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FORTBILDUNG
Diagnostik und Therapie von Blasen an Haut und Schleimhaut
Steckt ein Immundefekt dahinter?
Blasen auf Haut oder Schleimhäuten können unterschiedliche Ursachen haben, eine davon sind die sogenannten bullösen Autoimmundermatosen (BAID). Wenn der Körper Antikörper gegen die Strukturen der Haut bildet, löst sie sich ab und bildet Blasen. Unter die Gruppe dieser blasenbildenden Autoimmunerkrankungen fallen gleich mehrere Hautleiden, die in jedem Lebensalter auftreten können. Am häufigsten ist das bullöse Pemphigoid, von dem vor allem ältere Patienten betroffen sind.
FRANCISKA GESZTI
Pemphigus vulgaris
Der Pemphigus vulgaris kommt in Deutschland mit einer Inzidenz zwischen 0,5 und 1 Fall pro 1 Million Einwohner vor (1). Die Krankheit manifestiert sich am häufigsten in der 4. bis 6. Lebensdekade. Der Adhäsionsverlust, der von Autoantikörpern ausgelöst wird, verläuft intraepidermal (suprabasal). Die Blasen sind deshalb meist schlaff. Sie platzen schnell und führen zu schmerzhaften Erosionen (Abbildung 1). Die Blasenbildung erfolgt nicht nur an der Haut, auch Schleimhäute sind betroffen (5). In der Regel tritt der Pemphigus vulgaris zuerst an der oralen Schleimhaut auf (Abbildung 2). Weitere Prädilektionsstellen sind die Kopfhaut und der Stamm. Die intakte Epidermis lässt sich mit dem Finger abschieben (Nikolski-I-Zeichen). Manche Medikamente können in seltenen Fällen einen Pemphigus auslösen, sogar nach Jahren guter Verträglichkeit (Tabelle 2) (11). Eine paraneoplastische Form ist zudem bekannt.
Bullöses Pemphigoid
Das bullöse Pemphigoid (BP) ist der häufigste Vertreter der bullösen Autoimmundermatosen (BAID) (Tabelle 1). Die Krankheitshäufigkeit liegt zwischen 2,5 und 42,8 Fällen pro 1 Million Einwohner (1). Der Inzi-
Abbildung 1: Verkrustete Erosionen und schlaffe Blasen am Stamm bei Pemphigus vulgaris
denzgipfel wird zwischen dem 70. und dem 80. Lebensjahr erreicht (1). Die Blasenbildung läuft subepidermal ab. Die Manifestationen an der Haut können sehr polymorph sein. Bei der körperlichen Untersuchung sind meist symmetrisch verteilte, juckende, pralle Blasen auf geröteter oder gesund scheinender Haut zu sehen (Ab-
kurz & bündig
L Bei Blasen- oder Erosionsbildung unklarer Genese ist ein zeitnahes dermatologisches Konsil erforderlich.
L Bei allen chronisch juckenden, entzündlichen Dermatosen im Alter ist ein BP auszuschliessen.
L Bei den meisten gut behandelten BAID ist die Prognose günstig.
Abbildung 2: Fibrinbelegte orale Erosionen bei Pemphigus vulgaris
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Abbildung 3: Pralle Blasen auf roten Plaques am Arm bei bullösem Pemphigoid
Diagnostik
Schon bei Verdacht auf eine BAID ist ein Routinelabor hilfreich. Blutbildveränderungen wie Eosinophilie können auf ein BP hinweisen. Zeichen für eine dabei auftretende Verdauungsschwäche (Malabsorption), zum Beispiel eine makrozytäre oder Eisenmangelanämie sowie ein Vitamin-D-Mangel, sind typisch für eine DHD. Der Arzt sollte hier nach der Einnahme von möglicherweise auslösenden Arzneimitteln fragen (Tabelle 2) (6, 11). Die endgültige Diagnose stellt der Hautarzt. Neben Anamnese und körperlicher Untersuchung basiert sie auf der Beurteilung von Hautproben, also auf Dermatohistologie (direkte Immunfluoreszenz, kurz: IF) und Autoimmunserologie (indirekte IF, BP180 und BP230 ELISA) (5, 9, 13, 14).
bildung 3) (7, 14). Prädilektionsstellen sind die Beugeseiten der Extremitäten. Sekundär entstehen verkrustete Erosionen. Manchmal zeigen sich prurigooder ekzemartige Hautveränderungen ohne Blasenbildung (Abbildung 4) (7, 14). Die Schleimhäute sind in 10 bis 30 Prozent der Fälle mitbetroffen. Der Verlauf des BP ist meist selbstlimitierend. Selten wird diese blasenbildende Erkrankung durch Tumoren oder Medikamente ausgelöst (Tabelle 2).
Assoziierte Erkrankungen
Zwischen dem BP und einigen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Apoplex und Demenz konnte zwar ein Zusammenhang festgestellt werden (2, 3, 16), eine therapeutische Konsequenz entsteht dadurch aber nicht.
Weitere BAID
Das Schleimhautpemphigoid (MMP) befällt vor allem die Schleimhäute. Häufig tritt eine Vernarbung auf, die irreversible und quälende Komplikationen verursachen kann (z.B. Larynxstenose) (7). Der Verlauf des MMP ist hoch chronisch und oft ungünstig (6). Die Dermatitis herpetiformis Duhring (DHD) ist die kutane Manifestation einer Zöliakie. Diese chronische Erkrankung des Dünndarms ist meist mild oder asymptomatisch. Sie tritt bei 1 bis 5 Fällen pro 1 Million Einwohner auf (7). Der Inzidenzgipfel liegt in Europa zwischen dem 25. und dem 55. Lebensjahr. Die prallen, herpetiform angeordneten Bläschen erscheinen über Hautarealen, die Druck oder Spannung ausgesetzt sind, wie Ellbogen, Knie oder Gesäss (sakrogluteal). Häufig fehlen die Bläschen, stattdessen finden sich verkrustete Erosionen, Papeln oder durch heftigen Juckreiz ausgelöste Exkoriationen (Abbildung 5) (12). Die DHD geht oft mit anderen Autoimmunkrankheiten einher (z.B. Autoimmunthyreoiditiden, Diabetes mellitus, perniziöse Anämie) (7).
Tabelle 1:
Bullöse Autoimmundermatosen
Intraepidermaler Adhäsionsverlust Pemphigus vulgaris Pemphigus foliaceus Paraneoplastischer Pemphigus Subepidermaler Adhäsionsverlust Pemphigoid
Epidermolysis bullosa acquista Dermatitis herpetiformis Duhring
Subtypen • P. vegetans • Fogo selvagem
• bullöses Pemphigoid • Pemphigoid gestationis • Schleimhautpemphigoid • lineare IgA-Dermatose
Tabelle 2:
Wichtigste potenzielle Auslöser
Pemphigus Aminophenazon Amoxicillin Captopril Carbamazepin Hydantoin Immunmodulatoren (Interferon, Interleukin) Isosorbiddinitrat Isotretinoin Levodopa Piroxicam Rifampicin Thiamazol Tiopronin
Pemphigoid Furosemid Phenothiazine Schleifendiuretika Radiotherapie/Fototherapie Ampicillin Ciprofloxacin
Ibuprofen Nifedipin Spironolacton Sitagliptin/Metformin Sulfasalazin Betablocker Terbinafin
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Abbildung 4: Exkoriierte, ekzematiforme Plaques am Arm (bullöses Pemphigoid)
Abbildung 5: Symmetrische, herpetiform angeordnete Erosionen an den Knien bei Dermatitis herpetiformis Duhring (DHD)
Differenzialdiagnose Für die Differenzialdiagnose müssen vor allem allergische, bläschenbildende Hautreaktionen (bullöse Arzneimittelexantheme wie Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse) ausgeschlossen werden. Erst kürzlich verordnete Medikamente (Zeitraum: 1–8 Wochen) lassen besonders eine akute Arzneimittelreaktion vermuten. Infektionen, die von Staphylokokken verursacht werden, können auch mit einer Blasenbildung einhergehen (15). Akut auftretende, meist an den gegenüberliegenden Hautflächen sichtbare Blasen und – bei jüngeren Patienten – gelblich verkrustete Erosionen weisen auf eine bullöse Impetigo contagiosa hin. Für Virusinfektionen sind statt Blasen kleinere Bläschen typisch. Bei Herpes zoster sind zum Beispiel gruppierte Vesikel typisch, die sich auf die Dermatome begrenzen. Treten Schleimhauterosionen ohne weitere Hautbeteiligung auf, sollte man Aphthen, Kandidose, erosive Lichen oder schlecht sitzende Prothesen ausschliessen. Erfrierungen oder Verbrennungen der
Haut können ebenfalls zu Blasen führen. An selbst zugefügte Hautverletzungen (Artefakte), mechanische Blasen oder Reaktionen auf Insektenstiche sollte auch gedacht werden (12). Einzelne Blasen an den Schienbeinen können in Zusammenhang mit Diabetes mellitus (Bullosis diabeticorum) erscheinen oder weisen auf eine unzureichende diuretische Therapie (Spannungsblasen) hin. Bei älteren Patienten, bei denen zum Beispiel ein Ekzem, eine Prurigo oder die Krätze (Skabies) vermutet wird, muss der Arzt ein nicht bullöses Pemphigoid ausschliessen (7). Er muss auch beachten, dass kindliche Haut bei unterschiedlichen Dermatosen besonders mit Blasenbildung reagiert (12).
Therapie
Die Therapie der Wahl ist – mit Ausnahme der DHD – eine systemische Immunsuppression. Bei mildem BP ist ausnahmsweise eine topische Monotherapie mit Clobetasolpropionat empfohlen (13). So lassen sich systemische Nebenwirkungen vermeiden. Ein Nachteil ist jedoch der pflegerische Mehraufwand. Eine Langzeitanwendung kann zudem zu einer schweren Hautatrophie führen (6). Die Einleitung und das Ausschleichen einer systemischen Immunsuppression sowie einen Therapiewechsel sollte ein erfahrener Dermatologe vornehmen. Bei BP oder Pemphigus besteht die systemische Therapie aus Prednisolon oder Methylprednisolon (4, 8, 9). Bei hohen Dosen sollte das Glukokortikoid mit einem weiteren steroidsparenden Immunsuppressivum kombiniert werden, um die Nebenwirkungen zu begrenzen (4, 8, 9). Eine Dosisverringerung der Glukokortikoide sollte ausschleichend (durch «logarithmische Reduktion») erfolgen (4, 8, 9). Für die DHD ist Dapson die Therapie der Wahl, ergänzt durch eine glutenfreie Diät (8).
Steroidsparende Immunsuppressiva Methotrexat: Anfangs ist eine Laborkontrolle pro Monat notwendig, später reichen 2- bis 3-monatliche Tests. Bei schwereren Begleiterkrankungen sollten sie gegebenenfalls auch häufiger gemacht werden. Cave: Eine tägliche (statt wöchentliche) Einnahme von Methotrexat kann letale Folgen haben. Vorsicht bei Demenz! Azathioprin: Wegen der sehr häufigen Lebertoxizität im Alter werden 2-wöchentliche Kontrollen in den ersten 2 Monaten (danach alle 2 bis 3 Monate) empfohlen. Mycophenolat: Die Dosis muss bei Asiaten beziehungsweise Afrikanern deutlich reduziert beziehungsweise erhöht werden. Faustregel: 1 g bei Asiaten, 2 g bei Kaukasiern, 3 g bei Afrikanern (täglich). Dapson: Obligate Konsequenzen der Therapie sind Hämolyse und Methämoglobinbildung, die – bedingt durch weitere Faktoren – zu ischämischen Kom-
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plikationen führen können. Laborkontrollen sollten in den ersten 3 Monaten wöchentlich, später alle 2 bis 3 Monate erfolgen.
Systemische Medikamente und Wechselwirkungen Ernste Komplikationen können Arzneimittelinteraktionen mit Immunsuppressiva verursachen. Der häufigste Fehler mag die gleichzeitige Gabe von Methotrexat mit Protonenpumpenhemmern sein. Die Myelo-, die Hepato- und die Nephrotoxizität von Methotrexat potenziert sich dadurch. Dies lässt sich durch H2-Antihistaminika (z.B. Ranitidin 300 mg/Tag) statt Protonenpumpeninhibitoren vermeiden. Eine weitere, potenziell lebensgefährliche Kombination ist Azathioprin mit Allopurinol oder mit Aminosalicylsäurederivaten wie Mesalazin beziehungsweise Sulfasalazin. Der Arzt sollte zudem die gleichzeitige Gabe von Azathioprin und ACE-Hemmern (ACE = angiotensin-converting enzyme) – wegen ihrer erhöhten Myelotoxizität – vermeiden. Gleiches gilt für die Kombinationen Mycophenolat und Aciclovir sowie Methotrexat und nicht steroidale Entzündungshemmer (NSAID) über einen längeren Zeitraum – hier drohen sonst starke Knochenmarksuppression, aplastische Anämie und gastrointestinale Toxizität (6).
Geriatrische Aspekte
Bei älteren Patienten sind die Begleiterkrankungen wie eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion das grösste Problem. Bei Demenz gestalten sich die Medikamenteneinnahme und die Compliance schwierig. Eine eingeschränkte Selbstpflege begünstigt Superinfektionen. Ältere Menschen sind auch oft immobil und haben ein reduziertes Durstgefühl. Bei Erosionen ist der transepidermale Wasserverlust grösser, was zu einer deutlichen Austrocknung führen kann (6). Hier sind eine adäquate Schmerzlinderung, Wasser- und Elektrolytgabe sowie Infektionsprophylaxe wichtig. Bestimmte Auslöser, wie verdächtige Medikamente (13), UV-Strahlung und Neoplasien, sind möglichst zu beseitigen. Im Rahmen der Infektionsprophylaxe sollte der Arzt den Impfstatus prüfen und die fehlenden Impfungen nachholen (10). Screeninguntersuchungen (Röntgenthorax, Oberbauchsonografie, Hämokkult, Serum-PSA [prostataspezifisches Antigen]) in Richtung Neoplasien bezie-
hungsweise chronischer Infektionen wie Tuberkulose
sind zu empfehlen. Während einer systemischen Be-
handlung müssen Laborparameter und Blutdruck-
werte regelmässig kontrolliert werden. Wegen der
Osteoporosegefahr unter Steroidtherapie empfiehlt
sich prophylaktisch eine Substitution von Vitamin D
und Kalzium (17).
L
Franciska Geszti National Institut für Onkologie Onkodermatologische Abteilung Ráth György u. 7–9 1122 Budapest, Ungarn E-Mail: franciskageszti@gmail.com
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2017. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
Referenzen:
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