Transkript
SCHWERPUNKT HAARE UND HORMONE
Update zu androgenetischer Alopezie
Etablierte und neuere Therapieansätze auf dem Prüfstand
Die Behandlung der androgenetischen Alopezie (AGA) bleibt eine Herausforderung für Dermatologen. Zwar kommt die AGA bei Männern und Frauen sehr häufig vor, doch nicht häufig ist derzeit mit einem durchschlagenden Therapieerfolg zu rechnen. Neben den beiden etablierten Behandlungsoptionen mit topischem Minoxidil und oralem Finasterid gibt es einige neuere adjuvante Therapieformen.
80 Prozent der Männer ab 70 Jahren weisen Zeichen von AGA auf, von den Frauen derselben Altersgruppe sind 40 bis 50 Prozent betroffen (1). Weit belastender als im Alter ist die AGA allerdings dann, wenn sie sich bereits im jungen Erwachsenenalter oder schon bei Teenagern bemerkbar macht. Die AGA beruht auf einer progressiven Miniaturisierung der Haarfollikel, die in typischer Verteilung bei prädisponierten Männern und Frauen auftritt und nicht zur Vernarbung führt (1). Die Ätiologie ist multifaktoriell und die Prädisposition polygenetisch (1). Während die MAGA (maskuline androgenetische Alopezie) klar androgenabhängig ist, wird die Rolle der Androgene bei der FAGA (feminine androgenetische Alopezie) kontrovers beurteilt (1).
63 Genloci mit androgenetischer Alopezie assoziiert
Kürzlich wurde die bislang umfangreichste Metaanalyse genomweiter Assoziationsstudien bei androgenetischer Alopezie publiziert (2). Die Genomuntersuchungen von insgesamt 22 518 Männern europäischer Abstammung (davon 10 846 mit früh beginnender androgenetischer Alopezie vom männlichen Typ und 11 672 Kontrollen) ergab 63 assoziierte Genloci, von denen 23 Loci zuvor noch nicht bekannt waren. Unter den neu identifizierten Genkandidaten und Signalpfaden seien besonders FGF5 (beteiligt bei der Deregulierung des Übergangs von der Anagen- zur Katagenphase) und der Melatoninsignalpfad vielversprechende Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Therapien, so die Autoren (2). Die neue Metaanalyse be-
stätigt die Rolle gut etablierter Einflussfaktoren (z.B. Androgenmetabolismus, Östrogensignalpfad, WNT- und EGFSignalpfad beim Haarfollikelzyklus), aber auch weniger bekannter Einflussfaktoren (z.B. Rolle perifollikulärer Makrophagen und von Adipozyten).
Minoxidil und Finasterid – die etablierten Therapiemöglichkeiten
Zur etablierten AGA-Therapie gehören topisches Minoxidil bei Männern und Frauen sowie perorales Finasterid nur bei Männern. Bei Minoxidil, das ursprünglich als orales Antihypertensivum (Loniten® mit vasodilatierender Wirkung) entwickelt wurde, machte sich die stimulierende Wirkung auf das Haarwachstum als Nebenwirkung bei 24 bis 100 Prozent der Hypertoniepatienten bemerkbar. Topisches Minoxidil (z.B. Alopexy® 2%Lösung, Neocapil® 2%- und 5%-Lösung, Regaine® 2%- und 5%-Lösung) wirkt wahrscheinlich nicht nur durch allgemeine Erhöhung des kutanen Blutflusses, sondern speziell auch in der dermalen Papille durch Induktion der Angiogenese (bei verstärkter Expression von Vascular Endothelial Growth Factor [VEGF]) und durch Induktion von Faktoren, die das Haarwachstum stimulieren (1). Die 5%-Lösung ist bei der Behandlung der MAGA effektiver als die 2%-Lösung, aber bei der FAGA-Behandlung fehlt die Evidenz für eine Bevorzugung der 5%-Lösung (1). Nebenwirkungen kommen bei zweimal täglicher Verwendung der 5%Lösung häufiger vor als mit der 2%-Lösung (1). Bis der Erfolg beurteilt werden kann, sind mindestens 6 Behandlungsmonate nötig (1). Zur Aufrechterhaltung
der günstigen Wirkung sollte die Behandlung zeitlich unbeschränkt fortgesetzt werden (1). Finasterid, ein spezifischer Hemmer des Typs II der 5-alpha-Reduktase, wird bei Männern mit leichter bis mittelschwerer AGA in der Dosierung von 1 mg täglich empfohlen. Das Medikament sollte lebenslang eingenommen werden, weil nach Absetzen der Behandlung wieder Haarverlust einsetzt, sodass innerhalb eines Jahres mit der Rückkehr zum Ausgangsstatus vor der Behandlung zu rechnen ist (1). Finasterid 1 mg steht in Form folgender Präparate zur Verfügung: Alocapil®, Finacapil®, Finasterid-Mepha Procapil, Propecia®. Die Wirksamkeit der Finasteridtherapie ist durch mehrere klinische Studien und durch Metaanalysen gut belegt (1). Bei jungen Männern ist die Behandlung wirksamer als bei älteren. Die Effektivität konnte aber auch bei Männern zwischen 41 und 60 Jahren dokumentiert werden (1).
Sexuelle Nebenwirkungen können jahrelang persistieren
Sexuelle Nebenwirkungen wie Abnahme der Libido, erektile Dysfunktion und Reduktion des Ejakulatvolumens kamen mit Finasterid in kontrollierten klinischen Studien nur in geringer Häufigkeit vor und waren in der Regel nach Absetzen der Behandlung reversibel. Eine vor 2 Jahren veröffentlichte Metaanalyse fand jedoch bei keiner von 34 klinischen Studien zur Finasteridtherapie bei MAGA eine adäquate Dokumentation der Nebenwirkungen (3). 26 Studien hatten eine Studiendauer von höchstens 1 Jahr, 19 Studien waren durch Finaste-
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ridhersteller finanziert worden, und 3 Studien berichteten, dass keine Nebenwirkungen auftraten (3). Die Autoren der Metaanalyse beurteilten die Dokumentation der Nebenwirkungen als qualitativ schlecht, mit systematischem Bias behaftet und nicht auf den Praxisalltag übertragbar (3). Fallberichte über Männer mit neu aufgetretener erektiler Dysfunktion, die auch lange nach Absetzen des 5-alpha-Reduktase-Inhibitors persistierte, heizten in den letzten Jahren die Nebenwirkungsdiskussion weiter an. Jetzt ist es in einer neuen Studie gelungen, die Dauer der Finasteridbehandlung als Hauptrisikofaktor für eine persistierende erektile Dysfunktion (PED) zu identifizieren (4). Unter 4284 Männern zwischen 16 und 42 Jahren, die zuvor keine sexuelle Dysfunktion aufgewiesen hatten und täglich maximal 1,25 mg Finasterid zur MAGA-Behandlung einnahmen, entwickelten 34 (0,79%) neu eine PED (4). Die mediane PED-Dauer nach Absetzen von Finsterid betrug 1534 Tage. Bei Männern mit einer Behandlungsdauer von mehr als 205 Tagen war die PED-Rate fast fünfmal höher (1,16%) als bei einer kürzeren Behandlungsdauer (0,24%) (4).
Neuere adjuvante Therapieansätze
Injektionen von plättchenreichem Plasma (PRP) in die Kopfhaut sind nicht mit wesentlichen Nebenwirkungen verbunden und können für die Behandlung nicht vernarbender Alopezien nützlich sein. Zu diesem Schluss kamen die Autoren eines systematischen Reviewartikels
(12 Studien zur AGA und 2 zur Alopecia areata) (5). PRP ist eine autologe Zubereitung von stark konzentrierten Blutplättchen in Blutplasma. Die Thrombozyten werden nach der Injektion von PRP in die Kopfhaut durch dermales Kollagen aktiviert, wobei sie mehr als 20 Wachstumsfaktoren in die Umgebung freisetzen. PRP stimuliert in der Wulstregion (Bulgeregion), die sich im unteren Bereich des permanenten Teils der Haarfollikel befindet, die Differenzierung von Stammzellen zu Haarfollikelzellen. Zudem verlängert PRP die Anagenphase des Haarzyklus und stimuliert die Follikelvaskularisierung, wodurch das Haarwachstum begünstigt wird. Microneedling wurde als adjuvante Therapie in Kombination mit topischem Minoxidil (5%-Lösung) zur Behandlung von leichter bis moderater AGA getestet (6). Im Vergleich zur Minoxidilmonotherapie (zweimal täglich) konnte in der Gruppe mit zusätzlicher wöchentlicher Microneedling-Therapie (Dermaroller) nach 12 Wochen eine signifikant stärkere Zunahme der Haaranzahl erreicht werden (6). Zu den möglichen Wirkmechanismen von Microneedling bei AGA gehören: Stimulation von Follikelstammzellen im Rahmen der Wundheilungsvorgänge, Freisetzung von Wachstumsfaktoren aus aktivierten Thrombozyten und stärkere Expression von Genen, die mit Haarwachstum in Verbindung stehen (1). Haartransplantationen kommen bei Männern und Frauen mit AGA in Betracht, allerdings nicht vor dem Alter von 25 Jahren (1). Die Haarfollikel, die in nicht androgenempfindlichen Arealen ent-
nommen werden, behalten ihre Eigen-
schaften auch nach der Transplantation
in androgenabhängige Areale bei (1).
Weil der chirurgische Eingriff die Pro-
gression der AGA nicht zu stoppen ver-
mag, ist begleitende medikamentöse
Behandlung mit Minoxidil oder Finaste-
rid wichtig (1).
Auch Laserbehandlungen wurden bei
AGA getestet (1). Die Low-Level Laser
Therapy (LLLT, 655 nm) wurde von der
FDA für die Behandlung von MAGA und
FAGA zugelassen (1). Möglicherweise
aktiviert das Laserlicht schlafende Haar-
follikel, erhöht den Blutfluss, stimuliert
die Produktion von Wachstumsfaktoren
und das Wachstum von Anagenhaaren
(1). Als Behandlungsprotokoll wurden
dreimal pro Woche 20-minütige Sitzun-
gen vorgeschlagen (1). Auch der hoch
energetische Fractional Erbiumglass La-
ser (1550 nm) wurde erfolgreich zur Be-
handlung von MAGA und FAGA einge-
setzt (1).
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Kelly Y et al.: Androgenetic alopecia: An update of treatment
options. Drugs 2016; 76: 1349–1364. 2. Heilmann-Heimbach S et al.: Meta-analysis identifies novel
risk loci and yields systematic insights into the biology of malepattern baldness. Nature Communications 2017; 8: 14694. 3. Belknap SM et al.: Adverse event reporting in clinical trials of finasteride for androgenic alopecia: A meta-analysis. JAMA Dermatol 2015; 151: 600–606. 4. Kiguradze T et al.: Persistent erectile dysfunction in men exposed tot he 5␣-reductase inhibitors, finasteride, or dutasteride. PeerJ 2017; 5: e3020. 5. Gkini MA et al.: Platelet-rich plasma as a potential treatment for non-cicatricial alopecias. Int J Trichology 2015; 7: 54–63. 6. Dhurat R et al.: A randomized evaluator blinded study of effect of microneedling in androgenetic alopecia: a pilot study. Int J Trichology 2013; 5: 6–11.
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