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KONGRESSBERICHT
DEUTSCHER ALLERGIEKONGRESS
Deutscher Allergiekongress 2017
Gezielte neue Therapieansätze bei Neurodermitis und Atopie
In den Plenarsitzungen des Deutschen Allergiekongresses (DAK) 2017 in Wiesbaden wurden neue Ansätze einer gezielten antiallergischen Therapie mit Immuntherapie und Biologika diskutiert: Dermatologen, Pneumologen und Allergologen suchten im AllergoPlenum über die verschiedenen Manifestationen der Atopie hinweg nach gemeinsamen Pathomechanismen als Auslöser und als Zielstrukturen für neue Wirkmechanismen. Spezifische Inhibitoren bieten hier einen zielgerichteten Therapieansatz. Die neuen Substanzen werden sowohl auf der Haut als auch bei Asthma und allergischer Rhinosinusitis in klinischen Studien untersucht.
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Die aktuellen Entwicklungen in der Allergologie verglich Prof. Harald Renz, Marburg (D), mit den in der Onkologie schon länger etablierten Strategien der «targeted therapy»: Im Rahmen der zielgerichteten Therapie werden spezifische Pathomechanismen, die hinter atopischen Symptomen stecken, mit passgenauen Inhibitoren angegangen. In der allergologischen Praxis sind solche Strategien mit dem Einsatz von Antikörpern gegen IgE (z.B. Omalizumab) bereits angekommen. In der Asthmatherapie werden zudem bereits spezifische Antikörper gegen Interleukin-5 (z.B. Mepolizumab, Reslizumab) eingesetzt. Auch wenn die Allergologie in Bezug auf Biomarker der verschiedenen Phänotypen noch am Anfang steht, werden einige Indikatoren für eine TH2-Entzündung – wie IgE-Spiegel oder Eosinophilenzahl – hier in Diagnostik und Therapie bereits eingesetzt.
TH2-vermittelte Erkrankungen
Pathophysiologisch steckt hinter der Fehlsteuerung dieser TH2-vermittelten atopischen Erkrankungen eine chronische Entzündung des Typs 2: Typ-2-T-Zellen bilden dabei unter anderem die Zytokine IL-4 und IL-13. Diese sind hauptsächlich an der Entzündungsreaktion beteiligt und binden an B-Lymphozyten (1). Mit der Einführung neuer Substanzen, die in die Entzündungsreaktion eingreifen, schlagen die Allergologen laut Prof. Margitta Worm, Berlin (D), den Bogen von einzelnen Organspezifitäten hin zur Behandlung der zugrunde liegenden Pathomechanismen, die sich in verschiedenen Organen manifestieren: «Wenn wir ein TH2-Ansprechen haben, erwarten wir auch Effekte für andere Organsysteme.» Die organübergreifende Fehlsteuerung der Atopie manifestiert sich mit überlappenden Symptomen als atopische Dermatis (AD), als allergische Rhinosinusitis und als Asthma.
Angriffspunkte für antientzündliche Therapie bei Neurodermitis
Die zurzeit in der Therapie der Neurodermitis eingesetzten Therapiestrategien, wie zum Beispiel topische Kortikosteroide und Calcineurininhibitoren oder systemische Immunsuppressiva, seien leitliniengerecht, aber nicht sehr spezifisch, erläuterte Prof. Thomas Werfel, Hannover (D) – selbst Erstautor der aktuellen deutschen S2k-Leitlinie zur Therapie der atopischen Dermatitis (2). Für den Bereich der Haut beschrieb Werfel verschiedene neue Zielstrukturen, die derzeit in verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung untersucht werden (3). Der topische PDE4-Hemmer Crisaborol konnte in Phase-III-Studien den EASI (Eczema Area and Severity Index) deutlich reduzieren (4). Crisaborol ist als Creme zur topischen Behandlung in den USA zugelassen, jedoch nicht in der Schweiz oder der EU. Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Interleukine IL-4 und IL-13: Der Antikörper Dupilumab blockiert den IL-4-Rezeptor und somit die Funktion der TH2-Zytokine IL-4 und IL-13. Dupilumab konnte in den Studien SOLO 1 und SOLO 2 die Entzündungsreaktion an der Haut bei einem grossen Teil der Patienten mit schwerer AD deutlich verringern (5). Auch in Kombination mit topischen Steroiden zeigte Dupilumab im Langzeiteinsatz über ein Jahr hinweg ein gutes Ansprechen: Dieses Studiendesign spiegelt die Praxissituation wider, in der Patienten neben einer Systemtherapie weiter lokale topische Steroide einsetzen (6). Seit März 2017 ist Dupilumab in den USA, seit Oktober in der EU zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis, deren Erkrankung sich mit topischen verschreibungspflichtigen Therapien nicht ausreichend kontrollieren lässt. Der Anti-IL-13-Antikörper Tralokinumab steckt mit seinen positiven Studienergebnissen aus Phase-II-
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Atopische Dermatitis als Organmanifestation einer Systemerkrankung
Atopische Erkrankungen werden immer mehr als spezifische Organmanifestationen verstanden, hinter denen gemeinsame Pathomechanismen als Auslöser stecken. Spezifische Inhibitoren bieten hier einen zielgerichteten Therapieansatz.
«In den letzten Jahren haben allergische und atopische Erkrankungen dramatisch zugenommen», betonte Prof. Margitta Worm, Berlin (D), bei einem von Sanofi Genzyme veranstalteten Symposium. Seit den Sechzigerjahren sind die Fallzahlen bei Asthma, Ekzemen und allergischer Rhinosinusitis stark angestiegen (1). Sie bezeichnete Atopie dabei als organübergreifende Fehlsteuerung, die sich mit überlappenden Symptomen als atopische Dermatitis (AD), als allergische Rhinosinusitis und als Asthma manifestiert (siehe Abbildung) (2). Pathophysiologisch steckt eine chronische Entzündung des Typs 2 dahinter. Mit der Einführung neuer Substanzen, die in die Entzündungsreaktion eingreifen, sprechen Allergologen laut Worm die zugrunde liegenden Pathomechanismen an: «Wenn wir ein TH2-Ansprechen haben, erwarten wir auch Effekte für andere Organsysteme.» L Martina Freyer
Patientenpopulation bei Atopie
Atopische Dermatitis (16,6%)
25% 7% 7%
Allergische Rhinitis (36,5%)
2% 3% 1%
2%
Asthma (7,6%)
Abbildung: Atopie als organübergreifende Fehlsteuerung mit überlappenden Symptomen bei atopischer Dermatitis (AD), allergischer Rhinosinusitis und Asthma (2).
Referenzen: 1. Devereux G et al.: Nat Rev Immunol. 2006; 6(11): 869–874. 2. Chang HY et al.: Cell. 2017; 170(2): 222. doi: 10.1016/j.cell.2017.06.046. Symposium «Atopische Dermatitis, Asthma und Polyposis Nasi – Wo kommt das her, wo geht es hin?» (Sponsor: Sanofi Genzyme) beim 12. Deutschen Allergiekongress, 5. Oktober 2017 in Wiesbaden.
Studien noch mitten im klinischen Entwicklungsprogramm. Die Ergebnisse bei AD in der Ekzemreduktion, der Verbesserung der Lebensqualität und der Verringerung von Juckreiz waren jedoch vielversprechend (7).
Duale Wirkung auf Juckreiz und Entzündung
Werfel beschrieb zwei weitere zielgerichtete Substanzen, die in den klinischen Studien neben der antientzündlichen Wirksamkeit auch besonders durch ein Ansprechen beim Juckreiz von Patienten mit AD punkten konnten: Ein Ansatzpunkt sind Antagonisten
gegen den Histamin-4-Rezeptor bei AD. ZPL-389 zeigte in einer Phase-II-Studie eine deutliche Verringerung des Juckreizes (8) Ein anderer Ansatzpunkt ist ein Antikörper gegen den IL-31-Rezeptor: IL-31 ist ein pruriginöses Zytokin infiltrierender T-Zellen. Der Anti-IL-31R-Antikörper Nemolizumab konnte dosisabhängig bei Patienten mit AD das Hautbild verbessern und führte zu einer deutlichen Langzeitreduktion des Pruritus (9).
Gezielte antientzündliche Therapie: Parallelen zur Psorias
Werfel erläuterte, dass man in der Entwicklung der systemischen Therapie bei AD Parallelen zur Einführung der Systemtherapeutika bei Psoriasis vor einigen Jahren sehen könne: «Eine ständige Erhöhung der therapeutischen Vielfalt hat zu besseren Versorgungsmöglichkeiten von Psoriasispatienten geführt.» Ein Sekundäreffekt war die Vernetzung von Ärzten, die sich insbesondere mit neuen Systemtherapeutika beschäftigen. Mit der Erweiterung des therapeutischen Instrumentariums erwartet Werfel auch eine Verbesserung in der Versorgungslandschaft von Neurodermitispatienten. Er sprach sich für eine Erweiterung von ärztlichen «Psoriasisnetzen» hin zu «Entzündungsnetzen» in der Dermatologie aus, was an einigen Standorten in Deutschland schon umgesetzt werde. In der Psoriasis wurde der Einzug neuer Therapeutika mit Registern begleitet (z.B. Psobest, Psolar). Auch Patienten mit Neurodermitis sollen unter der Schirmherrschaft der DDG (Deutsche Dermatologische Gesellschaft) in einem neuen, nationalen Register beobachtet werden.
Förderpreise für allergologische Forschung
Die Bedeutung der immunologischen Therapieansätze spiegelt sich auch in einem neu geschaffenen Förderpreis der DGAKI (Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie) wider. Neben dem «Nachwuchs-Förderpreis» für Originalarbeiten und dem Förderpreis «Spezifische Immuntherapie» wurde in diesem AllergoPlenum erstmals ein Förderpreis «Neue immunologische Therapien atopischer/allergischer Erkrankungen» verliehen. In seiner Laudatio für den Preisträger betonte Werfel die Bedeutung innovativer immunologischer Grundlagenforschung: «Wir erleben zurzeit eine rasante Weiterentwicklung immunologischer Therapien, die auf dem Verständnis von immunologischen Mechanismen bei allergischen und entzündlichen Erkrankungen beruhen. Wir glauben, dass sich Arbeiten, die sich mit solchen Mechanismen in Bezug auf die Allergieverhinderung oder -therapie auseinandersetzen, später als ganz wichtig herausstellen können
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hinsichtlich einer Verbesserung neuer Ansätze, auch
in der Allergologie.»
Der Preisträger Dr. Stefan Schülke vom Paul-Ehrlich-
Institut, Langen (D), wurde geehrt für seine Arbeiten
zu einem möglichen Impfstoff gegen Birkenpollen,
einem Fusionsprotein aus dem Allergen von Birken-
pollen und einem bakteriellen Protein, dem Flagellin.
Solche Fusionsproteine sollen die Immunantwort ge-
gen Allergene als Adjuvanz verstärken und so die
fehlgeleitete Immunreaktionen – wie hier gegen Bir-
kenpollenallergene – verhindern.
Schülke und seine Koautoren konnten zeigen, dass
das Fusionsprotein aus Birkenpollenallergen und Fla-
gellin die allergische Antwort im Mausmodell verhin-
dern kann, nicht jedoch die einzelnen Komponenten.
Sie fanden heraus, dass die dendritischen Zellen das
Fusionsprotein besser aufnahmen als das Allergen
oder das Flagellin alleine, wodurch sie stark aktiviert
waren (10).
L
Martina Freyer
Referenzen 1. Kim BE et al.: Loricrin and involucrin expression is down-regulated by Th2 cyto-
kines through STAT-6. Clin Immunol 2008; 126: 332–337. 2. Werfel T et al.: S2k guideline on diagnosis and treatment of atopic dermatitis –
short version. Allergo J Int 2016; 25: 82–95. 3. Heratizadeh A & Werfel T.: Anti-inflammatory therapies in atopic dermatitis. Allergy
2016; 71(12): 1666–1675. 4. Paller AS et al.: Efficacy and safety of crisaborole ointment, a novel, nonsteroidal
phosphodiesterase 4 (PDE4) inhibitor for the topical treatment of atopic dermatitis (AD) in children and adults. J Am Acad Dermatol 2016; 75(3): 494–503. 5. Simpson EL et al.: Two Phase 3 Trials of Dupilumab versus Placebo in Atopic Dermatitis. N Engl J Med 2016; 375: 2335–2348. 6. Blauvelt A et al.: Long-term management of moderate-to-severe atopic dermatitis with dupilumab and concomitant topical corticosteroids (LIBERTY AD CHRONOS): a 1-year, randomised, double-blinded, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet. 2017; 389: 2287–2303. 7. Wollenberg A et al.: A phase 2b dose-ranging efficacy and safety study of tralokinumab in adult patients with moderate to severe atopic dermatitis (AD). Poster #4496, AAD-Kongress, Orlando 2017. 8. Werfel T et al.: A phase 2a proof of concept clinical trial to evaluate ZPL-3893787 (ZPL-389), a potent, oral histamine H4 receptor antagonist for the treatment of moderate to severe atopic dermatitis (AD) in adults. Allergy 2016;71 (Suppl. 102): 95. 9. Ruzicka T et al.: Anti-Interleukin-31 Receptor A Antibody for Atopic Dermatitis. N Engl J Med. 2017; 376(9): 826–835. 10.Schülke S et al.: Critical role of mammalian target of rapamycin for IL-10 dendritic cell induction by a flagellin A conjugate in preventing allergic sensitization. J Allergy Clin Immunol 2017; doi: 10.1016/j.jaci.2017.07.002.
Quelle: AllergoPlenum: «Precision Medicine in der Allergologie – Realität oder Vision?» beim 12. Deutschen Allergiekongress (DAK), 5. Oktober 2017 in Wiesbaden (D).
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