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KONGRESSBERICHT
SGDV
Atopische Dermatitis
Neues zu Pathogenese und Therapie
Als häufigste chronisch entzündliche Hautkrankheit betrifft die atopische Dermatitis bis zu 25 Prozent der Kinder und 7 Prozent der Erwachsenen. Die intensiven Bemühungen zur Erforschung der Pathogenese tragen jetzt reichlich Früchte: Zurzeit ist die Pipeline innovativer Therapien gut gefüllt. Darüber sprach Prof. Amy Paller aus Chicago, Illinois (USA), an der 100. Jahresversammlung der SGDV.
Die atopische Dermatitis ist eine sehr heterogene Erkrankung mit unterschiedlichen Subtypen und komplexer Pathogenese, an der Störungen der Hautbarriere, immunologische Mechanismen, Umgebungstrigger (z.B. Allergene) und Veränderungen des Hautmikrobioms beteiligt sind. Kinder sind etwa zu zwei Dritteln von einer leichten und zu einem Drittel von einer moderaten bis schweren Erkrankung betroffen. Aufgrund neuer Forschungsergebnisse zur komplexen Pathogenese der atopischen Dermatitis werden jetzt gezielt wirkende Medikamente entwickelt. Sie ergänzen die herkömmlichen Behandlungsmöglichkeiten mit topischen Kortikosteroiden und Calcineurininhibitoren und bei schwereren Erkrankungen mit breit immunsupprimierenden, systemischen Medikamenten wie Ciclosporin.
Unterschiedliche Hautbarrieredefekte bei Kindern und Erwachsenen
Neue Studien haben gezeigt, dass die Anomalien der epidermalen Hautbarriere bei Kindern und Erwachsenen mit atopischer Dermatitis unterschiedlich sind. Der transepidermale Wasserverlust (TEWL) als Mass der Hautbarrierefunktion ist bereits bei jungen Kindern sowohl in läsionaler als auch in nicht läsionaler Haut erhöht. Die Expression epidermaler Verhornungsprodukte (z.B. Filaggrin) ist jedoch bei Kindern normal, während sie bei Erwachsenen mit langer Krankheitsdauer herunterreguliert ist. Erwachsene sind zwar nicht oft (nur in 15–40%) Träger einer Filaggrinmutation mit Funktionsverlust, aber es kommt
kurz & bündig
L Schon bevor die atopische Dermatitis beginnt, ist eine Hautbarrierestörung vorhanden. Diese stellt einen Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer atopischen Dermatitis und einer allergischen Sensibilisierung dar.
L Bei etablierter atopischer Dermatitis ist hauptsächlich die Immunaktivierung für das Weiterbestehen der Erkrankung verantwortlich. Gezielte Therapien können läsionale Haut wieder in nicht läsionale Haut umwandeln.
L Welche Rolle Mikrobiomveränderungen bei akuten Schüben spielen, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise können sich in Zukunft aus der Mikrobiomforschung neue Behandlungsmöglichkeiten ergeben.
bei ihnen durch Zytokine (z.B. IL-4, IL-13, IL-22, IL-33) zur Herunterregulierung und zum Mangel an diesem Hautbarriereprotein. Anders bei Kindern zwischen 3 Monaten und 5 Jahren mit moderater bis schwerer atopischer Dermatitis und Erkrankungsbeginn innerhalb der vergangenen 6 Monate: Bei der Untersuchung ihrer Hautbiopsien wurde überraschenderweise kein Filaggrinmangel festgestellt (1). Wahrscheinlich sei der Filaggrinmangel bei Erwachsenen Ausdruck der Chronizität der Erkrankung, sagte die Referentin. Verantwortlich für die Barriereanomalien junger Kinder ist die reduzierte Expression von Proteinen (z.B. Claudin 8 und 23), die zur Ausbildung der Tight Junctions (Verbindungen zwischen Epithelzellen) nötig sind. Überdies ist die Expression von Genen der Lipidbarriere reduziert, sodass in der Haut zum Beispiel zu wenig Ceramide gebildet werden. Frühzeitige Reparatur der Hautbarriere durch Emollienzien kann sich günstig auf das Erkrankungsrisiko und auf das allergische Sensibilisierungsrisiko auswirken. Im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie (durchgeführt in den USA und Grossbritannien) wurden 64 Neugeborene mit hohem Erkrankungsrisiko für atopische Dermatitis mit Beginn in den ersten 3 Lebenswochen am ganzen Körper mindestens einmal täglich mit verschiedenen Emollienzien gepflegt (2). Im Kontrollarm (n = 60) wurden keine Emollienzien verwendet. Durch tägliche Emollienzienbehandlung konnte das Risiko einer Erkrankung an atopischer Dermatitis nach 6 Monaten relativ um 50 Prozent reduziert werden (kumulative Erkrankungsinzidenz 22% versus 43%). Die Wirksamkeit dieser einfachen und kostengünstigen Präventionsmöglichkeit müsse noch in grösseren Studien bestätigt werden, sagte die Referentin. Sie wies darauf hin, dass Emollienzien weit mehr seien als bloss Mittel zur «Versiegelung» der Haut. Beispielsweise bringt die vermeintlich inerte Vaseline ganz erstaunliche Effekte zustande: Sie verstärkt in nicht läsionaler, nur scheinbar normaler Haut von Erwachsenen mit atopischer Dermatitis die angeborene Immunität, erhöht die Expression antimikrobieller Peptide, induziert die Expression von Filaggrin, steigert die Dicke des Stratum corneum und reduziert die T-Zell-Infiltration (3).
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Erfolgreiche Blockade des IL-4- und IL-13-Signalwegs
Wenn Antigene durch die defekte Hautbarriere eindringen, treffen sie in der Epidermis auf LangerhansZellen und in der Dermis auf dermale dendritische Zellen, wobei es zur Immunaktivierung kommt. Hauptsächlich aktiviert werden einerseits Th2-Zellen, welche durch Freisetzung der Th2-Zytokine IL-4, IL-5, IL-13 und IL-31 die IgE-Synthese ankurbeln und atopische Entzündungsreaktionen sowie Juckreiz auslösen, und andererseits Th22-Zellen, die IL-22 freisetzen. In der Pipeline befinden sich derzeit zahlreiche Biologika und kleinmolekulare Wirkstoffe, welche die Signalpfade der Immunaktivierung gezielt beeinflussen. Der in den USA und in der Europäischen Union bereits zugelassene IL-4/IL-13-Blocker Dupilumab, der alle 2 Wochen subkutan gespritzt wird, bindet auf
Immunzellen an die Untereinheit, die bei den Rezeptoren dieser beiden Interleukine identisch ist. Die Effekte bei Erwachsenen mit moderater bis schwerer atopischer Dermatitis seien deutlich, so die Referentin. Sowohl die Entzündung als auch der Juckreiz würden stark reduziert. In den beiden randomisierten, plazebokontrollierten Phase-III-Studien SOLO 1 und 2 waren nach 16 Wochen 36 bis 38 Prozent der Patienten fast oder völlig erscheinungsfrei (mit Plazebo 8–10%) (4). Der EASI-Score besserte sich ab Studienbeginn bis Woche 16 um durchschnittlich 70 Prozent. Dupilumab bessert die atopische Dermatitis nicht nur klinisch, sondern nachweislich auch auf molekularer Ebene, indem sich unter der Therapie Th2/Th22- und Barriere-Marker dem nicht läsionalen Zustand annähern. Die Referentin berichtete, dass auch bei Adoleszenten im Alter von 12 bis 17 Jahren mit moderater bis
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schwerer atopischer Dermatitis im Rahmen einer randomisierten, plazebokontrollierten Phase-III-Studie sehr gute Resultate erzielt worden seien. Nach 16 Wochen waren, je nach Dosierungsschema, 18 beziehungsweise 24 Prozent der Jugendlichen fast oder völlig erscheinungsfrei (mit Plazebo 2%) (5). Die durchschnittliche Verbesserung des EASI-Scores ab Studienbeginn betrug 65 beziehungsweise 66 Prozent (mit Plazebo 24%). Der Pruritus wurde durch Dupilumab ab Behandlungsbeginn um durchschnittlich 45 beziehungsweise 48 Prozent gebessert (mit Plazebo um 19%). Mit den selektiven IL-13-Blockern Tralokinumab und Lebrikizumab, die derzeit entwickelt werden, sei gemäss bisher vorliegenden Studienresultaten in Woche 12 ein EASI75-Ansprechen bei 42,5 beziehungsweise 54,9 Prozent erwachsener Patienten mit moderater bis schwerer atopischer Dermatitis erreichbar, berichtete die Referentin. Es stellt sich die Frage, ob die gezielte Hemmung von Th2-Signalwegen auch bei Säuglingen und Kleinkindern wirksam ist. Junge Kinder mit Krankheitsbeginn in den vergangenen sechs Monaten weisen in läsionaler Haut dieselbe Th2/Th22-Aktivierung wie Erwachsene auf, aber in nicht läsionaler Haut ist die Aktivierung stärker als bei Erwachsenen.
Orale und topische JAK-Inhibitoren
JAK-STAT (Januskinase – Signal Transducer and Activator of Transcription) bildet einen intrazellulären Signalweg, der dafür sorgt, dass Zytokine wie IL-4, IL-13, IL-31, die an ihre Rezeptoren angedockt haben, pathophysiologische Wirkungen hervorrufen. Durch aktivierte JAK phosphoryliertes STAT gelangt in den Zellkern und löst die Transkription von Genen aus. Derzeit werden JAK-Inhibitoren sowohl zur topischen Anwendung (z.B. Ruxolitinib, Delgocitinib) als auch zur oralen Einnahme (z.B. Baricitinib, Upadacitinib) als Behandlung der atopischen Dermatitis getestet. Erste Resultate sprechen für hohe Effektivität ohne schwere Nebenwirkungen. Die Referentin wies darauf hin, dass orale, molekular gezielte Medikamente für die pädiatrische Praxis besonders attraktiv seien.
Alfred Lienhard
L
Referenzen: 1. Brunner PM et al.: Early-onset pediatric atopic dermatitis is characterized by
TH2/TH17/TH22-centered inflammation and lipid alterations. J Allergy Clin Immunol 2018; 141: 2094–2106. 2. Simpson EL et al.: Emollient enhancement of the skin barrier from birth offers effective atopic dermatitis prevention. J Allergy Clin Immunol 2014; 134: 818–823. 3. Czarnowicki T et al.: Petrolatum: Barrier repair and antimicrobial responses underlying this «inert» moisturizer. J Allergy Clin Immunol 2016; 137: 1091–1102. 4. Simpson EL et al.: Two phase 3 trials of dupilumab versus placebo in atopic dermatitis. N Engl J Med 2016; 375: 2335–2348. 5. Press release May 16, 2018, www.news.sanofi.us
Buchtipp
Neues Nachschlagewerk zur Kinderdermatologie
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Zudem spielen sich viele der so genannten Kinderkrankheiten doch vornehmlich bei Kindern und Jugendlichen ab, werden aber im Zeitalter erfolgreicher Impfprävention nur noch selten beobachtet. Genetisch bedingte Krankheiten müssen so früh wie möglich korrekt diagnostiziert werden – also bei Kindern. Für all dies bietet dieses Buch eine wertvolle Hilfe, denn es gibt einen umfassenden Überblick über gängige und seltene Krankheitsbilder bei Kindern. Und da sich die Erscheinungsbilder viele Erkrankungen bei Kindern und Erwachsenen unterscheiden, macht es auch Sinn, sich gezielt mit der pädiatrischen Dermatologie in einem eigenständigen Buch zu beschäftigen. Das Buch ist sehr tabellarisch und gegliedert, auf überflüssigen Prosatext wird zugunsten von straff zusammengetragenen und übersichtlich dargestellten Fakten verzichtet. Die Hauptmerkmale der jeweiligen Erkrankungen
sowie beachtenswerte Besonderheiten sind durch farb-
liche Kästen hervorgehoben und erleichtern so ein
schnelles Auffinden der relevanten Informationen. Die
insgesamt 1357 Abbildungen (davon 1280 in Farbe)
helfen darüber hinaus, den diagnostischen und differen-
zialdiagnostischen Blick des Lesers weiter zu trainieren –
selbst bei denjenigen Krankheiten, denen man bisher in
der Praxis nicht begegnet ist. Fazit: Ein echtes, allumfas-
sendes Nachschlagewerk der Erkrankungen bei Kindern,
die sich entweder primär oder auch sekundär an der Haut
manifestieren, und eine echte Bereicherung des wissen-
schaftlichen Bücherregals von Dermatologen wie auch
von Pädiatern.
AZA
Atlas der Pädiatrischen Dermatologie
Herausgeber: Ulrike Blume-Peytavi, Helga Albrecht-Nebe, Kathrin Hillmann, Wolfram Sterry Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2018, 655 Seiten ISBN: 978-3-527-33774-3 (print), eISBN: 9783527689682 (E-Book pdf), 9783527689675 (E-Book ePub)
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