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Atopischer Marsch
Ekzem als Säugling – allergische Multimorbidität in der Adoleszenz
Viele epidemiologische Studien, besonders im Kindesalter, konnten zeigen, dass es zu einem Fortschreiten der allergischen Erkrankungen im Sinne eines atopischen Marsches kommen kann. Hierbei ist eine atopische Dermatitis meist die erste Manifestation des atopischen Marsches hin zur Nahrungsmittelallergie, zum Asthma oder zur allergischen Rhinitis. Eine frühkindliche IgE-Polysensibilisierung scheint dabei ein wichtiger Faktor zu sein. Es ist eines der vorrangigen Ziele in der Allergie- und Asthmaforschung, die Taktgeber des atopischen Marsches zu finden und therapeutisch frühzeitig zu stoppen.
MeDALL: Allergische Multimorbiditäten vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter
Bisherige longitudinale Geburtskohorten befassten sich fast ausschliesslich mit der Häufigkeit und dem Verlauf einzelner Allergien (AD, Asthma, AR), jedoch nur wenige mit deren gemeinsamem Auftreten. Auf einen gemeinsamen Mechanismus von allergischen Erkrankungen weisen Untersuchungen des europäischen MeDALL-Projekts (Mechanisms of the Development of Allergy) hin, die bei Kindern im Alter von 4 und 8 Jahren zeigten, dass Asthma, AD und AR häufig zusammen auftreten (1),wie Prof. Jean Bousquet, MeDALL-Koordinator aus Montpellier (Frankreich), erklärte. Ein wichtiges Ziel des MeDALL-Projekts war die Redefinition klassischer Phänotypen allergischer Erkrankungen. So konnte neu der polysensibilisiert-multimorbide Phänotyp definiert werden: In der PARISGeburtskohorte (Pollution and Asthma Risk: an Infant Study) war eine frühkindliche IgE-Polysensibilisierung mit einer allergischen Multimorbidität im Alter von 6 Jahren korreliert (2). Eine andere Herangehensweise verfolgte die internationale Expertengruppe MASK-Rhinitis, die ein Allergietagebuch als Smartphone-App entwickelte, bei der die Nutzer täglich ihre allergischen Gesamtbeschwerden sowie jeweils Nasen-,
Abbildung: Atopische Dermatitis führt über (Poly-)Sensibilisierung zu weiteren Allergien (atopischer Marsch).
Augen- und Asthmasymptome mittels Antippen auf einer visuellen Analogskala (VAS) einschätzen. Mit dieser Methode liessen sich neue Muster der allergischen Multimorbidität definieren; insbesondere wurde eine starke Korrelation zwischen Gesamt- und nasaler VAS (AR) gefunden. Weitere Untersuchungen zeigten, dass vor allem Patienten mit AR und komorbidem Asthma im Vergleich zu anderen Phänotypen (nur AR oder AR plus Konjunktivitis) häufig schwere Symptome und eine starke Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität und Arbeitsproduktivität aufwiesen. Dies bestätigte die EGEA-Studie, in welcher der Asthma-Rhinitis-Phänotyp ebenfalls mit schwereren Symptomen und häufiger mit einer AD assoziiert war (3).
Neuer immunologischer Bremsmechanismus bei AD entdeckt
Dr. Raif Geha aus Boston (USA) berichtete über die Identifikation sogenannter RORα-exprimierender regulatorischer T-Zellen der Haut, welche die Aktivierung des Immunsystems unterdrücken und so allergische Reaktionen unterbinden können. Die allergische Entzündung bei AD sei eine Typ-2-Immunreaktion, die durch eine über das Schlüsselzytokin IL-25 mediierte Aktivierung der sogenannten Effektorzellen ILC2 (lymphoide Zellen des angeborenen Immunsystems) und TH2 (T-Helfer-Zellen vom Typ 2) verursacht werde, erläuterte Geha. Wiederum andere T-Zellen – die regulatorischen T-Zellen oder kurz Treg – unterdrücken allergische Typ-2-Reaktionen. Treg machen nur etwa 5 Prozent der T-Zellen im Körper aus, aber bis zu 50 Prozent der T-Zellen in der Haut. In AD-Läsionen ist die Anzahl der Treg im Vergleich zur normalen Haut unverändert. Anhand von zwei AD-Mausmodellen untersuchten Geha und Kollegen die zellulären Signalwege, die zur allergischen Hautentzündung führen. Der Vergleich der Genexpressionsmuster zwischen Treg der Haut und Treg im Blut zeigte, dass in den Haut-Treg unter anderem ein Gen stärker aktiviert war, das den Retinoid-verwandten Orphan-Rezeptor alpha (RORα) kodiert – ein Transkriptionsfaktor, der weitere Gene reguliert. Wurde RORα aus den Treg entfernt (RORα-defiziente Treg), führte
28 CongressSelection Allergologie | Juni 2018
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dies bei den Mäusen zu einer dreifachen Zunahme von Entzündungszellen und der allergischen Entzündung. Hierbei spielt der Ligand TL1A (TNF-like protein 1A) eine wichtige Rolle, der als kompetitive Bindungsstelle sowohl Treg als auch ILC2- und TH2-Effektorzellen aktiviert, wie Geha weiter erklärte. Ohne RORα können Treg nicht aktiviert werden, sodass mehr TL1A zur Verfügung steht, um die Effektorzellen zu aktivieren. Auch in menschlichen Proben zeigte sich eine stärkere RORα-Expression in Haut-Treg im Vergleich zu jenen im Blut, was nahelegt, dass eine Verstärkung der RORα-Aktivität therapeutisch zur Reduktion der Entzündung bei atopischer Dermatitis genutzt werden könnte.
Asthmaprävention durch frühzeitige Immunmodulation beziehungsweise Toleranzinduktion
Da der atopische Marsch häufig mit einer AD beginnt, werden seit Jahren unterschiedlichste Präventionsmassnahmen für AD untersucht, oft jedoch mit mässigem Erfolg. Dr. Jonathan Spergel, Kinderallergologe aus Boston (USA), gab in seinem Vortag einen Überblick über die derzeitigen und potenziellen zukünftigen Therapiestrategien der AD. Immunmodulierende Interventionen, wie etwa die präventive Gabe von Antihistaminika (H1-Rezeptor-Blocker), scheinen als präventive Einzelmassnahme nicht ausreichend, um die weitere Sensibilisierung aufzuhalten, wie die Studien ETAC (Early Treatment of the Atopic Child) (4) und EPAAC (Early Prevention of Asthma in Atopic Children) (5) zeigten. Zur präventiven Gabe von Probiotika wurde kürzlich eine vielversprechende italienische Studie publiziert, in der bei Kindern mit Kuhmilchallergie die Zugabe eines Probiotikums zur Kuhmilchsubstitution das Risiko für das Auftreten weiterer Allergien gegenüber der Gruppe ohne Probiotika signifikant reduzierte (absolute Differenz nach 3 Jahren: –0,23; p < 0,001) (6). Das Risiko für Asthma war um 51 Prozent niedriger, für atopisches Ekzem um 44 Prozent, für allergische Urtikaria um 61 Prozent und für allergische Rhinokonjunktivitis um 68 Prozent. Eine Erfolg versprechende primärpräventive Strategie scheint bei Säuglingen mit erhöhtem AD-Risiko die Verbesserung der Hautbarriere durch tägliches Eincremen zu sein. In einer ersten offenen Pilotstudie entwickelten nur 3 von 22 Kindern (15%) im zweijährigen Studienzeitraum eine AD, deutlich weniger als im historischen Vergleich (30–50%) (7). In einer randomisierten Studie aus Japan mit 118 Säuglingen lag die AD-Rate nach 32 Wochen bei täglicher Anwendung einer Feuchtigkeitscreme um 32 Prozent tiefer als in der Vergleichsgruppe; in Bezug auf eine weitere IgE-Sensibilisierung gegen Hühnereiweiss zeigte sich allerdings kein Unterschied (8). Auch in der PEEBLES-Studie (9) lag die AD-Rate nach 1 Jahr bei 2-mal täglich präventivem Eincremen für 6 Monate deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe (5% vs. 16%). Zusätzlich war die Sensibilisierung gegenüber Nahrungsmittelallergenen geringer (8,8 vs. 19,4%; p = 0,31), gegenüber inhalativen Allergenen jedoch stärker (9 vs. 3%; p = 0,35). Die einzige etablierte Prävention des atopischen Marsches bei schon vorhandener allergischer Erkrankung ist bis anhin die Toleranzinduktion mit spezifischer Immuntherapie (SIT). Damit lässt sich der natürliche Verlauf allergischer Erkrankungen kausal modifizieren und somit ein Asthma bei Patienten mit allergischer Rhinitis verhindern, wie die PAT-Studie
zeigte (10). Darin wurden 205 Kinder mit pollenassoziierter
Rhinokonjunktivitis entweder mit subkutaner Immunthera-
pie (SCIT) oder rein medikamentös behandelt. Nach der
3-jährigen Behandlung lag die Rate für Asthma in der SCIT-
Gruppe signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe
(Odds Ratio, OR: 2,52; p < 0,05). Im Gegensatz dazu konnte
für die sublinguale Immuntherapie (SLIT) in der kürzlich pu-
blizierten GAP-Studie (11), der ersten grossen randomisier-
ten SLIT-Studie, bei 812 Kindern mit Gräserallergie kein prä-
ventiver Effekt gegenüber Asthma gezeigt werden. Es kam je-
doch zur Verbesserung der Rhinitis- und Asthmasymptome
und so zur Abnahme des Medikamentenbedarfs.
Grosse Erwartungen werden derzeit in die zielgerichtete Im-
munmodulation mit Biologika gesetzt, die gezielt einen
krankheitsrelevanten Entzündungsmediator blockieren und
so die allergische Entzündung hemmen. Mehrere solcher Me-
dikamente sind mittlerweile auch für die Therapie der AD in
Entwicklung. Allerdings stellt bei der AD im chronischen Sta-
dium die Fülle potenzieller Zielstrukturen eine Herausfor-
derung dabei dar, präzise therapeutische Angriffspunkte zu
definieren.
L
Gerhard Emrich
Referenzen: 1. Garcia-Aymerich J et al.: Phenotyping asthma, rhinitis and
eczema in MeDALL population-based birth cohorts: an allergic comorbidity cluster. Allergy 2015; 70: 973–984. 2. Gabet S et al.: Early polysensitization is associated with allergic multimorbidity in PARIS birth cohort infants. Pediatr Allergy Immunol 2016; 27: 831–883. 3. Burte E et al.: The sensitization pattern differs according to rhinitis and asthma multimorbidity in adults: the EGEA study. Clin Exp Allergy 2017; 47: 520–529. 4. Warner JO et al.: A double-blinded, randomized, placebo-controlled trial of cetirizine in preventing the onset of asthma in children with atopic dermatitis: 18 months’ treatment and 18 months’ posttreatment follow-up. J Allergy Clin Immunol 2001; 108: 929–937. 5. Simons FE et al.: Safety of levocetirizine treatment in young atopic children: An 18-month study. Pediatr Allergy Immunol 2007; 18: 535–542. 6. Berni Canani R et al.: Extensively hydrolyzed casein formula containing Lactobacillus rhamnosus GG reduces the occurrence of other allergic manifestations in children with cow’s milk allergy: 3-year randomized controlled trial. J Allergy Clin Immunol 2017; 139: 1906–1913. 7. Simpson EL et al.: A pilot study of emollient therapy for the primary prevention of atopic dermatitis. J Am Acad Dermatol 2010; 63: 587–593. 8. Horimukai K et al.: Application of moisturizer to neonates prevents development of atopic dermatitis. J Allergy Clin Immunol 2014; 134: 824–830. 9. Lowe AJ et al.: A randomized trial of a barrier lipid replacement strategy for the prevention of atopic dermatitis and allergic sensitization: the PEBBLES pilot study. Br J Dermatol 2018; 178: e19–e21. 10. Möller C et al.: Pollen immunotherapy reduces the development of asthma in children with seasonal rhinoconjunctivitis (the PAT-Study). J Allergy Clin Immunol 2002; 109: 251–256. 11. Valovirta E et al.: Results from the 5-year SQ grass sublingual immunotherapy tablet asthma prevention (GAP) trial in children with grass pollen allergy. J Allergy Clin Immunol 2018; 141: 529–538.
Quelle: Vorträge beim Jahreskongress der American Academy of Allergy, Asthma
& Immunology (AAAAI), 2. bis 5. März 2018 in Orlando (Florida/USA).
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