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KONGRESSBERICHT
EAACI
Europäischer Allergiekongress
Atopische Dermatitis: Hautbarriere stabilisieren und Vielfalt des Mikrobioms fördern
Beim Jahreskongress der europäischen Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI) diskutierten im Juni in Helsinki mehr als 7000 Teilnehmer jüngste Entwicklungen, Forschungsergebnisse und etablierte Methoden bei der Behandlung von allergischen Erkrankungen. Der Kongress stand unter dem Motto «Auf dem Weg zu Prävention und gesunder Lebensweise». Das Mikrobiom spielte hier eine wesentliche Rolle. Auch klassische Basispflege trägt zu einer Stabilisierung der Hautbarriere bei. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis findet man auch häufig Kontaktallergien: In einem Workshop wurden aktuelle Strategien zum Testen auf Kontaktallergien erörtert.
Der EAACI-Kongress (1) lebt vom regen Austausch zwischen Grundlagenforschern, die Regulationsmechanismen des Immunsystem untersuchen, und klinischen Praktikern, die Menschen mit Allergien behandeln. Das Kongressmotto «Prävention» greift die aktuelle Entwicklung auf, weg von der reinen Therapie allergischer Erkrankungen, hin zu Vorbeugungsstrategien. So zeigen immunologische Studien, dass bei Kindern das Immunsystem durch frühe Interventionen beeinflusst werden kann. Im ersten Lebensjahr lernt das Immunsystem, als Antwort auf Allergene eine Antwort mit Immunglobulin G gegenüber Immunglobulin E zu favorisieren. Bei Kindern mit atopischem Hintergrund eröffnen diese Erkenntnisse weitere Möglichkeiten zur Intervention, sei es durch gezielten Allergenkontakt, durch eine Förderung der Diversität des Mikrobioms oder auch durch eine spezifische Immuntherapie.
Bei einem Risiko für atopische Dermatitis beginnt Prävention ab der Geburt
Bei einem familiär bedingten Risiko für atopische Dermatitis (AD) kann die Präventionsstrategie etwa bedeuten, schon bei Neugeborenen mit früher Basispflege zu beginnen, um damit die Hautbarriere zu stabilisieren und das Risiko für eine spätere Erkrankung deutlich zu senken. Zur Prävention von AD empfehlen die EAACI-Leitlinien die frühe befeuchtende Basispflege ab der Geburt, um den erhöhten transepidermalen Wasserverlust auszugleichen, dazu auch den Einsatz von Probiotika ab der Schwangerschaft (2). Bei einem Risiko für Nahrungsmittelallergien ist die bewährte Präventionsstrategie bei Säuglingen das Stillen über 4 bis 6 Monate, wodurch das Risiko für Allergien und Asthma gesenkt werden kann. Falls
Stillen nicht möglich ist, wird bei Risikokindern der Einsatz von hypoallergener Formulaernährung empfohlen. Ab dem vierten Monat wird die breite Beikosteinführung empfohlen, wodurch in Kombination mit fortgesetztem Stillen die Diversität erhöht wird, was wiederum zur Allergieprävention beiträgt (2).
Modifizierte Hygienehypothese: Immer der Nase nach
Prof. Erika von Mutius, München, hatte in einer Langzeitbeobachtung zu traditioneller Landwirtschaft beschrieben, dass Kinder, die sich auf dem Land in Ställen aufhalten und Rohmilch konsumieren, seltener an Asthma erkranken als Stadtkinder ohne solche Kontakte. Im Rahmen der Hygienehypothese gibt es viele Untersuchungen zu möglicherweise protektiven Bakterien und Schimmelpilzen, mit denen Kinder auf dem Land in Berührung kommen. In Helsinki erläuterte von Mutius, wie das Leben auf einem traditionellen Bauernhof die Diversität des Mikrobioms fördert und einen Schutz gegen eine fehlgeleitete Immunreaktion bietet: Bakterien in den oberen Atemwegen, besonders die nasale Mikroflora, sind hier ein Schlüsselfaktor: Bei hoher Diversität sinkt das Asthmarisiko, bei Kindern mit Asthma fand man hingegen eine geringere Diversität von Arten und eine positive Assoziation mit Moraxella. Für Kinder mit Asthmarisko könnten Präventionsstrategien in Zukunft also auch an der Nase ansetzen (3).
Rolle des Mikrobioms in der Allergieprävention
Das Mikrobiom wird derzeit in zahlreichen Studien im Bereich der Allergien untersucht. Als heiss diskutiertes Thema waren Bakterien und Pilze in Helsinki in vielen Symposien vertreten. Prof. Benjamin Marsland, Lausanne, beschrieb die Kombination aus
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Mensch plus das uns umgebende Mikrobiom als eine Art «humanen Superorganismus». Einige Beobachtungen zur Rolle des Mikrobioms bei der Entwicklung von Asthma stammen aus Tiermodellen: Keimfrei aufgewachsene Mäuse zeigen in einem Asthmamodell eine verstärkte allergische Entzündung. Eine vielfältige Bakerienbesiedlung birgt demnach einen protektiven Effekt. Die Auseinandersetzung mit Mikroorganismen ist auch für die Ausbildung des Immunsystems der Atemwege essenziell (4). Das Mikrobiom wird auch durch Ernährung beeinflusst. Eine ballaststoffreiche Ernährung erwies sich bei Mäusen als günstig. Werden Mäuse mit ballaststoffarmer Diät ernährt, verstärkt sich zum Beispiel die durch Hausstaubmilben hervorgerufene allergische Inflammation in den Atemwegen. Doch die beobachteten positiven Effekte von ballaststoffreicher Kost reichen über Tiermodelle hinaus: Ballaststoffreiche Ernährung reduziert die Schwere einer Influenzainfektion, verringert die pulmonale, neutrophile Entzündung, verändert den pulmonalen Makrophagenphänotyp in Richtung einer Wundheilung und steigert die CD8-T-Zell-Antwort und die Virusclearance (5).
Kommensalen schützen bei atopischem Ekzem
In der Dermatologie gibt es eine breite Datenbasis an klinischen Studien rund um das Mikrobiom. Bei Patienten mit atopischem Ekzem dominiert Staphylococcus aureus gegenüber anderen Bakterien auf der Hautoberfläche (6). Es konnte auch gezeigt werden, dass rückfettende Hautpflege, die klassische Basispflege mit Emollienzien, den Zustand der Haut auch bezüglich des Mikrobioms verbessern kann: Man beobachtet dann eine geringere Rate der Besiedelung mit Staphylococcus aureus. Ein wichtiger Faktor ist der positive Effekt von Kommensalen der Haut: Stämme von Staphylococcus epidermidis schützen bei Hautmodellen in vitro. Kommensalen, also die «guten Bakterien» auf der Hautoberfläche, sezernieren antimikrobielle Peptide, die Lantibiotics, und erhalten damit einen gesunden Hautphänotyp (7). Bei Patienten mit atopischer Dermatitis begünstigen Läsionen hingegen das Überleben von S. aureus. Wie Prof. Donald Leung, Denver (Colorado, USA), erläuterte, kann man durch den Transfer des Mikrobioms von gesunder Haut die Dichte von Staph. aureus in ADLäsionen verringern. In ersten experimentellen Ansätzen wird auch eine Creme mit einem solchen protektiven Mikrobiom untersucht.
Kontaktdermatitis: der gute alte Patch-Test
Der Patch-Test oder auch Epikutantest ist eine der ältesten Diagnosemethoden der Allergologie. Bei einem Workshop rund um diese klassische Form der
Allergietestung erläuterte Prof. Johannes Ring, München und Davos, dass die ersten Patch-Tests im Jahr 1895 in der Schweiz eingeführt wurden. Der Grandseigneur der Allergologie betonte, dass diese Testverfahren in der Diagnostik von Kontaktallergenen weiter eine grosse Rolle spielen: «Wir haben bisher noch nichts Besseres» (8).
Kontaktallergie, atopische Dermatitis oder beides?
Prof. Charlotte Gotthard Mortz, Odense (Dänemark), erläuterte, dass Kontaktallergien bei atopischer Dermatitis häufiger auftreten: Etwa ein Drittel der Kinder mit AD habe eine Kontaktallergie auf eines oder mehrere relevante Allergene. An einigen Fallbeispielen von Kindern zeigte sie, dass in der Differenzialdiagnose die Unterscheidung zwischen zugrundeliegender AD und Kontaktdermatitis bei Kleinkindern nicht immer einfach ist. Aufgrund der gestörten Hautbarriere beobachtet man bei Kindern mit AD häufiger eine Sensibilisierung mit Kontaktallergenen. Sie betonte, dass der Epikutantest nur zeige, dass eine Sensibilisierung vorliege, die zentrale Frage jedoch immer sei, ob es im Alltag der Kinder, zu Hause und in der Kinderbetreuung, auch eine Exposition mit solchen Substanzen gebe. Ein Positionspapier des EAACI beschreibt die derzeit empfohlene Strategie zum Patch-Testen (9). Bei entsprechenden Dermatitissymptomen oder einer Vorgeschichte sollten Kinder mit AD immer getestet werden, dies empfahl Mortz. Ekzeme an ungewohnten Stellen, an Händen oder Füssen, schwere Verläufe und ein schlechtes Ansprechen auf die Therapie sind weitere Indikatoren für eine epikutane Patch-Testung.
Beim Testen an eigene Kosmetika denken
Bei Kindern solle man immer auch an Pflanzen, an im Haushalt verwendete Hautpflegeprodukte sowie an Metalle denken, betonte Mortz. Gerade bei alltäglichen Produkten würden Inhaltsstoffe häufig übersehen: Am Beispiel eines Kleinkindes mit starkem Ekzem rund um den Mund zeigte sie, dass der Auslöser, der Konservierungsstoff Kathon CG (CL+Me-isothiazolinon), in den Feuchttüchern steckte, mit dem die Eltern dem Kind mehrmals täglich die Mundregion abwischten – und damit die Kontaktallergie stetig triggerten. Bei Kindern mit AD steigt auch das Risiko für Kontaktallergien im Erwachsenenalter. Wie Mortz betonte, entwickeln zwischen einem Viertel und der Hälfte der Kinder mit AD später auch Kontaktallergien mit Handekzemen. Daher wird empfohlen, alle ADPatienten mit Handekzemen innerhalb der ersten drei Monate nach dem Auftreten der Symptome zu testen.
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Neue Allergene jetzt auch für zu Hause: Acrylate aus Gelnägeln
Die Grundlage für künstliche Nägel sind häufig (Meth-)Acrylate. Diese Kunststoffe kennt man aus der Dentalmedizin, wo zahnärztliches Personal betroffen sein kann. Mit dem Einzug der Kunststoffe in Nagelsalons, wo Gelnägel mit UV-Licht polymerisieren, muss man auch jenseits der Zahnarztpraxis an diese Substanzen denken. Von einer dadurch hervorgerufenen Kontaktdermatitis können Kosmetikerinnen, Personal aus Frisiersalons und Nagelstudios betroffen sein: Allergische Kontaktallergien durch Nagelhärter, Nagellacke und Acrylate der Gelnägel (nicht polymerisierte Bestandteile von Gelnägeln) werden in der Praxis immer häufiger beobachtet, wie Prof. Ann Goossens, Leuven (NL), an einigen Fallbeispielen beschrieb. Neben der Anwendung im professionellen Bereich gibt es inzwischen auch Kits für Gelnägel, die Endkundinnen zu Hause selbst einsetzen können. Die Kontaktdermatitis betrifft dabei nicht nur Nägel, Finger oder Hände. Wenn die Stoffe beim Modellieren der Nägel mit den Händen verschleppt werden, können auch Reizungen an Armen, Gesicht und Augenlidern auftreten.
Kontaktallergien auf Kosmetika
Wie Prof. Ann Goossens, Leuven (Niederlande), erläuterte, müsse man bei allergischen Reaktionen auf Kosmetika drei Typen unterscheiden: die allergische Kontaktdermatitis, die photoallergische Kontaktdermatitis und Typ-1-Allergien vom Soforttyp wie die Kontakturtikaria. Bei der photoallergischen Kontaktdermatitis entwickeln sich Erytheme erst nach UV-Expositionen, was laut Goossens zum Beispiel bei Benzophenolen, aber auch bei vielen Duftstoffen der Fall sei. Kontakturtikaria tritt häufig bei Haarfärbemitteln auf, etwa bei Perma-Haarfärbemitteln mit «Basic Brown» oder «Basic Blue», die in vielen Farbtönen enthalten sind. Wenn solche Reaktionen beim Färben der Wimpern auftreten, kann die Schwellung der Augenregion bedenklich werden: Sie berichtete von Fallbeispielen mit Betroffenen in der Notaufnahme, ausgelöst durch eine Kontaktallergie durch Haarfärbemittel für Wimpern oder auch eine Kontakturtikaria durch Augen-Make-up. Auch hier sollte man Bestandteile der im Alltag verwendeten Hautpflegeprodukte stets in das diagnostische Kalkül mit einbeziehen und immer testen. Ein Problem stellen auch Inhaltsstoffe dar, die in Kosmetika verboten, aber in Seifen oder Shampoos er-
laubt sind: So ist der Konservierungsstoff Methyl-
dibromoglutaronitril seit 2007 in Stay-on-Kosmetik
verboten, jedoch weiterhin erlaubt in Rinse-off-Pro-
dukten: Das kann beim Zusatz des Konservierungs-
stoffes in Seifen bei häufiger beruflicher Exposition
ein Problem darstellen.
Neben beruflicher Exposition leiden Hände und
Nägel auch oft an hausgemachten Kontaktallergien:
Besonders die Haut am Nagelrand sei gefährdet, er-
läuterte Goossens und warnte gleichzeitig vor irre-
versiblen Schäden an Nagel und Nagelhaut, wie zum
Beispiel Nagelverlusten, wenn man hier nicht ein-
greife. Neben klassischen Reaktionen auf Haushalts-
produkte wie Seifen, Wasch- und Spülmittel be-
obachtet sie in letzter Zeit immer häufiger auch
Reaktionen auf die vielfältigen Inhaltsstoffe von
Nagellacken. Schwellungen an den Fingern im
Nagelbereich könnten dabei auch einer Derma-
tomyositis in diesem Bereich ähneln.
Bei all diesen Testverfahren lohnt sich die Mühe, da
die Betroffenen mit dem Wissen um die Auslöser
eine Chance haben, diese Stoffe zu vermeiden. Hier
lässt sich Allergenkarenz auch einfach übersetzen in
«Gefahr erkannt, Gefahr gebannt».
L
Martina Freyer
Referenzen 1. Europäischer Allergiekongress (EAACI 2017 – The European Academy of Allergy
and Clinical Immunology Annual Congress), 17. bis 21. Juni 2017 in Helsinki (Finnland). 2. http://www.eaaci.org/outreach/eaaci-2016-campaign/campaigns-english/allergyprevention-recommendations/3803-food-allergy.html 3. von Mutius E et al.: The microbial environment and its influence on asthma prevention in early life. J Allergy Clin Immunol 2016; 137(3): 680–689. 4. Lloyd CM et al.: Lung Homeostasis: Influence of Age, Microbes, and the Immune System. Immunity 2017; 46(4): 549–561. 5. Wypych TP et al.: Diet Hypotheses in Light of the Microbiota Revolution: New Perspectives. Nutrients 2017; 9(6). pii: E537. doi: 10.3390/nu9060537. 6. Kennedy EA et al.: Skin microbiome before development of atopic dermatitis: Early colonization with commensal staphylococci at 2 months is associated with a lower risk of atopic dermatitis at 1 year. J Allergy Clin Immunol. 2017 Jan; 139(1): 166–172. 7. Nakatsuji T et al.: Antimicrobials from human skin commensal bacteria protect against Staphylococcus aureus and are deficient in atopic dermatitis. Sci Transl Med 2017;9(378); pii: eaah4680. doi: 10.1126/scitranslmed.aah4680. 8. Workshop «Patch testing in specific situations», EAACI-Kongress, 19. Juni 2017 in Helsinki (Finnland). 9. de Waard-van der Spe FB et al.: EAACI position paper for practical patch testing in allergic contact dermatitis in children. Pediatr Allergy Immunol 2015; 26: 598–606. Online unter http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/pai. 12463/pdf
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