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KONGRESSBERICHT
FOBI 2016
Prävention der atopischen Dermatitis
Nahrungsergänzung mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren
Bis vor wenigen Jahren wurde Gamma-Linolensäure (GLA), eine langkettige Omega-6-Fettsäure, die zum Beispiel reichlich in Nachtkerzensamenöl enthalten ist, zur unterstützenden Behandlung bei atopischer Dermatitis empfohlen. Im Jahr 2013 kam jedoch ein Cochrane-Review aufgrund von 27 Studien zum Schluss, dass damit keine signifikante Verbesserung der Ekzemsymptome zu erzielen sei und dass weitere Studien nicht gerechtfertigt seien (1). Auch präventiv war mit GLA-Supplementation in drei randomisierten, kontrollierten Studien keine oder nur eine vorübergehende Risikoreduktion feststellbar (1). Nach dem Misserfolg der Omega-6-Fettsäure GLA sind jetzt zwei langkettige Omega-3-Fettsäuren – Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) – als Erfolg versprechende Nahrungsergänzungsmittel in den Fokus der Forschung gerückt.
«Was können wir mit der Ernährung dazu beitragen, damit unser Kind nicht an Neurodermitis erkranken wird?» Mit dieser Frage von werdenden Eltern, die selbst vom atopischen Ekzem betroffen sind, sehen sich Ärzte in der Praxis oft konfrontiert. «In der Schwangerschaft und in der Stillzeit sollte Fisch Bestandteil der Ernährung sein – und Fisch enthält viel Omega-3-Fettsäuren», berichtete Prof. Dr. Thomas Werfel, Klinik für Dermatologie, Medizinische Hochschule Hannover, im Rahmen der 25. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI 2016, München) an einem Mittagsseminar der Firma Hans Karrer. Als Beikost des Säuglings ab 4 Monaten habe Fisch im 1. Lebensjahr einen protektiven Effekt bezüglich atopischer Dermatitis, so der Experte. Die langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA kommen aber nicht nur in Fisch vor, sondern auch in Fleisch artgerecht gehaltener Wiederkäuer mit ausreichender Bewegung und Grasfütterung und zudem in Mikroalgen als veganer Quelle (1). Durch die Nahrung oder in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zugeführte langkettige Omega3-Fettsäuren werden allerdings individuell sehr unterschiedlich aufgenommen und in Zellmembranen eingelagert. Als Bestandteile von Zellmembranen wirken EPA und DHA modulierend auf verschiedene Zellfunktionen, so der Referent. Es stehen standardisierte Messmethoden des HS-Omega-3-Indexes zur Verfügung. Dieser Index gibt Auskunft über den Anteil von EPA und DHA am gesamten Fettsäuregehalt von Erythrozyten. Je höher der Indexwert liegt, desto besser ist das Messresultat. Der Index wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, wobei die Aufnahme mit der Nahrung nur eine untergeordnete Rolle spielt (1).
Zwei Fettsäurefamilien in Konkurrenz
Eigentlich verfüge der menschliche Körper über Enzymsysteme zur Kettenverlängerung, um aus der wichtigsten pflanzlichen Omega-3-Fettsäure, AlphaLinolensäure (ALA, 18 Kohlenstoffatome, nicht langkettig) die langkettigen EPA (20 C-Atome) und DHA (22 C-Atome) zu bilden, sagte die Ökotrophologin Dr. Imke Reese, München. Die theoretisch mögliche Kettenverlängerung findet aber praktisch gar nicht statt, weil die dazu benötigten Enzyme bei der grossen Linolsäurezufuhr in der typischen westlichen Ernährung immer von der Omega-6-Fettsäure-Familie in Beschlag genommen werden. Die in pflanzlichen Ölen vorkommende Omega-3-Fettsäure ALA wird deshalb praktisch nie in EPA und DHA umgewandelt. Als Quellen dieser Fettsäuren kommen nur in Betracht: Fisch, Fleisch oder Milch artgerecht gehaltener Tiere und Supplemente auf Basis von Fischöl oder von Mikroalgen als vegane Alternative.
Nützliche präventive Effekte langkettiger Omega-3-Fettsäuren
Langkettige Omega-3-Fettsäuren reduzieren die zelluläre Immunantwort (weniger proinflammatorische Zytokine und weniger Lymphozytenproliferation), wirken regulatorisch bezüglich Th1- und Th2-Antwort und stellen das Ausgangssubstrat für die Bildung von Protektinen und Resolvinen dar, die zumindest im Tiermodell bei der Abschaltung der Entzündungsreaktion beteiligt sind. In Beobachtungsstudien konnten protektive Effekte langkettiger Omega-3Fettsäuren bezüglich atopischer Dermatitis gezeigt werden, so die Referentin. Kontrollierte Interventions-
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studien mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren bei Schwangeren, Stillenden oder Säuglingen erbrachten aber bisher uneinheitliche Resultate. Dass nicht alle Studien eine schützende Wirkung gegenüber atopischen Ekzemen nachweisen konnten, beruhe wahrscheinlich auf der individuell unterschiedlichen Aufnahme von EPA und DHA mit Einbau in Zellmembranen. In Studien, die den Einbau berücksichtigten, resultierte eine deutliche Korrelation zwischen dem biologisch wirksamen Status langkettiger Omega-3Fettsäuren und der protektiven Wirkung hinsichtlich atopischer Dermatitis. Der Erfolg von Interventionen mit EPA und DHA hängt also stark vom individuellen Einbau dieser Fettsäuren ab. In Studien nur die Supplementdosierung zu beachten, sei nicht ausreichend, so die Referentin. In zukünftigen Studien müsse vielmehr der Einbau durch Bestimmung des HS-Omega-3-Indexes oder durch Messung in den Plasmaphospholipiden berücksichtigt werden. Dadurch könne die benötigte Supplementdosis individuell bestimmt werden.
Vorkommen der wichtigsten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren
L Wichtigster pflanzlicher Vertreter von Omega-3-Fettsäuren ist AlphaLinolensäure (3 Doppelbindungen). Vorkommen zum Beispiel in Rapsöl, Leinöl, Perillaöl, Walnussöl, Sojaöl und Weizenkeimöl.
L Die wichtigsten langkettigen Omega-3-Fettsäuren sind EPA (5 Doppelbindungen) und DHA (6 Doppelbindungen). Vorkommen in Fisch, Algen, Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren, Bauernhofmilch und Supplementen auf Basis von Fischöl oder Algen (vegane Alternative).
L Der wichtigste Vertreter der Omega-6-Fettsäuren ist Linolsäure (2 Doppelbindungen). Vorkommen etwa in Sonnenblumenöl, Traubenkernöl, Distelöl, vielen Nussölen und vielen Samenölen.
L Die Omega-6-Fettsäure Linolsäure und die Omega-3-Fettsäure AlphaLinolensäure konkurrieren im Körper um die Kettenverlängerung (physiologische Konkurrenzsituation). EPA und DHA müssen über die Nahrung oder durch Supplemente zugeführt werden, da Alpha-Linolensäure unter normalen Bedingungen einer westlichen Ernährung nicht in EPA oder DHA umgewandelt wird.
(nach Dr. Imke Reese)
Omega-3-Fettsäuren auch therapeutisch Erfolg versprechend
Prof. Werfel berichtete, dass seine Arbeitsgruppe bei 60 Patienten mit atopischer Dermatitis (32 Frauen und 28 Männer mit mittlerem Alter von 33 Jahren) den HS-Omega-3-Index untersuchte und einen Mittelwert von 4,97 fand. Das ist ein deutlich niedrigerer Wert, als bei historischen Kontrollpersonen aus dem gleichen geografischen Raum (Hannover) festgestellt wurde (Mittelwert 7,00). Es könnte sich durchaus lohnen, dazu weitere Studien durchzuführen, so der Referent. Dass Omega-3-Fettsäuren auch zur Therapie bei bereits manifester atopischer Dermatitis nützlich sein können, wurde bereits vor 14 Jahren in Giessen in einer Proof-of-Concept-Studie mit Fischölinfusionen (i.v.-Applikation von Fettsäureemulsionen) gezeigt (2). Randomisiert wurden 20 Patienten mit atopischer Dermatitis in dieser geradezu «heroischen» kontrollierten Doppelblindstudie während 10 Tagen entweder mit täglichen Fischölinfusionen, welche die Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA in erheblicher Konzentration enthielten, oder mit Sojaölinfusionen (vorwiegend Omega-6-Fettsäuren) intravenös behandelt. Die Hautscores wurden nach der Fischölinfusion erstaunlich schnell besser (schon in den ersten 10 Tagen). Die Besserung war im Vergleich zur Sojaölinfusionsgruppe signifikant. Eine weitere randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudie wurde in Berlin mit 44 erwachsenen Patienten mit atopischer Dermatitis durchgeführt (orale Supplementierung während 8 Wochen und 12 Wochen Follow-up) (3). Die orale Supplementierung mit der Omega-3-Fettsäure DHA (täglich 5,4 g) bewirkte innerhalb von 8 Wochen im Vergleich zur Supple-
mentierung mit gesättigten Fettsäuren eine signi-
fikante Besserung des Hautzustandes (SCORAD). Zu-
dem verbesserte die Omega-3-Supplementierung
das Verhältnis der Plasmaspiegel von Omega-6- und
Omega-3-Fettsäuren. Ob sich die Supplementierung
mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren in der Thera-
pie der atopischen Dermatitis durchsetzen wird,
hängt vom Erfolg weiterer randomisierter, kontrol-
lierter Interventionsstudien ab (1).
L
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Reese I et al.: Schützen langkettige Omega-3-Fettsäuren vor atopischer Dermatitis?
J Dtsch Dermatol Ges 2015; 13: 879–885. 2. Mayser P et al.: A double-blind, randomized, placebo-controlled trial of n-3 versus
n-6 fatty acid-based lipid infusion in atopic dermatitis. J Parenter Enteral Nutr 2002; 26: 151–158. 3. Koch C et al.: Docosahexaenoic acid (DHA) supplementation in atopic eczema: a randomized, double-blind, controlled trial. Br J Dermatol 2008; 158: 786–792.
Quelle: Mittagsseminar «Prävention allergischer Erkrankungen und atopischer Dermatitis durch langkettige Omega-3-Fettsäuren» (Sponsor: Hans Karrer GmbH) im Rahmen der 25. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI 2016), 28. Juli 2016 in München.
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