Transkript
KONGRESSBERICHT
AAD
Malignes Melanom
Anstieg in Europa – Frühdiagnose durch künstliche Intelligenz – Kaffee schützt
Die Häufigkeit des malignen Melanoms (MM) steigt in Europa ungebrochen an. Umso wesentlicher ist es, die lebensrettende Frühdiagnostik zu verbessern. Aber auch zu Primär- und Sekundärprävention gibt es neue Daten.
«Obwohl die Krankheitslast des Melanoms am grössten in Neuseeland und Australien ist, scheint sich die Erkrankung dort auf hohem Niveau zu stabilisieren, wozu vermutlich Public-Health-Kampagnen zum Thema Sonnenschutz und Melanomfrüherkennung beigetragen haben», erklärte Emil Dando aus Pitttsburgh, USA, bei der Vorstellung einer Studie zur Inzidenz des MM in 46 Ländern, die beim diesjährigen AAD präsentiert wurde (1). Hier zeigte sich, dass die stärksten Zuwächse in Europa stattfinden. Derzeit findet sich die höchste Melanominzidenz (pro 100 000 Einwohner) in Neuseeland (35,8), danach folgen Australien (34,9), die Schweiz (20,3) die Niederlande (19,4) und Dänemark (19,2). In 23 von 46 Ländern ist das MM bei Frauen häufiger als bei Männern; vor allem in Europa liegen die Frauen diesbezüglich vorn (in 21 von 27 Ländern). Werteten die Forscher die Melanommortalität (ebenfalls pro 100 000 Einwohner) aus, so ergab sich ein etwas unterschiedliches Bild: Zwar lagen auch hier Neuseeland und Australien an der Spitze (mit 4,7 bzw. 4,0), doch dann folgten Norwegen (3,6), Slowenien (3,1) und Schweden (2,8). In den meisten Ländern war die Mortalität bei Männern höher, einschliesslich aller Länder in Europa. In der Studie wurde auch der Anstieg im Zeitraum 2000 bis 2012 untersucht: Hier nahmen die Melanomfälle in fast allen Ländern zu, doch ein Anstieg um mehr als 100 Prozent fand sich bei Männern und Frauen in Italien und Grossbritannien, bei Frauen in Japan und bei Männern in Spanien und in der Schweiz. Eine Abnahme der Melanomhäufigkeit in diesem Zeitraum zeigte sich bei den Frauen in Österreich, Australien und Neuseeland sowie den Männern in Brasilien. Insgesamt stabilisiert sich also die Lage in den am stärksten betroffenen Ländern Neuseeland und Australien, die Melanominzidenz steigt jedoch ungebrochen in vielen europäischen und asiatischen Ländern sowie in Nordamerika, so der Schluss der Studienautoren.
Atypische Formen bei Kindern
«Maligne Melanome sind bei Kindern eine Rarität», erklärte Dr. Ryan C. Kelm aus Chicago, USA. Sie stellte
eine Studie vor, in der Inzidenzraten der National Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER) Cancer Database-, aus den Vereinigten Staaten ausgewertet wurden (2). Hier zeigte sich, dass die Inzidenz im Kindesalter nur 5 pro 1 Million beträgt. Allerdings müsse beachtet werden, dass bei Kindern im Alter von 0 bis 9 Jahren häufiger atypische Melanome wie noduläre Formen vorkommen.
Frühdiagnose mit lernfähigen Computern
Die frühe Diagnose ist lebensrettend. Allerdings wird die Dichte der Hautärzte in vielen Regionen aufgrund der demografischen Entwicklung eher abnehmen. Schon allein deswegen wird nach Ausführung von Dr. Allen Halpern aus New York, USA, die computergestützte Möglichkeit einer Diagnose für viele Menschen lebensrettend sein (3). «Maligne Melanome werden primär visuell bei einem klinischen Besuch diagnostiziert, erst im zweiten Schritt erfolgen die Dermatoskopie sowie gegebenenfalls eine Biopsie und die histologische Untersuchung», erklärte Halpern. Im Februar 2017 wurde hierzu eine Schlüsselpublikation veröffentlicht, die bemerkenswerte Leistungen von Programmen aufzeigte, die nach Dateneingabe mit konvolutionalen neuronalen Netzwerken (CNN) lernfähig sind (4). CNN sind künstliche neuronale Netzwerke und erlernen die Filter, die in traditionellen Algorithmen noch per Hand eingegeben werden müssen. Dies macht sie unabhängig von Vorwissen. Die Gruppe an der Stanford-Universität von Kalifornien benutzte nur Pixel und Krankheitskennzeichnungen, mit denen sie
kurz & bündig
L Neuerkrankungen des malignen Melanoms stagnieren in Neuseeland und Australien auf hohem Niveau.
L Steile Anstiege finden sich in Europa, Nordamerika und einigen asiatischen Ländern. L Effektiver dauerhafter Sonnenschutz ist die wichtigste Massnahme der Primärpräven-
tion. L Auch das Trinken von koffeinhaltigem Kaffee verleiht einen Schutz. L Aspirin scheint nach einer Melanomdiagnose das Überleben zu verlängern.
SZD 4/2018
31
KONGRESSBERICHT
AAD
die Maschine «fütterte» oder besser gesagt «trainierte». Insgesamt wurde eine Datenmenge von 129 450 klinischen Bildern von über 2032 verschiedenen Erkrankungen eingegeben. Im Anschluss testeten die Forscher das Programm im Vergleich zu 21 Dermatologen hinsichtlich der Fähigkeit, Nävi von Melanomen und Keratinozytenkarzinome (Basalzellkarzinome, Plattenepithelkarzinome und aktinische Keratosen als In-situ-Karzinome) von benignen seborrhoischen Keratosen abzugrenzen. Beide Aufgaben bewältigte das Programm vergleichbar gut wie die Dermatologen. Es war in der Lage, den Rat «Biopsie/Behandlung ist erforderlich» oder «den Patienten beruhigen, da alles in Ordnung ist» zu geben. Nach Ansicht der Studienautoren können solche Programme mithilfe mobiler Geräte die Reichweite von Dermatologen über die Klinik hinausbringen. Eine solche Technik könnte den weltweiten Zugang zur Melanomfrühdiagnose ermöglichen.
Viel Sonnenschutz und Kaffee
Ein möglichst effizienter Sonnenschutz ist und bleibt nach Ausführung von Prof. Darell Rigel aus New York, USA, die wichtigste Massnahme zur Primärprävention eines malignen Melanoms (MM [5]). Dies ist auch durch Studien gut dokumentiert: Das tägliche Auftragen eines Sonnenschutzes auf Kopf und Arme im Vergleich zu einem Auftragen nach den Vorlieben der Probanden führte in einer australischen Studie an 1621 Personen im Alter von 25 bis 75 Jahren dazu, dass sich nur 11 neue Melanome bildeten im Vergleich zu 22 Melanomen in der unregelmässig auftragenden Kontrollgruppe (p = 0,0051 [6]). Allerdings erfreut sich der Sonnenschutz bei Patienten keiner grossen Beliebtheit – hier dürfte ein aktuell anerkannter, weiterer Schutzfaktor besser akzeptiert werden: Gemäss zwei aktuellen Metaanalysen schützt auch intensiver Kaffeekonsum vor der Entwicklung eines Melanoms (7, 8). In einer Metaanalyse wurden zwei Fall-Kontroll- und fünf Kohortenstudien ausgewertet. Im Vergleich zu den Probanden, die am wenigsten Kaffee tranken, wiesen die stärksten Kaffeetrinker ein um 19 Prozent geringeres relatives MM-Risiko auf. Die Autoren führen die Schutzwirkung auf chemopräventive Effekte von koffeinhaltigem Kaffee auf ein Melanom zurück (7). Interessanterweise fehlte dem koffeinfreien Kaffee, der allgemein als «gesünder» wahrgenommen wird, diese Wirkung. In die zweite Metaanalyse gingen 23 Studien mit insgesamt 2 268 338 Teilnehmern ein (8). Auch hier reduzierte der höchste Kaffeekonsum im Vergleich zum niedrigsten Konsum das Risiko für ein MM um 20 Prozent. Die koffeinhaltige Variante senkte das Risiko um 15 Prozent, der koffeinfreie Kaffee nur um 8 Prozent. Zudem konnte in dieser Auswertung eine klare DosisWirkungs-Beziehung festgestellt werden: So sank das Risiko für ein Melanom pro Tasse Kaffee, die täg-
lich konsumiert wird, um 3 Prozent, unabhängig von der Sorte, und um 4 Prozent, wenn nur koffeinhaltiger Kaffee konsumiert wird (8).
Länger leben nach der Diagnose dank ASS?
Gemäss einer kürzlich veröffentlichten, retrospekti-
ven Kohortenstudie leben Patienten mit diagnosti-
ziertem MM länger, wenn sie Aspirin einnehmen (9).
In die Studie gingen die Daten von 1522 Patienten
ein, bei denen zwischen 2000 und 2014 ein MM
diagnostiziert wurde und die bis September 2016
nachverfolgt wurden. Die Einnahme von Acetylsalicy-
lsäure (ASS) war bei Patienten, bei denen ein Mela-
nom im Stadium II oder III diagnostiziert wurde, mit
einem Überlebensvorteil verbunden. Dieser Zusam-
menhang bestand selbst dann, wenn Alter, Ge-
schlecht, Tumorstaging und die Behandlungsme-
thode in der Analyse berücksichtigt wurden. Zudem
wurde bei Studienteilnehmern, die vor der MM-Dia-
gnose ASS einnahmen, seltener ein Melanom im
fortgeschrittenen Stadium III oder IV diagnostiziert
(9). Aufgrund dieser positiven Ergebnisse wird jetzt
eine prospektive Studie durchgeführt, in der das Po-
tential von ASS in der Sekundärprävention eines MM
untersucht wird.
L
Susanne Kammerer
Quellen: 1. Dano E: The growing burden of melanoma: The incidence and mortality of mela-
noma in 45 countries. Abstract beim AAD Annual Meeting 2018, San Diego (USA). 2. Kelm C: Pediatric Malignant Melanoma: A Report from the National Cancer Institute
Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER). Abstract 6722 beim AAD Annual Meeting 2018, San Diego (USA). 3. Halpern A: Melanoma update 2018. Vortrag am Symposium S048 «Hot Topics» beim AAD Annual Meeting 2018, San Diego (USA). 4. Esteva A et al.: Dermatologist-level classification of skin cancer with deep neural networks. Nature 2017; 542(7639): 115–118. 5. Rigel D: Do primary and secondary melanoma prevention efforts make a difference? Vortrag am Symposium S021 «Dilemmas and Challenges in skin cancer therapies and management» beim AAD Annual Meeting 2018, San Diego (USA). 6. Green AC et al.: Reduced melanoma after regular sunscreen use: randomized trial follow-up. J Clin Oncol 2011; 29: 257–263. 7. Liu J et al.: Higher caffeinated coffee intake is associated with reduced malignant melanoma risk: A meta-analysis study. PLoS one 2016; 11: e0147056. 8. Wang J et al.: Coffee consumption and the risk of cutaneous melanoma: a metaanalysis. Eur J Nutr 2016; 55: 1317–1329. 9. Rachidi S et al.: Postdiagnosis aspirin use and overall survival in patients with melanoma. J Am Acad Dermatol 2018; doi: 10.1016/j.jaad.2017.12.076 [epub ahead of print].
Quelle: Jahrestreffen der American Academy of Dermatology (AAD), 16. bis 20. Februar 2018, in San Diego (USA).
32 SZD 4/2018