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KONGRESS-HANDOUT
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Röntgenweichstrahltherapie in der Dermatologie
Renaissance durch neue Technologien und verantwortungsvollen Einsatz
Die Strahlentherapie dermatologischer Erkrankungen wurde lange Zeit vernachlässigt, unter anderem aus technischen Gründen und wegen einer ausgeprägten Angst vor Nebenwirkungen. Mit der Einführung einer digitalen Überwachung der Oberflächengeräte (Kilovolt- oder Grenzstrahlentherapie) erfährt die dermatologische Radiotherapie eine Art Renaissance. Der Vorteil der adaptierten fein abgestimmten Radiotherapie bei malignen Hauttumoren ist die hohe lokale Kontrollrate hauptsächlich bei schlecht abgrenzbaren Läsionen und die in der Regel sehr schönen kosmetischen/ funktionellen Ergebnisse vor allem im Gesichtsbereich. Aber auch zahlreiche oft schwierig zu therapierende gutartige Hauterkrankungen lassen sich mit dieser Methode erfreulich gut behandeln.
VON DR. MARKUS NOTTER
Markus Notter
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Physikalische und biologische Aspekte
Bei der therapeutischen Anwendung von ionisierenden Strahlen erweisen sich vor allem sehr weiche, das heisst energiearme, Grenz- und Röntgenstrahlen als vorteilhaft: Sie dringen kaum oder nur im Millimeterbereich in die oberflächlichen Strukturen der Haut ein, um ihre Wirkung zu entfachen. Es werden Spannungen von 10 bis 50 Kilovolt (kV) zu deren Erzeugung verwendet. Sogenannte Grenzstrahlen (10– 20 kV) rufen praktisch keine Nebenwirkungen hervor, mit Ausnahme einer gelegentlichen Hautbräunung im Bestrahlungsfeld. Bei tiefer infiltrierenden Hautprozessen ist ihre Anwendung allerdings beschränkt, hier kommen dann höherenergetische Röntgenstrahlen mit 30 bis 50 kV (gelegentlich sogar 80 kV) zum Einsatz. Die Kenntnis wichtiger Strahlenparameter wie Strahlenqualität, Homogenität, Symmetrie der Bestrahlungsfelder und der zugrunde liegenden physikalischen Gesetze wird vorausgesetzt. Fundamental ist das Abstandsquadratgesetz: Die Intensität der Strahlung ändert sich umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes. So muss in der Dosisverschreibung eines Arztes immer der sogenannte Fokus-Haut-Abstand mitenthalten sein, da damit wesentliche Aspekte wie die Gefahr der Über- oder Unterdosierung vermieden werden können. Weiter ist das Absorptionsgesetz zu nennen: Die Absorption der Röntgenstrahlen ist proportional zur Dichte, der Ordnungszahl und zur Dicke der Materie sowie umgekehrt proportional zur Energie der Röntgenquanten. Dieses Wissen ist bei der Wahl der entsprechenden Ausgleichsfilter, die die Strahlung homoge-
nisieren sollen, unabdingbar. Diese Filter dienen ebenfalls zur gewünschten Aufhärtung der Röntgenstrahlen mit entsprechender Eindringtiefe im Gewebe. Moderne Röntgengeräte für den Dermatologen berücksichtigen bereits all diese wichtigen Einstellungsparameter und lassen sich elektronisch programmieren, was die Sicherheit bedeutend erhöht.
Klinische Aspekte
Der Hauptvorteil der Strahlentherapie maligner Hauttumoren ist die Möglichkeit zur Fraktionierung: Je kleiner die Einzeldosis, desto grössere Behandlungsregionen können mit dem notwendigen Sicherheitsabstand mit ausreichend kurativer Gesamtdosis eingeschlossen werden. Im Gesichtsbereich ist dies ein unschätzbarer Vorteil: Keine andere kurative Therapie vermag diffus nach lateral infiltrierenden Tumoren wie Basaliome und so weiter derart einfach und kosmetisch/funktionell so befriedigend zu behandeln wie die Radiotherapie mit uneingeschränkt sehr hoher Kontrollrate. Bei kleineren Läsionen können individuell adaptierte verkürzte Fraktionierungsschemata benutzt werden. Gutartige Veränderungen werden im Gegensatz dazu ganz anders und teilweise mit sehr unterschiedlichen Einzel- und Gesamtdosen bestrahlt. Eine «Faustregel» lautet: Je akuter eine Entzündung, desto niedriger sind Einzel- und Gesamtdosen. In einem derart niederen Dosierungsbereich sind akute und chronische Nebenwirkungen nicht mehr möglich, es bleibt einzig die theoretisch mögliche Tumorinduktion auf lange Sicht, die aber bei solch niederen
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Anwendungsbeispiele der Radiotherapie
Spinaliom (cornu cutaneum) vor und 3 Monate nach fraktionierter Radiotherapie
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Augeprägtes Plattenepithelkarzinom der Unterlippe vor und 4½ Monate nach Radiotherapie
Hidranetitis suppurativa (M. de Verneuil) vor und 6 Monate nach niedrig dosierter entzündungshemmender Radiotherapie: keine neuen Abszesse mehr, keine erneuten chirurgischen Inzisionen mehr notwendig
Ausgeprägte hyperkeratotische Plantardermatose eines 54-jährigen Mannes vor und 14 Monate nach niedrig dosierter Radiotherapie. Reintegration in den Arbeitsprozess nach jahrelanger vollständiger Invalidität SZD 2/2018
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Dosen bisher nie beobachtet werden konnte und in der Wissenschaft nach wie vor sehr kontrovers diskutiert wird. Die leider immer wieder emotional geführte Debatte vor allem in frankophonen und angelsächsischen Ländern hat dazu geführt, die Radiotherapie von gutartigen Erkrankungen völlig zu verlassen. Medikamentöse Alternativen beinhalten aber ein mindestens so grosses, wenn nicht sogar noch höheres Gefahrenpotenzial – zu denken sind an mögliche medikamentös hervorgerufene Niereninsuffizienzen, Magenulcera und -blutungen mit möglichem letalem Ausgang oder kardiale Ereignisse. Dennoch gewinnt man manchmal den Eindruck, dass alles nur Erdenkliche versucht wird, eine Bestrahlung zu umgehen, ohne die Gefahren und Risiken im Vergleich zu den Alternativen zu relativieren.
Ergebnisse
Die Radiotherapie erreicht bei den Hauttumoren Kontrollraten von 90 bis 98 Prozent mit jeweils sehr guten kosmetischen Ergebnissen. Dabei ist zu be-
achten, dass die mitgeteilten Resultate meistens bei
fortgeschrittenen, inoperablen oder rezidivierenden
Hautkarzinomen erzielt wurden, also eine negative
Selektion gegenüber chirurgischen Daten zugrunde
liegt.
Bei sorgfältiger Anwendung ionisierender Strahlen
von teilweise sehr schwierig zu behandelnden gutar-
tigen Erkrankungen der Haut lassen sich ebenfalls er-
freulich gute Rückbildungen oder Heilungen errei-
chen. Hier muss der Patient selbstverständlich über
die möglichen Risiken, die Durchführung und die
Erfolgsaussichten eingehend informiert werden, und
er muss auch sein Einverständnis zur Strahlenanwen-
dung geben.
L
Dr. Markus Notter Radioonkologie Lindenhofspital Bremgartenstrasse 117 3001 Bern
Deklaration: Es bestehen keine Interessenkonflikte.
Ergänzende Literatur beim Verfasser erhältlich.
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