Transkript
MEDIZINHISTORISCHER EXKURS
Ästhetische Anatomie in Wien
Die Wachsmodelle des Josephinums
Was heute 3-D-Modelle am PC sind, waren vor rund 250 Jahren die Wachsmodelle des Körpers: das fortschrittlichste Lehrmittel für angehende Mediziner. Im Josephinum in Wien haben sich rund 1200 anatomisch genaue Wachsmodelle erhalten – und sie faszinieren bis heute. Somit war dies ein vortreffliches Ziel für die historisch interessierten Kollegen am EADV 2016.
VON ANGELIKA RAMM-FISCHER
Anatomie lernt man am besten direkt am menschlichen Körper. Doch die Studenten früherer Jahrhunderte hatten nicht regelmässig Leichen zur Verfügung. Das lag nicht so sehr an religiösen Verboten, sondern hauptsächlich an fehlenden Konservierungsmöglichkeiten. Entsprechend lückenhaft war das anatomische Wissen, da man es schliesslich nicht ausreichend oft repetieren konnte.
können. Das wusste auch Kaiser Joseph II. (1741– 1790). Er errichtete daher eine Akademie für Militärärzte, baute ein Krankenhaus – das Allgemeine Krankenhaus, das bis heute existiert –, beschaffte medizinische Literatur und sammelte medizinischwissenschaftliches Gerät. Diese Sammlungen wurden bis heute weitergeführt und sind als Sammlungen des Josephinums zusammengefasst.
Wachsmodell statt echte Leichen
Auf Eseln über die Alpen
Anatomische Kenntnisse sind jedoch die Vorausset- Glanzstück des Josephinums sind die anatomischen zung, damit Ärzte – vor allem Wundärzte – arbeiten Wachsmodelle. Joseph II. bestellte 1192 Modelle,
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Mediceische Venus als Bausatz
Die Wachsmodelle sind heute zum Grossteil erhalten
und werden in sechs Räumen in den originalen Vitri-
nen aus Rosenholz und venezianischem Glas aus-
gestellt. Unter den Vitrinen sind kleine Blechschub-
laden, in denen zum entsprechenden Modell die
Zeichnungen mit einer Legende mit Bezeichnungen
der Strukturen zu finden waren – quasi der Anatomie-
Atlas. Diese sind heute nicht mehr sichtbar.
Grundsätzlich gilt: Nur gucken, nicht anfassen. Das ist
besonders bedauerlich bei der «Mediceischen Ve-
nus». Dieses Ganzkörpermodell einer Frau, die dem
Schönheitsideal des 18. Jahrhunderts entspricht, ist
zerlegbar. Die Organe können wie bei einem Baukas-
ten entnommen werden – inklusive eines Uterus im
5. Monat der Schwangerschaft.
Eine kleine Ungenauigkeit: Die Menge der Lymph-
gefässe in allen Modellen ist zu üppig geraten. Of-
fenbar ist die Begeisterung mit den Künstlern durch-
gegangen, als sie eine Darstellungsweise für diese
feinen Gefässe gefunden hatten: Sie ummantelten
feine Drähte und Wollfäden mit Wachs und brachten
sie so auf den Wachsmodellen an.
Beeindruckend sind die Farben der Wachsmodelle:
Sie haben durch die Jahrhunderte kaum an Leucht-
kraft eingebüsst. Damit kommen sie der Natur näher
als die in Formalin eingelegten Präparate oder die
Erfahrungen, die man als Medizinstudent im Präpara-
tionskurs selbst gesammelt hat.
L
Angelika Ramm-Fischer
die unter Aufsicht des Direktors Felice Fontana und des Anatomen Paolo Mascagni von 1784 bis 1788 in Florenz hergestellt und auf abenteuerlichen Wegen per Packeseln über die Alpen transportiert wurden. Sie sollten einerseits als Anschauungsmaterial für den Unterricht dienen, andererseits waren sie auch damals bereits für die Öffentlichkeit bestimmt.
Mehr Infos über das Josephinum unter: www.josephinum.ac.at
Abbildungen: Josephinum/Alexander Ablogin
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