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KONGRESSBERICHT
Nationaler Psoriasis-Tag 2016
Systemische Therapie der Psoriasis
Aktuelle Schweizer Leitlinie mit vielen nützlichen Informationen für die Praxis
Im Auftrag der SGDV (Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie) hat eine Expertengruppe eine evidenzbasierte Schweizer Leitlinie zur systemischen Behandlung bei Psoriasis vulgaris erarbeitet. Es handelt sich um ein Konsensuspapier, zu dem alle Psoriasisexperten der grösseren Spitäler der ganzen Schweiz beigetragen haben. Auch Stellungnahmen gegenüber regulatorischen Instanzen der Schweiz wurden von den Experten im Konsensuspapier formuliert. Dieses kann zudem behandelnden Ärzten als Referenz dienen, um in besonderen Situationen bei Krankenkassen Kostengutsprachen einzuholen.
Prof. Alexander Navarini, Stv. Leiter der dermatologischen Poliklinik, Universitätsspital Zürich, stellte die Schweizer S1-Leitlinie an einem Fachsymposium in Zürich anlässlich des nationalen Psoriasistages 2016 vor. Diese Empfehlungen stützen sich auf die europäische S3-Guideline (Update von 2015) sowie die deutsche S3-Leitlinie (Update von 2011) und berücksichtigen zusätzlich neuere klinische Studien (1). Bezüglich der Definition von moderaten bis schweren Psoriasiserkrankungen vertreten die Schweizer Experten die Ansicht, dass Politiker, Krankenkassen und andere Versicherungen neben einem PASI-Wert (Psoriasis Area and Severity Index) über 10 oder einem BSA-Wert (Body Surface Area) über 10 Prozent auch einen DLQI-Wert (Dermatology Life Quality Index) über 10 als offiziellen Grenzwert anerkennen sollen. Auf diese Stellungnahme könne der behandelnde Arzt im Gesuch für die Kostengutsprache eines benötigten Biologikums Bezug nehmen, sagte Navarini. Wenn spezielle Körperregionen schwer betroffen sind (z.B. Kopfhaut, Genitalien, Handflächen, Fusssohlen, Nägel) oder bei einzelnen, sehr hartnäckigen Plaques und auch bei unstillbarem Pruritus mit Kratzschäden sei der DLQI das entscheidende Kriterium, so der Referent.
Precise PASI – neue, genauere Berechnungsmethode des PASI
Die Schweizer Leitlinie online:
https://www.karger.com/ Article/Pdf/445681
In der Leitlinie wird als genauere Berechnungsmethode des PASI der Precise PASI erwähnt. Anders als beim herkömmlichen PASI, der in Stufen ansteigt, erfolgt der Anstieg beim Precise PASI linear (2). Beim neuen Score wird die prozentual betroffene Hautfläche exakt bestimmt, während der herkömmliche PASI eine graduelle Methode verwendet (1 bis 9 Prozent, 10 bis 29 Prozent usw.). Mit der empfindlicheren Methode des Precise PASI ist es möglich, auch in tiefe-
ren BSA-Bereichen (Fläche von weniger als 10 Prozent betroffen) im Verlauf der Psoriasisbehandlung Besserungen zuverlässig zu erfassen und zu dokumentieren (2). Als Therapieziel wird die Besserung des PASI bzw. des Precise PASI um drei Viertel (≥ 75%) empfohlen (1). Auch eine Besserung zwischen 50 und 74 Prozent bei gleichzeitig deutlich gebesserter Lebensqualität (DLQI ≤ 5) kann als Therapieerfolg gewertet werden. Möglicherweise können die Schwellenwerte der Therapieziele künftig sogar bei PASI90 beziehungsweise Precise PASI90 und DLQI unter 5 festgelegt werden (1).
Kleinmolekulare Medikamente zur systemischen Psoriasistherapie
Zur systemischen Therapie der moderaten bis schweren Psoriasis werden kleinmolekulare Medikamente (Methotrexat, Acitretin, Fumarsäureester, Ciclosporin, Apremilast) und Biologika (Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Ustekinumab, Secukinumab) verwendet. Für Fumarsäureester besteht in der Schweiz keine Zulassung. Erstmals äussern sich nun Psoriasisexperten im Konsensus zur Fumarsäuretherapie, die in der Schweiz von manchen Dermatologen mit Erfolg offlabel eingesetzt wird (1). Verträglichkeitsgründe machen in den ersten 9 Wochen eine langsame Dosissteigerung nötig, in den ersten 3 Wochen mit einer Formulierung, die nur 30 mg Dimethylfumarat enthält, danach mit der 120-mg-Formulierung. In den ersten Wochen muss bei bis zu 60 Prozent der Patienten vorübergehend mit gastrointestinalen Nebenwirkungen gerechnet werden (z.B. Diarrhö, Bauchkrämpfe, Flatulenz). Weil Medikamenteninteraktionen relativ selten sind (in weniger als 5%), kommen Fumarsäureester auch für komorbide Patienten in Betracht. Vor dem Import über eine internationale Apotheke muss bei der Krankenversicherung eine Kostengutsprache eingeholt werden (1).
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KONGRESSBERICHT
Nationaler Psoriasis-Tag 2016
Beim Wechsel von Methotrexat, Ciclosporin oder Acitretin zu einem Biologikum ist in der Regel keine Auswaschperiode nötig (1). Kombinationen von konventionellen Systemtherapien mit Biologika gelten als off-label, werden aber oft verwendet, weil sie nützlich sein können (z.B. Verbesserung der Effizienz, Optimierung des Nutzen-Risiko-Profils, Reduktion des Immunogenitätsrisikos durch Zugabe von Methotrexat) (1).
Biologika zur systemischen Psoriasistherapie
In der Schweiz können Biologika nur bei Patienten
eingesetzt werden, die erfolglos mit mindestens
einer konventionellen Systemtherapie und/oder
Phototherapie behandelt wurden. Infliximab wird von
Krankenkassen nach vorgängiger Kostengutsprache
durch den Vertrauensarzt erst nach Versagen einer
Therapie mit einem TNF-α-Blocker (nachdem zuvor
UV-B und PUVA oder Ciclosporin oder Methotrexat
oder Acitretin keinen Therapieerfolg bewirkt haben)
und nur für maximal ein Jahr bezahlt (bei erfolg-
reicher Therapie Verlängerungsgesuch möglich) (1).
Die Leitlinie weist auf die Möglichkeiten hin, wie die
Dosis bei der Biologikatherapie abweichend von der
Standarddosierung angepasst werden kann. Wenn
eine Monotherapie mit einem Biologikum erfolg-
reich verläuft, kann eine Dosisreduktion in Betracht
gezogen werden. Allerdings muss dabei das Risiko
berücksichtigt werden, dass es durch Bildung neutra-
lisierender Antikörper (speziell bei Verwendung von
Infliximab und Adalimumab) zum Wirkungsverlust
kommen kann (1). Eine Verlängerung des Dosierungs-
intervalls kann mit Adalimumab und Etanercept,
aber nicht mit Infliximab und Ustekinumab erwogen
werden (1).
Um ein ungenügendes Ansprechen zu verbessern,
besteht die Möglichkeit, die Dosis durch Verkürzung
der Injektionsintervalle zu erhöhen. Der Referent wies
aber darauf hin, dass diese Strategie die Kosten
enorm steigern kann. Im Fall von Adalimumab kön-
nen 40 mg jede Woche statt alle 2 Wochen gegeben
werden, im Fall von Etanercept 50 mg 2-mal pro
Woche statt nur 1-mal pro Woche. Bei Ustekinumab
kann die Dosis von 45 mg auf 90 mg alle 12 Wochen
erhöht werden. Auch eine Intervallverkürzung auf
8 Wochen ist möglich. Bei Infliximab kann das Inter-
vall von 8 auf 6 Wochen reduziert werden (1).
Wenn es bei einem Therapieversagen nötig ist, vom
Referenzen: 1. Kolios AG et al.: Swiss S1
guidelines on the systemic treatment of psoriasis vulgaris. Dermatology 2016; 232: 385–406. 2. Kolios AG et al.: Detection of small changes in psoriasis intensity with Precise PASI. Dermatology 2015; 230: 314–317.
einen Biologikum zu einem andern zu wechseln, kann mit dem neuen Biologikum ohne Auswaschperiode zum Zeitpunkt der vorgesehenen Injektion des bisherigen Biologikums begonnen werden (1). Beim Wechsel von Ustekinumab kann das andere Biologikum bereits 2 bis 4 Wochen nach der letzten Ustekinumab-Injektion verabreicht werden (1).
Komorbiditätsscreening als fester Bestandteil des Psoriasismanagements
Die Liste der Komorbiditäten ist bei Psoriasis in den letzten Jahren immer länger geworden und umfasst neben der Psoriasis-Arthritis unter anderem auch kardiovaskuläre Risikofaktoren (Adipositas, Hypertonie, Dyslipidämie, Typ-2-Diabetes), die nicht alkoholische Fettlebererkrankung, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Lymphome, Hautkrebs, Angst und Depression, Tabak- und Alkoholkonsum (1). Das Komorbiditätsscreening gehört bei Patienten mit Psoriasis unbedingt zum Krankheitsmanagement, damit einer Progression vorgebeugt und so früh wie möglich mit der Behandlung von Komorbiditäten begonnen werden kann. Bei Patienten unter systemischer Psoriasistherapie werden 6-monatige, bei Patienten mit topischer Psoriasistherapie 12-monatige Screeningintervalle vorgeschlagen. Zur Erfassung einer möglichen Psoriasis-Arthritis wird ein einfacher Screeningfragebogen (z.B. Psoriasis Epidemiology Screening Tool = PEST) empfohlen, den der Patient rasch vor der Konsultation ausfüllen kann (1).
Impfungen
Das Thema Impfungen wird in den Guidelines nicht erwähnt. Navarini berichtete, dass während systemischen Psoriasisbehandlungen nicht mit Lebendvakzinen geimpft werden sollte. Empfohlen werden jedoch Pneumokokken-, Influenza- und andere Standardimpfungen bei Patienten, die mit Biologika behandelt werden, obschon das Infektionsrisiko bei ihnen wahrscheinlich nicht wesentlich erhöht ist. Zwar können TNF-α-Blocker die Impfreaktion etwas abschwächen, doch sei dies ohne klinische Relevanz, so der Referent.
Nützliche Tabellen zu den systemischen Psoriasismedikamenten
Sehr nützlich sind die in der Leitlinie enthaltenen
übersichtlichen Tabellen zu den gebräuchlichen klein-
molekularen Psoriasismedikamenten und den aktuell
verfügbaren Biologika. Darin sind beispielsweise die
von den Experten empfohlenen Laboruntersuchun-
gen vor Behandlungsbeginn und während der Be-
handlung mit Angabe der Kontrollintervalle zusam-
mengestellt. Auch Angaben zu den Jahreskosten
der Medikamente können den Tabellen entnommen
werden. Was die Wirksamkeit betrifft, sind interes-
sante Informationen zum medianen Wirkungseintritt
und zu den mit den verschiedenen Medikamenten
erreichbaren PASI75- und PASI90-Werten in den
Tabellen aufgelistet (1).
L
Alfred Lienhard
6 SZD 1/2017