werden. Das ist bei den kleinen Patienten eine sehr
aufwendige Prozedur.
Unabhängig von der Therapiewahl sollte die Be-
handlung eines Hämangioms spätestens bis zum
dritten Lebensjahr abgeschlossen sein.
Auf chirurgische Eingriffe bei Hämangiomen sollte
heute nur noch in sehr seltenen und komplizierten
Fällen zurückgegriffen werden. Die früher einge-
setzte Strahlenbehandlung wird heute nicht mehr
durchgeführt.
s
Korrespondenzadresse: Haut- und Laserklinik Dr. Kautz Am Markt 3 D-54329 Konz Telefon 0049 6501 607 170 Fax 0049 6501 607 17 50 info@dr-kautz.com www.dr-kautz.com
Referenz: 1. Léauté-Labrèze CH et al.: Propranolol for Severe Hemangiomas of Infancy. N Engl J
Med 2008; 358(24): 2649–2651.w
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