Transkript
FORTBILDUNG
Mikrobiologie der Haut
Neues über das kutane Mikrobiom
Auch im letzten Jahr gab es auf allen Fortbildungsveranstaltungen wieder Neuigkeiten über das kutane Mikrobiom. In der Laienpresse ist das Interesse am Mikrobiom sehr gross, allerdings steht hier die Darmflora im Vordergrund. Ein bestsellerrelevantes Thema, zumal es inzwischen möglich ist, die gesamte Keimbesiedlung in den verschiedenen Lokalisationen des Körpers zu bestimmen. In dieser Zusammenfassung werden die Fakten rekapituliert und neue wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt. Hier gibt es vielversprechende Perspektiven im Hinblick auf die Ursachen von Hauterkrankungen – und damit auch Ansätze, dies in Behandlungsmöglichkeiten umzusetzen.
Susanne Gleissner
SUSANNE GLEISSNER
Entwicklung des Hautmikrobioms im Laufe des Lebens
Was passiert, wenn das Mikrobiom der Haut gestört ist?
Während Kinder, die auf natürliche Weise geboren werden, die Mikroorganismen der Vaginalflora der Mutter übernehmen, vor allem Lactobacillus, Prevotella, Atopobium und Snethia, wird die Haut von Kindern, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, vor allem von Umweltkeimen wie StaphylococcusSpezies und anderen Hautbakterien besiedelt. Eine Rolle spielt ausserdem die protein- und lipidreiche Vernix caseosa der Neugeborenen und sogar ihr Geschlecht, weil die unterschiedliche Lipidzusammensetzung offenbar verschiedene Keime anlockt. Nach und nach kommen immer mehr Mikroorganismen aus der Umwelt dazu. Die Hautflora ändert sich während der Pubertät. In dieser Übergangszeit kann die erforderliche Balance ganz besonders leicht verloren gehen. Unter dem Einfluss der neuen Hormonsituation kommt es dann zur Reifung. Vor allem im Gesicht, an den Schultern, am Rücken und an der Brust, also den talgdrüsenreichen Regionen, verändert sich die Zusammensetzung. Nach der Pubertät können mehr als 1000 verschiedene Bakterienspezies gefunden werden, bei jungen Erwachsenen dominieren neben Bacteroidetes, Firmicutes und Proteobakterien auch Actinobakterien wie Coryne- und Propionibakterien. Dabei befinden sich an verschiedenen Körperstellen entsprechend der jeweiligen Hautbeschaffenheit unterschiedliche Spezies (1): In feuchten Arealen überwiegen Staphylokokken und Corynebakterien, in talgdrüsenreichen Arealen Propionibakterien, und in trockenen Arealen ist die Vielfalt besonders gross (siehe Abbildung). Bei verschiedenen Individuen unterscheidet sich die Zusammensetzung des Mikrobioms ebenfalls. Die Bakteriendichte pro cm2 wird auf 1 Million geschätzt.
Da die Mikroorganismen im harmonischen Konzert wichtige Stoffwechselprozesse unterstützen, führen Dissonanzen zu Störungen, gerade auch im Immunsystem. Worin genau Zusammenspiel, Gleichgewicht und Interaktion bestehen, ist noch nicht ausreichend erforscht und zumindest vorläufig ein noch abstrakter Begriff. Diese Faktoren bieten aber gerade die Gewähr für die Gesundheit des jeweiligen Organs, für die Haut ebenso wie für unsere Schleimhäute – hier steht natürlich auch der Darm im Mittelpunkt, der aber hier nicht unser Thema sein soll. Verschiedene Faktoren können das fein austarierte Gleichgewicht durcheinanderbringen: Übertriebene Waschprozeduren, falsche Hautpflege, UV-Licht, Ernährung, psychischer Stress und Ernährung gehören ebenso dazu wie Einflüsse von Alter, Geschlecht und Lebensstil. Fehlende Harmonie und Ungleichgewicht, also die Dominanz eines Keimes auf Kosten von anderen, bedeutet dann den ersten Schritt zu einer Erkrankung (2). Wir Dermatologen wissen schon lange, dass einige Krankheiten auf mikrobielle Faktoren zurückgeführt werden können. Denken wir an das seborrhoische Ekzem, den Köbner-Effekt der Psoriasis in bestimmten Körperregionen und an intertriginöse Ekzeme. Dies sind alles noch keine Infektionskrankheiten der Haut, sie können aber den Weg für sie ebnen.
Beeinflussung des atopischen Ekzems
Bei dieser Erkrankung sind die Zusammenhänge zwischen Entzündungsschüben, gestörter Hautbarriere und mikrobieller Fehlbesiedlung schon gut untersucht. Die erkrankte Haut des Ekzematikers zeigt
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eine gestörte mikrobielle Zusammensetzung, die Diversität des kutanen Mikrobioms geht verloren, Staphylokokken, vor allem S. aureus, gewinnen die Oberhand (2). Einige der von Staphylokokken produzierten Toxine können als Superantigene T-Zellen unabhängig von ihrer Spezifität aktivieren. S. epidermidis dagegen produziert eine Protease, welche die Virulenzfaktoren von S. aureus spaltet und so einer starken Ausbreitung dieses pathogenen Keims entgegenwirkt. Bisher hat sich die Pflege der atopischen Haut auf die Wiederherstellung der Hautbarriere mit Emollienzien beschränkt. Einen wichtigen neuen Gedanken stellt die Wiederherstellung des Mikrobioms mit Reduzierung des Staphylokokkenanteils in der Therapie dar. Bei Kindern konnte man einen Zusammenhang zwischen vermindertem Variantenreichtum der Hautflora, der vermehrten Besiedelung mit S. aureus und dem Schweregrad des Ekzems feststellen. So ist inzwischen ein Pflegeprodukt auf dem Markt, das durch das Lysat des apathogenen gramnegativen Bakteriums Vitreoscilla filiformis einen therapeutischen Effekt auf Ekzemherde bei Atopikern hat (3–5). Dies geschieht über die Modulation des Mikrobioms bei atopischer Dermatitis, es wird insbesondere der Staphylokokkenanteil reduziert. Ein anderer Gedanke setzt schon zu Beginn der Mikrobiomkarriere an: Die Haut von Neugeborenen, die per Kaiserschnitt auf die Welt kamen, wurde mit dem Vaginalsekret der Mutter eingerieben, um eine möglichst natürliche Erstbesiedelung zu erzielen (6). In einer Arbeit aus Spanien an der Universität Murcia (7) kommt auch die Darmflora ins Spiel: Bei Kindern mit moderater atopischer Dermatitis liess sich der Verbrauch topischer Steroide durch die Gabe einer oralen Probiotikamixtur signifikant gegenüber Plazebo verringern. Die Kinder erhielten eine Probiotikakombination aus Bifidobacterium lactis, Bifidobacterium longum und Lactobacillus casei. Diese Mischung hatte sich bei früheren Untersuchungen aufgrund verschiedener Eigenschaften bewährt. Es zeigten sich damals antioxidative beziehungsweise antiinflammatorische Effekte, ein positiver Einfluss auf die Darmflora sowie eine Wirksamkeit gegenüber verschiedenen darmpathogenen Keimen. Man darf gespannt sein, welche Ergebnisse in Zukunft noch veröffentlicht werden.
Anti-Aging-Produkte lassen noch auf sich warten
Glabella Nasobialfalte Äusserer Gehörgang Nasenloch Manubrium Achselfalte Ellenbeuge Volarer Unterarm Hypothenar Fingerzwischenraum Inguinalfalte Nabel Zehenzwischenraum
Retroaurikularfalte Hinterkopf Rücken Gesäss Glutealfalte Kniebeuge Fusssohle
Glabella QbCorynebakterien QbPropionibakterien QbMicrococcacea QbAndere Actinobakterien
Qb%DFWHURLGHV Qb&\DQREDNWHULHQ )LUPLFXWHV QbAndere Firmicutes QbStaphylokokken
Qb3URWHREDNWHULHQ QbBakterienarten unter 1% QbNicht klassifizierte Bakterien
Die Abbildung zeigt den Reichtum der Hautflora in verschiedenen Körperregionen, abhängig davon, ob es sich um eine talgdrüsenreiche, feuchte oder trockene Region handelt. (Grafik: Darryl Leja [NIH])
Kontaktadresse: Dr. med. Susanne Gleissner House of Skin & Laser Medicine Dr. Rümmelein AG Grütstrasse 55 8802 Kilchberg E-Mail: gleissner@dr-ruemmelein.ch
Referenzen: 1. Dréno B et al.: Microbiome in healthy skin, update for dermatologists. J Eur Acad
Dermatol Venereol 2016: 30: 2038–2047. 2. Gläser R, Harder J: Erforschung des Hautmikrobioms. Hautarzt 2017; 68:
762–765. 3. Kong HH et al.: Performing Skin Microbiome Research: A Method to the Madness.
J Invest Dermatol 137(3): 561–568. 4. Seité S. et al.: Clin. Cosm Investig Dermatol 2015. 5. A. Wollenberg, Vortrag auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Dermopharma-
zie (GD), 17. März 2015 in Berlin. 6. Dominguez-Bello MG et al.: Partial restoration of the microbiota of cesarean-born
infants via vaginal microbial transfer. Nature medicine 2016; 22(3): 250–253. 7. Navarro-Lopez V et al.: Effect of Oral Administration of a Mixture of Probiotic Strains
on SCORAD Index and Use of Topical Steroids in Young Patients with Moderate Atopic Dermatitis, JAMA Dermatol 2017 [Epub ahead of print]; doi: 10.1001/ jamadermatol.2017.3647.
In diesem rasch wachsenden Feld neuer Entwicklun-
gen sind natürlich auch die Kosmetikfirmen aktiv ge-
worden, dies in der Hoffnung auf verkaufsfördernde,
populäre Hits. Sie arbeiten an Produkten, die über
eine Verbesserung des Mikrobioms der Haut auch
die Hautalterung verlangsamen sollen. Bis diese Pro-
dukte marktreif sind, wird aber wahrscheinlich noch
einige Zeit vergehen.
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