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KASUISTIK
Chronische Urtikaria
Gute Erfahrungen mit Anti-IgE-Therapie
Chronische Urtikaria kann in der Regel erfolgreich mit Steroiden und Antihistaminika behandelt werden. Bei zusätzlich vorliegendem Diabetes mellitus Typ 1 kann dies jedoch zu einer Entgleisung des Blutzuckerspiegels führen. Im nachfolgenden Fallbeispiel wird eine Behandlungsmöglichkeit der chronisch spontanen Urtikaria mittels Omalizumab aufgezeigt.
VON JEANNINE BOTH
Jeannine Both SZD 2/2018
Urtikaria ist eine häufige Erkrankung. Die Lebenszeitprävalenz für Urtikaria liegt bei nahezu 20 Prozent. Die Urtikaria ist mit einer grossen Belastung für die Patienten verbunden. Sie kann Einschränkungen der Lebensqualität und eine Reduktion der Leistungsfähigkeit um 20 bis 30 Prozent der betroffenen Personen bei der Arbeit und in der Schule verursachen. Damit zählt die Urtikaria zur Gruppe der schweren allergischen Erkrankungen und führt letztlich zu erheblichen direkten und indirekten Kosten für das Gesundheits- und das Sozialwesen. In der Praxis zeigt sich, dass der Urtikaria sehr unterschiedliche auslösende Faktoren zugrunde liegen können. Die korrekte Diagnostik ist daher ein erster, wichtiger Schritt zu einer erfolgreichen Behandlung. Aufgrund der Heterogenität der Urtikaria und ihrer vielen Unterformen sollte zunächst eine Basisuntersuchung durchgeführt werden. Diese sollte eine gründliche Anamnese und eine körperliche Untersuchung umfassen, bei der unter anderem nach einem Dermografismus gesucht wird. Ein Labor ist im Fall der chronischen Urtikaria sinnvoll. Bestimmt werden sollte die Blutsenkung oder das CRP, um bedeutsame systemische Erkrankungen ausschliessen zu können. Sofern die auslösenden Faktoren einer physikalischen Urtikaria bekannt sind, kann es bereits ausreichend sein, diese zu meiden und wenn möglich ergänzend auf Nahrungsmittel mit hohem allergenen Potenzial zu verzichten. Wenn keine Besserung eintritt oder die auslösenden Faktoren einer Urtikaria nicht bekannt sind, ist eine medikamentöse Behandlung angezeigt. Die Schweizer Urtikaria-Empfehlung sieht ein dreistufiges Behandlungskonzept vor. H1-Antihistaminika der zweiten Generation (erste Behandlungsstufe) können für die zweite Behandlungsstufe bis zur 4-fachen Dosierung aufdosiert werden. Die dritte Behandlungsstufe beinhaltet den Zusatz von Omalizumab, Ciclosporin oder Montelukast, gegebenenfalls ergänzt mit einem systemischen Kortikosteroid.
Die Kosten der Behandlung mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab im Rahmen einer chronisch spontanen Urtikaria werden von den Krankenkassen vergütet, sofern diese von einem Facharzt für Dermatologie oder Allergologie verordnet wurde und wenn die Urtikaria mit Antihistaminika allein nicht genügend kontrolliert werden kann.
Fallbeispiel
Bei einer 40-jährigen Patientin wurde eine chronische spontane Urtikaria mit rezidivierend auftretenden, stark juckenden Quaddeln am Integument diagnostiziert (Abbildung). Die Quaddeln waren jeweils für wenige Stunden persistierend, es zeigten sich keine Angioödeme. Bei der Zuweisung in unsere Praxis litt die Patientin unter dieser Erkrankung bereits seit 2½ Jahren. Die Patientin nahm Antihistaminika in 4-facher Dosierung und Steroide. Zusätzlich leidet die Patientin an einem seit Kindheit bekannten Diabetes mellitus Typ 1, wobei die Insulinmedikation gut eingestellt ist. Infolge der Steroidmedikation kam es jedoch wiederholt zur Entgleisung der Blutzuckerwerte. Es lag eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität mit Minderung der Leistungsfähigkeit und Einbusse der Schlafqualität wegen Pruritus vor.
Diagnostik und Therapie
Im Rahmen der diagnostischen Abklärungen (Anamnese, Reise- und Medikamentenanamnese, Laboruntersuchung) wurde der Befund einer chronisch spontanen Urtikaria bestätigt. Im Rahmen der Abklärungen konnte kein eindeutiger auslösender Faktor identifiziert werden. Eine bedeutende systemische Erkrankung, abgesehen vom bekannten Diabetes, konnte ausgeschlossen werden. Im Rahmen der Therapie wurden nach erneuter Gabe von Ciclosporin ein Blutzuckeranstieg und eine Verschlechterung der Nierenparameter festgestellt, weshalb nach einer Alternativmedikation gesucht wurde.
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Als das Potenzial der bekannten klassischen Therapieansätze mittels H1-Antihistaminika und systemischer Steroide ausgeschöpft war und diese aufgrund der Interferenzen mit dem Blutzuckerspiegel nicht mehr infrage kamen, wurde der Einsatz von Omalizumab (Xolair®), welches in der Schweiz ursprünglich für die Behandlung des chronischen allergischen Asthmas zugelassen wurde, von Swissmedic jedoch ebenfalls für die Behandlung der chronisch spontanen Urtikaria zugelassen ist, in Erwägung gezogen. Der Wirkstoff ist ein rekombinanter, humanisierter, monoklonaler Anti-IgE-Antikörper, welcher an die C3-Domäne der Fc-Region von IgE bindet und somit freies IgE reduziert. Mit Omalizumab konnte bei der Patientin ein symptomfreier Verlauf erreicht werden. Die Behandlung erfolgte mit einer Dosierung von monatlich 300 mg, subkutan injiziert. Die Quaddeln reduzierten sich innerhalb der darauffolgenden 2 Wochen, auch der Pruritus liess stark nach. Ciclosporin (Sandimmun®) konnte innerhalb von 3 Wochen nach Beginn der neuen Medikation abgesetzt werden. Derzeit werden noch Antihistaminika in stetig reduzierender Dosierung verabreicht. Die Lebensqualität der Patientin ist deutlich gestiegen.
Abbildung: 40-jährige Patientin mit stark juckenden Quaddeln bei Urtikaria
Nachbehandlung und Symptomkontrolle
Urtikariasymptome können häufig in ihrer Intensität ändern. Für die Überprüfung des Behandlungserfolgs ist es deshalb nützlich, wenn die Patienten mit-
Tabelle 1:
Empfohlene Diagnostik bei der spontanen Urtikaria
Urtikariaform
Unterform
Spontane Urtikaria
Akut spontane Urtikaria
Chronisch spontane Urtikaria
Empfohlene Routinediagnostik
Keine
Abgestuftes Vorgehen: — Allgemeinärztliche/hausärztliche
Diagnostik (Basisdiagnostik) — Differenzialblutbildd und BSGd
oder CRPd — Meiden potenzieller Auslöser,
z.B. NSAID
Vorgeschlagenes erweitertes Diagnostikprogramma zur Identifikation von Ursachen, von auslösenden Faktoren und/oder zum Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen (wenn indiziert) Keineb
Untersuchung auf: 1. Infektiöse Erkrankungen/entzündliche Prozesse
(z. B. H. pylori) 2. Typ-1-Allergienc 3. Funktionelle Autoantikörper 4. Schilddrüsenhormone und Autoantikörper 5. Physikalische Urtikaria und andere induzierbare
Unterformen der Urtikaria mittels Hauttests inklusive physikalischer Tests 6. Nahrungsmittelintoleranz mittels pseudoallergenarmer Diät für drei Wochene 7. Mastozytose mittels Bestimmung der Serum-Tryptasec,d 8. Autoreaktivität mittels ASST 9. Hautbiopsiec aus Quaddel
a Abhängig vom mutmasslichen Auslöser; b Sofern nicht durch Patientengeschichte ausdrücklich empfohlen, z.B. bei Verdacht auf eine allergische Reaktion; c Nur bei spezifischem Verdacht, siehe auch AWMF-Leitlinie «Mastozytose» 013/058, http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ und Referenz [24]; d Als Hinweis auf eine schwere systemische Erkrankung; e Siehe auch AWMF-Leitlinie «Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine pseudoallergische Reaktion durch Nahrungsmittelinhaltsstoffe» 061/005, http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ und Referenz [43]
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Tabelle 2:
Bestimmung der Erkrankungsaktivität bei Patienten mit spontaner Urtikaria mittels Urtikaria-Aktivitäts-Score (UAS)
Score* 0 1 2
Quaddeln (Q) 0 = keine 1 = leicht (< 20 Q/24 h) 2 = mittel (20–50 Q/24 h) 3 3 = stark (> 50 Q/24 h oder grosse konfluierende Flächen)
Juckreiz
0 = kein
1 = leicht (vorhanden, doch nicht störend)
2 = mittel (störend, aber keine wesentliche Beeinflussung der täglichen Aktivitäten oder des Schlafs)
3 = stark (schwerer Juckreiz, der die täglichen Aktivitäten oder den Schlaf wesentlich beeinflusst)
* Summe der Scores: 0–6 pro Tag, d.h. 0–42 pro Woche (= UAS7); Angioödeme sollten separat erfasst werden.
tels des Urtikaria-Aktivitäts-Scores (UAS7, siehe Tabelle 2) die Symptome an 7 aufeinanderfolgenden Tagen dokumentieren. Der UAS7 sollte in der klinischen Praxis zur Bestimmung der Krankheitsaktivität und des Behandlungserfolges bei Patienten mit chronisch spontaner Urtikaria routinemässig angewandt werden. Darüber hinaus ist für die chronisch spontane Urtikaria mit dem Chronic Urticaria Quality of Life Questionnaire (CU-Q2oL) ein krankheitsspezi-
fischer Fragebogen zur Erfassung der Lebensqualität
verfügbar. Der CU-Q2oL wurde in verschiedenen
Sprachen validiert und wird zur Beurteilung der
Krankheitsaktivität bei CU-Patienten verwendet.
Unsere Patientin profitierte deutlich von der Behand-
lung mit Omalizumab. Der Wirkstoff war sehr gut ver-
träglich, und es kam zu keinerlei Blutzuckerentglei-
sungen mehr. Mit der Behandlung konnte eine
substanzielle Verbesserung des UAS7-Score-Werts
von 34 (schwerer Juckreiz, mässige Anzahl Quaddeln)
auf 8 (geringer Juckreiz, kaum Quaddeln) erreicht
werden.
L
Korrespondenzadresse: Dr. med. Jeannine Both FMH Dermatologie und Venerologie Dermatologie Stäfa E-Mail: mail@dermatologiestaefa.ch
Weiterführende Literatur: 1. Schmid-Grendelmeier P et al.: Swiss expert opinion on the management of chronic
spontaneous urticaria. Derm Hel. 2016; 28(8). 2. Zurbier T et al.: S3-Leitlinie Urtikaria, Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Aller-
gologie und klinische Immunologie (DGAKI) und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) unter Beteiligung der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), der Schweizer Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA) und der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA); Allergo J 2011; 20: 249–58. 3. Xolair-Fachinformation: http://compendium.ch/mpro/mnr/15508/html/de; OnlinePlattform.
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