Transkript
INTERVIEW
Foto: Panizzon
Renaissance der Radiotherapie in der Dermatologie
Interview mit Prof. Renato G. Panizzon
Als weltweit angesehener Experte in der dermatologischen Radiotherapie setzt sich Prof. Renato G. Panizzon aus Lausanne für diese Therapieform ein, die derzeit wieder verstärkt in den Fokus des Interesses kommt. Im Interview schilderte er die Faktoren, die zur Wiederentdeckung der Radiotherapie als effektive und schmerzfreie Methode geführt haben, und gab Tipps zum praktischen Einsatz.
Renato G. Panizzon
In den letzten Jahren wurden gerade in der Krebs-
therapie erhebliche Fortschritte erzielt. Welcher
Stellenwert bleibt da für die Radiotherapie? Renato G. Panizzon: Die generelle Tendenz ist, alles chirurgisch anzugehen. Und obwohl wir in der Radiotherapie über einen recht grosses Know-how verfügen, ist die Häufigkeit der Anwendungen in letzter Zeit zurückgegangen, zumindest in der Dermatologie. Das lag vor allem daran, dass entsprechende Geräte nicht mehr hergestellt wurden. Andererseits existiert zur Radiotherapie ein grosser Wissensschatz, insbesondere zum Einsatz bei Hauttumoren. Aber da die adäquate Ausbildung zurückgegangen ist, ging das Know-how verloren. Doch inzwischen hat man sich besonnen und gemerkt, dass nicht alles mit Chirurgie und Salben machbar ist. Also wird nun vermehrt wieder Röntgen eingesetzt, insbesondere bei älteren Patienten, deren Zahl zugenommen hat. Der Vorteil: Radiotherapie ist eine schmerzfreie Methode. Schliesslich zeigte die Industrie auch Interesse und hat jetzt wieder angefangen, Geräte zur sogenannten Grenz- und Weichstrahltherapie herzustellen. Da hat sich also etwas getan. In der Schweiz war früher in der Facharztausbildung ein Radiotherapiekurs obligatorisch. Inzwischen ist er fakultativ, besteht aber immer noch. In diesem Kurs geht es um Röntgenphysik, Röntgenbiologie und um Therapieindikationen. Die Kurse finden alle zwei Jahre statt, ausgerichtet von der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV). Der nächste Kurs findet im Oktober in Genf statt. Gleichzeitig ist jetzt mit der Firma Softray AG auch ein Hersteller dabei, ein Gerät zur Verfügung zu stellen. Was dabei attraktiv ist: Die Fachärzte müssen das Gerät nicht kaufen, sondern können es im Pachtvertrag, einer Art Leasing, übernehmen. Wenn sie bestrahlen, müssen sie einen Betrag an die Firma abgeben, aber die Anschaffung und Instandstellung belastet sie nicht. Man sieht jetzt also eine gewisse Renaissance: Es gibt jüngere Kollegen, die sind interessiert. Denn andere
Therapien sind eben doch nicht so erfolgreich, wie man sich das anfänglich vorgestellt hat, oder sie sind schmerzhaft, wie die photodynamische Therapie. Dagegen ist die Röntgentherapie schmerzfrei – deshalb diese Renaissance. Die Kurse werden von der SGDV gemeinsam mit dem eidgenössischen Gesundheitsamt durchgeführt. Dessen Mitarbeiter kommen auch immer in die Kurse und achten darauf, dass die Vorschriften eingehalten werden. Der Hersteller der Radiotherapiegeräte bietet ebenfalls Kurse an, die dann jeweils in den Jahren zwischen den SGDV-Kursen durchgeführt werden. Wenn sich also jemand zwischendurch entscheidet, dann kann er zu diesen Kursen gehen und den SGDV-Kurs nachholen.
Was sind die üblichen Indikationen für die Radiothe-
rapie in der Dermatologie? Das ist insbesondere der weisse Hautkrebs, vor allem das Basaliom und das Spinaliom, aber auch das Merkelzellkarzinom und schliesslich auch das Lentigomaligna-Melanom – alle diese Tumorentitäten sind röntgensensibel. Die kleinen Tumoren werden nach wie vor chirurgisch entfernt – wegzuschneiden ist hier das Einfachste. Aber sobald der Tumor mittelgross und grösser wird, dann kommt auch der Chirurg machmal in Konflikt. Denn sobald er einen Verschiebelappen oder eine andere Form der Defektdeckung benötigt, kann dies zu Unebenheiten führen. Dieses Risiko haben wir beim Röntgen nicht. Daher hat gerade im Gesicht- und Halsbereich die Radiotherapie grosse Vorteile, besonders bei mittelgrossen Tumoren. Die sehr grossen Tumoren werden dann interdisziplinär mit den Chirurgen und den Radiotherapeuten zusammen besprochen und angegangen. Die Lymphome und das Kaposi-Sarkom sind auch gute Indikationen. Sie sind nicht primär radikal zu behandeln, vielmehr ist man manchmal gezwungen, weil es wieder zu Rezidiven kommt, wiederholt zu bestrahlen. Dann bleiben noch als weitere Indikationen seltene Tumoren und die gutartigen Hautveränderungen. In
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Deutschland gibt es eine Gruppe, die beschäftigt sich vor allem mit der Bestrahlung von gutartigen Erkrankungen, als antientzündlicher oder auch antiproliferativer Ansatz. Ein Beispiel ist das Keloid, das meistens in Zusammenarbeit mit den Chirurgen behandelt wird. Man entfernt das überschüssige Narbengewebe innerhalb des Keloids (ausserhalb geschnitten würde es grösser). Am nächsten Tag schliesst man gleich die Bestrahlung an. Das ist heute die Therapie der Wahl für eine solche gutartige proliferative Erkrankung. Es gibt noch weitere Indikationen für die Radiotherapie als Zweitlinienbehandlung, das sind vor allem chronische Ekzeme oder auch eine Psoriasis der Nägel oder Kopfhaut, die sehr schwierig zu beeinflussen sind. Hier sind die Prozesse sehr oberflächlich, also wenden wir gerne die sogenannten Grenzstrahlen an, die sehr oberflächlich sind – mit einer Eindringtiefe bis zirka 1 mm Hautdicke.
In der dermatologischen Radiotherapie kenne ich momentan niemand, der speziell auf diesem Gebiet forschen würde – zumindest nicht in der Grundlagenforschung. Das ist leider ein Handycap, dass wir keine neueren prospektiven Studien haben. Alles basiert auf experimenteller Basis, Erfahrungswissen oder auf älteren Studien. Für Laser und für die photodynamische Therapie gibt es viele prospektive, randomisierte Studien. Allerdings sind da die Resultate nur über einen relativ kurzen Zeitraum untersucht, nicht langfristig. Retrospektive, langfristige Studien zeigen, dass die Radiotherapie doch noch eine gute Methode ist. Man muss also einen Kompromiss machen: Wenn man keine randomisiert-prospektiven Studien hat, sollte man das frühere Wissen nicht abwerten.
Herr Professor Panizzon, vielen Dank für dieses
Gespräch.
L
Wird auf dem Gebiet der kutanen Radiotherapie
überhaupt noch geforscht? Die Forschung findet in der allgemeinen Tumortherapie statt, zum Beispiel zum Zusammenwirken von lokaler Hyperthermie und Bestrahlung. Oder auch über Medikamente, lokal oder systemisch, und Bestrahlung. Vielleicht nicht unbedingt in der Dermatologie, aber in der Radiobiologie allgemein.
Das Interview führte Adela Žatecky.
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