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KONGRESSBERICHT
WCD 2019
Androgenetische Alopezie
Gibt es ein Post-Finasterid-Syndrom?
Kann der Gebrauch von Finasterid 1 mg täglich dauerhaft die Sexualfunktion beeinträchtigen? Dr. Ken Washenik hat die Daten zusammengetragen und kommt zu dem Schluss, dass es sich eher um Koinzidenzen handelt, denn schliesslich seien Potenzstörungen in der Altersgruppe, die mit Haarausfall zu kämpfen hat, ohnehin häufig.
Keine Frage: Störungen der Sexualfunktion betreffen viele Männer: So wird beispielsweise die Prävalenz der erektilen Dysfunktion (ED) für die Altersgruppe von 40 bis 88 Jahren auf etwa 50 Prozent geschätzt. Doch auch jüngere Männer sind betroffen – allerdings liegen hier die statistischen Angaben weit auseinander: Laut einer Schweizer Studie mit 2500 Männern liegt die Prävalenz der ED für Männer zwischen 18 und 25 Jahren bei annähernd 30 Prozent. Eine multinationale Studie mit fast 28 000 Männern kommt auf einen ED-Prävalenzwert für Männer in ihren Dreissigern von 11 Prozent und für Männer im Alter zwischen 20 und 29 Jahren auf immerhin 8 Prozent. Unstrittig ist, dass zu den Nebenwirkungen von Finasterid auch Störungen der Sexualfunktion gehören. In den meisten Studien berichten jeweils 1 bis 2 Prozent der Probanden über ED, eine verminderte Libido oder Ejakulationsstörungen. Mit den Erfahrungen im Laufe der Jahre nach der Einführung von Finasterid ergab es sich, dass die meisten dieser Störungen wieder verschwanden. Allerdings gab es auch sporadisch Berichte, dass selbst nach Absetzen von Finasterid Potenz und Libido nicht wieder zurückkehrten. Dies habe dazu geführt, dass in Schweden und Grossbritannien Sexualfunktionsstörungen in die Nebenwirkungsliste der Packungsbeilage hätten aufgenommen werden müssen, berichtete Dr. Ken Washenik aus Berverly Hills (Kalifornien).
Post-Finasterid-Syndrom – ein Medienhype?
Um den sexuellen Funktionsstörungen bei Männern, die täglich 1 mg Finasterid wegen ihres Haarausfalls einnahmen, auf den Grund zu gehen, wurden 2011 zwei Studien veröffentlicht. Wie Washenik berichtete, ist das Fazit dieser kleinen Studien (24 und 71 Patienten), dass lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Finasterideinnahme und Sexualfunktionsstörungen besteht. Trotzdem erregte dies eine grosse Medienaufmerksamkeit, sodass ein PostFinasterid-Syndrom (PFS) definiert wurde – mit folgenden unerwünschten Reaktionen auf Finasterid, die auch nach Absetzen des Medikaments persistieren sollen: L sexuelle (ED, Libidoverlust, Orgasmusschwierig-
keiten, Ejakulationsstörungen, Hoden- oder Penisschrumpfung u.a.)
L neurologische (z.B. Gedächtnis- und Kognitionseinschränkungen, Depressionen, Tinnitus, Schlaflosigkeit, Angst)
L physische (Gynäkomastie, Fatigue, Muskelschwäche).
2012 verfügte auch die FDA, dass diese möglichen Nebenwirkungen (NW) auf die NW-Liste in den Beipackzetteln aufgenommen werden mussten. 2013 wurde die Post-Finasterid-Syndrome-Foundation gegründet. Damit war das PFS in den wissenschaftlichen Fokus gerückt. Eine US-Forschergruppe um Dr. Wesley Baas aus Springfield (Illinois) wertet die bei der FDA zwischen 2011 und 2014 eingegangenen PFS-Meldungen von 1581 Patienten aus. Auffällig ist dabei, dass die Zahl der NW-Meldungen ab dem Zeitpunkt der Aufnahme des NW-Hinweises stark stieg (1).
Nebenwirkungen wegen ausführlicher Aufklärung?
Ob der Grad der Aufklärung über NW einen Einfluss auf die Inzidenz hat, wurde bereits 2007 von einer italienischen Arbeitsgruppe untersucht. Sie hatte 120 Patienten vor der Finasteridbehandlung einer kurzen oder einer ausführlichen NW-Beratung zugeführt. Ergebnis: Die ausführlich Beratenen gaben wesentlich häufiger NW an. Beispielsweise lag die Rate derer, die über Libidoverlust klagten, mit Beratung bei 23,6 Prozent und ohne bei 7,7 Prozent (2).
Gibt es eine Disposition für das PFS?
Verglich man die Patienten, die über PFS berichteten, mit Finasteridpatienten ohne NW und Probanden ohne Finasteridmedikation, fiel lediglich eine stärkere Disposition für depressive Verstimmungen auf. Hinsichtlich der hormonellen Parameter war kein Unterschied feststellbar. Bei der Untersuchung der neuroaktiven Hormone wurde in einer anderen Studie ebenfalls kein Unterscheid zu Finasteridnichtanwendern nachgewiesen. Gibt es nun ein PFS oder nicht? Dieser Frage ist eine US-amerikanische Arbeitsgruppe um Raymond Fertig nachgegangen, indem sie die vorhandenen Studien auswertete. In ihre Metanalyse gingen zwanzig Arbeiten ein. Trotzdem blieb die Eingangsfrage unbeantwortet. Die Studien waren zu heterogen, und vor
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allem war die Qualität der Dokumentation hinsichtlich NW zu schlecht. Die einzige qualitativ hochwertige Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass persistierende sexuelle Funktionsstörungen in der Plazebogruppe häufiger berichtet worden seien als in der Verumgruppe, so die Autoren (3). Eine aktuelle Studie ging ebenfalls der Frage der Assoziation zwischen Finasterid und Störungen der Sexualfunktion nach. 762 Männer wurden in dermatologischen Praxen nach ihrer Sexualfunktion befragt. Dabei nahmen 663 Finasterid 1 mg/Tag wegen androgenetischen Haarausfalls ein. Hinsichtlich sexueller Dysfunktion ergab sich kein Unterschied zwischen Finasteridanwendern und -nichtanwendern (4). Washenik kam zu dem Schluss, dass derzeit kein kausaler Zusammenhang zwischen der Finasteridmedikation und persistierenden NW nachzuweisen sei. Er habe in seiner Praxis bis jetzt noch keinen Fall von
persistierenden NW nach Absetzen der Medikation
beobachtet. Deshalb sei er nach wie vor der Auffas-
sung, dass die Patienten umfassend informiert wer-
den müssten, wenn sie eine Finasteridbehandlung in
Erwägung zögen.
L
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. Baas WR et al.: A Review of the FAERS Data on 5-Alpha Reductase Inhibitors: Impli-
cations for Postfinasteride Syndrome. Urology 2018; 120: 143–149. 2. Mondaini N et al.: Finasteride 5 mg and sexual side effects: How many of these are
related to nocebo phenomenon? J Sex Med 2007; 4(6): 1708–1712. 3. Fertig R et al.: Investigation of the Plausibility of 5-Alpha-Reductase Inhibitor Syn-
drome. Skin Appendage Disord 2017; 2(3–4): 120–129. 4. Haber RS et al.: Finasteride for androgenetic alopecia is not associated with sexual
dysfunction: a survey-based, single-centre, controlled study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2019; 33(7): 1393–1397.
Quelle: Symposium«Management of androgenetic alopecia»am 24.Weltkongress für Dermatologie, 13. Juni 2019, in Mailand.
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