Transkript
FORTBILDUNG
Update zum spinozellulären Karzinom
Aktuelle Aspekte des Managements von kutanen Plattenepithelkarzinomen
Invasive spinozelluläre Karzinome kommen häufig vor, und das korrekte Management ist besonders bei Hochrisikokarzinomen wichtig. Die operative Therapie stellt die Standardbehandlung dar. Sie ergibt bessere onkologische Therapieresultate als nicht chirurgische Behandlungsverfahren. Über wichtige aktuelle Aspekte des spinozellulären Karzinoms sprach Dr. Gionata Marazza, Medico aggiunto Servizio di Dermatologia, Ospedale Regionale di Bellinzona e Valli, Bellinzona, am Swiss Derma Day 2016.
20 Prozent aller malignen Hauttumoren sind spinozelluläre Karzinome. Es handelt sich dabei um die zweithäufigste Form von hellem Hautkrebs. In 3 bis 5 Prozent der Fälle metastasiert das spinozelluläre Karzinom, was eine schlechte Prognose bedeutet (medianes Überleben von weniger als 2 Jahren). Für die zunehmende Inzidenz spinozellulärer Karzinome werden verschiedene Faktoren verantwortlich gemacht: zunehmende Alterung der Bevölkerung, Immunsuppression durch Krankheiten und Medikamente, Aktivitäten im Freien (beruflich oder in der Freizeit), Solariumbesuch, Wohnsitzwechsel nach der Pensionierung in sonnige Gegenden. Aktuell beträgt die Inzidenz in der Schweiz 28,9 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner pro Jahr. Männer sind im Vergleich zu Frauen doppelt so häufig betroffen. Neue Guidelines zum spinozellulären Karzinom wurden letztes Jahr sowohl in Europa als auch in den USA publiziert (1, 2).
Kasten 1:
Spinozelluläres Karzinom: Risikofaktoren
L Kumulative UV-Belastung durch Exposition gegenüber der natürlichen Sonnenstrahlung und gegenüber artifiziellen UV-Quellen (z.B. Solarium, PUVATherapie)
L Genetische Einflüsse: Hauttyp, Albinismus, Xeroderma pigmentosum, Epidermodysplasia verruciformis
L Fortgeschrittenes Alter
L Exposition gegenüber Röntgenstrahlen (Latenzzeit: 30 bis 60 Jahre)
L Exposition gegenüber chemischen Substanzen wie Arsen oder polyzyklischen Kohlenwasserstoffen (z.B. in Teer)
L Onkogene humane Papillomviren (z.B. HPV 5, 6, 11, 16, 18)
L Chronisch-entzündliche Hautveränderungen (z.B. Ulcus cruris, alte Verbrennungsnarben, bullöse Dermatosen, kutaner Lupus erythematodes)
L Krankheitsbedingte oder medikamentöse Immunsuppression. Nach Organtransplantationen ist das Risiko 65- bis 250-fach erhöht.
L Spinozelluläre Karzinome und Keratoakanthome können bei Behandlungen mit einem BRAF-Inhibitor (z.B. Vemurafenib) induziert werden.
(nach Dr. Gionata Marazza)
Abbildung 1: Morbus Bowen. Daraus kann nach Durchbrechung der Basalmembran ein invasives Plattenepithelkarzinom entstehen.
(Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
Karzinombildung und Metastasierung
In der Regel entsteht ein spinozelluläres Karzinom aus einer Vorläuferläsion. Bei aktinischen Keratosen (AK) ist die Transformationsrate geringer (Transformation zu einem spinozellulären Karzinom bei weniger als 1 AK von 1000 pro Jahr) als beim Morbus Bowen (Transformationsrate 3 bis 5%) und bei der
24 SZD 4/2016
Update zum spinozellulären Karzinom
Kasten 2:
Spinozelluläres Hochrisikokarzinom: Prognostisch ungünstige Faktoren
L Lokalisation im «Maskenbereich» (zentrale Gesichtsregion, periokulär, Augenlider, Augenbrauen, Nase, perioral, Lippen, Kinn, Mandibularegion, Ohr, präund postaurikulär, Schläfenregion) oder an den Handrücken, Genitalien, Schleimhäuten. Am Rumpf und an den Extremitäten ist das Rezidivrisiko am geringsten (2).
L Tumorgrösse Ն 2 cm. Im Vergleich zu einem Tumor mit einem Durchmesser von weniger als 2 cm ist bei einem grösseren spinozellulären Karzinom mit einer doppelten Lokalrezidivrate und einer dreifachen Metastasierungsrate innerhalb von 5 Jahren zu rechnen (2).
L Histologische Tumordicke (Breslow-Index) Ն 2 mm.
L Aggressiver histologischer Typ (akantholytisches Plattenepithelkarzinom, adenosquamöses Karzinom, Spindelzellkarzinom, desmoplastisches Karzinom, invasives Bowen-Karzinom).
L Wenig differenziertes oder undifferenziertes Karzinom.
L Perineurale oder perivaskuläre Invasion.
L Rezidivtumor, rasch wachsender Tumor, schlecht abgrenzbarer Rand.
L Endogene oder exogene Immunosuppression (rascheres Tumorwachstum, höheres Risiko für Lokalrezidive und 5- bis 10-fach höheres Metastasierungsrisiko).
L Tumor auf chronisch-entzündlicher Hautläsion (z.B. Radiodermitis, alte Narbe, chronische Wunde).
(nach Dr. Gionata Marazza
Erythroplasia Queyrat der Schleimhäute (Transformationsrate 10%). Klinische Zeichen der Transformation einer AK in ein spinozelluläres Karzinom können sein: Zunahme der Hyperkeratose, palpatorisch feststellbare Infiltration der Basis, Schmerzhaftigkeit (spontan oder bei der Palpation). Bei korrekter Behandlung kann in mehr als 90 Prozent der Fälle eine 5-Jahres-Heilung erreicht werden. Gemäss der Literatur kommt es bei 4,6 Prozent der Patienten zu Lokalrezidiven und bei 3,7 Prozent zu Lymphknotenmetastasen. 2,7 Prozent sterben am Hautkrebs. Lokalrezidive oder Metastasen bilden sich in der Regel innerhalb von 2 Jahren (75%) bis 5 Jahren (95%) nach Diagnosestellung. Bei der Metastasierung sind in der Regel zunächst die regionalen Lymphknoten betroffen. Später können sich auch Metastasen in Lunge, Leber, Gehirn, Haut und Knochen bilden. Bei Lymphknotenmetastasen beträgt das 5-Jahres-Überleben weniger als 50 Prozent. Das Risiko von Lokalrezidiven und Metastasen ist abhängig von der Lokalisation, der Tumorgrösse, der Tumordicke, dem histologischen Typ, dem Differenzierungsgrad und weiteren Faktoren (Kasten 2).
Der Nutzen der Sentinellymphknotenbiopsie für das Staging und die Prognose spinozellulärer Hochrisikokarzinome ist noch unklar und muss in weiteren Studien untersucht werden. In 4,5 bis 28 Prozent der Fälle von spinozellulärem Hochrisikokarzinom ist die Sentinellymphknotenbiopsie positiv. Der negative Prädiktionswert sei gut, so der Referent. Wenn das Resultat des Tests negativ ausfällt, ist die Wahrscheinlichkeit also gering, dass dennoch Metastasen bestehen. Derzeit könne eine Sentinellymphknotenbiopsie bei spinozellulären Hochrisikokarzinomen ≥ T2 oder T2b in Betracht gezogen werden, sagte Dr. Marazza.
Therapie des spinozellulären Karzinoms
Die Operation stellt die bevorzugte lokale Behandlungsmethode dar. Die Empfehlungen für den Sicherheitsabstand bei der konventionellen Chirurgie lauten gemäss den gemeinsamen europäischen Richtlinien des EDF (European Dermatology Forum), der EADO (European Association of Dermato-Oncology) und der EORTC (European Organization for Research and Treatment of Cancer) (1): L 5 mm bei minimalem Risiko und einer Tumordicke
von ≤ 2 mm L 10 mm bei hohem Risiko und einer Tumordicke
von mehr als 6 mm.
Auch die mikrografische Chirurgie (klassische MohsChirurgie oder zweizeitige Slow-Mohs-Chirurgie) eignet sich zur Behandlung des spinozellulären Karzinoms. Die klassische Mohs-Chirurgie ermöglicht am gleichen Tag sowohl die Tumorexzision als auch die Sicherstellung der Totalität der Exzision und die Defektrekonstruktion. Bei der Slow-Mohs-Methode erfolgt die lückenlose Kontrolle der Exzisatschnittränder 1 bis 2 Tage nach der Tumorexzision am Paraffinschnitt des Exzisats. Nach Mohs-Chirurgie ist die Rezidivrate im Vergleich zur Standardchirurgie geringer (bei primären spinozellulären Karzinomen 2,6–3,6% vs. 7,9%).
Abbildung 2: Spinozelluläres Karzinom (Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
SZD 4/2016
25
Update zum spinozellulären Karzinom
Die Radiotherapie erreicht nach 5 Jahren Heilungsraten von 80 bis 90 Prozent. Im Vergleich zur Chirurgie liegt die Rezidivrate höher. Nach Radiotherapie rezidivierende spinozelluläre Karzinome verhalten sich lokal stark infiltrativ und aggressiv. Dennoch bietet sich die Radiotherapie in den folgenden Situationen als erste Alternative zur operativen Behandlung primärer spinozellulärer Karzinome an: L wenn die Chirurgie beim Patienten aufgrund des
Allgemeinzustandes kontraindiziert ist L wenn die Chirurgie ein inakzeptables funktionel-
les oder kosmetisches Resultat ergeben würde L bei über 60-jährigen Patienten mit kleinem spino-
zellulärem Karzinom, aber nicht an empfindlichen Stellen wie an den Händen, Füssen, Beinen oder in der Genitalregion.
Nicht empfohlen wird die Radiotherapie zum Beispiel bei Patienten mit Immundepression, bei Lichtschaden der Haut (Feldkanzerisierung würde verstärkt) und bei verrukösem spinozellulärem Karzinom (Erhöhung des Metastasierungsrisikos). Eine adjuvante Radiotherapie nach der chirurgischen Behandlung sollte in Betracht gezogen werden, wenn zum Beispiel eine erhebliche perineurale Invasion vorliegt oder die Tumorexzisatränder nicht tumorfrei sind und eine chirurgische Nachexzision nicht möglich ist. Ein metastasiertes spinozelluläres Karzinom kann mit Elektrochemotherapie (Satelliten, In-Transit-Metastasen) und mit Mono- oder Kombinationschemotherapien (z.B. Platinderivate, 5-FU, Bleomycin, Methotrexat, Gemcitabin, Taxane) behandelt werden. Auch der gegen den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) gerichtete monoklonale Antikörper Cetuximab hat sich bei der Behandlung des metastasierten spinozellulären Karzinoms als nützlich erwiesen (3).
Nachkontrollen
Das Risiko, dass Patienten mit spinozellulärem Karzinom innerhalb von 5 Jahren ein zweites spinozelluläres Karzinom oder einen anderen hellen Hautkrebs entwickeln, ist hoch (30 bis 50%) (2). Erhöht ist auch
Take Home Messages
L Die operative Therapie stellt die lokale Standardbehandlung des spinozellulären Karzinoms dar. Die Empfehlungen für den Sicherheitsabstand bei konventioneller Chirurgie lauten: 5 mm bei einem Niedrigrisikotumor und 10 mm bei einem Hochrisikotumor. Durch die gewebesparende, mit kleinerem Sicherheitsabstand durchführbare Mohs-Chirurgie mit lückenloser Schnittrandkontrolle kann eine geringere Rezidivrate erreicht werden.
L Die Radiotherapie ist eine gute Alternative bei nicht leicht operierbarem Tumor und bei alten Patienten.
L Die Sentinellymphknotenbiopsie wird derzeit nicht routinemässig empfohlen, sollte aber dennoch bei gewissen spinozellulären Hochrisikokarzinomen in Betracht gezogen werden.
L Nachkontrollen sind wichtig, um Tumorrezidive zu erfassen und um andere mögliche Hauttumoren frühzeitig zu diagnostizieren.
das Risiko, an einem malignen Melanom zu erkran-
ken. Nach der Krebsbehandlung ist es wichtig, die
Patienten regelmässig zu kontrollieren. Da 75 Prozent
der Lokalrezidive und Metastasen in den ersten
2 Jahren nach der Diagnose auftreten, sollte während
dieser Zeit besonders sorgfältig kontrolliert werden,
sagte der Referent. Leider steht bis anhin noch kein
standardisiertes Follow-up-Schema zur Verfügung (1).
Dr. Marazza empfahl folgendes Schema:
L Wenn es sich um ein spinozelluläres Karzinom mit
niedrigem Risiko handelt: klinische Untersuchung
1-mal pro Jahr während 5 Jahren.
L Bei einem spinozellulären Karzinom mit hohem
Risiko: klinische Untersuchung und Ultraschall-
untersuchung der Lymphknoten 3-mal pro Jahr in
den ersten 2 Jahren, danach 2-mal pro Jahr in den
Jahren 3 bis 5 und anschliessend klinische Unter-
suchung 1-mal pro Jahr.
L
Alfred Lienhard
Referenzen:
1. Stratigos A et al.: Diagnosis and treatment of invasive squamous cell carcinoma of the skin: European consensus-based interdisciplinary guideline. Eur J Cancer 2015; 51: 1989–2007.
2. Kauvar A et al.: Consensus for nonmelanoma skin cancer treatment, part II: Squamous cell carcinoma, including a cost analysis of treatment methods. Dermatol Surg 2015; 41: 1214–1240.
3. Conen KL et al.: Cetuximab in metastatic squamous cell cancer of the skin: a Swiss case series. Dermatology 2014; 229: 97–101.
26 SZD 4/2016