Transkript
FORTBILDUNG
Die Rehabilitation der verbrannten Hand
Multidisziplinäres Vorgehen erforderlich
Die Hand hat neben der motorischen und sensiblen Funktion eine wichtige kommunikative und ästhetische Bedeutung als exponierte und für alle sichtbare Hautpartie.Verbrennungen führen häufig zu ausgedehnten narbigen Veränderungen, welche eine frühe und langfristige rehabilitative Behandlung erfordern. Ziel ist eine bestmögliche Narbenbildung und Funktion, die dem Verletzten eine erfolgreiche soziale und berufliche Reintegration ermöglicht. Hier empfiehlt sich ein multidisziplinäres Konzept.
VON HUBERT NEUBAUER, ULRICH KNESER, LEILA HARHAUS
Die funktionelle Bedeutung der Hand
Die Feinmotorik der Hand umfasst Tätigkeiten wie Schreiben, Greifen feiner Gegenstände, Zuknöpfen von Hemden und so weiter, während mit Grobmotorik das Tragen oder Halten schwerer Gegenstände gemeint ist. Beide Funktionen sind sowohl für die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) wie Essen, Körperpflege oder Ankleiden als auch bei Freizeitbeschäftigungen wie Musizieren oder Sport erforderlich. Für die Grobmotorik sind ein möglichst vollständiger Faustschluss und eine ausreichende Faustschlusskraft erforderlich. Für die Feinmotorik sind eine ausreichende Beweglichkeit der Fingergelenke, Koordination sowie eine Daumenopposition notwendig. Die Sensibilität umfasst Berührungs-, Temperatur-, Vibrations-, Schmerz- und Bewegungsempfinden.
Tabelle:
Einteilung der Verbrennung
Einteilung erstgradig zweitgradig a
zweitgradig b
drittgradig
viertgradig
Klinisches Bild
Rötung
L Blasenbildung L roter Untergrund L stark schmerzhaft
L Blasenbildung L heller Untergrund L schmerzhaft
L Epidermalfetzen L Gewebe nach
Reinigung weiss L keine Schmerzen
L Verkohlung L Lyse (bei chem.
Schädigung)
Verbrennungstiefe oberflächliche Epithelschädigung ohne Zelltod Schädigung der Epidermis und oberflächlicher Anteile der Dermis mit Sequestrierung
weitgehende Schädigung der Dermis unter Erhalt der Haarfollikel und Drüsenanhängsel
vollständige Zerstörung von Epidermis und Dermis
Zerstörung weitgehender Schichten mit Unterhautfettgewebe, eventuell Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenken
Diese sind als komplexe Sensibilitätsleistung Teil der feinmotorischen Funktion. Die Hand spielt in der interpersonellen Kommunikation eine zentrale Rolle bei der Kontaktaufnahme (Hände geben, körperlicher Kontakt) und ist über die Gestik Teil der Körpersprache. Darüber hinaus ist die Hand meist sichtbar und erfordert daher vom ästhestisch-kosmetischen Aspekt her ein möglichst unbeeinträchtigtes Aussehen. Neurologisch-anatomisches Korrelat für die zentrale Bedeutung der Hand ist die dafür überproportionale Grösse des motorischen und sensiblen Kortex der Grosshirnrinde (Abbildung 1).
Verbrennungen der Hände Geringgradige oder oberflächliche Verbrennungen sind häufige Verletzungen. In Deutschland ziehen sich jährlich etwa 20 000 Kinder und Erwachsene behandlungsbedürfige thermische oder chemische Verletzungen zu. Davon werden etwa 4000 stationär und davon wiederum zirka 1200 intensivpflichtig in Brandverletztenzentren behandelt. Die Hände sind bei mehr als 50 Prozent der Verbrannten mitbetroffen, in fast 20 Prozent der Fälle beidseits (1). Neben dem Verbrennungsausmass spielen Verbrennungstiefe und -lokalisation (Tabelle) eine entscheidende Rolle für die weitere Therapie sowie für das funktionelle und kosmetische Ergebnis. So sind Verbrennungen im Bereich der Hände, des Gesichts, des Halses und der Füsse, der grossen Gelenke und der Anogenitalregion – auch bei geringer Ausdehnung – eine Indikation zur Einweisung in ein Verbrennungszentrum, da die Wahrscheinlichkeit einer Funktionsbeeinträchtigung in diesen Bereichen besonders gross ist. Die Wiedererlangung der Handfunktion ist ein Hauptfaktor für die erfolgreiche Rückkehr ins Arbeitsleben (2).
18 SZD 5/2017
FORTBILDUNG
Erstversorgug Zunächst werden die Verbrennungswunden gereinigt, aseptisch verbunden und der Tetanusimpfschutz überprüft und gegebenenfalls aufgefrischt. Im weiteren Verlauf muss beurteilt werden, ob die Verbrennungen abheilungfähig sind (Grad 2a) oder ein chirugisches Débridement und Deckung erfolgen müssen (Verbrennungen vom Grad 2b und 3). Bei abheilungsfähigen Verbrennungen können spezielle Wundauflagen als biosynthetischer Hautersatz die Abheilung unterstützen und verkürzen. Bei zweitgradigen tiefen (Grad 2b) und vollschichtigen (Grad 3) Verbrennungen kann ein Débridement durch protolytische Enzyme durchgeführt werden, was ein chirurgisches Débridement ersetzen kann. Reicht dies nicht aus, sind nachfolgend ein chirurgisches Débridement und eine Spalthautdeckung erforderlich (3). Muss die verbrannte Haut operativ abgetragen werden, erfolgt dies als tangentiale Nekrektomie mit speziellem Instumentarium (Weck-Messer, HumbeyMesser), bis ein gut durchbluteter Wundgrund vorliegt. Hierzu kann, insbesondere im Bereich der Hände, alternativ ein Hydrochirurgiegerät eingesetzt werden.
Deckung Nur auf einem gut durchbluteten Wundgrund kann das erforderliche Hauttransplantat einheilen. Es kommen im Bereich der Hände Spalthaut-, selten Vollhauttransplantate zum Einsatz. Kultivierte Keratinozytentransplantate sind aufgrund ihrer schlechteren mechanischen Belastbarkeit für die Hände nicht geeignet. Die Spalthaut wird an den Händen in SheetTechnik, also nicht expandiert, transplantiert. Um einen Abfluss des Wundsekrets zu ermöglichen, werden die Transplantate zuvor 1:1 gemesht oder mit dem Skalpell inzidiert (Scarefizierung) und mit Fibrinkleber und Hautklammern befestigt. Sind bei vollschichtigen, tiefen Verbrennungen keine ausreichend durchbluteten Dermisanteile vorhanden, so muss die Haut einschliesslich der subkutanen Fettschicht bis auf die gut durchblutete Faszie als epifasziale Nekrektomie abgetragen werden. Bei freiliegenden funktionellen Strukturen, insbesondere Sehnen, muss dann eine Deckung mit (selten) lokaler, gestielter oder freier Lappenplastik erfolgen (4).
Abbildung 1: Homunculus
Abbildung 2: Beispiel: Frische Grad-2a-
Abb. btarski/wikipedia bis -2b-Verbrennung durch Lichtbogen
Abbildung 3: Frisches Spalthauttrans- Abbildung 4: Zwölf Wochen postopera-
plantat
tiv
erforderlich, können moderne Wundauflagen eine frühe Beübung der einzelnen Finger möglich machen. Frühzeitig kommen Lagerungsschienen zur Kontrakturprophylaxe zum Einsatz. Durch eine frühzeitige Hilfsmittelversorgung während der Akutbehandlung kann die Eigenständigkeit, zum Beispiel beim Essen, schnell wiedererlangt werden. Damit wird die Reintegration der verletzten Hand in die normalen Bewegungsabläufe gefördert. Durch die frühzeitige chirurgische Behandlung und intensive Nachbehandlung wird die Entwicklung hypertropher Narben reduziert (5).
Thermomechanische Kombinationsverletzungen
Thermomechanische Kombinationsverletzungen sind eine besondere chirurgische und rehabilitative Herausforderung. Meist handelt es sich um Arbeitsunfälle durch Quetschverletzungen der Hände in Produktionsmaschinen mit heissen Oberflächen. Es kommt neben der thermischen Schädigung zu Frakturen sowie Sehnen-, Gefäss- und Nervenverletzungen bis hin zur Amputation.
Frühe Beübung zur Erhaltung der Funktion Neben den akut chirurgischen Problemen mit nicht einheilenden Transplantaten und unzureichender Weichteildeckung bleiben im Verlauf instabile Narben und Narbenkontrakturen mit Bewegungseinschränkung der Finger bis hin zur funktionslosen Hand und die Schwimmhautbildung plastisch-chirurgische Herausforderungen. Nach Einheilen der Transplantate sollten die Physiotherapeuten möglichst früh mit einer Beübung der Hände beginnen. Ist keine Spalthauttransplantation
(Patho-)Physiologie der Narbenheilung und -entwicklung
Über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten beim Erwachsenen und bis zu 4 Jahren bei Kindern und Jugendlichen reift die Narbe aus. Die knäuelförmig angeordneten Kollagen-Typ-III-Fasern wandeln sich in Kollagen-Typ-I-Faserbündel um. Die Belastbarkeit gegenüber mechanischer Belastung und UV-Strahlung nimmt zu, und die Elastizität verbessert sich. Klinisch zeigt sich im Verlauf ein Übergang von
SZD 5/2017
19
FORTBILDUNG
Abbildung 5: Kontrakturprophylaxe
Abbildung 6:Vakuumassistierte Narbenmassage
Indikationen für stationäre Akutrehabilitation Die Indikation wird meist anhand des Ausmasses der verbrannten Körperoberfläche gestellt, sie besteht jedoch besonders bei Verbrennungen von Händen, Gesicht, Füssen, Anogenitalregion oder bei Funktionseinschränkungen der grossen Gelenke. Darüber hinaus sollte eine Rehabilitation bei verbleibenden funktionell-neurologischen Defiziten, Gliedmassenverlust, Einschränkung der Allgemeinkonstitution (anhaltender Konditions- und Kraftverlust), problematischen psychosozialen Situationen (vorbestehend oder posttraumatisch), psychischen Störungen nach Trauma (Anpassungsstörung, posttraumatische Belastungssituation, phobische Reaktion), bei höherem Alter und bei Kindern durchgeführt werden.
Abbildung 7: Kompression
zunächst deutlich geröteten Narbenarealen hin zu abgeblassten flächigen Hautnarben – unabhängig davon, ob diese mit oder ohne Hauttransplantat zur Abheilung gebracht wurden. In dieser Zeit bilden sich Narbenstränge aus, die sich im weiteren Verlauf verkürzen und zu Narbenkontrakturen führen können. Ausgeprägte Narbenstränge können bis zur vollständigen Gelenkeinsteifung und Funktionslosigkeit der Finger oder der Hand führen. In der Initialphase sind die Verbrennungsnarben sehr vulnerabel gegenüber mechanischer Beanspruchung, und es treten häufig Spannungsblasen und Epitheldefekte auf.
Rehabilitation
Unmittelbar an die akutchirurgische Behandlung schliesst sich im Idealfall eine mehrwöchige Verbrennungsrehabilitation mit multimodaler Therapie an. Die Nachbehandlung von Verbrennungspatienten erfolgt interdisziplinär in einem Team aus Pflegekräften, Ergo- und Physiotherapeuten, Psychologen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen. An der BGKlinik Ludwigshafen ist seit 2013 ein spezifisches Verbrennungsrehabilitationsprogramm etabliert, welches sich an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) orientiert. Die ICF ist eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dient fach- und länderübergreifend zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren. Mit der ICF können medizinische, psychologische und soziale Aspekte von Krankheitsfolgen unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren systematisch erfasst werden (6).
Rehabilitationsziele Ziel ist die Rückkehr des Brandverletzten in sein privates, gesellschaftliches und berufliches Umfeld. Die Funktionsstörungen durch die Verbrennung sollen gebessert sowie möglichst beseitigt, und eine spätere Verschlimmerung soll verhütet werden. Gleichzeitig sollen die Akzeptanz und der unbefangene Umgang mit den Verbrennungsfolgen bei dem Verletzten und seinem sozialen Umfeld gefördert werden. Diese Ziele können durch funktionsverbessernde Therapie, Wiedererlangung der Aktivität, Erlernen von Ersatzstrategien (funktionelle Adaptation) und Unterstützung in der Traumabewältigung erreicht werden (7).
Komponenten der Rehabilitation
Rehabilitative Krankenpflege, Haut- und Wundpflege Die rehabilitative Krankenpflege unterstützt bei der Haut- und Narbenpflege und beim Anlegen der Kompressionsware. Häufig müssen oberflächliche Restdefekte und/oder im Verlauf häufig auftretende Spannungsblasen in den Narbenarealen verbunden werden.
Physiotherapie Ziel der Physiotherapie ist es, die Beweglichkeit der Gelenke zu verbessern, die Weichteile zu dehnen und die Koordination wiederzuerlangen. Dabei werden alle Techniken der klassischen Krankenmassage, der manuellen Therapie und Verfahren auf neurophysiologischer Grundlage (PNF [propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation], Vojta und Bobath) eingesetzt. Damit sollen die verlorengegangenen Bewegungsmuster wiedererlangt werden. Eine eigenständige aktive Übungsbehandlung unter vorheriger Anleitung ist dabei unerlässlich.
Narbenmassage Die Narbenreifung kann sich über bis zu 18 Monate erstrecken. Neben der Hautpflege ist die spezielle Narbenmassage nach Riemann, vor allem in den
20 SZD 5/2017
FORTBILDUNG
Abbildung 8: Silikonauflage
Abbildung 9: Silikonhandschuhe
ersten Monaten, massgeblicher Teil der Narbenbehandlung. Die Narbenmassage verbindet Elemente der manuellen Lymphdrainage und der Bindegewebsmassage und soll durch vorsichtige Mobilisation der Narbe Verklebungen mit den darunterliegenden Gewebeschichten lösen. Die Frequenz ist abhängig von den Narbenverhältnissen, insbesondere von der Vulnerabilität und dem Ödem. Sie wird in der Regel ab dem 14. postoperativen Tag durchgeführt.
Vakuumassistierte Narbenmassage Besonders geeignet ist die vakuumassistierte Narbenmassage, auch Depressomassage genannt. Damit erreicht man eine Reduktion der Narbenhärte und Verbesserung der Hautelastizität (8). Sie kommt je nach Narbenreifung ab der 4. bis 6. Woche zum Einsatz.
Lymphdrainage Neben dem unmittelbar durch die Verbrennung bedingten Ödem finden sich häufig auch periphere Lymphödeme bei Lymphabflussstörungen, wenn proximal ausgedehnte Narben, zum Beispiel nach epifaszialer Nekrektomie, vorhanden sind. Dabei ist die Lymphdrainage ein wichtiges Element der Therapie. Nach Abschwellen verbessert sich in der Regel die motorische Funktion der Hand, vor allem durch die Verbesserung des Faustschlusses. Dabei muss bei zunehmender Entstauung die Kompressionsware nachgearbeitet oder neu abgemessen werden.
Textile Kompression Zum Standard gehört eine frühzeitige ganztägige Kompressionsbehandlung mit Kurz- oder Langzugmaterialien (entsprechend Klasse II) mit einem Druck
von 23 bis 32 mmHg. Die Kompressionsbehandlung erfolgt über 12 bis 18 Monate während der Zeit des Remodellings der Verbrennungsnarben. Durch den kontinuierlichen Druck wird eine parallele Anordnung der kollagenen Fasern gefördert. Makroskopisches Ziel der Kompressionsbehandlung ist das Erweichen und Abflachen der flächigen Narben (9). Sobald die Verbrennungswunde beziehungsweise das Hauttransplantat abgeheilt ist, wird die Kompressionsware abgemessen. Mit der Kompressionsbehandlung sollte begonnen werden, sobald der Lokalbefund dies erlaubt. Die Kompressionsware sollte eine gute Hautverträglichkeit aufweisen, strapazierfähig, atmungsaktiv, elastisch und pflegeleicht sein, wenig Nähte haben und gleichförmig komprimieren, mit möglichst geringer Einschränkung der Bewegungsfreiheit und ohne einschneidende Faltenbildung. Problematisch ist häufig das Anlegen der Kompressionskleidung, dazu ist inital Hilfestellung durch die Pflegekräfte erforderlich. Meist können die Patienten bei Funktionsverbesserung im Verlauf der Rehabilitation die Kompressionskleidung dann selbstständig anziehen.
Silikon Bei der Behandlung von Verbrennungsnarben haben sich Silikonauflagen bewährt (Abbildung 8). Für Hände sind individuell gefertigte Silikonhandschuhe Therapie der Wahl (Abbildung 9). Bei lokalisierten Narbenarealen oder Narbenzügen kann auch eine teilweise Auflage von Silikonpelotten unter der Kompressionsware erfolgen. Einzelne Finger können durch Silikonfingerlinge versorgt werden. Der Wirkmechanismus der Silikonauflagen mit Erweichung und Abflachung der Verbrennungsnarben ist nicht abschliessend geklärt. Die Silikonauflagen oder -handschuhe können durch Wärmebehandlung mit Auskochen hygienisch gereinigt werden. Eine entsprechende Wechselversorgung sowohl der Kompressionsware als auch der Silikonauflagen ist, um ein dauerhaftes Tragen zu gewährleisten, unumgänglich. Unverträglichkeitsreaktionen sind selten zu beobachten. Zu Beginn sollte die Eingewöhnung schrittweise erfolgen, eine Tragedauer von etwa 10 Stunden pro Tag wird angestrebt (1).
Schienenbehandlung Bei bereits bestehender Bewegungseinschränkung oder zur Vorbeugung von Narbenkontrakturen kommen individuell gefertigte Streck- und/oder Beugeschienen aus thermoplastischem, gut hautverträglichem Material zum Einsatz. Gegebenenfalls müssen diese im Verlauf bei Funktionsverbesserung nachgearbeitet oder neu gefertigt werden. Beugeschienen werden häufig als dynamische Schiene mit Gummizügelmechanismus gefertigt, während Streckschienen in der Regel starr gefertigt werden. Einzelne Finger
22 SZD 5/2017
FORTBILDUNG
können durch vorkonfektionierte Streckfedern redressiert werden. Bei Abspreizhemmung des Daumens kommen sogenannte C-Spangen in der ersten Zwischenfingerfalte zum Einsatz.
Prothesen Makro- und Mikroamputationen sind bei 20 Prozent der schwer Brandverletzten erforderlich (7). Sie sind in der Rehabilitation eine besondere Herausforderung. Probleme ergeben sich zunächst bei der Belastbarkeit der Narbenareale am Stumpf, daher stehen stumpfabhärtende Massnahmen, Übungen zur Funktionsverbesserung und konsequente Kompressionsbehandlung im Mittelpunkt. Eine zu frühe oder eine dem Stumpf nicht angepasste Prothesenversorgung führt häufig zu lokalen Problemen. Im Verlauf sind ständige Nachbesserungen der Stumpfbettung der Prothese in enger Zusammenarbeit mit dem Orthopädietechniker notwendig. Grundsätzlich ist an der Hand die funktionsverbessernde Prothesenversorgung von der rein ästhetischen Prothesenversorgung (dann Epithesen genannt) zu unterscheiden. Spezielle Amputationssituationen, zum Beispiel bei Daumenverlust, oder spezifische berufliche Belastungssituationen machen eine individualisierte Entscheidung über einen prothetischen Ersatz notwendig. Abhängig von dem zu erwartenden Aktivitätsniveau kann ein Handteil- oder Fingerersatz notwendig werden. Kommt der Verletzte mit der Handrestfunktion ausreichend zurecht, so sollte ihm die Möglichkeit einer reinen Schmuckversorgung (Epithese) angeboten werden.
Ergotherapie Bei der Ergotherapie wird die Feinmotorik anwendungsorientiert beübt und durch Funktions- und Koordinationstraining verbessert. Daneben wird die Förderung der Selbstständigkeit im Bereich der ADLAktivitäten durch zielgerichtetes Training angestrebt, erleichtert durch eine der Verletzung angepasste Hilfsmittelversorgung. Bei der Handrehabilitation wird zur Reintegration der verletzten Hand in das Körperschema die Spiegeltherapie gezielt eingesetzt. Bei dieser Behandlung, die zu den Imaginationstherapien zählt, wird die gesunde Hand des Patienten gespiegelt, der Verletzte nimmt sie als scheinbar funktionsfähig wahr, und in dieser Situation werden Bewegungsabläufe trainiert. Nach Funktionsverbesserung und bei ausreichender Handkraft wird der Therapieplan um ein berufsspezifisches Training ergänzt. Dazu kann dann eine zusätzliche Hilfsmittelversorgung notwendig werden, die an die beruflichen Anforderungen angepasst ist.
Sporttherapie Durch Sporttherapie im Rahmen von Sportgruppentherapie, Bewegungsbad und Gerätetraining soll die
Abbildung 10: Schienenbehandlung (links: vorkonfektionierte Streckfedern, rechts: thermoelastische Schiene)
Leistungs- und Rehabilitationsfähigkeit des sensomotorischen Systems verbessert und wiedererlangt werden. Bei fast allen schwer Brandverletzten besteht nach der schweren Verletzung und der meist lang dauernden Intensivbehandlung ein ausgeprägtes Defizit der Ausdauer und der Koordination, welche durch die Trainingstherapie wieder aufgebaut werden müssen. Aber auch bei Verletzungen einzelner Extremitäten zeigt sich meist ein deutliches Koordinations- und Kraftdefizit, welches durch Sporttherapie mit verbessert wird.
Narbenkorrekturen
Bei aktiven strangartigen Narben kann durch eine Glukokortikoidinjektion die überschiessende Narbenbildung gehemmt werden. Dies ist zumindest in Lokalanästhesie notwendig, bei ausgedehnten Narben auch im OP unter entsprechender Anästhesie. Eine Korrekturoperation sollte erfolgen, wenn sich das Bewegungsausmass durch Beübung und adjuvante Therapie nicht verbessern lässt. Ein zu langes Warten mit der Korrekturoperation bei gelenküberspannenden Narben birgt das Risiko der Kapselschrumpfung und damit der arthrogenen Bewegungseinschränkung. Bei ausgedehnten bewegungseinschränkenden Narbenarealen bietet sich die Narbeninzision und Defektdeckung mit Voll- oder Spalthaut an. Mitunter sind auch komplexe Eingriffe bis hin zu mikrochirurgischen Lappenplastiken erforderlich, um Narbenkontrakturen nachhaltig aufzulösen. Es kann durch kontrakte Narbenzüge in den Zwischenfingerfalten zur Schwimmhautbildung kommen, dies sollte dann zur Funktionsverbesserung durch operative Korrektur (Z-Plastiken, Butterfly-Plastik, «jumping-man») aufgelöst werden. Flächige Narben können mit «medical needling» behandelt werden, dies erfolgt häufig auch mehrmals (10). Daneben kann durch eine operative Vertiefung der ersten Zwischenfingerfalte eine Funktionsverbesserung des Daumens erreicht werden. In bestimmten Fällen kann eine Daumenrekonstruktion durch Zehentransfer erfolgen. Bei den häufig im Verlauf notwendigen Korrekturen ist eine gute Zusammenarbeit von Reha- und Akut-
SZD 5/2017
23
FORTBILDUNG
Abbildung 11: Greifhilfe
Abbildung 12: Schreibhilfe
bereich notwendig, um solche Korrektureingriffe kurzfristig zu ermöglichen und gegebenenfalls eine kurzfristige Rückübernahme in die Rehabilitation zu gewährleisten.
Schmerztherapie
Die meisten Brandverletzten berichten über ein schmerzhaftes oder unangenehmes Berührungsempfinden an den Verbrennungsnarben. Die wieder einsprossenden Nervenendigungen bereiten einen meist starken Schmerz. Um einer Chronifizierung entgegenzuwirken, ist eine medikamentöse Schmerztherapie in Anlehnung an das WHO-Schema durchzuführen (11). Daneben werden reflextherapeutische Verfahren wie Akupunktur oder Neuraltherapie eingesetzt, welche den Schmerz und den oft quälenden Juckreiz beeinflussen. Regelhaft werden die Kollegen der Schmerztherapie hinzugezogen. Abhängig vom Schmerzcharakter kommen Nicht-Opiatanalgetika, Opiatanalgetika, Antidepressiva (zur Schmerzmodulation), Antikonvulsiva (bei neuropathischen Schmerzen) oder Antihistaminika (Juckreiz) zum Einsatz.
Psychologie
Verbrennungen mit bleibenden sichtbaren Veränderungen und bleibenden Einschränkungen der Körperfunktion bedeuten einen Einschnitt und eventuell auch eine Krise im Leben. Diese Veränderung betrifft neben dem Verletzten selbst auch sein soziales Umfeld. Die menschliche Haut, insbesondere im sichtbaren Bereich, ist eine besondere Grenzzone. Bei der Hand kommt neben der motorischen und
Abbildung 13: Spiegeltherapie
sensiblen Leistung noch der kommunikative Aspekt hinzu. Ihre Unversehrtheit trägt zur persönlichen Identität bei. Brandverletzte mit offensichtlichen Einschränkungen, welche sich bei eingeschränkter Handfunktion und beeinträchtigtem Handaussehen schnell zeigen, sind besonders betroffen. Dies belastet den Prozess der Krankheitsverarbeitung. Psychische Störungen wie Anpassungsstörung, posttraumatische Belastungssituation und phobische Reaktion können auftreten. Daher sind bei der Rehabilitation von Brandverletzten Psychologen im multidisziplinären Setting regelhaft an der Behandlung beteiligt. Eine verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Psychotherapie bietet sowohl für die akute Traumabewältigung als auch hinsichtlich der Akzeptanz des veränderten Körpers Unterstützung an (12).
Langfristige Nachsorge
Im Anschluss an die Rehabilitation sollen zunächst die Kompressions- und Silikonbehandlung und weitere ambulante Physio- und Ergotherapie bis zum Abschluss der Narbenreifung nach etwa 11/2 Jahren fortgeführt werden. Ebenso sollten die Schienen zur Kontrakturprohylaxe weiter genutzt werden. Die Patienten wurden in die Hautpflege eingewiesen und sollen diese selbstständig fortführen. Auch ist auf einen entsprechenden Sonnenschutz durch Kleidung oder Sunblocker zu achten, um die verbrannten Hautareale vor UV-Strahlung zu schützen: Frische Verbrennungsnarben neigen zu Pigmentstörungen, und auch die Gefahr einer malignen Entartung besteht. Auch wenn nach der Erstrehabilitation ein gutes funktionelles und ästhetisches Ergebnis erreicht wurde, so bleiben die Folgen der Verbrennung meist ein Leben lang behandlungsbedürftig. Eine engmaschige Anbindung an ein Verbrennungszentrum ist wünschenswert, um die Folgen durch plastischchirurgische Massnahmen adäquat zu therapieren. Bei den längerfristigen Kontrollen kann über erforderliche Korrekturoperationen entschieden werden. Langfristig sind bei etwa 15 Prozent der Patienten Korrekturoperationen notwendig, meist der ersten Zwischenfingerfalte und/oder am Kleinfinger. Je schwerer die Hand verbrannt war, umso häufiger sind
24 SZD 5/2017
FORTBILDUNG
spätere Korrekturen erforderlich (13). In bestimmten Fällen sind auch bereits im Rahmen der Erstbehandlung vorgeplante, im Intervall durchzuführende funktionsverbessernde Operationen sinnvoll. Falls erforderlich, ist eine langfristige ambulante Anbindung an die Schmerztherapie und die Psychologie zu empfehlen.
Camouflage
Abbildung 14: Arbeitsspezifische Therapie im Rahmen der Ergotherapie
Bei deutlich sichtbaren Narben und Pigmentstörungen der sichtbaren Hautpartien kann dem Verletzten eine ästhetische Verbesserung durch kaschierende Schminke die Reintegration in die Öffentlichkeit und das Erlernen des Umgangs mit dem veränderten Äusseren erleichtern. Die Camouflagecreme basiert auf einer Wachs-in-Öl-Basis mit hohem Pigmentanteil, sie ist besonders widerstandsfähig gegenüber Witterungseinflüssen und kann bis zu 36 Stunden auf der Haut verbleiben.
Abbildung 15: Narbenkorrektur
Wiederholungsrehabilitation
Bei schweren Verbrennungen können wiederholte Rehabilitationsmassnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Funktion und zum Auftrainieren von Kraft und Ausdauer sinnvoll sein.
Für den niedergelassenen Kollegen
Bei der Rehabilitation sowohl von ausgedehnten Ver-
brennungen als auch speziell bei der Rehabilitation
der verbrannten Hand ist eine lang andauernde, häu-
fig lebenslange Therapie erforderlich. Regelmässige
Verlaufskontrollen sind unerlässlich, damit man bei
Funktionsverschlechterung eine Intensivierung der
Therapie veranlassen oder die Entscheidung über
erneute operative Korrekturen treffen kann. Eine
langfristige Anbindung an eine Verbrennungsnach-
sorge-Sprechstunde ist zu empfehlen.
L
Kontaktadresse: Dr. Hubert Neubauer Klinik für Hand, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie Schwerbrandverletztenzentrum BG-Unfallklinik Ludwigshafen Ludwig-Guttmann-Strasse 13 D-67071 Ludwigshafen E-Mail: hubert.neubauer@ bguludwigshafen.de
Referenzen: 1. Lehnhardt M et al.: Verbrennungschirurgie. Springer Verlag, Heidelberg 2016:
287–305. 2. Dyster-Aas J et al.: Return to work and health-related quality of life after burn in-
jury. J Rehabil Med 2007; 39(1): 49–55. 3. Rosenberg L et al.: A novel rapid and selective enzymatic debridement agent for
burn wound management: a multi-center RCT. Burns 2014; 40(3): 466–474. 4. Philipp K et al.: Die akzidentelle thermische Verletzung der Hand. Unfallchirurg
2005; 108: 179. 5. Sorkin M et al.: Scar Management of the Burned Hand. Hand Clin 2017; 33:
305–315. 6. World Health Organization. International Classification of Functioning, Disability
and Health (ICF). http://www.who. int/classifications/icf/en/ 7. Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. zur
Rehabilitation Brandverletzter. http://www.verbrennungsmedizin.de/leitlinienrehabilitation-brandverletzter.php 8. Moortgat P et al.: The physical and physiological effects of vacuum massage on the different skin layers: a current status of the literature. Burns Trauma 2016; 4: 34-46. 9. Ai JW et al.: The effectiveness of pressure therapy (15-25 mmHg) for hypertrophic burn scars: A systematic review and meta-analysis. Sci Rep 2017(5); 7: 40185. 10. Zeitter S et al.: Microneedling: matching the results of medical needling and repetitive treatments to maximize potential for skin regeneration. Burns 2014; 40: 966–973. 11. World Health Organization. Cancer Pain Relief. Geneva, World Health Organization 1986. 12. Ripper S et al.: Psychische Folgen schwerer Brandverletzungen. Unfallchirurg 2010; 113: 915. 13. van der Vlies CH et al.: Indications and Predictors for Reconstructive Surgery After Hand Burns. J Hand Surg Am 2017; pii: S0363-5023(17)30282-4. doi: 10.1016/j.jhsa.2017.02.006 (Epub ahead of print).
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift «Haut» 3/17. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlages.
Interessenkonflikte: keine
SZD 5/2017
25