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GASTKOMMENTAR
Hautkrebs-Screening mit Smartphones
App-Algorithmus im Direktvergleich mit Dermatologen
Künstliche Intelligenz kann bereits viele Probleme lösen, und Computerprogramme sind in der Lage, die besten Schachspieler der Welt zu schlagen. Wir haben sogar vor Kurzem erfahren, dass die besten Pokerspieler von Computeralgorithmen geschlagen worden sind. Warum sollte es nicht möglich sein, Hautkrebserkrankungen, insbesondere Melanome und auch Hauttumore, ausgehend von Keratinozyten, zu erkennen, die durch ihre visuellen Eigenschaften entweder mit dem blossen Auge oder mit Vergrösserung durch Dermatoskopie diagnostiziert werden.
Claus Garbe ist der Leiter der Sektion Dermatologische Onkologie und des Hauttumorzentrums am Universitätsklinikum Tübingen und der erste Vorsitzende des Vereins zur Bekämpfung des Hautkrebses e.V. (Deutschland, weitere Info unter www.hautkrebs.de)
Seit zwei Jahrzehnten arbeiten Dermatologie-Forschungsgruppen daran, vor allem in Deutschland, Österreich und Italien, diagnostische Algorithmen für das Melanom zu entwickeln. Mehrere Algorithmen wurden entwickelt und auch auf dem Dermatologiemarkt vertrieben. Diese Computeralgorithmen wurden in Geräte für Computerdermatoskopie integriert und von Dermatologen verwendet, um ihre diagnostische Genauigkeit zu verbessern. Die Algorithmen basierten auf logistischer Regressionsanalyse oder auf neuronalen Netzwerken unter Verwendung von Image-Algebra. Diese Computerprogramme entwickelten bereits eine hohe diagnostische Genauigkeit, vergleichbar mit der von Dermatolo-
gen. Allerdings wurden diese Programme nicht dafür trainiert, seborrhoische Keratosen von melanozytären Läsionen zu unterscheiden, und sie wurden nicht für den Einsatz von Laien entwickelt. Jetzt wurde anscheinend ein Durchbruch im Bereich der Hautkrebsdiagnosen erreicht. Sebastian Thrun, ein Professor des Stanford-Laboratoriums für künstliche Intelligenz, entwickelte mit seinen Kollegen André Esteva und Brett Kuprel in den Thrun-Labors in Kooperation mit Dermatologen aus den Pigmented Lesions and Melanoma Clinics am Stanford Cancer Institute einen neuen Algorithmus zur Diagnose von Hautkrebs. Es war für dieses Projekt wesentlich, eine grosse Sammlung von Fotos von Hauttumoren zusammenzutragen. Am Ende gelang es der Stanford-Projektgruppe 130 000 Bilder von Hautläsionen zu sammeln, die verschiedene Krankheitsentitäten repräsentieren Die Projektgruppe arbeitete mit einem von Google entwickelten Algorithmus, der mehr als 1 Million Bilder aus 1000 Objektkategorien identifizieren konnte. Unter anderem war dieses Programm in
Künstliche neurale Netzwerke contra geschulter Blick
Es war die Vision eines universalen Zugangs zu ärztlichem Wissen, das die Wissenschaftler der StanfordUniversität antrieb, an einem Algorithmus zu arbeiten, der über die Nutzung möglichst grosser optischer Datenmengen an die Blickdiagnose des geschulten Dermatologen heranreicht*. Ihre Arbeiten könnten das Berufsbild des Dermatologen, bei dem ja die Auswertung visueller Informationen eine Menge ausmacht, revolutionieren. Was denken Sie darüber? Könnten in Zukunft solche neuralen Netzwerke den Dermatologen womöglich überflüssig machen? Oder ist Dermatologie einfach doch viel mehr als eine Blickdiagnose? Schreiben Sie uns doch Ihre Meinung hierzu! E-Mail: SZD-Redaktion@rosenfluh.ch.
*Esteva A et al.: Dermatologist-level classification of skin cancer with deep neural networks. Nature 2017; 542: 115–118. Doi: 10.1038/nature21056
der Lage, Bilder von Katzen von solchen von Hunden zu unterscheiden. Dieser Algorithmus wurde im Vergleich zur diagnostischen Genauigkeit von 21 Dermatologen getestet und zeigte eine vergleichbare bis bessere diagnostische Leistung als die der Dermatologen. Drei diagnostische Anforderungen wurden getestet: die Klassifikation von hellen Hauttumoren (ausgehend von Keratinozyten), die Klassifikation von Melanomen anhand makroskopischer Bilder und die Klassifikation von Melanomen anhand dermatoskopischer Bilder. Alle diese drei Anforderungen konnte der Algorithmus bestens erfüllen. Korrekte Diagnosen wurden in zirka 90 Prozent der Läsionen erreicht. Die Ergebnisse wurden in einem Research Letter in der Zeitschrift «Nature» am 25. Januar 2017 veröffentlicht. Dies ist nun ein Durchbruch für Computerprogramme, die auf Geräte mit der Fähigkeit zur Analyse von SmartphoneBildern übertragen werden können. Eine Reihe von Fragen ist wohl noch zu lösen, etwa ob eine Standardisierung der Fotografie erforderlich ist oder wie die Vermarktung eines solchen Angebots im Gesundheitswesen aussehen kann. Dennoch gibt es wenig Zweifel, dass ein solcher diagnostischer Algorithmus eine perfekte Voraussetzung für neue Formen des Hautkrebs-Screenings sein kann. L
Prof. Dr. med. Claus Garbe Universitäts-Hautklinik Universitätsklinikum Tübingen Liebermeisterstrasse 25 D-72076 Tübingen E-Mail: claus.garbe@med.uni-tuebingen.de
36 SZD 1/2017