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KASUISTIK
Iatrogenes disseminiertes Kaposi-Sarkom
Das Kaposi-Sarkom (KS) ist eine durch das humane Herpesvirus 8 (HHV-8) ausgelöste vaskuläre Neoplasie, die sich an Haut und Schleimhäuten von Menschen mit eingeschränkter Immunabwehr manifestiert. Während es sich bei vielen Betroffenen um HIV-Infizierte und Organtransplantierte handelt, sollte nicht übersehen werden, dass auch andere Formen der Immunsuppression zur Ausbildung eines Kaposi-Sarkoms führen können. Hier wird ein solcher Fall vorgestellt.
HÜLYA CENK
Hülya Cenk
Anamnese
Eine 79 Jahre alte Frau, die seit vier Monaten über dunkelrote Flecken und Papeln an Händen und Füssen klagte, wurde in unsere Poliklinik aufgenommen. Es wurde festgestellt, dass die Patientin mit Osteoporose und Rheumatismus in ihrer Krankengeschichte seit zehn Jahren Methylprednisolon in einer Dosis von 16 mg/Tag ohne Follow-up bekommen hat, da sie sich darunter gut fühlte.
Befunde
Dermatologischer Befund: An der linken Hand am vierten Finger auf der palmaren Seite auf Mittelphalanx Schwellung mit violettem Hintergrund, verruköses, hämorrhagisch aussehendes Knötchen von 1 cm Durchmesser (Abbildung 1a). Auf der Basis der vierten Zehe des rechten Fusses auch Schwellung mit violettem Hintergrund, erodiert verruköses 1x2 cm grosses Knötchen (Abbildung 1b); im frontalen Teil des linken Fussknöchels befinden sich mehrere harte violette Papeln. Auf der rechten oberen Wand der Mundhöhle eine Ulzeration von 0,8 cm Durchmesser, auf der linken Wand und in der Mitte dunkelvioletter Patch (Abbildung 1c); ähnliche Läsionen an der oberen Gingiva und an der linken Wangenschleimhaut. Labor und ergänzende Untersuchungen: Laborwerte (Blutbild, Biochemie, Hepatitis-Panel, Tumormarker, Akutphasereaktion) waren nicht auffällig. Es gab keine Vermehrung in der Wundkultur. Die Ergebnisse der Venen-Farb-Doppler-Sonografie (USG) der unte-
kurz & bündig
L Zusätzlich zu dem KS, das bei Transplantationspatienten beobachtet wird, kann ein iatrogenes KS aufgrund der Verwendung von systemischen Immunsuppressiva beobachtet werden.
L Die Prognose beim iatrogen-immunsuppressiv bedingten KS ist besser, und die Krankheit wird sich voraussichtlich mit dem Absetzen des Medikaments zurückbilden.
L Bei Patienten unter systemischer immunsuppressiver Therapie sollte das iatrogene KS in die Differenzialdiagnose verdächtiger Läsionen einbezogen werden.
ren Extremitäten waren normal. Am Hals, in axillären und inguinalen Regionen wurden durch oberflächlichen Ultraschall Lymphknoten identifiziert, die als reaktiv angesehen werden konnten. Während die Ergebnisse der Abdomen-Computertomografie (CT) normal waren, zeigte das Thorax-CT eine grosse Anzahl zusammenhängender parenchymatöser Knoten von 10 mm Durchmesser im Oberlappen der linken Lunge. Histopathologischer Befund und Immunphänotypisierung: Biopsie der vorläufig als Plattenepithelkarzinom, Hautmetastasen, malignes Melanom, KaposiSarkom diagnostizierten Läsionen von Gaumen, Beinen und Füssen zeigte in der Dermis eine Proliferation, die Ähnlichkeit mit den Spindelzellen und Venenstrukturen aufwies (Abbildung 2a); durch immunhistochemische Untersuchung ergab sich HHV-8und CD-34-Positivität (Abbildung 2b und 2c). Daher wurde bei der Patientin ein Kaposi-Sarkom (KS) diagnostiziert.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Bei der Patientin wurde aufgrund von histopathologischen und klinischen Befunden ein Kaposi-Sarkom (KS) diagnostiziert. Mit dieser Diagnose wurde sie an die medizinische Onkologieabteilung verwiesen. Nach vier Monaten Chemotherapie mit Paclitaxel hatten sich die Schleimhaut- und Hautläsionen weitgehend zurückgebildet, und 50 Prozent der im Thorax-CT nachgewiesenen Knötchen waren in Regression.
Diskussion
Das Kaposi-Sarkom ist eine seltene lymphoepitheliale Zellneoplasie, die 1872 von Moritz Kaposi beschrieben wurde (1). Vier verschiedene klinisch-pathologische Varianten wurden beschrieben, ein klassischer (mediterranes oder sporadisches KS), ein endemischer (afrikanischer Abstammung), ein epidemischer (mit HIV/AIDS assoziierter) und ein iatrogener Typ.
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Der iatrogene Typ wird in der Regel bei Patienten, die eine immunsuppressive Therapie nach einer Organtransplantation (insbesondere einer Nierentransplantation) erhalten, aufgrund von Immunsuppression beobachtet (2). Abgesehen davon wurde der iatrogene Typ des KS auch bei Patienten berichtet, die bei hämatologischen Erkrankungen, rheumatischen Erkrankungen wie SLE, Asthma, Colitis ulcerosa und Vaskulitis eine immunsuppressive Behandlung erhalten (1–4). Das klassische KS wird typischerweise bei älteren, mediterranen, immunkompetenten Männern beobachtet und ist im Allgemeinen auf die Haut begrenzt (5) (klassisches KS betrifft in der Regel ältere Menschen aus Mitteleuropa und den Mittelmeerländern). Der hier vorgestellte Fall hat nicht die klassischen KS-Eigenschaften. Die Tatsache, dass die Patientin HIV-negativ ist, schliesst gleichzeitig ein epidemisches KS aus. Da die Patientin in einem Land lebt, in dem HHV-8 nicht endemisch ist, kann auch ein endemisches KS ausgeschlossen werden. Wegen des Verdachts der langfristigen Steroideinnahme und der mangelnden klinischen Übereinstimmung mit anderen KS-Typen wurde ein KS vom iatrogenen Typ diagnostiziert. Klinisch imponiert das KS meist als mukokutane vaskuläre Knötchen; bei ausgeprägter Immunsuppression können Lymphknotenbefall und viszerale Beteiligung auftreten (1). Die orale Beteiligung wird am häufigsten beim epidemischen Typ oder bei disseminierten Fällen, weniger häufig beim endemischen Typ, seltener beim iatrogenen und klassischen Typ beobachtet (6). HHV-8 spielt in der Pathogenese aller Typen eine Rolle, und die histopathologischen Merkmale aller Formen sind ähnlich (2, 3). In der Histopathologie werden spindelförmige proliferierende Zellen, abnormale vaskuläre Strukturen und entzündliche Infiltrate beobachtet. Wenn die Läsion von der Patch- zur Knötchenphase fortschreitet, nimmt die Anzahl der spindelförmigen Zellen zu (7). In diesem Fall hat das Vorhandensein von Erythrozyten unter der keratinisierten Epidermis in den Lumen und der Dermis, die Gefässstrukturen mit atypischem Endothel und das Vorhandensein von atypischen HHV-8-positiven Spindelzellen-, in den Biopsiematerialien aus Gaumen, Bein und Fuss zur KS-Diagnose geführt. HHV-8 ist ein grosses, doppelsträngiges DNA-Virus, das sich im Blut, im Speichel, in der oropharyngealen Schleimhaut, in der Samenflüssigkeit, im zervikovaginalen und im Prostatasekret befindet und somit auf sexuellem und nicht sexuellem Wege übertragen werden kann (8). HHV-8 ist für die Entwicklung von CS notwendig, aber nicht hinreichend. Darüber hinaus spielen Alter, hormonelle, geografische, ethnische, genetische und umweltbedingte Faktoren ebenfalls eine Rolle (1, 2, 9). In einigen Studien wurde gezeigt,
ab
c
Abbildung 1: Auf der linken Hand am vierten Finger auf der palmaren Seite an Mittelphalanx, Schwellung mit violettem Hintergrund, verruköses, hämorrhagisch aussehendes Knötchen von 1 cm Durchmesser (1a); auf der Basis der vierten Zehe des rechten Fusses erodiertes, verruköses 1x2 cm grosses Knötchen (1b); Ulzeration von 0,8 cm Durchmesser auf der rechten Seite der Mundhöhle, dunkelvioletter Patch auf der linken Seite (1c).
a bc
Abbildung 2: H&E x100 Zellproliferation ähnlich wie Spindelzellen und Venenstrukturen in der Dermis (2a), CD34 (immunhistochemische Färbung: IHC) x200 Immunhistochemisch stark positive Reaktion mit CD34 in vaskulären Strukturen und Spindelzellen (2b), HHV-8 (immunhistochemische Färbung: IHC) x100 immunhistochemisch zeigt HHV-8 eine starke nukleare Positivität in Spindelzellen (2c).
dass Steroide eine direkte Rolle bei der Entwicklung eines KS spielen (2, 3, 10). Das iatrogene KS, das sich bei chronisch rheumatischen Erkrankungen durch dauerhafte Einnahme (bewusst oder unbewusst) von Steroiden entwickelt, hat in der Regel einen günstigen Verlauf und bildet sich meist mit dem Absetzen und Reduzieren der Dosis des Medikaments zurück (9). Bei Patienten, die eine immunsuppressive Behandlung aus Nichttransplantationsgründen erhalten, entwickelt sich das KS 2- bis 4-mal seltener und etwa 2- bis 4-mal langsamer (2). Die Dauer der Steroidverwendung bei dieser Patientin war sehr lang, etwa zehn Jahre, und es wurde kein auslösender Faktor ausser der Steroidanwendung gefunden. Das Absetzen der Steroide sollte die Läsionen reduzieren. Wegen der weiten Verbreitung der Läsionen und des Mundhöhlenbefalls, der selten beim iatrogenen Typ beobachtet wurde, wurde in diesem Fall eine Chemotherapie begonnen. Sofern ein Absetzen oder eine Dosisreduktion der verantwortlichen Medikamente möglich ist, erhofft man sich davon beim iatrogenen KS eine Abheilung oder zumindest eine Rückbildung der Läsionen (3). Darüber hinaus werden Strahlentherapie für orale Läsionen, Chemotherapie (lokal oder systemisch), Chirurgie, Immuntherapie (lokal oder systemisch mit Interferon), Retinsäure, Imiquimod und Kryotherapie als Therapieoptionen genannt (1, 6).
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Fazit
Als Folge einer Immunsuppression, im Zusammen-
hang mit Organtransplantationen, aber auch bei wei-
teren Arten der Immunsuppression, sind Kaposi-Sar-
kome vom iatrogenen Typ beschrieben worden; sie
haben eine vergleichsweise günstige Prognose. In
Anbetracht der Häufigkeit von lang anhaltender An-
wendung von Steroiden und Immunsuppressiva ist
die Entwicklung eines KS eine sehr seltene Kompli-
kation. Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung
eines KS nimmt aber in Gegenwart von zusätzlichen
auslösenden Faktoren zu (2). Bei Patienten, die lang-
fristig mit Steroiden behandelt werden, sollte man
diese Differenzialdiagnose beachten, wenn bei der
dermatologischen Untersuchung eine verdächtige
Läsion festgestellt wird.
L
Kontaktadresse: Dr. Hülya Cenk Department of Dermatology Malatya Training and Research Hospital Malatya/Türkei +905374374486 E-Mail: hullya86@msn.com
Interessenkonflikte: Cenk H, Sener S, Sarac G, Demirdag HG, Yılmaz M geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Referenzen: 1. Jakob L et al.: Non-AIDS associated Kaposi's sarcoma: clinical features and treat-
ment outcome. PLoS One 2011; 6(4): e18397 2. Chen KH et al.: Iatrogenic Kaposi's sarcoma in nasal cavity: a case report. World J
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matol 2013; 52(6): 666–672. 7. Gramolelli S,SchulzTF:The role of Kaposi sarcoma-associated herpesvirus in the pa-
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